Henkel: Bedeutung von Software bei PC-Einführung unterschätzt
Der ehemalige IBM-Europachef Hans-Olaf Henkel sieht im Rückblick auf die Anfänge des Personalcomputergeschäfts vor allem Versäumnisse in der Entwicklung von Software.
Gabi Wuttke: Der Personal Computer – heute vor 30 Jahren trat er mit den beiden Buchstaben PC den Siegeszug um die Welt an, als IBM in New York seinen Einzelplatzrechner 5150 für die industrielle Massenkundschaft vorstellte. Heute kann man sich eine Welt ohne einen PC kaum noch vorstellen. Hans-Olaf Henkel war 1981 als Vizepräsident für die Geschäfte des amerikanischen Konzerns in Europa verantwortlich. Ich wollte von ihm wissen, ob angesichts der Tatsache, dass es Homecomputer von Apple, Atari und Commodore schon gab, der Erfolg des 5150 der Werbeabteilung von IBM zu verdanken war.
Hans-Olaf Henkel: Nein, ganz und gar nicht, aber es handelte sich um exotische Produkte für einen sehr kleinen Benutzerkreis mit einer nicht standardisierten Software und auch mit nicht standardisierten Schnittstellen, und das war eigentlich das Geschick unserer Ingenieure und unserer Entwicklungsabteilung, den PC dann so konstruiert zu haben, dass er sozusagen für alle Benutzer plötzlich interessant werden konnte.
Wuttke: Aber an dem Produkt, es kostete dann 3000 US-Dollar, war die Eigenproduktion von IBM ja ziemlich gering und dazu auf die Schnelle konzipiert.
Henkel: Das ist sicherlich richtig. Man muss wissen, dass wir bei der Einführung des PCs auch einen großen Fehler gemacht haben. Das Management dachte damals, man könnte das Geld mit der Hardware machen, und wir suchten dann nach jemandem, der in der Lage war, uns ein sogenanntes System-Controll-Programm anzubieten, also die Software dazu.
Und dann fand man einen jungen Mann mit dem Namen Bill Gates, dem hat man dann angeboten, sein System zu verwenden – wie wir später feststellten, war es gar nicht seins, sondern er hatte es selbst erst parallel mit den Verhandlungen zu uns von einer kanadischen Firma erstanden. Und das Interessante ist, ja, der Rest ist Geschichte, der Bill Gates hat mit der Software des PCs sehr viel Geld gemacht, und die IBM hat dann irgendwann mal den Personal Computer an die Chinesen verkaufen müssen.
Wuttke: Vielleicht als Hinweis für unsere Hörer: Wir erreichen Sie im Augenblick in einem Hafen, das erklärt das Tuten im Hintergrund. Aber das Stichwort Bill Gates möchte ich und muss ich natürlich noch mal aufnehmen. Ärgert es Sie möglicherweise noch bis heute, dass er bei seinen Verträgen offensichtlich vorausschauender war als IBM?
Henkel: Nein, das flößt mir großen Respekt ein, aber das war sicherlich ein großer Fehler, Bill Gates das zu überlassen. Und wir haben dann später auch versucht, diesen Nachteil wieder aufzuholen mit einem eigenen Betriebssystem, und wir waren auch ganz erfolgreich, aber irgendwann haben wir das dann aufgeben müssen. Also ein schönes Beispiel dafür, wie ein kleiner Fisch durchaus erfolgreicher sein kann als ein großer.
Wuttke: So gesehen hat der Goldfisch dann das Glas geschluckt.
Henkel: Oder das Wasser. Allerdings, wir merken ja auch, Microsoft macht Fehler. Also man kann aus dieser Geschichte lernen, man darf nie überheblich werden, wenn man erfolgreich ist. Das waren wir in der IBM damals eine Zeit lang, mit dem bekannten Ergebnis, aber wir haben daraus gelernt.
Wuttke: Der erste IBM-PC verkaufte sich ja in drei Jahren eine Million Mal, hat man denn bei IBM zumindest damit gerechnet oder war das dann eine völlige Überraschung?
Henkel: Nein, das war durchaus im Rahmen dessen, was wir erwartet hatten. Ich erinnere mich, dass ich damals eine Präsentation gab für die Presse und habe damals – es war 1981 oder Anfang 82 – behauptet, dass in fünf Jahren das PC-Geschäft in Europa so groß sein würde wie das gesamte IBM-Geschäft in Frankreich. Die haben uns damals ausgelacht, aber die Realität hat dann tatsächlich diese Aussage auch bestätigt.
Wuttke: Wann wurde Ihnen dann persönlich klar, dass Personal Computer mal auf jedem Schreibtisch stehen würden?
Henkel: Ziemlich schnell. Man hatte mir bei IBM damals gleich einen auf den Schreibtisch gestellt ...
Wuttke: Ihnen schon, aber nicht Lotte Müller.
Henkel: Ja, das ist richtig, aber dann begannen die Preise ja zu purzeln. Und Sie erwähnten ja selbst diese sechsstellige Zahl von Computern, die wir dann bereits im ersten Jahr verkaufen konnten. Das war ziemlich schnell klar. Was dann wirklich auch noch mal eine besondere Wende war, war die Tatsache, dass diese PCs dann Teil eines Internetnetzwerkes wurden, und damit wurde eine zweite Revolution eingeläutet, so finde ich jedenfalls. Mir war damals nicht klar, dass der PC eine Zukunft als vernetztes Instrument haben würde. Die Telefonleitungen waren viel zu behäbig, viel zu teuer, es gab damals natürlich auch noch keine satellitengestützten Mobiltelefonsysteme, alles das kam ja später, und das ist ja gar nicht mehr wegzudenken.
Wuttke: Wie viele Zukunftsvisionen haben Sie sich eigentlich in Ihrer Zeit bei IBM gemacht, was diese vernetzte Welt, die wir Web 2.0 nennen, angeht? Wie weit reichten damals die Zukunftsprognosen oder möglicherweise auch einfach nur die Phantasien oder die Träume eines Menschen, der sich geschäftlich mit Computern beschäftigt? Oder wird er auch manchmal einfach zum Menschen, der träumt?
Henkel: Na ja, ich hab ja die gesamte Entwicklung der Informationstechnik persönlich erlebt, ich wurde noch von der IBM als ganz junger Mann an Lochkartenmaschinen ausgebildet. Das waren Karten mit 80 Spalten, und die wurden durch Maschinen gejagt und damit wurden Statistiken erhoben, auch Rechnungen geschrieben. Dann kamen die ersten Röhrenrechner, daran wurde ich ausgebildet. Dann kamen die Transistorenrechner, die Großrechner, unter anderem auch solche, die die Amerikaner in die Lage versetzten, ein Mann oder mehrere Männer auf den Mond zu schießen.
Und dann kamen die Miniaturisierung, dann wurden aus diesen Großrechnern plötzlich kleine Rechner. Ich hätte mir niemals vorstellen können, nie, dass ich an Bord meines Segelschiffes ein Laptop habe oder haben würde, der eine höhere Rechnerkapazität hatte als der größte Rechner, den die IBM damals 1981 verkaufte. Aber das ist heute Realität geworden. Also um auf Ihre Frage zu antworten: Meistens wurden die Träume, die wir sicherlich alle hatten, von der Realität noch übertroffen.
Wuttke: Dann schließt sich natürlich die Frage an: 30 Jahre von diesem IBM-PC zum Web 2.0, alles wird immer schneller – wo könnten wir in 30 Jahren stehen, was träumen Sie?
Henkel: Ja, wenn ich das wüsste. Ich glaube, dass der Fortschritt noch lange nicht zu Ende ist auf diesem Gebiet, aus verschiedenen Gründen. Erstens werden die Dinger ja immer kleiner, das heißt, man kann sie in immer mehr Instrumente einbauen, an die wir heute gar nicht denken – denken Sie mal an eine Uhr. Es gibt Verrückte, die meinen, man könnte sich das sozusagen irgendwo mal unter die Haut einpflanzen.
Ich gehöre nicht dazu, aber es wird ernsthaft behauptet. Also sie werden immer kleiner, zweitens, sie werden dadurch, weil die Entfernungen zwischen den verschiedenen Transistoren und so weiter auch immer geringer werden, werden sie auch immer schneller. Und drittens, und das halte ich für wirklich eine spannende Geschichte, wir sind ja weit davon entfernt, Bauteile zu verwenden, die die Größe von Atomen haben, und die IBM arbeitet ja auch schon an Dingen, die tatsächlich jetzt die Wissenschaftler in die Lage versetzen, sogar Atome zu organisieren.
Vor einigen Jahren haben wir mal ein solches Experiment gemacht und veröffentlicht. Da hatte man Atome organisiert, die dann so angereichert waren oder aneinandergereiht waren, dass man die Buchstaben IBM "lesen" konnte. Wir haben inzwischen fünf Nobelpreisträger hervorgebracht, aber der PC ist für uns jetzt inzwischen Geschichte – wenn auch eine erfolgreiche.
Wuttke: Vor 30 Jahren trat der PC mit IBM seinen Siegeszug um die Welt an. Dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Hans-Olaf Henkel, damals Vize-Europachef des Konzerns. Herr Henkel, ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen weiterhin eine gute Fahrt auf Ihrem Schiff!
Henkel: Dankeschön, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Ein Computer für Jedermann
Hans-Olaf Henkel: Nein, ganz und gar nicht, aber es handelte sich um exotische Produkte für einen sehr kleinen Benutzerkreis mit einer nicht standardisierten Software und auch mit nicht standardisierten Schnittstellen, und das war eigentlich das Geschick unserer Ingenieure und unserer Entwicklungsabteilung, den PC dann so konstruiert zu haben, dass er sozusagen für alle Benutzer plötzlich interessant werden konnte.
Wuttke: Aber an dem Produkt, es kostete dann 3000 US-Dollar, war die Eigenproduktion von IBM ja ziemlich gering und dazu auf die Schnelle konzipiert.
Henkel: Das ist sicherlich richtig. Man muss wissen, dass wir bei der Einführung des PCs auch einen großen Fehler gemacht haben. Das Management dachte damals, man könnte das Geld mit der Hardware machen, und wir suchten dann nach jemandem, der in der Lage war, uns ein sogenanntes System-Controll-Programm anzubieten, also die Software dazu.
Und dann fand man einen jungen Mann mit dem Namen Bill Gates, dem hat man dann angeboten, sein System zu verwenden – wie wir später feststellten, war es gar nicht seins, sondern er hatte es selbst erst parallel mit den Verhandlungen zu uns von einer kanadischen Firma erstanden. Und das Interessante ist, ja, der Rest ist Geschichte, der Bill Gates hat mit der Software des PCs sehr viel Geld gemacht, und die IBM hat dann irgendwann mal den Personal Computer an die Chinesen verkaufen müssen.
Wuttke: Vielleicht als Hinweis für unsere Hörer: Wir erreichen Sie im Augenblick in einem Hafen, das erklärt das Tuten im Hintergrund. Aber das Stichwort Bill Gates möchte ich und muss ich natürlich noch mal aufnehmen. Ärgert es Sie möglicherweise noch bis heute, dass er bei seinen Verträgen offensichtlich vorausschauender war als IBM?
Henkel: Nein, das flößt mir großen Respekt ein, aber das war sicherlich ein großer Fehler, Bill Gates das zu überlassen. Und wir haben dann später auch versucht, diesen Nachteil wieder aufzuholen mit einem eigenen Betriebssystem, und wir waren auch ganz erfolgreich, aber irgendwann haben wir das dann aufgeben müssen. Also ein schönes Beispiel dafür, wie ein kleiner Fisch durchaus erfolgreicher sein kann als ein großer.
Wuttke: So gesehen hat der Goldfisch dann das Glas geschluckt.
Henkel: Oder das Wasser. Allerdings, wir merken ja auch, Microsoft macht Fehler. Also man kann aus dieser Geschichte lernen, man darf nie überheblich werden, wenn man erfolgreich ist. Das waren wir in der IBM damals eine Zeit lang, mit dem bekannten Ergebnis, aber wir haben daraus gelernt.
Wuttke: Der erste IBM-PC verkaufte sich ja in drei Jahren eine Million Mal, hat man denn bei IBM zumindest damit gerechnet oder war das dann eine völlige Überraschung?
Henkel: Nein, das war durchaus im Rahmen dessen, was wir erwartet hatten. Ich erinnere mich, dass ich damals eine Präsentation gab für die Presse und habe damals – es war 1981 oder Anfang 82 – behauptet, dass in fünf Jahren das PC-Geschäft in Europa so groß sein würde wie das gesamte IBM-Geschäft in Frankreich. Die haben uns damals ausgelacht, aber die Realität hat dann tatsächlich diese Aussage auch bestätigt.
Wuttke: Wann wurde Ihnen dann persönlich klar, dass Personal Computer mal auf jedem Schreibtisch stehen würden?
Henkel: Ziemlich schnell. Man hatte mir bei IBM damals gleich einen auf den Schreibtisch gestellt ...
Wuttke: Ihnen schon, aber nicht Lotte Müller.
Henkel: Ja, das ist richtig, aber dann begannen die Preise ja zu purzeln. Und Sie erwähnten ja selbst diese sechsstellige Zahl von Computern, die wir dann bereits im ersten Jahr verkaufen konnten. Das war ziemlich schnell klar. Was dann wirklich auch noch mal eine besondere Wende war, war die Tatsache, dass diese PCs dann Teil eines Internetnetzwerkes wurden, und damit wurde eine zweite Revolution eingeläutet, so finde ich jedenfalls. Mir war damals nicht klar, dass der PC eine Zukunft als vernetztes Instrument haben würde. Die Telefonleitungen waren viel zu behäbig, viel zu teuer, es gab damals natürlich auch noch keine satellitengestützten Mobiltelefonsysteme, alles das kam ja später, und das ist ja gar nicht mehr wegzudenken.
Wuttke: Wie viele Zukunftsvisionen haben Sie sich eigentlich in Ihrer Zeit bei IBM gemacht, was diese vernetzte Welt, die wir Web 2.0 nennen, angeht? Wie weit reichten damals die Zukunftsprognosen oder möglicherweise auch einfach nur die Phantasien oder die Träume eines Menschen, der sich geschäftlich mit Computern beschäftigt? Oder wird er auch manchmal einfach zum Menschen, der träumt?
Henkel: Na ja, ich hab ja die gesamte Entwicklung der Informationstechnik persönlich erlebt, ich wurde noch von der IBM als ganz junger Mann an Lochkartenmaschinen ausgebildet. Das waren Karten mit 80 Spalten, und die wurden durch Maschinen gejagt und damit wurden Statistiken erhoben, auch Rechnungen geschrieben. Dann kamen die ersten Röhrenrechner, daran wurde ich ausgebildet. Dann kamen die Transistorenrechner, die Großrechner, unter anderem auch solche, die die Amerikaner in die Lage versetzten, ein Mann oder mehrere Männer auf den Mond zu schießen.
Und dann kamen die Miniaturisierung, dann wurden aus diesen Großrechnern plötzlich kleine Rechner. Ich hätte mir niemals vorstellen können, nie, dass ich an Bord meines Segelschiffes ein Laptop habe oder haben würde, der eine höhere Rechnerkapazität hatte als der größte Rechner, den die IBM damals 1981 verkaufte. Aber das ist heute Realität geworden. Also um auf Ihre Frage zu antworten: Meistens wurden die Träume, die wir sicherlich alle hatten, von der Realität noch übertroffen.
Wuttke: Dann schließt sich natürlich die Frage an: 30 Jahre von diesem IBM-PC zum Web 2.0, alles wird immer schneller – wo könnten wir in 30 Jahren stehen, was träumen Sie?
Henkel: Ja, wenn ich das wüsste. Ich glaube, dass der Fortschritt noch lange nicht zu Ende ist auf diesem Gebiet, aus verschiedenen Gründen. Erstens werden die Dinger ja immer kleiner, das heißt, man kann sie in immer mehr Instrumente einbauen, an die wir heute gar nicht denken – denken Sie mal an eine Uhr. Es gibt Verrückte, die meinen, man könnte sich das sozusagen irgendwo mal unter die Haut einpflanzen.
Ich gehöre nicht dazu, aber es wird ernsthaft behauptet. Also sie werden immer kleiner, zweitens, sie werden dadurch, weil die Entfernungen zwischen den verschiedenen Transistoren und so weiter auch immer geringer werden, werden sie auch immer schneller. Und drittens, und das halte ich für wirklich eine spannende Geschichte, wir sind ja weit davon entfernt, Bauteile zu verwenden, die die Größe von Atomen haben, und die IBM arbeitet ja auch schon an Dingen, die tatsächlich jetzt die Wissenschaftler in die Lage versetzen, sogar Atome zu organisieren.
Vor einigen Jahren haben wir mal ein solches Experiment gemacht und veröffentlicht. Da hatte man Atome organisiert, die dann so angereichert waren oder aneinandergereiht waren, dass man die Buchstaben IBM "lesen" konnte. Wir haben inzwischen fünf Nobelpreisträger hervorgebracht, aber der PC ist für uns jetzt inzwischen Geschichte – wenn auch eine erfolgreiche.
Wuttke: Vor 30 Jahren trat der PC mit IBM seinen Siegeszug um die Welt an. Dazu im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur Hans-Olaf Henkel, damals Vize-Europachef des Konzerns. Herr Henkel, ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen weiterhin eine gute Fahrt auf Ihrem Schiff!
Henkel: Dankeschön, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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Ein Computer für Jedermann