Hemingway unter Mordverdacht
War Hemingway ein Mörder? Diese Frage soll der ehemalige Polizist Mario Conde klären. Mit seinem Roman "Adiós Hemingway" gelingt es dem Journalisten und Schriftsteller Leonardo Padura, die aktuellen gesellschaftlichen Zustände in Kuba anhand einer Kriminalgeschichte mit authentischem Hintergrund zu beschreiben. Zugleich bietet er interesannte Einblicke in Hemingways Werk.
Auf dem Gelände einer Finca unweit der kubanischen Stadt Havanna wird ein Skelett gefunden, das bereits mehrere Jahrzehnte unter der Erde gelegen haben muss. Daneben Patronenhülsen einer Waffe, wie sie der letzte Bewohner der Finca, Ernest Hemingway, oft bei sich trug.
Die Polizei tappt zunächst im Dunklen, was die Umstände des Todes der gefundenen Person angeht, macht sich jedoch wegen der Prominenz des amerikanischen Schriftstellers widerwillig an die Aufklärung eines möglichen Verbrechens. Als neben dem Fundort der Leiche eine FBI-Marke auftaucht, gerät Hemingway postum unter Mordverdacht.
In seinen letzten Lebensjahren nämlich hatte der Autor oft beklagt, dass er vom FBI verfolgt werde. Außerdem war er als Raubein bekannt, der einer möglichen Verfolgung sicherlich entschlossen entgegengetreten wäre.
In die Ermittlungen wird Mario Conde eingeschaltet. Der frühere Polizist hat zwar seinen Beruf eigentlich vor Jahren an den Nagel gehängt und versucht sich seitdem als Schriftsteller. Obwohl er die Polizeiarbeit inzwischen verabscheut, lässt er sich jedoch für den aktuellen Fall gewinnen. Der Grund für sein Interesse ist eine Hassliebe, die er, der nun selbst Autor ist, Hemingway entgegen bringt. Hinzu kommt, dass er, damals noch ein Kind, dem Schriftsteller kurz vor dessen Tod über den Weg gelaufen ist, und das an einem Tag, der für die Aufklärung des Mordfalls eventuell von Bedeutung sein könnte.
Leonardo Padura erlaubt sich in seiner Vorbemerkung den Hinweis, dass viele der erzählten Begebenheiten ins Reich der Fiktion gehören, auch wenn sie mit den Tatsachen im Einklang stehen. Der Leser erfährt auch, dass die fiktiven Todesschüsse tatsächlich vor mehr als vierzig Jahren aus Hemingways Waffe abgegeben worden sind, wer jedoch den Abzug betätigt hat, bleibt, soviel Wahrheitsliebe muss schon sein, unaufgeklärt.
Leonardo Padura hat es überaus geschickt vollbracht, ein Buch mit Hemingway als historischer Hauptfigur zu schreiben, ohne dem amerikanischen Schriftsteller allzu sehr zu huldigen. Die große Leistung des Romans ist die Tatsache, dass er die neue, jetzige Zeit über die Vergangenheit stellt.
Die echte Hauptfigur des Buchs ist nicht Hemingway, sondern der ermittelnde Ex-Polizist Mario Conde, ein von Hemingway enttäuschter Anti-Held mit scharfem Verstand und hervorragender Beobachtungsgabe. Die Hemingway-Obsession geht auf Leonardo Padura selbst zurück, der sie sehr direkt auf seine Hauptfigur übertragen hat. Er holt Hemingway nicht von seinem literarischen Sockel, sondern gibt eine Einschätzung eines ruhmreichen Schriftstellers aus kubanischer und sehr persönlicher Perspektive.
Insofern ist der Roman kein weiteres Buch über Hemingway, davon gibt es bereits genügend, sondern eine clever eingefädelte Geschichte, in der Hemingway als historische Persönlichkeit eine bedeutende Rolle spielt. Der Hemingway-Kenner wird nichts Neues über den zeitweiligen Gott der nordamerikanischen Literatur erfahren, er kann sich aber, wenn er Spaß daran hat , auf eine Kriminalgeschichte einlassen, in der Hemingway mitspielt, so wie man ihn sich in seinen letzten Lebensjahren durchaus vorstellen kann: unwirsch, selbstgefällig, entkräftet, krank, aber an seinen Idealen festhaltend.
Auch die Leser, die wenig oder gar nichts über Hemingway wissen, können das Buch genießen, denn "Adiós Hemingway" ist ein guter Kriminalroman mit allen erforderlichen Zutaten. Und: Es gibt viele Querverweise auf Hemingways Werke, die beinahe den Status von Leseempfehlungen haben.
Eher als ein Roman über Hemingway ist "Adiós Hemingway" ein Buch über die aktuellen Zustände auf Kuba. Hemingway, fast am Ende seiner Kraft, hat bis kurz vor seinem Selbstmord nicht weit von Havanna gelebt. Wie sehr er die Zeiten des Umbruchs, der Revolution durch Fidel Castro, wahrgenommen hat, erklärt das Buch nicht. Dass er aber eine abgehobene, fast schon parallele Welt auf seiner Finca installiert hat, dürfte jedem Leser klar werden.
Padura ergeht sich an keiner Stelle lamento-artig über aktuelle Missstände einer ziemlich isolierten Nation, die wirtschaftlich längst den Anschluss verloren hat. Er schildert vielmehr ein Leben, in dem Menschen trotz aller Widrigkeiten große Lebenslust aufbringen, echte Freundschaften pflegen und auf eine unaufgeregte Weise überaus sympathisch sind.
Mario Conde hat Erfolge und Misserfolge, er sehnt seine Freundin herbei, betrinkt sich, nüchtert wieder aus, streitet mit seinen Mitmenschen herum, aber er klärt auch einen Mordfall auf, so gut es eben geht. Ein großer Pluspunkt des Romans ist, dass er sich nicht moralisch über die Zustände seines Landes erhebt. Der Held des Romans, Mario Conde, lebt so, wie vermutlich eine große Mehrheit der Kubaner lebt. Er ist authentischer Teil einer real existierenden Gesellschaft. Das will man, kann man und muss man Leonardo Padura ganz einfach glauben.
Handwerklich ist der Autor ohnehin über jeden Zweifel erhaben. So geschickt verwebt er in "Adiós Hemingway" Rückblenden mit der aktuellen Handlung. Dass Leonardo Padura darüber hinaus ein glänzender Reporter sein muss, leuchtet dem Leser sofort ein, so bildhaft, schnörkellos und damit treffend ist der Roman geraten. Auch Hemingway hätte ihn mit Sicherheit gemocht.
Leonardo Padura wurde 1955 in Havanna geboren und begann eine Karriere als Journalist. Nach seinem Lateinamerikanistik-Studium in Havanna schrieb er erst für die Zeitschrift "El Caimán Barbudo", dann wurde er aufgrund "ideologischer Probleme" strafversetzt zur Zeitung "Juventud Rebelde". Aber auch hier griff er weiterhin entlegene und unbequeme Themen auf. Schnell avancierte er zu einem der meistgelesenen Reporter Kubas.
Kriminalromane nimmt Padura gerne zum Anlass, um von der kubanischen Gesellschaft zu erzählen und seine Generation einer Gewissensprüfung zu unterziehen. International bekannt wurde er mit dem "Havanna-Quartett" (1994-1998), in dessen Mittelpunkt stets der Kriminalkommissar Mario Conde steht. Seine Werke erhielten mehrere kubanische und internationale Auszeichnungen.
Leonardo Padura: Adiós Hemingway
Aus dem kubanischen Spanisch von Hans-Joachim Hartstein
Unionsverlag Zürich
192 Seiten, 17,90 Euro
Die Polizei tappt zunächst im Dunklen, was die Umstände des Todes der gefundenen Person angeht, macht sich jedoch wegen der Prominenz des amerikanischen Schriftstellers widerwillig an die Aufklärung eines möglichen Verbrechens. Als neben dem Fundort der Leiche eine FBI-Marke auftaucht, gerät Hemingway postum unter Mordverdacht.
In seinen letzten Lebensjahren nämlich hatte der Autor oft beklagt, dass er vom FBI verfolgt werde. Außerdem war er als Raubein bekannt, der einer möglichen Verfolgung sicherlich entschlossen entgegengetreten wäre.
In die Ermittlungen wird Mario Conde eingeschaltet. Der frühere Polizist hat zwar seinen Beruf eigentlich vor Jahren an den Nagel gehängt und versucht sich seitdem als Schriftsteller. Obwohl er die Polizeiarbeit inzwischen verabscheut, lässt er sich jedoch für den aktuellen Fall gewinnen. Der Grund für sein Interesse ist eine Hassliebe, die er, der nun selbst Autor ist, Hemingway entgegen bringt. Hinzu kommt, dass er, damals noch ein Kind, dem Schriftsteller kurz vor dessen Tod über den Weg gelaufen ist, und das an einem Tag, der für die Aufklärung des Mordfalls eventuell von Bedeutung sein könnte.
Leonardo Padura erlaubt sich in seiner Vorbemerkung den Hinweis, dass viele der erzählten Begebenheiten ins Reich der Fiktion gehören, auch wenn sie mit den Tatsachen im Einklang stehen. Der Leser erfährt auch, dass die fiktiven Todesschüsse tatsächlich vor mehr als vierzig Jahren aus Hemingways Waffe abgegeben worden sind, wer jedoch den Abzug betätigt hat, bleibt, soviel Wahrheitsliebe muss schon sein, unaufgeklärt.
Leonardo Padura hat es überaus geschickt vollbracht, ein Buch mit Hemingway als historischer Hauptfigur zu schreiben, ohne dem amerikanischen Schriftsteller allzu sehr zu huldigen. Die große Leistung des Romans ist die Tatsache, dass er die neue, jetzige Zeit über die Vergangenheit stellt.
Die echte Hauptfigur des Buchs ist nicht Hemingway, sondern der ermittelnde Ex-Polizist Mario Conde, ein von Hemingway enttäuschter Anti-Held mit scharfem Verstand und hervorragender Beobachtungsgabe. Die Hemingway-Obsession geht auf Leonardo Padura selbst zurück, der sie sehr direkt auf seine Hauptfigur übertragen hat. Er holt Hemingway nicht von seinem literarischen Sockel, sondern gibt eine Einschätzung eines ruhmreichen Schriftstellers aus kubanischer und sehr persönlicher Perspektive.
Insofern ist der Roman kein weiteres Buch über Hemingway, davon gibt es bereits genügend, sondern eine clever eingefädelte Geschichte, in der Hemingway als historische Persönlichkeit eine bedeutende Rolle spielt. Der Hemingway-Kenner wird nichts Neues über den zeitweiligen Gott der nordamerikanischen Literatur erfahren, er kann sich aber, wenn er Spaß daran hat , auf eine Kriminalgeschichte einlassen, in der Hemingway mitspielt, so wie man ihn sich in seinen letzten Lebensjahren durchaus vorstellen kann: unwirsch, selbstgefällig, entkräftet, krank, aber an seinen Idealen festhaltend.
Auch die Leser, die wenig oder gar nichts über Hemingway wissen, können das Buch genießen, denn "Adiós Hemingway" ist ein guter Kriminalroman mit allen erforderlichen Zutaten. Und: Es gibt viele Querverweise auf Hemingways Werke, die beinahe den Status von Leseempfehlungen haben.
Eher als ein Roman über Hemingway ist "Adiós Hemingway" ein Buch über die aktuellen Zustände auf Kuba. Hemingway, fast am Ende seiner Kraft, hat bis kurz vor seinem Selbstmord nicht weit von Havanna gelebt. Wie sehr er die Zeiten des Umbruchs, der Revolution durch Fidel Castro, wahrgenommen hat, erklärt das Buch nicht. Dass er aber eine abgehobene, fast schon parallele Welt auf seiner Finca installiert hat, dürfte jedem Leser klar werden.
Padura ergeht sich an keiner Stelle lamento-artig über aktuelle Missstände einer ziemlich isolierten Nation, die wirtschaftlich längst den Anschluss verloren hat. Er schildert vielmehr ein Leben, in dem Menschen trotz aller Widrigkeiten große Lebenslust aufbringen, echte Freundschaften pflegen und auf eine unaufgeregte Weise überaus sympathisch sind.
Mario Conde hat Erfolge und Misserfolge, er sehnt seine Freundin herbei, betrinkt sich, nüchtert wieder aus, streitet mit seinen Mitmenschen herum, aber er klärt auch einen Mordfall auf, so gut es eben geht. Ein großer Pluspunkt des Romans ist, dass er sich nicht moralisch über die Zustände seines Landes erhebt. Der Held des Romans, Mario Conde, lebt so, wie vermutlich eine große Mehrheit der Kubaner lebt. Er ist authentischer Teil einer real existierenden Gesellschaft. Das will man, kann man und muss man Leonardo Padura ganz einfach glauben.
Handwerklich ist der Autor ohnehin über jeden Zweifel erhaben. So geschickt verwebt er in "Adiós Hemingway" Rückblenden mit der aktuellen Handlung. Dass Leonardo Padura darüber hinaus ein glänzender Reporter sein muss, leuchtet dem Leser sofort ein, so bildhaft, schnörkellos und damit treffend ist der Roman geraten. Auch Hemingway hätte ihn mit Sicherheit gemocht.
Leonardo Padura wurde 1955 in Havanna geboren und begann eine Karriere als Journalist. Nach seinem Lateinamerikanistik-Studium in Havanna schrieb er erst für die Zeitschrift "El Caimán Barbudo", dann wurde er aufgrund "ideologischer Probleme" strafversetzt zur Zeitung "Juventud Rebelde". Aber auch hier griff er weiterhin entlegene und unbequeme Themen auf. Schnell avancierte er zu einem der meistgelesenen Reporter Kubas.
Kriminalromane nimmt Padura gerne zum Anlass, um von der kubanischen Gesellschaft zu erzählen und seine Generation einer Gewissensprüfung zu unterziehen. International bekannt wurde er mit dem "Havanna-Quartett" (1994-1998), in dessen Mittelpunkt stets der Kriminalkommissar Mario Conde steht. Seine Werke erhielten mehrere kubanische und internationale Auszeichnungen.
Leonardo Padura: Adiós Hemingway
Aus dem kubanischen Spanisch von Hans-Joachim Hartstein
Unionsverlag Zürich
192 Seiten, 17,90 Euro