Helgoland, 26. August 1841
War er nur unglücklich und einsam auf Helgoland? 1840, es ist sein erster Helgoland-Aufenthalt, verfasst er zwölf melancholische Gedichte. "Helgoländer Lieder" - Erinnerungen an eine unglückliche Liebe. Verfasser: Hoffmann von Fallersleben. 1841 dann der zweite Insel-Besuch. Nach einigen mehr oder weniger durchzechten Tagen mit Patrioten vom Festland fühlt er sich wieder "sehr verwaist". "Da ward mir so eigen zu Muthe, ich musste dichten ... " - "Deutschland, Deutschland über Alles!"
Der erste Aufenthalt
Die Geschichte vom ersten Aufenthalt hier auf Helgoland ist schnell erzählt. Der Herr Hoffmann von Fallersleben hatte eine unglückliche Liebe auszukurieren.
"Der Anblick der See war mir nichts Neues, aber neu, dass ich nun selbst mitten darin war, nichts sah als Wasser und Himmel."
Auf der Insel nahm er Quartier bei Ölrichs auf dem Oberland.
"… es war eigentlich nur eine kleine Schlafstelle."
20 Jahre später, in seinen Erinnerungen, wird er betonen, die Einsamkeit gesucht zu haben. Und penibel genau aufzählen, mit wem er alles verkehrte: Bankiers, Fabrikanten, Kaufleute et cetera.
"In diesen einsamen Stunden auf der Klippe, drüben auf der Düne, oder wenn ich allein im Boote hinüberfuhr, entstanden meine Helgoländer Länder."
Romantische Trauerarbeit, Ebbe und Flut der Gefühle.
"Du Kranz der Liebe grün und roth,
Wie bist du jetzt so bleich und todt!"
Er korrespondierte mit Campe, beobachtete das Begräbnis eines politischen Flüchtlings, ging auf Hummer- und Haifischfang. Nach einem Monat Inselaufenthalt dann am 21.September die Abreise.
"Sehr zeitig begab ich mich an Bord der Henriette."
Die neue Erfahrung
Auf der Überfahrt nach Helgoland wurden auf dem Dampfschiff die "Marseillaise", "God save" und alles Mögliche gespielt. Helgoland ist 1840 in englischem Besitz und für den Lieddichter Ausland.
Die freie Erfahrung Helgoland stachelt seine Sehnsucht an:
"Welch ein Land! kein Soldat, / Kein Gendarm, kein Vogt, kein Magistrat; / ! Nicht einmal ein bisschen Polizei - / Nein, o nein, das ist mir doch zu frei."
August Heinrich Hoffmann, 42 Jahre alt, ist 1840 ein bekannter Lieddichter. Den Zunamen von Fallersleben hatte er sich 1821 zugelegt.
Kleinstaaterei hat das heimatliche Festland wie Blattern befallen. Und fest im Griff. Hoffmann von Fallersleben träumt von einem deutschen Vaterland. Goethe und Heine sind schon weiter, fordern Menschenrechte ein.
1840 erscheint der erste Teil seiner "Unpolitischen Lieder". Sie rechnen mit dem deutschen Michel und der Zensur ab, sehnen republikanische Rechte und Freiheit herbei. Scharfzüngig gerät der Text "Knüppel aus dem Sack".
Die zweite Reise
"Vom 11. August bis 5. September in Helgoland."
Das war 1841. An Bord des Schiffes fielen mehrere Hannoveraner, lauter Oppositionsmänner und einige Exemplare der Unpolitischen Lieder auf.
"Am ersten Abend fanden sich die Hannoveraner im Conversations-Hause ein … Es ging recht munter her."
Am 21. August trafen weitere hannoversche Landsleute ein, am Abend versammelte sich die Gesellschaft im Conversations-Haus.
"Es folgte eine Reihe von Trinksprüchen, die alle mit lautem Jubel aufgenommen wurden. Dr. Freudentheil: die gute Sache! Ein anderer: Stüve! Ich: die deutschen Frauen! Dann: die Unfähigen!"
