"Ein Stück Heimat"
Der Dom von Speyer sei für Helmut Kohl ein Stück Heimat gewesen, sagt Werner Schineller, früherer Oberbürgermeister der Stadt. Er war bei vielen Staatsbesuchen in der Ära Kohl dabei. Für Kohl sei der Kaiserdom ein Symbol für die Einheit Europas gewesen.
Katrin Heise: Der Dom zu Speyer, in dem heute Abend die Totenmesse für Helmut Kohl gelesen wird, das ist ein symbolträchtiger Ort. Kaiser sind hier beerdigt, mit einer Gedenkplatte wird hier schon seit 2015 an den Kanzler der Einheit nicht erinnert, sondern er wird dort geehrt, denn Helmut Kohl hatte ein sehr enges Verhältnis zur Domstadt.
Mehr darüber weiß Werner Schineller. Er ist der Vorsitzende des Vorstands der Stiftung Historisches Museum der Pfalz Speyer und Oberbürgermeister a.D. von Speyer. Schönen guten Morgen, Herr Schineller!
Werner Schineller: Guten Morgen, Frau Heise!
Heise: Es ist sicher eine Ehre, aber auch doch eine gewisse Verantwortung für die Stadt, wenn jemand wie Helmut Kohl sich nicht in seinem Heimatort Ludwigshafen im Familiengrab beisetzen lässt, sondern in Speyer, oder?
Schineller: Das ist für uns eine große Ehre, aber es zeigt auch die enge Verbindung von Helmut Kohl zu dieser Stadt und vor allem zu seinem Dom, der ja für ihn ein Stück Heimat gewesen ist. Helmut Kohl war schon als Kind sehr häufig mit seinen Eltern in Speyer, aber auch als Schüler hat er zwei Jahre hier - zwei Kriegsjahre - an einem Speyerer Gymnasium verbracht.
Heise: Ich habe gelesen, dass er während des Fliegeralarms in den Dom gelaufen ist.
Schineller: Ja, das ist richtig. Der Dom war sozusagen ein Schutzraum vor Fliegerangriffen, und da hat sich Helmut Kohl dann öfters aufgehalten.
Speyer historisch: Der Gang nach Canossa, Hof- und Reichstage
Heise: Welche historische Bedeutung, oder vielleicht heben Sie die noch mal hervor, hat Speyer für die deutsche und die europäische Geschichte?
Schineller: Ich kann Ihnen jetzt natürlich in der Kürze der Zeit …
Heise: 2000 Jahre …
Schineller: … 2000 Jahre Stadtgeschichte, im Einzelnen (nicht) aufblättern, aber ein paar Akzente kann ich doch setzen. Ich denke, der Aufstieg unserer Stadt ist eng mit dem salischen Kaisergeschlecht verbunden. Speyer galt unter den Saliern als Metropolis Germaniae, als die Hauptstadt Deutschlands.
Und von hier aus gab es eine Vielzahl bedeutsamer Ereignisse, etwa der Gang von Heinrich dem Vierten nach Canossa – ja heute noch ein Schlagwort, wir gehen nach Canossa oder wir gehen nicht nach Canossa.
Dann gab es in dieser Stadt natürlich zahlreiche Hof- und Reichstage, zu denen der König, die geistlichen und heldischen Größen des Reiches berief. Am bekanntesten ist der des Weihnachtsfestes 1146, den Konrad der Dritte – der erste Staufer übrigens auf dem Königsthron – in Speyer hielt. Bekannt wurde er dadurch, dass auf ihn der heilige Bernhard von Clairvaux in einer mitreißenden Predigt, so ist es verzeichnet, den zögernden König überzeugte, sich am zweiten Kreuzzug zu beteiligen.
Übergabe des englischen Königs Richard Löwenherz
Oder ein Ereignis, das das ganze Abendland damals beschäftigt hat: 1193, als Herzog Leopold von Österreich an Kaiser Heinrich den Sechsten auf einem Reichstag in Speyer den englischen König Richard Löwenherz übergab. Und Löwenherz hat sich dann ein Jahr lang in der Pfalz aufgehalten, bis das Lösegeld bezahlt wurde.
Und wenn wir in diesem Jahr 500 Jahre Reformation feiern, dann muss auch hier Speyer erwähnt werden, denn schließlich fand der Reichstag der Protestation 1529 in unserer Stadt statt. Und letztlich will ich noch das Reichskammergericht erwähnen, das höchste deutsche Gericht, das von 1527 bis 1688 hier seinen Sitz hatte.
Heise: War es eigentlich, würden Sie sagen, Herr Schineller, vor allem die Historie, die den Historiker Kohl auch so an Speyer interessiert sein ließ, also mal abgesehen davon, dass er Kindheitserinnerungen hatte?
