Henning Ahrens: Glantz und Gloria. Ein Trip,
S. Fischer Verlag, Frankfurt aM 2015,
176 Seiten, 18,99 Euro
Subtile Rache an der Provinz
Der Schriftsteller Henning Ahrens ist als Sohn eines Landwirts aufgewachsen. In seinem Roman "Glantz und Gloria" zeichnet er das faszinierende Zerrbild eines Dorfes. Es mutet wie ein Fantasy-Spektakel an mit "Pummels und Prolls", "Hassbürgern" und Zombies.
"Merkt ihr den Zorn? Merkt ihr den Groll? / Wir sind das Maß, und das Maß ist voll!" So tönt es ungut, aber doch poetischer als gewohnt, wenn die Glantzer sich zum Protestmarsch formieren. Glantz im Düster – schon diese Benennung des Schauplatzes zeigt einen Autor, der der platten Realität mit poetischem Zugriff beikommt.
Ein "Hauch von Schweinegülle" liegt dort in der Luft, der Ostwind trägt den Gestank der Mastanlagen herüber, vor den Häusern aber stehen große schwarze Autos, "Mahnmale des Wohlstands". Zwei Menschen bewegen sich auf Glantz zu, die eine sucht die Zukunft, der andere die Vergangenheit.
Gloria will eine Stelle als Landärztin antreten, der Ich-Erzähler Rock Oldekop, ein Mittvierziger, kehrt erstmals an die Brandstätte seiner frühen Kindheit zurück: Als er fünf war, wurde sein Elternhaus aus ungeklärter Ursache ein Raub der Flammen, die Eltern starben. Kürzlich hat er zudem eine "Mehrfachfraktur" seiner Existenz erlitten; seine Lebensgefährtin hat ihn nach Strich und Faden betrogen.
Prekariat trifft sich zu Protestmärschen vor der Mühle
In Glantz nun findet er nicht zu sich selbst, sondern gerät in die Frontlinie eines hasserfüllten Konflikts. Auf der einen Seite der Ex-Wursthersteller Landauer, der sich zu militantem Vegetariertum und kompromissloser Öko-Esoterik bekehrt hat. Er hat sich in einer restaurierten Mühle eingenistet, in der auch Rock und Gloria Unterschlupf finden. Auf der anderen die Glantzer im Allgemeinen und Harm Kremser im Besonderen. Der "Schweinemonopolist und Milchvieholigarch" will die Mühle kaufen und an der Stelle eine Großschlachterei errichten; vor allem will er den "Zugewanderten" Landauer aus der Gegend vertreiben. Denn: "Weiß ist Weiß, und Schwarz ist Schwarz. So ist es, und so wird es bleiben. Die Furche muss gerade sein." Kremser sammelt das Glantzer Prekariat zu Fackelmärschen vor der Mühle Landauers: Grobschlächtigkeit ist Trumpf bei dieser Meute der Unansehnlichkeit: "Oberschenkel, die die Leggins zu sprengen drohten", "Visagen, die mit der Bratpfanne in Form gehauen waren".
Computerspielhafte Künstlichkeit
Viel passiert in diesem kleinen, als "Trip" bezeichneten Roman, und doch ist die Handlung mit ihren Verschwörungen und Verfolgungsjagden von einer computerspielhaften Künstlichkeit. Ahrens setzt nicht auf psychologische Plausibilität, sondern auf komplexe Konstruktion und subtextuelle Hintergründigkeit. Die fremdenfeindlich-rechtsdrehenden "Pummels und Prolls" erscheinen mal wie dörfliche Underdogs, mal wie Orks oder Zombies aus einen Fantasy-Spektakel, mal in eine grimmige altdeutsche Märchenwelt getaucht.
Alles läuft auf eine Riesenschweinerei hinaus
Es geht um die Wurst, es geht um Liebe. Am Ende greift Landauer, der "eingefleischte Vegetarier" und wahnhafte Idealist, zum Sprengstoffpaket. Auf ein Pandämonium läuft es hinaus, auf eine Riesenschweinerei.
Der Schriftsteller und Übersetzer Henning Ahrens wurde als Sohn eines niedersächsischen Landwirts geboren und nimmt in diesem Roman subtile Rache an der Provinz, die den Literaturmenschen offenbar hartnäckig angefremdet hat. Und schafft damit ein faszinierendes Zerrbild, das sich wie eine phantasmagorische Spiegelung der aktuellen Gegenwart mit ihrer Auseinandersetzung um "Hassbürger", "Gutmenschen" und "Fremde" ausnimmt.