Ein Spitzel Kiesewetter berichtete der Hannoverschen Regierung mit Datum 29. August 1841: "hat die Oppositionsgesellschaft in einem Wirtshaus öffentlich zusammen geschmauset, gezecht und gesungen". Dr. Freudentheils Rede fand "wenig Beifall", ist … "späterhin durch Trunkenheit ganz unschädlich geworden"; Hoffmann von Fallersleben dagegen "rauschendsten Beifall geerndtet".
Der öffentlichen Zusammenkunft folgte am nächsten Tag eine geschlossene Versammlung.
"Großes landsmännisches Mittagsessen im Coversations-Hause."
Dr. Freudentheil war wieder nüchtern, und Spitzel Kiesewetter notierte: "Mehre schöne, liberale und revolutionäre Reden" durch Hoffmann von Fallersleben; und: "viele Toaste mit verdeckten und verblümten Angriffen".
"Außer den gestrigen Hochs werden noch mehrere ausgebracht: das einige Deutschland! die Pressfreiheit! (…) zuletzt: die Königin Victoria! – Allgemeine Heiterkeit vom Anfang bis zum Ende."
Helgoländer Stimmungen
Hoffmann von Fallersleben wird, wir greifen hier der Geschichte nur geringfügig voraus, auf der Insel einige Lieder schreiben. Die feucht-politische Gelöstheit der Männergesellschaft führt ihm die Feder. Freie Gedanken auf meerumrauschtem Eiland.
Er greift Trinksprüche und Hochs der geselligen Runden auf. Der Ton ist leicht, die Stimmung forciert, damals gesungenen Trinkliedern angepasst. Zum Beispiel bei der guten Sach – Trinkspruch Dr. Freudentheils am ersten Abend.
"Der guten Sache
Frisch auf! frisch auf mit Sang und Klang,
Dass Herz und Sinn erwache!
Ein freudig Hoch! Ein dreifach Hoch!
Es gilt der guten Sache."
Oder das mit den Unfähigen. Der eigene Trinkspruch vom ersten Tag der Feiern gerät zum Lied.
"Lied der Unfähigen
Es saust der Wind, es braust das Meer,
Wir wollen nicht erzittern:
Das Recht ist unser Waff` und Wehr,
Wir stehen wie der Fels im Meer
Trotz Sturm und Ungewittern."
Das Wetter ist schön, die Erinnerungen sind es auch.
…ich musste dichten
"Wir machten dann bei dem wunderschönen Wetter eine Umfahrt um Helgoland."
Am 23. August 1841 löste sich die Männerrunde auf, die Hannoveraner Oppositionsmänner verließen die Insel. Wieder allein auf dem Fels, ohne die…
"…treuherzigen Wesen, die mir so herzliche Theilname bewiesen hatten. Den ersten Augenblick schien mir Helgoland wie ausgestorben, ich fühlte mich sehr verwaist. Und doch that mir bald die Einsamkeit recht wohl: Ich freute mich, dass ich nach den unruhigen Tagen wieder einmal auch mir gehören durfte. Wenn ich dann so wandelte einsam auf der Klippe, nichts als Meer und Himmel um mich sah, da ward mir so eigen zu Muthe, ich musste dichten und wenn ich es auch nicht gewollt hätte. So entstand am 26. August das Lied: Deutschland, Deutschland über Alles!"
Das Lied der Deutschen
Der Dichter ist sichtlich bewegt, von der Inselstimmung und der Zusammenkunft, von freien Gedanken und feucht-fröhlicher Stimmung.
In der "Urschrift des vollständigen Liedes" steht neben die dritte Strophe die Variante:
"Einigkeit und Recht und Freiheit
Sind des Glückes Unterpfand.
Stoßet an und ruft einstimmig:
Hoch das deutsche Vaterland!"
Auch die zweite Strophe des Deutschlandliedes bleibt in dieser Stimmungslage, greift Trinksprüche auf:
"Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang
Sollen in der Welt behalten
Ihren alten schönen Klang.
Uns zu edler That begeistern
Unser ganzes Leben lang -
Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang."
Und die erste Strophe? Die ersten beiden Zeilen sind zumindest "semantisch vage" formuliert, missdeutig. Außerdem fehlt das Prädikat.
Die geographischen Grenzpunkte beschreiben ein recht großes "Vaterland". Nur: Maas, Memel, Etsch und Belt waren nicht die Grenzen des Deutschen Bundes.
Und er nimmt Fäden auf, die einst Walther von der Vogelweide gesponnen hatte. Hoffmann von Fallersleben kannte ihn sehr gut und das Zeitgedicht "Preis des Vaterlandes".
Rheinlied und Abreise
"Am 28. August kommt Campe mit dem Stuttgarter Buchhändler Paul Neff."
Im Gepäck hatte der Hamburger Verleger das erste Exemplar des zweiten Teils der "Unpolitischen Lieder". Campe versuchte, das Honorar zu drücken, andere Dichter seien an Poesie und an Schärfe überlegen.
"Am 29. August spaziere ich mit Campe am Strande. ‚Ich habe ein Lied gemacht, das kostet aber 4 Louis d`or.’"
Campe wollte hören.
"Ich lese ihm: ‚Deutschland, Deutschland über Alles’ und noch ehe ich damit zu Ende bin, legt er mir die 4 Louis d`or auf meine Brieftasche."
Campe hoffte, es werde einschlagen und ein Rheinlied werden.
"Ich schreibe es unter dem Lärm der jämmerlichsten Tanzmusik ab, Campe steckt es ein, und wir scheiden."
Schon am 4. September erscheint Campe mit dem Erst- und Einzeldruck wieder, datiert auf den 1. September 1841: "Das Lied der Deutschen", Melodie nach Joseph Haydns "Gott erhalte Franz den Kaiser, / Unsern guten Kaiser Franz!".
Am nächsten Tag verließ Fallersleben Helgoland.
Die Geschichte zum Lied
Am 5.Oktober 1841 wird das Lied zum ersten Male öffentlich gesungen, in Hamburg, im Beisein des Dichters. Die von ihm erhoffte Verbreitung wird es Zeit seines Lebens jedoch nicht finden.
Die 1848er Revolution, Fallersleben ist distanzierter Beobachter, stimmt andere Gesänge an. Im Deutsch-Französischen Krieg erschallt die markige "Wacht am Rhein". 1871 schließlich die ersehnte Reichsgründung. Aber die preußische Königshymne wird Staatslied des deutschen Reiches. 1874 stirbt Hoffmann von Fallersleben.
Erstmals offiziell gesungen wird "Deutschland, Deutschland über alles", auf Helgoland, am 9. August 1890, bei der Übergabe der Insel an Deutschland. Kaiser Wilhelm II hatte schon 1872, damals noch als Prinz Wilhelm, geäußert, dass Helgoland zu Deutschland gehöre.
Dann der November 1914, westlich Langemark. deutsche Soldaten sollen sich im Nebel mit dem Gesang des Deutschlandliedes orientiert haben. Trotz widersprüchlicher Berichte darüber, ein Mythos ist geboren: Langemark, das Deutschlandlied.
Am 11. August 1922 erklärt Reichspräsident Ebert das Deutschlandlied zum vaterländischen Gesang, zur Nationalhymne der uneinigen Weimarer Republik.
Die Nazis stellen die erste Strophe des Deutschland-Liedes dem Horst-Wessel-Lied voran, die zweite und dritte Strophe sind verboten.
18. August 1945. Die britische Militärregierung verbietet, nationalsozialistische Lieder zu spielen oder zu singen: "Dieses Verbot bezieht sich auch auf das Deutschlandlied."
Bonn, 23. Mai 1949. Inkraftsetzung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates und die Regierungschefs der Länder singen die thüringische Volksweise "Ich hab` mich ergeben, mit Herz und mit Hand, du Land voll Lieb` und Leben, mein deutsches Vaterland."
Adenauer hält am Deutschlandlied fest. Im Streit mit dem Bundeskanzler setzt Bundespräsident Heuss am 6.Mai 1952 durch, dass nur die dritte Strophe des "Deutschlandliedes" bei offiziellen Anlässen gesungen wird. Dass alle drei Strophen Nationalhymne werden, kann er nicht verhindern.
1954: Fußball-Weltmeisterschaft in Bern. Deutsche Schlachtenbummler singen nach dem Endspiel-Sieg die erste Strophe: "Deutschland, Deutschland über alles". Schweizer Radiosender brechen ihre Übertragung ab.
August 1991, im ersten Jahr der Deutschen Einheit. In einem Briefwechsel bestätigen Bundespräsident von Weizsäcker und Bundeskanzler Kohl die 3. Strophe als deutsche Nationalhymne.
Brechts "Kinderhymne", ein Gegenentwurf zum korrumpierten Text des Deutschlandliedes, hat auch diesmal keine Chance.
Bis zum heutigen Tag ist das Deutschlandlied als Nationalhymne der Bundesrepublik nicht gesetzlich geregelt. Im Grundgesetz ist sie nicht erwähnt.
Letzter Insel-Besuch
"23. August nach Helgoland."
Auch die Geschichte vom dritten Aufenthalt des Herrn Hoffmann von Fallersleben 1842 auf Helgoland ist schnell erzählt.
"Um halb sieben Abends am Strande von Helgoland. Reimer bietet mir eine Wohnung an, die ich sofort beziehe."
Von Liebesleid oder patriotischen Trinkgelagen war nicht die Rede. Die Erinnerung an diesen Aufenthalt memoriert der Lieddichter in seiner Biografie auffällig kurz. Auflistung von Personen, denen er begegnete, dann die Mitteilung:
"Von den alten Freunden, Bekannten und Landsleuten finde ich nur wenige wieder und mache wenig neue Bekanntschaften."
Kein Hinweis auf Gespräche über "Das Lied der Deutschen" oder die "Unpolitischen Lieder". Statt dessen Arbeit an einer Art Vokabelverzeichnis über die Hölluner Sproek.
"Den 12. Sept. verlasse ich Helgoland. Gute Fahrt …"
…und ward – Maculatur
"Deutschland über Alles", in ein Exemplar seiner gleichnamigen Liedersammlung schreibt er am 4. Juni 1871 verbittert:
"’Deutschland, Deutschland über Alles!’
O wie sang ich es so oft!
Niemalls wollt` Erfüllung werden
Was ich lang und heiß gehofft.
Ach! die Tage der Erfüllung
Meiner Hoffnung kamen nicht,
‚Deutschland, Deutschland über Alles!’
Blieb nur immer mein Gedicht."
Hurra-Lieder und Kampf-Gesänge für den Krieg Österreichs gegen Frankreich und Italien 1859. Doch:
"Mit der Schlacht von Solferino am 24. Juni wurde auch mein Buch geschlagen, das kaum das Licht der Welt erblickt hatte. Der bald darauf folgende Friede von Villafrance beruhigte die Gemüther und niemand wollte sich aufregen lassen, weder prosaisch noch poetisch. Mein Büchlein konnte nicht einmal vergessen werden, da es ja gar nicht bekannt geworden war.
Und ich sang von Deutschland wieder,
Sang in Freud` und Hoffnung nur,
Doch mein ‚Deutschland über Alles!’
Kam und ward – Maculatur."
Hoffmann von Fallersleben. Seine Gedichte und Lieder sind vergessen, kaum aufgelegt. Nur im Kindermund lebt ein Teil noch weiter. "Ein Männlein steht im Walde / Ganz still und stumm …"
Seine politischen Satiren zu lesen, lohnt allemal. Wegen ihres präzisen Stiches. Eine wohl treffende Beschreibung des Seebadbetriebes auf Helgoland und eines uns bekannten Menschentyps liefert dieses hier.
"Unheilbare Krankheit
Freunde, geht ins Seebad!
Jedes Leid und Weh
Lindert und beschwichtigt,
Scheucht und heilt die See!
Jedem wird Genesung
In der See zu Theil,
Jedem Rang` und Stande
Bringt das Seebad Heil.
Wer auf festem Lande
Nirgend Heilung fand,
Wird sie wahrlich finden
Dort in Helgoland.
Vetter Michel höret
Dieses frohe Wort,
Macht sich auf und eilet
Nach der See sofort.
Und er badet täglich
In des Weltmeers Flut,
Denn er weiß, das Seebad
Machet Alles gut.
Und er nimmt der Bäder
Fünfzig an der Zahl,
Und er badet täglich,
Wie`s der Arzt befahl.
Wie er ist, so bleibt er –
Von Philisterei
Wird man auch im Weltmeer
Nun und nimmer frei."
Geschrieben: Helgoland, im August 1842.
Hoffmann von Fallersleben. Seine Büste steht an der Landungsbrücke. Einen Steinwurf entfernt stand das Conversations-Haus. Er schaut aufs Meer.
