Hemingway: Viele Migranten werden davon profitieren

Bernd Hemingway im Gespräch mit Leonie March · 17.10.2008
Bernd Hemingway von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) hat begrüßt, dass die Europäische Union legale Einwanderung künftig erleichtern will. Es sei richtig, dass sich die EU einerseits auf Grundzüge einer gemeinsamen Einwanderungspolitik geeinigt habe, aber es den Mitgliedsstaaten überlasse, diese nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten, sagte Hemingway.
Leonie March: Die EU will alles auf einmal. Sie will sich für legale Einwanderer öffnen, illegale Migration wirksamer abwehren und politisch oder religiös Verfolgten weiter Schutz gewähren. Sie will ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen wahren, aber auch Partnerschaften mit armen Ländern eingehen. All das soll durch den sogenannten "Pakt für Einwanderung und Asyl” gelingen, den die Staats- und Regierungschefs gestern beim EU-Gipfel beschlossen haben. Darüber möchte ich mit Bernd Hemingway sprechen. Er ist der Leiter des Brüsseler Büros der Internationalen Organisation für Migration, die Einwanderer, Asylsuchende und Flüchtlinge unterstützt und vertritt. Guten Morgen, Herr Hemingway.

Bernd Hemingway: Schönen guten Morgen, Frau March.

March: Die legale Einwanderung soll ja erleichtert werden. Die Mitgliedsstaaten können dadurch ihren Bedarf an Arbeitskräften decken. Ist das von Vorteil, dass die EU-Staaten selbst bestimmen können, wen sie brauchen?

Hemingway: Ja. Ich denke, das macht sehr viel Sinn, weil wir ja in der Europäischen Union doch sehr verschiedene wirtschaftliche Situationen in den einzelnen Mitgliedsstaaten haben, und ich denke, es macht sehr viel Sinn, dass man sich auf die Grundzüge der Einwanderungspolitik einlässt und auch einigt, dass man jedoch dann den Mitgliedsstaaten so viel Freiheit lässt, dass sie die gewisse Ausgestaltung dieser Einwanderungspolitik nach ihren eigenen Bedürfnissen gestalten.

March: Welche Einwanderer werden denn davon profitieren?

Hemingway: Ich denke, dass von diesem Immigrationspakt eine Vielzahl von Einwanderern profitieren. Wir werden sicherlich einmal wirtschaftlich darauf auszielen, hoch qualifizierte Einwanderer in die Europäische Union zu holen, was sicherlich darauf hinzielt, die europäische Wirtschaft wettbewerbsfähig zu machen. Es gibt da diesen gut diskutierten Wettbewerb um die besten Köpfe. Es geht aber auch darum, gewisse Engpässe zu gewissen Zeiten beispielsweise in der Landwirtschaft aufzufüllen und das einfach viel leichter zu machen und dann auch dieser irregulären Immigration entgegenzuwirken, die dazu führt, dass natürlich sehr viel Geld von den Migranten selber an die organisierte Kriminalität bezahlt werden muss, um halt in die Europäische Union zu kommen.

March: Sie haben es gerade schon angesprochen, Herr Hemingway. Unter anderem für Saisonarbeiter soll ja das Konzept der zirkulären Migration eingeführt werden. Die Menschen kommen also für ein paar Monate, arbeiten hier und kehren dann wieder zurück in ihre Heimatländer. Was heißt das für die Herkunftsländer?

Hemingway: Das heißt einmal für die Herkunftsländer, dass ihre Menschen, die halt in einem anderen Land arbeiten möchten, zu den Zeiten, in denen sie nicht arbeiten, auch zurückkommen und dort dann am wirtschaftlichen Leben teilnehmen können, dass sie dort was sie an Geldern hier verdienen mit nach Hause nehmen können. Das ganze Thema der Rücküberweisungen und der Rückflüsse der Gelder spielt dort eine große Rolle, um halt auch die Gelder dort in den Ländern dann einsetzen zu können für die Familien, für die Gemeinschaften dort vor Ort.

March: Verschärft werden ja die Maßnahmen gegen illegale Migration. Unter anderem die Grünen sprechen deshalb von einem Pakt der Abschottung, bei dem Menschenrechte und Flüchtlingsschutz weitgehend ausgeblendet würden. Teilen Sie diese Kritik?

