Die unmögliche Liebe zwischen Bachmann und Celan
Das Buch "Wir sagen uns Dunkles" beschreibt die schwierige Beziehung zwischen den Dichtern Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Helmut Böttiger hat dafür ihren Briefwechsel studiert. Ihre Liebe sei nicht alltagstauglich gewesen.
Frank Meyer: Es ist eine der großen Merkwürdigkeiten der Literaturgeschichte, zwei der wichtigsten deutschsprachigen Dichter im 20. Jahrhundert: Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Die beiden waren ein Liebespaar, das war lange ein großes Geheimnis. Vor zehn Jahren etwa ist dann der Briefwechsel der beiden erschienen, in dem man die Geschichte ihrer schwierigen Liebe verfolgen konnte. Und nun gibt es ein Buch über die Beziehung der beiden. Der Literaturkritiker Helmut Böttiger hat es geschrieben, Sie kennen ihn vielleicht auch als Kritiker hier in der "Lesart". Bevor wir über das Buch sprechen, hören wir einen kleinen Ausschnitt aus dem Briefwechsel der beiden, zuerst aus einem Brief von Paul Celan vom 11. Januar 1958:
"Samstag. Du liest jetzt. Ich denk an deine Stimme."
Ingeborg Bachmann:
"Samstag, 18.01.1958. Der Proust ist angekommen. Wie schön. Aber du verwöhnst mich so. An dem Abend, an dem du mich noch einmal anriefst, musste ich immerzu denken, dass du mich gefragt hast: Soll ich kommen? Du weißt nicht, was es für mich bedeutet, so gefragt zu werden. Ich hab plötzlich weinen müssen, nur deswegen, weil es das für mich gibt und weil ich es nie gehabt habe. Fahr gut. Freu dich und lass dich von nichts Kleinlichem, das es immer gibt, stören in der Freude. Ich werde noch nachdenken über den Ort. Diesmal beschütz ich dich. Ingeborg."
Unglaubliche Liebeseuphorie
Meyer: Briefe von Ingeborg Bachmann und Paul Celan aus dem Jahr 1958. Diese Briefe waren eine ganz wichtige Quelle für das Buch "Wir sagen uns Dunkles", das Helmut Böttiger geschrieben hat über die Liebe zwischen den beiden. Dieser Ausschnitt, Herr Böttiger, den wir gerade gehört haben, was sagt der Ihnen?
Helmut Böttiger: Ja, das ist mitten auf dem Höhepunkt der Beziehung, in einer unglaublichen Liebeseuphorie. Bachmann und Celan haben sich zufällig getroffen auf einem Seminar über Literaturkritik im Oktober 1957. Sie hatten sich fünf Jahre lang nicht mehr gesehen, nicht mehr geschrieben, die Beziehung war abgebrochen, und was dann da stattfand, als die sich sahen in Wuppertal, das ist ganz schwer zu beschreiben. Also, Coup de foudre ist noch eine Untertreibung. Und Celan schreibt dann anschließend jeden Tag glühende Liebesbriefe an Bachmann. Man kennt ihn so gar nicht, das ist die einzige Situation, wo Celan wirklich vollkommen aus sich herausgeht, von sich selber absieht und Bachmann mit Liebesbriefen überhäuft. Und das war jetzt ihre Reaktion darauf.
Meyer: Wenn Sie sagen, man kennt ihn so gar nicht, das weist schon hin auf eine Schwierigkeit, die Sie vielleicht hatten bei diesem Buch. Denn beide, sowohl Ingeborg Bachmann als auch Paul Celan, sind ja jahrzehntelang in der literarischen Welt so überhöht worden, das waren ja Heilige, auch heilige Opfer in einer gewissen Hinsicht. Mussten Sie für das Buch diese Bilder erst mal beiseite räumen?
Böttiger: Ja, das ist die größte Schwierigkeit. Celan ist ja fast so etwas wie ein Heiliger, hat das berühmteste Gedicht nach 1945 geschrieben, die "Todesfuge", das wird mit ihm gleichgesetzt. Und er wurde so gelesen als einer, der in schöner Sprache die Schuld der Deutschen ausgedrückt hat und eigentlich dann auch die Möglichkeit gegeben hat, dass die Deutschen sich von ihrer Schuld entlastet fühlen können. Und er war ein unantastbarer Dichter. Man wusste von ihm nichts biografisch. Bei Bachmann war es genau umgekehrt, bei ihr wusste man zu viel, es gibt unglaublich viele Zuschreibungen. Sie war eine lyrische Diva, sie war eine Quelle für die feministische Literaturbetrachtung. Und wer sie eigentlich war als Person, das wusste sie wahrscheinlich selber nicht so ganz. Es gibt Texte von ihr, wo sie sich befragt: Wer bin ich eigentlich? Welche Bilder von mir sind im Umlauf? Wie habe ich mich selber eigentlich immer versteckt hinter verschiedenen Rollen? Welche Rolle ist eigentlich meine? Und da durchzuschauen und die realen handelnden Personen zu erkennen hinter diesen ganzen Zuschreibungen, das ist eine schwere Aufgabe.