Irgendwo da hinten liegt deutsches Festland. In der Bundesrepublik wurde das Deutschlandlied zur Nationalhymne in dem Jahr, als Helgoland wieder an Deutschland zurückgegeben ward.
Gesungen wird die dritte Strophe – Torso aus einer Ruinenlandschaft.
Die Geschichte vom ersten Aufenthalt hier auf Helgoland ist schnell erzählt. Der Herr Hoffmann von Fallersleben hatte eine unglückliche Liebe auszukurieren.
"Der Anblick der See war mir nichts Neues, aber neu, dass ich nun selbst mitten darin war, nichts sah als Wasser und Himmel."
Auf der Insel nahm er Quartier bei Ölrichs auf dem Oberland.
"… es war eigentlich nur eine kleine Schlafstelle."
20 Jahre später, in seinen Erinnerungen, wird er betonen, die Einsamkeit gesucht zu haben. Und penibel genau aufzählen, mit wem er alles verkehrte: Bankiers, Fabrikanten, Kaufleute et cetera.
"In diesen einsamen Stunden auf der Klippe, drüben auf der Düne, oder wenn ich allein im Boote hinüberfuhr, entstanden meine Helgoländer Länder."
Romantische Trauerarbeit, Ebbe und Flut der Gefühle.
"Du Kranz der Liebe grün und roth,
Wie bist du jetzt so bleich und todt!"
Er korrespondierte mit Campe, beobachtete das Begräbnis eines politischen Flüchtlings, ging auf Hummer- und Haifischfang. Nach einem Monat Inselaufenthalt dann am 21.September die Abreise.
"Sehr zeitig begab ich mich an Bord der Henriette."
Die neue Erfahrung
Auf der Überfahrt nach Helgoland wurden auf dem Dampfschiff die "Marseillaise", "God save" und alles Mögliche gespielt. Helgoland ist 1840 in englischem Besitz und für den Lieddichter Ausland.
Die freie Erfahrung Helgoland stachelt seine Sehnsucht an:
"Welch ein Land! kein Soldat, / Kein Gendarm, kein Vogt, kein Magistrat; / ! Nicht einmal ein bisschen Polizei - / Nein, o nein, das ist mir doch zu frei."
August Heinrich Hoffmann, 42 Jahre alt, ist 1840 ein bekannter Lieddichter. Den Zunamen von Fallersleben hatte er sich 1821 zugelegt.
Kleinstaaterei hat das heimatliche Festland wie Blattern befallen. Und fest im Griff. Hoffmann von Fallersleben träumt von einem deutschen Vaterland. Goethe und Heine sind schon weiter, fordern Menschenrechte ein.
1840 erscheint der erste Teil seiner "Unpolitischen Lieder". Sie rechnen mit dem deutschen Michel und der Zensur ab, sehnen republikanische Rechte und Freiheit herbei. Scharfzüngig gerät der Text "Knüppel aus dem Sack".
Die zweite Reise
"Vom 11. August bis 5. September in Helgoland."
Das war 1841. An Bord des Schiffes fielen mehrere Hannoveraner, lauter Oppositionsmänner und einige Exemplare der Unpolitischen Lieder auf.
"Am ersten Abend fanden sich die Hannoveraner im Conversations-Hause ein … Es ging recht munter her."
Am 21. August trafen weitere hannoversche Landsleute ein, am Abend versammelte sich die Gesellschaft im Conversations-Haus.
"Es folgte eine Reihe von Trinksprüchen, die alle mit lautem Jubel aufgenommen wurden. Dr. Freudentheil: die gute Sache! Ein anderer: Stüve! Ich: die deutschen Frauen! Dann: die Unfähigen!"
Ein Spitzel Kiesewetter berichtete der Hannoverschen Regierung mit Datum 29. August 1841: "hat die Oppositionsgesellschaft in einem Wirtshaus öffentlich zusammen geschmauset, gezecht und gesungen". Dr. Freudentheils Rede fand "wenig Beifall", ist … "späterhin durch Trunkenheit ganz unschädlich geworden"; Hoffmann von Fallersleben dagegen "rauschendsten Beifall geerndtet".
Der öffentlichen Zusammenkunft folgte am nächsten Tag eine geschlossene Versammlung.
