Henry James, "Lady Barbarina"
Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Karen Lauer
Dörlemann-Verlag, Zürich 2017, 224 Seiten, 21 Euro
Gewitzt und leichtfüßig
Auch in seiner erstmals auf Deutsch erschienenen Erzählung "Lady Barbarina" von 1908 setzt Henry James gekonnt sein psychologisches Skalpell: Mit Röntgenblick durchleuchtet er die Eitelkeit der besseren Gesellschaft. All dies mit bissigem Humor und in scheinbar leichtem Plauderton.
Romane, Essays, Geschichten - nicht weniger als sechstausend bedruckte Seiten hat Henry James (1843 - 1916) der Nachwelt hinterlassen. Und noch immer sind nicht alle übersetzt. Umso schöner, dass Verlage nach seinem hundertsten Todestag vor einem Jahr mit Übersetzungen nachziehen, wie jetzt der Schweizer Dörlemann-Verlag mit der Erzählung "Lady Barbarina", die zum ersten Mal auf Deutsch zu lesen ist.
Auch diese Erzählung basiert, wie so oft bei Henry James, auf einer Klatschgeschichte, die er wohl auf einer der vielen, von ihm so gern besuchten Londoner Parties aufgeschnappt hatte. Seit der geborene New Yorker Ende der 1870er Jahre nach Europa übergesiedelt war, machte er häufig transatlantische Liebesgeschichten zwischen Amerikanern und Europäerinnen zum Thema, die allesamt nicht gut ausgehen.
Eine Frau nach seinem Geschmack
Lady Barbarina ist eine Frau ganz nach seinem Geschmack: Jackson Lemon, ein millionenschwerer amerikanischer Arzt, lernt die schöne, dem englischen Hochadel entstammende junge Frau auf einer Reise nach London kennen. Alles, was ihm an der Alten Welt erstrebenswert erscheint, verkörpert sie für ihn - so "vollkommen wie eine antike Statue". Von nun an hat er nichts anderes mehr im Sinn, als "sich das grandiose Geschöpf zu sichern". Er hält um ihre Hand an.
Doch sein Begehr gestaltet sich schwieriger, als der erfolgsverwöhnte junge Mann erwartet hat. Der verarmten Adelsfamilie scheint die Tatsache, dass der Bräutigam trotz seines Reichtums einem bürgerlichen Beruf nachgeht, ziemlich dubios. Doch es gelingt ihm, mit allerlei pekuniären Zusagen deren Bedenken zu zerstreuen, und das frisch getraute Ehepaar zieht nach New York.
Eine Komödie der Hindernisse
Henry James setzt die Eheanbahnung mit Hindernissen wie eine Komödie in Szene. Mit bissigem Humor schickt er die unterschiedlichen Lebensformen beider Hemisphären kampfeslustig in die Arena, hier den traditionsbewussten, dünkelhaften Hochmut einer sich für etwas besseres haltenden Klasse, da die geldgesteuerte Selbstgewissheit eines Ego-Burschen aus der Neuen Welt.
Noch reizvoller gestaltet sich die Szenerie in New York, wenn die Verächtlichkeit der Titelheldin lustvoll entlarvt wird. Ganz Repräsentantin hohler Konventionen, findet sie die Amerikaner rundum vulgär, deren Frauen, die viel zu laut lachen, indiskutabel. Ganz anders als Lady Barbarina ist ihre Schwester, Lady Agatha, die das junge Ehepaar nach Amerika begleitet hat. Schnell vergisst sie ihre aristokratische Erziehung, saust allein durch die Einkaufstempel auf der 5th Avenue, und verliebt sich in einen Cowboy, einfach weil der ein Höchstmaß an Unterhaltung verspricht. Allerdings ist auch sie keine Lichtgestalt.
Schlaglicht ins Innere der Figuren
Gnadenlos leuchtet der Erzähler ins Innere seiner Figuren, deckt Versteckspiel und Gepose auf und fördert wie mit dem psychologischen Skalpell hinter dem Wirrwarr der Gefühle Herrschsucht, Neid, Gier und hemmungsloses Geltungsbedürfnis als sinistre Motive zutage.
Anders als in manchen seiner Romane kommt "Lady Barbarina" in gewitztem, leichtfüßigem Plauderton daher. Aber man täusche sich nicht: So versunken wie sie scheinen, sind Henry James' Welten nicht. Denn richtig aus der Mode geraten war die (heimliche) Frage nach Nutzen und Vorteil einer Liebesliaison noch nie.