Sechs Wochen als Mysterium
Meyer: Und Sie sind zu den Quellen gegangen, unter anderem zu dem ersten Moment, wo die beiden sich begegnet sind, im Jahr 1948. Wie sind sie da überhaupt zusammengekommen, Ingeborg Bachmann und Paul Celan?
Böttiger: Das war im Frühling, sechs Wochen lang, 1948 in Wien. Celan hatte sich durchgeschlagen von Czernowitz über Bukarest, wo er zwei Jahre lang gewohnt hat, nach Wien, unter Lebensgefahr ist er aus dem stalinistischen Rumänien über Ungarn geflohen, war eine Displaced Person in Wien, vollkommen auf sich gestellt. Bachmann, aus einem gutbürgerlichen Elternhaus in Klagenfurt, hat es geschafft, in der Hauptstadt Wien zu studieren, und dort trafen sie einander im literarischen Milieu Wiens bei einem surrealistischen Maler auf einer Party, und Bachmann schreibt kokett an ihre Eltern, dass sie den berühmten Dichter Paul Celan ein bisschen ins Auge gefasst habe an diesem Abend. Und da entwickelt sich eine Geschichte, sechs Wochen lang, von der man eigentlich nichts weiß, nur in den späteren Briefen werden diese sechs Wochen als ein Mysterium dargestellt, als eine große Begegnung, von der man nicht genau weiß, was hat da eigentlich stattgefunden. Es gibt nur ein Gedicht von Celan, das er Bachmann in diesen sechs Wochen gewidmet hat, wo er sie mit jüdischen Frauennamen in Bezug setzt. Er nennt jüdische Frauennamen - Ruth, Noemi, Miriam -, und dann kommt die Fremde. Und die Fremde ist eben Ingeborg Bachmann, die dann zum Medium seiner Sprache wird und die jüdischen Geliebten ablöst. Also, das ist ein sehr aufgeladenes, privates Gedicht, das für Außenstehende damals so natürlich gar nicht zu lesen war.
Meyer: Sie haben das gelesen, Sie legen in Ihrem Buch – das finde ich auch das Faszinierende daran – in vielerlei Hinsicht offen, was von dieser Liebe eingegangen ist in die Texte der beiden. Aber bevor wir darüber sprechen: Wir haben jetzt schon über zwei Momente gesprochen, die von den beiden auch überhöht wurden als ganz große Liebesausbrüche, sodass man sich natürlich fragt: Warum ist daraus eigentlich nie etwas geworden? Denn wirklich zusammengekommen sind die beiden ja nie.
Böttiger: Ja, im Alltag war das nicht zu halten. Bachmann hat es geschafft dann nach Paris, Celan fuhr von Wien weiter nach Paris, weil er es in Wien nicht aushalten konnte. Und Bachmann wollte dann nach Paris und mit ihm zusammenwohnen in seinem kleinen Hotelzimmer. Und das war dann zwei Jahre später so weit, dass sie wirklich nach Paris aufbrach, um mit ihm ein gemeinsames Leben zu führen. Und sie schrieb aber schon nach wenigen Tagen nach Wien: Es geht nicht, weil wir uns aus dämonischen Gründen gegenseitig die Luft wegnehmen. Und das ist eigentlich das Spannende, das kann man nur aus der damaligen Zeit her begreifen, wie stark die Literatur für beide existenziell aufgeladen war. Die Literatur hatte eine existenzielle Bedeutung, sie war mit dem Leben verwoben. Und sie erkannten einander tatsächlich in denselben literarischen Zusammenhängen. Und im Alltag war das nicht durchzuführen. Beide hatten ihren eigenen poetischen Raum, die sich sofort aneinander stießen, und sie konnten im Alltag nicht miteinander zurechtkommen, weil jeder beanspruchte mit seinem poetischen Raum eigentlich auch das für sich im Alltag. Es gab mehrere Versuche. Und Celan lernt dann seine spätere Frau kennen, Gisèle de l'Estrange, die ihn rückhaltlos bewundert hat, und dann war fünf Jahre lang Funkstille und dann kam es eben zu diesem glühenden Liebesausbruch fünf Jahre später.