"Großes landsmännisches Mittagsessen im Coversations-Hause."
Dr. Freudentheil war wieder nüchtern, und Spitzel Kiesewetter notierte: "Mehre schöne, liberale und revolutionäre Reden" durch Hoffmann von Fallersleben; und: "viele Toaste mit verdeckten und verblümten Angriffen".
"Außer den gestrigen Hochs werden noch mehrere ausgebracht: das einige Deutschland! die Pressfreiheit! (…) zuletzt: die Königin Victoria! – Allgemeine Heiterkeit vom Anfang bis zum Ende."
Helgoländer Stimmungen
Hoffmann von Fallersleben wird, wir greifen hier der Geschichte nur geringfügig voraus, auf der Insel einige Lieder schreiben. Die feucht-politische Gelöstheit der Männergesellschaft führt ihm die Feder. Freie Gedanken auf meerumrauschtem Eiland.
Er greift Trinksprüche und Hochs der geselligen Runden auf. Der Ton ist leicht, die Stimmung forciert, damals gesungenen Trinkliedern angepasst. Zum Beispiel bei der guten Sach – Trinkspruch Dr. Freudentheils am ersten Abend.
"Der guten Sache
Frisch auf! frisch auf mit Sang und Klang,
Dass Herz und Sinn erwache!
Ein freudig Hoch! Ein dreifach Hoch!
Es gilt der guten Sache."
Oder das mit den Unfähigen. Der eigene Trinkspruch vom ersten Tag der Feiern gerät zum Lied.
"Lied der Unfähigen
Es saust der Wind, es braust das Meer,
Wir wollen nicht erzittern:
Das Recht ist unser Waff` und Wehr,
Wir stehen wie der Fels im Meer
Trotz Sturm und Ungewittern."
Das Wetter ist schön, die Erinnerungen sind es auch.
…ich musste dichten
"Wir machten dann bei dem wunderschönen Wetter eine Umfahrt um Helgoland."
Am 23. August 1841 löste sich die Männerrunde auf, die Hannoveraner Oppositionsmänner verließen die Insel. Wieder allein auf dem Fels, ohne die…
"…treuherzigen Wesen, die mir so herzliche Theilname bewiesen hatten. Den ersten Augenblick schien mir Helgoland wie ausgestorben, ich fühlte mich sehr verwaist. Und doch that mir bald die Einsamkeit recht wohl: Ich freute mich, dass ich nach den unruhigen Tagen wieder einmal auch mir gehören durfte. Wenn ich dann so wandelte einsam auf der Klippe, nichts als Meer und Himmel um mich sah, da ward mir so eigen zu Muthe, ich musste dichten und wenn ich es auch nicht gewollt hätte. So entstand am 26. August das Lied: Deutschland, Deutschland über Alles!"
Das Lied der Deutschen
Der Dichter ist sichtlich bewegt, von der Inselstimmung und der Zusammenkunft, von freien Gedanken und feucht-fröhlicher Stimmung.
In der "Urschrift des vollständigen Liedes" steht neben die dritte Strophe die Variante:
"Einigkeit und Recht und Freiheit
Sind des Glückes Unterpfand.
Stoßet an und ruft einstimmig:
Hoch das deutsche Vaterland!"
Auch die zweite Strophe des Deutschlandliedes bleibt in dieser Stimmungslage, greift Trinksprüche auf:
"Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang
Sollen in der Welt behalten
Ihren alten schönen Klang.
Uns zu edler That begeistern
Unser ganzes Leben lang -
Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang."
Und die erste Strophe? Die ersten beiden Zeilen sind zumindest "semantisch vage" formuliert, missdeutig. Außerdem fehlt das Prädikat.
Die geographischen Grenzpunkte beschreiben ein recht großes "Vaterland". Nur: Maas, Memel, Etsch und Belt waren nicht die Grenzen des Deutschen Bundes.
Und er nimmt Fäden auf, die einst Walther von der Vogelweide gesponnen hatte. Hoffmann von Fallersleben kannte ihn sehr gut und das Zeitgedicht "Preis des Vaterlandes".
Rheinlied und Abreise
"Am 28. August kommt Campe mit dem Stuttgarter Buchhändler Paul Neff."
