Helmut Krausser: "Geschehnisse während der Weltmeisterschaft"

Liebe machen unter Leistungsdruck

Buchcover Helmut Krausser: "Geschehnisse während der Weltmeisterschaft"
Buchcover Helmut Krausser: "Geschehnisse während der Weltmeisterschaft" © Berlin-Verlag / imago / Thomas Koehler/photothek.net
Von Edelgard Abenstein |
Kopenhagen 2028: Leon tritt bei der Weltmeisterschaft im "Leistungssex" an. Doch seine Vorstellung wird überschattet von einem Mord. Autor Helmut Krausser entwirft das Bild einer vollständig sexualisierten Gesellschaft, bleibt dabei aber plakativ.
"Liebe machen und Tore schießen sind die schönsten Dinge, die Gott uns gegeben hat" - ein typischer Fußballerspruch aus vergangenen Tagen. Er stammt von Luca Toni, einem der Schützenkönige des FC Bayern und steht als Motto über dem Buch, das Helmut Krausser vor drei Jahren über den Münchner Erfolgsverein geschrieben hat. Wohl als Lockerungsübung nach 15 Romanen, Opernlibretti, Bühnenstücken, Tagebüchern und Gedichten.
Deshalb darf man sich unter den "Geschehnissen während der Weltmeisterschaft" erstmal etwas mit Fußball vorstellen. Um Sport geht es im neuen Roman tatsächlich, auch um Wettbewerb und Siege, und wenn man so möchte, sogar um "Liebe machen". Allerdings in sehr abgewandelter Form, als Karikatur.

Makabrer Zukunftsentwurf

Der Roman spielt in der unmittelbaren Zukunft. Leon, ein Superstar seiner Zunft, tritt 2028 in Kopenhagen ein letztes Mal an, um für das Team Berlin zum vierten Mal den Weltmeisterschaftstitel zu holen: im "Leistungssex". Seine wichtigste Teampartnerin ist Sally, mit der er zu Übungszwecken täglich mehrfach verkehrt, was ihre gemeinsamen Auftritte unschlagbar macht. Heimlich hat er sich in sie verliebt. Das ist nach sportlichen Kriterien streng verboten, denn Gefühle mindern die Leistung.
Schauplatz des Geschehens ist einerseits die öffentliche Arena, in der die weltweit per TV übertragenen Wettkämpfe ausgefochten werden. Andererseits ein Hotel, in dem die Sportler abgestiegen sind, abgeschirmt von demonstrierenden besorgten Bürgern, Islamisten und neuen Christen. Trotz schwerster Bewachung geschieht ein als Suicid getarnter Mord, Funktionäre treten zurück, und Leon, dessen Leben zusehends aus der Bahn gerät, greift zu einem überraschenden Mittel, um seine Liebe zu offenbaren.
Das Buch ist ein makabrer Zukunftsentwurf, der mit der vollständigen Sexualisierung der Gesellschaft spielt. Wie jede Dystopie hält auch diese der Gegenwart einen satirischen Spiegel vor. Dafür strickt Krausser zwei allenthalben anzutreffende Motivstränge zusammen: den Performer als neues Leitbild, der seinen Markenwert nur um den Preis der permanenten Selbstentblößung zu erhalten vermag. Und den auf blanke Mechanik reduzierten Sexmaniac, dem mit der Intimität alles Ekstatische abhanden kam.

Schlicht und schnell ermüdend

So gewissenhaft wie Krausser die unterschiedlichen Kopulationsstellungen durchdekliniert, so eindimensional-plakativ wird der Roman. Was anfangs noch leidlich unterhaltsam daherkommt - die politisch korrekte "Umwortung der Worte" zum Beispiel, wenn die Geschlechtsorgane als "Prispogs", als "primäre Sportgeräte" bezeichnet werden, und die Begegnung derselben zum sauberen "interkursieren" wird - das ermüdet doch rasch. Zumal der Handlungsfaden eher dünn ist.
Da verhelfen auch die Attacken gegen Schiebung und Korruption im Sportgewerbe nicht zu mehr Farbe, nicht der mysteriöse Fan, der sich mailend in die Gefühle Sallys schleicht, schon gar nicht die vielfach bemüht über den Text verteilten Dostojewski-Einsprengsel.
Sprachlich wird das hanebüchene Geschehen - für Krausser untypisch - so schlicht erzählt, dass man den Eindruck hat, der Roman sei unter großem Zeitdruck entstanden. Als Beitrag zu einer Debatte darüber, dass das Luca-Toni'sche "Liebe machen" nicht nur als Wort aus der Mode geraten ist, taugt der Roman nur bedingt.

Helmut Krausser: Geschehnisse während der Weltmeisterschaft
Berlin-Verlag, Berlin 2018
238 Seiten, 20 Euro

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