Hemingway: Ich denke, dass die Europäische Union sicherlich im Bereich des Asylrechtes sehr weit fortgeschritten ist und auch sehr gute gemeinsame Standards eingerichtet hat. Ich denke, dass es ein Recht eines jeden Staates ist, auch gewisse Einwanderungen zu regulieren und dort Kriterien festzusetzen, wobei noch mal festzustellen gilt, dass gerade der Bereich Asyl und Flüchtlinge einen sehr großen Rahmen auch einnimmt und ein besonderer Punkt in diesem Immigrationspakt ist, der auch noch mal von der französischen Präsidentschaft, aber auch von den Staats- und Regierungschefs besonders herausgestellt worden ist.

March: Und noch kann es Flüchtlingen ja passieren, dass sie in einem EU-Staat anerkannt werden, aus einem anderen aber abgeschoben werden, den nein gemeinsames Asylverfahren soll es frühestens ab 2012 geben. Ist das ein gravierendes Manko?

Hemingway: Das ist sicherlich einer der Themenbereiche, die die Europäische Union und deren Mitgliedsstaaten erkannt haben und die ja jetzt auch dann dadurch überbrückt werden sollen, dass man in Brüssel ein gemeinsames Büro für Asyl einrichten will, das dann auch gewisse gemeinsame Standards und gewisse gemeinsame Regeln festlegen wird und den Mitgliedsstaaten dort in diesem Bereich mit Rat und Tat zur Seite stehen wird.

March: Kritik gibt es ja seit ihrem Bestehen vor allem an der Grenzschutzagentur Frontex, die Schlepper abschrecken soll. Ist das Ihrer Meinung nach gelungen?

Hemingway: Wenn man dem Direktor von Frontex in letzter Zeit zuhört, ist das, was im Mittelmeer momentan passiert ist, eigentlich nicht sehr erfolgreich gewesen, weil Flüchtlinge die Strategie der Grenzüberwachung von Frontex dafür ausnutzen, um halt ihre Boote im Mittelmeer zu versenken, damit Frontex-Boote die Migranten, die über das Mittelmeer kommen, dann aus Seenot retten müssen. Ich sage mal so: Sie Grenzüberwachung und Frontex ist sicherlich eine Sache, die sehr viel Visibilität bekommen hat und die sehr große Unterstützung von den Mitgliedsstaaten erhalten hat, und ich denke, dass es momentan nach der kurzen Zeit der Tätigkeiten von Frontex zu früh ist, um zu sehen, wie ein gemeinsames Wirken der Mitgliedsstaaten in den Bereichen erfolgreich sein kann. Ich denke aber, gerade wenn man einen gemeinsamen Raum hat, dass ein gemeinsames Handeln auch im Bereich des Grenzschutzes sicherlich von Vorteil ist.

March: Bisher gibt es ja Kontingente, also eine bestimmte Zahl von Flüchtlingen, die jedes Jahr aufgenommen werden. Immer wieder gibt es die Forderung, dass die EU mehr Menschen aufnehmen sollte. Schließen Sie sich dieser Forderung an?

Hemingway: Ja. Wir haben mit dem Hohen Flüchtlingskommissar eine sehr gute Zusammenarbeit in diesem Bereich. Es gibt für die Europäische Union momentan im Bereich der Übersiedlung von Flüchtlingen, die Schutz bedürfen, die zwar politisch in einem sicheren Drittstaat sind, deren Lebenssicherheit aber dort nicht gewährleistet ist, zwar keine Quote, aber es gibt 5000 Menschen, die in die Europäische Union jedes Jahr übersiedeln dürfen. Ich denke schon, dass auch in Anbetracht der sinkenden Asylzahlen in die Europäische Union einige Mitgliedsstaaten sicherlich dazu bereit sein könnten und müssten, mehr aufzunehmen. Es wird in nächster Zeit eine Reise von elf Mitgliedsstaaten und der Kommission nach Syrien und Jordanien geben, wo irakische Flüchtlinge Schutz gefunden haben, und wir werden sehen, ob man möglicherweise auf dieser Grundlage dann auch in der Europäischen Union zu einer Akzeptanz, möglicherweise sogar zu einer Quote kommen kann. Ich hoffe, dass zukünftige Präsidentschaften das doch aufnehmen und auch auf die europäische Agenda bringen.

March: Bernd Hemingway. Er leitet das Brüsseler Büro der Internationalen Organisation für Migration. Vielen Dank für das Gespräch!

Hemingway: Gerne.

Das Gespräch mit Bernd Hemingway können Sie bis zum 17. März 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio