Henry Gee: „Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens“

Evolution im Zeitraffer

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Buchcover "Eine (sehr) kurze Geschichte des Lebens" von Henry Gee
© Hoffmann & Campe

Henry Gee

Übersetzt von Alexander Weber

Eine (sehr) kurze Geschichte des LebensHoffmann und Campe, Hamburg 2021

304 Seiten

20,00 Euro

Von Michael Lange · 08.12.2021
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Im Zeitraffer durcheilt der britische Paläontologe Henry Gee fünf Milliarden Jahre Naturgeschichte. Der Planet Erde und seine Landschaften spielen die Hauptrolle, und das Leben passt sich an. Zuletzt wagt Gee sogar einen Blick in die Zukunft.
Sehr kurz, das bedeutet für den Paläontologen und „Nature“-Wissenschaftsredakteur Henry Gee immerhin 250 Seiten. In seinem Buch begibt er sich auf Zeitreise und präsentiert eine Erde in ständigem Wandel. Die Atmosphäre verändert sich dramatisch, neue Landschaften entstehen und immer wieder andere Pflanzen und Tiere übernehmen die Herrschaft.
Henry Gee schreibt wie ein exakter Beobachter von Umwelten und Lebewesen, die er in der Natur nie gesehen hat. Ihn interessiert das Äußere, die rasante Show, mehr als die Ursachen und Mechanismen der Evolution. Er wählt fantasievolle Beschreibungen skurriler Lebensformen, die oft kein konkretes Bild ergeben. Wie zum Beispiel sieht ein Odontogriphus aus?
Von Gee wird dieser Verwandte früher Weichtiere beschrieben als „Kreuzung zwischen Luftmatratze und Kaffeemühle“. Leider fehlen dem Buch die Bilder. Um sich eine Vorstellung von diesem und anderen kuriosen Lebewesen zu machen, hilft beim Lesen der Computer, das Smartphone oder ein Bildband in Reichweite.

Neue Lebewesen durch Katastrophen

Auf jeder Seite tauchen neue lateinische Namen auf, unbekannte Lebewesen, die im Evolutionsrennen mitmischen wollen. Die Fülle an rätselhaften, komplizierten Namen übertrifft sogar die Romane Dostojewskis. Da ist es schwer, den Überblick zu behalten.
Dennoch lohnt das Lesen. Denn Henry Gee sorgt durch die Auswahl seiner Beispiele immer wieder für ungläubiges Staunen. Wer kennt schon Hylonomus, „eine Art Büffel auf Anabolika“, oder Eryops, der aussieht wie eine „Kreuzung von Alligator und Ochsenfrosch“.
Im Zeitraffer erscheint die Erde als Ort ständiger Weltuntergänge. Immer wieder wird die Mehrheit der Lebewesen vergiftet, erstickt, verbrannt, gegrillt, verätzt oder aufgelöst. Und dann beginnt die Entwicklung des Lebens aufs Neue. Einige Hartgesottene überleben die Katastrophe und bilden nie da gewesene Lebensformen. Schon nach wenigen Millionen Jahren entsteht neue biologische Vielfalt.   

Zukunft ohne Menschen

Nach dem Ende der Dinosaurier entstanden die Pflanzen und Tiere, die wir kennen. Und ganz zuletzt kommt der Mensch, und man ahnt das Nahen eines furiosen Finales.
Aber Henry Gee gibt den Menschen noch ein paar Jahrtausende. Der menschgemachte Klimawandel ist nach seiner Einschätzung noch nicht das Ende. Denn für ihn steht fest: In 30 Millionen Jahren ist die Menschheit Teil der Urgeschichte wie heute die Dinosaurier. Die Natur aber wird überleben, wie so oft, wenn auch anders als wir sie kennen. Kein Tier ist größer als ein Dachs und kleine mausartige Raubtiere beherrschen den Planeten.
Der Paläontologe präsentiert eine eigene Sicht auf die Naturgeschichte. Sie basiert auf Fakten, soweit wir sie kennen. Dennoch nutzt Henry Gee auch seine Fantasie. Manches könnte auch anders ausgesehen haben und seine Zukunftsversion ist nur eine unter vielen. Und auch wenn seine Zeitreise mitunter konfus und überraschend ist, wer sich auf sie einlässt, erhält einen neuen Blick auf das Leben.
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