Henriette Vásárhelyi: Seit ich fort bin
Doerlemann, 238 Seiten, 20 Euro
Heimat ist der Blick in den Rückspiegel
In "Seit ich fort bin" von Henriette Vásárhelyi führen schmerzhafte Erinnerungen ein Eigenleben. Sie werden geweckt, als die Protagonistin zu den Eltern fährt, um die Hochzeit ihres Bruders mit einer Rumänin zu feiern.
Schon in "immeer", Henriette Vásárhelyis Erstling, der es auf die Shortlist des Schweizer Buchpreises 2013 schaffte, spielten das Meer, der Tod eines Freundes und eine Dreiecksbeziehung eine Rolle. In "Seit ich fort bin", dem zweiten Buch der in 1977 in Ostberlin geborenen und in der Schweiz lebenden Schriftstellerin, kommt noch etwas hinzu: das Fremdsein in vielen Facetten und Erinnerungen, die ein Eigenleben führen.
Es sind schmerzhafte Erinnerungen, und sie werden geweckt, als Mirjam zu den Eltern fährt, um die Hochzeit ihres Bruders mit einer Rumänin zu feiern. In der Heimatstadt nahe der Ostsee hat sie vor Jahren ihre wichtigste Freundin verloren, gleich mehrfach: erst an das unzugängliche Ausland, als Anis mit ihrer Mutter aus der DDR ausreisen durfte, dann, nach dem Fall der Mauer und ihrer Rückkehr, an die Drogen, schließlich an die Depression. Doch die Erinnerungen an Anis verändern sich. Sie verändern sich mit Mirjam, und sie verändern auch Mirjam.
Henriette Vásárhelyi machte deutlich, dass der Umgang mit der Vergangenheit für sie ein starker Schreibimpuls gewesen sei. "Heimat ist der immerwährende Blick in den Rückspiegel", heißt es an einer Stelle im Roman. Und im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur meint sie: "Es ist immer die Frage, wann eine Veränderung begonnen hat, aber die Erinnerung erzählt uns das auch nicht."