Wiederbegegnung bei der Gruppe 47
Meyer: Und es gab aber dazwischen noch ein Zusammentreffen, was auch interessant ist, Sie schildern das ausführlich in Ihrem Buch, sozusagen auf neutraler Bühne, wenn man das so sagen kann, bei einem Treffen der Gruppe 47, also dieser einflussreichen Schriftstellergruppe im Jahr 1952. Was ist da passiert, als die beiden auf öffentlicher Bühne aufeinandergetroffen sind?
Böttiger: Ja, das ist eine ganz herausgehobene Situation, die man bisher nie gelesen hat als den Moment, wo sich Bachmann und Celan, nachdem Celan sich abrupt von Bachmann abgewendet hat, zum ersten Mal wiedersehen. Und beide reisen zu diesem Treffen der Gruppe 47, weil es für sie eminent wichtig war als Schriftsteller. Sie wollten beide als Lyriker in Deutschland reüssieren, sie waren noch völlig unbekannt, es war die große Chance, zum ersten Mal aufzutreten öffentlich. Und das verschränkt sich mit ihrer privaten Bindung. Celan hatte sich von Bachmann losgesagt und Bachmann hat im gleichen Moment noch mal versucht, Celan an sich zu binden. Sie schreibt Briefe, dass sie für ihn aufkommt, dass sie Geld verdient beim Radio in Wien, dass sie den gemeinsamen Haushalt finanziell organisiert, nur damit er schreiben kann. Sie will, sie kämpft um ihn und sie macht sich große Hoffnungen bei der Begegnung dann bei der Gruppe 47, ihn davon zu überzeugen, sie beide gehören doch zusammen, trotz aller Schwierigkeiten. Sie weiß aber nicht, dass er in der Zwischenzeit seine spätere französische Frau kennengelernt hat. Und die ganzen Erzählungen, die bekannt sind, dass Bachmann bei der Gruppe 47 die Stimme wegbrach, dass sie ihre Gedichte gar nicht selber lesen konnte und ein anderer ihre Gedichte lesen musste, weil sie Luftnot hatte, weil sie nicht sprechen konnte. Es ist relativ klar, was da vorlag. Sie hat ein Gedicht vortragen wollen, das heißt "Dunkles zu sagen", und das ist eine direkte Antwort auf ein Liebesgedicht von Celan, in dem die Zeile steht: "Wir sagen uns Dunkles", das ist eindeutig auf Bachmann gemünzt. Und ihre Antwort, "Dunkles zu sagen", wollte sie vorlesen und ihr brach die Stimme. Also, diese Tagung war aufgeladen von dieser privaten Situation, und das muss man, um das würdigen zu können, eigentlich berücksichtigen.
Meyer: Ja, das ist so ein Punkt in Ihrem Buch, wo Sie eben durch die mythischen Zuschreibungen hindurch auf die Biografie dieser beiden schauen und so eine Situation von da aus anders bewerten. Ich würde gerne noch mal auf die Literatur zurückkommen, weil ich ganz interessant fand, dass in diesem berühmten Roman "Malina" von Ingeborg Bachmann, der so viel gelesen und interpretiert wurde, nach Ihrer Lesart Paul Celan eine ganz zentrale Rolle spielt, vielleicht auch so als Quintessenz oder Summe dieser Liebesgeschichte zwischen den beiden. Welche Rolle spielt er in dem Buch?
Böttiger: Ja, "Malina" hat Bachmann auch gegen Ende ihres Lebens geschrieben. Und Celan hat 1970 Selbstmord begangen und daraufhin hat Bachmann in ihr Romanmanuskript noch ein eigenes Kapitel eingefügt, das auf diesen Tod von Paul Celan reagiert. Und das ist die erste nach außen hin erkennbare Quelle, wo man überhaupt erkennen konnte, dass die beiden sich kannten, dass das eine Liebesgeschichte war. Denn Bachmann zitiert ständig Gedichte von Paul Celan aus diesem ersten Gedichtband, und das Gedicht "Corona", das für mich ein Liebesprogramm der beiden ist, das wird von Bachmann in ihrem Roman immer wieder zitiert, über Seiten hinweg, in einem bestimmten Kapitel, wo ein orientalischer Märchenprinz auftaucht. Und da wird ganz deutlich, dass für Bachmann am Ende ihres Lebens das die große Liebe ihres Lebens war, das schreibt sie auch wörtlich. Und das war eine unmögliche Liebe, aber eben ihre größte Liebe, weil sie auf der literarischen Ebene stattfand und nicht im Alltag.
Meyer: "Wir sagen uns Dunkles", so heißt das Buch von Helmut Böttiger über die Liebe zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, in der Deutschen Verlags-Anstalt ist es erschienen, 270 Seiten, 22 Euro ist der Preis. Und die Buchpremiere gibt es am kommenden Dienstag im Literarischen Colloquium am Berliner Wannsee.
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