Helmut Kohl über den Dom von Speyer: "Jeder Stein spricht von Europa"
Schineller: Ja, ich glaube, das kam immer wieder bei ihm zum Ausdruck. Das romanische Gotteshaus war ihm persönlich Heimat und als christlicher Politiker auch Symbol für die Einheit Europas. Er hat immer wieder bei diesen Besuchen gesagt, jeder Stein spricht von Europa, seiner Geschichte und seinem Auftrag.
Seine Vision von Europa war dabei ohne das christliche Erbe nicht denkbar. Und von daher versteht sich auch sein Einsatz für die Versöhnung zwischen den Völkern des europäischen Kontinents und die Vertiefung der Freundschaft gerade zu Frankreich.
Heise: Ja, das zum Beispiel wird ja auch mit der Stelle, wo er beerdigt wird, wo er beigesetzt wird, auch tatsächlich noch mal unterstrichen. Weil diese Kapelle, die dort steht, die Kirche, die dort steht, genau an diese Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland erinnert. Sagen Sie, Sie waren ja fast so lange Oberbürgermeister von Speyer wie …
Schineller: Bürgermeister, Oberbürgermeister.
Heise: Was hab ich jetzt gesagt?
Schineller: Ja, ich war beides, Bürgermeister und anschließend Oberbürgermeister.
Gorbatschow, Bush, Thatcher und Jelzin in Speyer
Heise: Genau, und fast so lange, wie Kanzler Kohl Kanzler war. Sie sind sich häufig begegnet, bei vielen Staatsgastbesuchen waren Sie dabei. An wen erinnern Sie sich da besonders?
Schineller: Das ist nun schwer, da eine Auswahl zu treffen, aber besonders erinnere ich mich natürlich an die Besuche von Michail Gorbatschow, dem damaligen Staatspräsidenten der UdSSR – das muss man ja noch erwähnen – und George Bush, dem amerikanischen Präsidenten, der ja ganz maßgeblich auch Deutschlands Weg zur Einheit unterstützte. Beide waren innerhalb von acht Tagen auf Einladung von Helmut Kohl hier in Speyer.
Ich erinnere mich aber auch an Margaret Thatcher, die Eiserne Lady, die hier in Speyer war, und Boris Jelzin, der ja nun der erste demokratisch gewählte Präsident Russlands war.
Heise: Wenn Sie sich da so erinnern, ist das eigentlich so eineErinnerung an irgendwie auch was fast Privates, oder ist das vor allem staatsmännisch, wie haben Sie ihn da erlebt?
Der Gang durch die Menge beim Gorbatschow-Besuch
Schineller: Ja, Helmut Kohl hat sich, glaube ich, sehr intensiv schon im Vorfeld immer mit seinen Gästen beschäftigt und ist sehr intensiv auf sie eingegangen, hat auch ein großes Gespür gehabt für Situationen.
Ich sage Ihnen ein einfaches Beispiel: Michail Gorbatschow landete auf dem Verkehrslandeplatz in Speyer, wir sind dann mit einem Bus hochgefahren. Und es war natürlich beabsichtigt, dass wir erst vor dem Dom aussteigen, aus Sicherheitsgründen. Und Helmut Kohl hat gemerkt, dass da Tausende von Menschen, etwa 10.000 Menschen auf dem Domplatz standen und hat dann am Museum anhalten lassen. Wir sind alle ausgestiegen, und dann war was los, kann ich Ihnen sagen.
Heute würden die Sicherheitsleute hier wahrscheinlich keine ruhige Sekunde mehr haben. Aber damals war das ein Gang durch die Menge, mit Händeschütteln und freundlichen Zurufen, also das war eine Situation, wie man sie heute leider gar nicht mehr erleben kann.
Ausstellung über Speyer als Weltbühne großer Staatsbesuche
Heise: An genau solche Besuche erinnert eine Ausstellung, die in Speyer seit zwei Jahren, habe ich recht?
Schineller: Nein, nein, seit einem halben Jahr.
Heise: Seit einem halben Jahr stattfindet, zur Weltbühne der großen Staatsbesuche. Das ist eben genau diese Erinnerung an solche Staatsbesuche. Sie haben eben das Stichwort Sicherheit genannt – merkt man zu dieser frühen Stunde denn jetzt schon, was heute in Speyer los sein wird?
Schineller: Ja, die Vorbereitungen waren sehr intensiv, soweit ich das mitbekommen habe, und ich denke, das ist alles vorbereitet, sodass ich da keine Probleme sehe.
Heise: Helmut Kohl wird heute in Speyer beigesetzt. Werner Schineller, Oberbürgermeister a.D., danke schön, Herr Schineller, für Ihre Erinnerungen, für dieses Gespräch!
Schineller: Bitte schön! Wiederhören!
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