Im Gepäck hatte der Hamburger Verleger das erste Exemplar des zweiten Teils der "Unpolitischen Lieder". Campe versuchte, das Honorar zu drücken, andere Dichter seien an Poesie und an Schärfe überlegen.
"Am 29. August spaziere ich mit Campe am Strande. ‚Ich habe ein Lied gemacht, das kostet aber 4 Louis d`or.’"
Campe wollte hören.
"Ich lese ihm: ‚Deutschland, Deutschland über Alles’ und noch ehe ich damit zu Ende bin, legt er mir die 4 Louis d`or auf meine Brieftasche."
Campe hoffte, es werde einschlagen und ein Rheinlied werden.
"Ich schreibe es unter dem Lärm der jämmerlichsten Tanzmusik ab, Campe steckt es ein, und wir scheiden."
Schon am 4. September erscheint Campe mit dem Erst- und Einzeldruck wieder, datiert auf den 1. September 1841: "Das Lied der Deutschen", Melodie nach Joseph Haydns "Gott erhalte Franz den Kaiser, / Unsern guten Kaiser Franz!".
Am nächsten Tag verließ Fallersleben Helgoland.
Die Geschichte zum Lied
Am 5.Oktober 1841 wird das Lied zum ersten Male öffentlich gesungen, in Hamburg, im Beisein des Dichters. Die von ihm erhoffte Verbreitung wird es Zeit seines Lebens jedoch nicht finden.
Die 1848er Revolution, Fallersleben ist distanzierter Beobachter, stimmt andere Gesänge an. Im Deutsch-Französischen Krieg erschallt die markige "Wacht am Rhein". 1871 schließlich die ersehnte Reichsgründung. Aber die preußische Königshymne wird Staatslied des deutschen Reiches. 1874 stirbt Hoffmann von Fallersleben.
Erstmals offiziell gesungen wird "Deutschland, Deutschland über alles", auf Helgoland, am 9. August 1890, bei der Übergabe der Insel an Deutschland. Kaiser Wilhelm II hatte schon 1872, damals noch als Prinz Wilhelm, geäußert, dass Helgoland zu Deutschland gehöre.
Dann der November 1914, westlich Langemark. deutsche Soldaten sollen sich im Nebel mit dem Gesang des Deutschlandliedes orientiert haben. Trotz widersprüchlicher Berichte darüber, ein Mythos ist geboren: Langemark, das Deutschlandlied.
Am 11. August 1922 erklärt Reichspräsident Ebert das Deutschlandlied zum vaterländischen Gesang, zur Nationalhymne der uneinigen Weimarer Republik.
Die Nazis stellen die erste Strophe des Deutschland-Liedes dem Horst-Wessel-Lied voran, die zweite und dritte Strophe sind verboten.
18. August 1945. Die britische Militärregierung verbietet, nationalsozialistische Lieder zu spielen oder zu singen: "Dieses Verbot bezieht sich auch auf das Deutschlandlied."
Bonn, 23. Mai 1949. Inkraftsetzung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates und die Regierungschefs der Länder singen die thüringische Volksweise "Ich hab` mich ergeben, mit Herz und mit Hand, du Land voll Lieb` und Leben, mein deutsches Vaterland."
Adenauer hält am Deutschlandlied fest. Im Streit mit dem Bundeskanzler setzt Bundespräsident Heuss am 6.Mai 1952 durch, dass nur die dritte Strophe des "Deutschlandliedes" bei offiziellen Anlässen gesungen wird. Dass alle drei Strophen Nationalhymne werden, kann er nicht verhindern.
1954: Fußball-Weltmeisterschaft in Bern. Deutsche Schlachtenbummler singen nach dem Endspiel-Sieg die erste Strophe: "Deutschland, Deutschland über alles". Schweizer Radiosender brechen ihre Übertragung ab.
August 1991, im ersten Jahr der Deutschen Einheit. In einem Briefwechsel bestätigen Bundespräsident von Weizsäcker und Bundeskanzler Kohl die 3. Strophe als deutsche Nationalhymne.
Brechts "Kinderhymne", ein Gegenentwurf zum korrumpierten Text des Deutschlandliedes, hat auch diesmal keine Chance.
Bis zum heutigen Tag ist das Deutschlandlied als Nationalhymne der Bundesrepublik nicht gesetzlich geregelt. Im Grundgesetz ist sie nicht erwähnt.
Letzter Insel-Besuch
"23. August nach Helgoland."
Auch die Geschichte vom dritten Aufenthalt des Herrn Hoffmann von Fallersleben 1842 auf Helgoland ist schnell erzählt.
"Um halb sieben Abends am Strande von Helgoland. Reimer bietet mir eine Wohnung an, die ich sofort beziehe."
Von Liebesleid oder patriotischen Trinkgelagen war nicht die Rede. Die Erinnerung an diesen Aufenthalt memoriert der Lieddichter in seiner Biografie auffällig kurz. Auflistung von Personen, denen er begegnete, dann die Mitteilung:
"Von den alten Freunden, Bekannten und Landsleuten finde ich nur wenige wieder und mache wenig neue Bekanntschaften."
Kein Hinweis auf Gespräche über "Das Lied der Deutschen" oder die "Unpolitischen Lieder". Statt dessen Arbeit an einer Art Vokabelverzeichnis über die Hölluner Sproek.
"Den 12. Sept. verlasse ich Helgoland. Gute Fahrt …"
…und ward – Maculatur
"Deutschland über Alles", in ein Exemplar seiner gleichnamigen Liedersammlung schreibt er am 4. Juni 1871 verbittert:
"’Deutschland, Deutschland über Alles!’
O wie sang ich es so oft!
Niemalls wollt` Erfüllung werden
Was ich lang und heiß gehofft.
Ach! die Tage der Erfüllung
Meiner Hoffnung kamen nicht,
‚Deutschland, Deutschland über Alles!’
Blieb nur immer mein Gedicht."
Hurra-Lieder und Kampf-Gesänge für den Krieg Österreichs gegen Frankreich und Italien 1859. Doch:
"Mit der Schlacht von Solferino am 24. Juni wurde auch mein Buch geschlagen, das kaum das Licht der Welt erblickt hatte. Der bald darauf folgende Friede von Villafrance beruhigte die Gemüther und niemand wollte sich aufregen lassen, weder prosaisch noch poetisch. Mein Büchlein konnte nicht einmal vergessen werden, da es ja gar nicht bekannt geworden war.
Und ich sang von Deutschland wieder,
Sang in Freud` und Hoffnung nur,
Doch mein ‚Deutschland über Alles!’
Kam und ward – Maculatur."
Hoffmann von Fallersleben. Seine Gedichte und Lieder sind vergessen, kaum aufgelegt. Nur im Kindermund lebt ein Teil noch weiter. "Ein Männlein steht im Walde / Ganz still und stumm …"
Seine politischen Satiren zu lesen, lohnt allemal. Wegen ihres präzisen Stiches. Eine wohl treffende Beschreibung des Seebadbetriebes auf Helgoland und eines uns bekannten Menschentyps liefert dieses hier.
"Unheilbare Krankheit
Freunde, geht ins Seebad!
Jedes Leid und Weh
Lindert und beschwichtigt,
Scheucht und heilt die See!
Jedem wird Genesung
In der See zu Theil,
Jedem Rang` und Stande
Bringt das Seebad Heil.
Wer auf festem Lande
Nirgend Heilung fand,
Wird sie wahrlich finden
Dort in Helgoland.
Vetter Michel höret
Dieses frohe Wort,
Macht sich auf und eilet
Nach der See sofort.
Und er badet täglich
In des Weltmeers Flut,
Denn er weiß, das Seebad
Machet Alles gut.
Und er nimmt der Bäder
Fünfzig an der Zahl,
Und er badet täglich,
Wie`s der Arzt befahl.
Wie er ist, so bleibt er –
Von Philisterei
Wird man auch im Weltmeer
Nun und nimmer frei."
Geschrieben: Helgoland, im August 1842.
Hoffmann von Fallersleben. Seine Büste steht an der Landungsbrücke. Einen Steinwurf entfernt stand das Conversations-Haus. Er schaut aufs Meer.
Irgendwo da hinten liegt deutsches Festland. In der Bundesrepublik wurde das Deutschlandlied zur Nationalhymne in dem Jahr, als Helgoland wieder an Deutschland zurückgegeben ward.
Gesungen wird die dritte Strophe – Torso aus einer Ruinenlandschaft.