Die Faszination an der Fälschung
Der Heidelberger Kunstwissenschaftler Henry Keazor demonstriert, dass der "Meisterfälscher", der der Kunstgeschichte seine Werke hinzufügt, keine neue Figur ist. Spannend, teilweise im Reportagestil, erzählt Keazor von einem zwielichtigen Gewerbe.
20 bis 50 Millionen Euro soll er mit den von ihm gefälschten Bildern verdient haben. 2011 wurde er zu sechs Jahren Haft verurteilt, seit Januar ist er wieder auf freiem Fuß: Wolfgang Beltracchi ist so etwas wie der Popstar unter den Kunstfälschern. Henry Keazor, Professor für Kunstgeschichte in Heidelberg, macht ihn zum Ausgangspunkt seines überaus lehrreichen Buches.
Beispielhaft demonstriert es, dass der "Meisterfälscher", der der Kunstgeschichte neue Werke hinzufügte, keine neue Figur ist. Handwerkliche Versiertheit zählt ebenso zu diesem Geschäft wie die kreative Energie, Fälschungen auf dem Markt zu lancieren. Auch die Motivlage findet sich schon in früheren Zeiten.
Zum Grundprofil des Fälschers gehört die Täuschungsabsicht – anders als in der römischen Antike, die griechische Statuen ohne eigene Erfindungsidee einfach nachahmte. Oder bei den Kopisten aus mittelalterlichen Werkstätten etwa und Kupferstechern, die ein Gemälde reproduzierten, um seine Ansicht einem größeren Publikum zugänglich zu machen. Damals wurden keine Signaturen gefälscht.
Erst mit der Renaissance und deren Originalitätsbegriff treten systematisch Fälscher auf den Plan, die mit der Nachempfindung der unverwechselbaren Handschrift eines Künstlers schnelles Geld verdienen. Neben materieller Gier macht Keazor die Geltungssucht aus, den Größenwahn, der sich berufen fühlt, der Kunstgeschichte fehlende Werke zu liefern, sich mit den großen Meistern zu messen oder sie gar überrunden zu wollen. Oft haben Kunstbetrüger als glücklose Künstler angefangen, dann aber gemerkt haben, dass Fälschungen viel mehr einbringen.
Glamuröser Regelverstoß?
Spannend, teilweise im Reportagestil, erzählt Keazor von einem zwielichtigen Gewerbe. Den größten Raum nehmen die sensationellen Skandale der letzten beiden Jahrhunderte ein: den in Serie produzierten Van-Gogh-Fälschungen, die in großem Stil von einer ganzen Familie so geschickt in den Kunstmarkt eingeschleust wurden, dass ihnen selbst der berühmte Kunsthistoriker Julius Meier-Gräfe aufsaß. Oder die Vermeer-Neuschöpfungen des Holländers Van Meegeren, der nicht etwa über ein Urteil der Fachwelt stürzte, sondern weil er eine italienisierende Ansicht von "Christus und die Ehebrecherin" an Göring verscheuert hatte und deshalb nach 1945 der Kollaboration angeklagt wurde.
Auch die Sachverständigenwelt nimmt Keazor unter die Lupe, ihre aus Eitelkeit, aus Entdeckerstolz vielfach unwillentliche Anfälligkeit für falsche Expertisen. Zu kurz kommt die Seite des Publikums, das den Fälscher gern zum Idol macht. Weshalb diese allseits anzutreffende Mischung aus Bewunderung (für die Raffinesse des "kongenial" nacharbeitenden "Künstlers") und Schadenfreude (über die blamierten Experten), fragt man sich. Speist sie sich aus einer Art von "Robin-Hood-Affekt" oder schlicht aus der Faszination für den glamurösen Regelverstoß?
So oder so, egal ob er als eleganter Schlawiner, Schöngeist oder Kunstdandy daherkommt, der Fälscher ist und bleibt ein Krimineller. Daran lässt auch dieses Buch keinen Zweifel ebenso wenig wie an der Gewissheit, dass Kunst gefälscht werden wird, solange es sie gibt.
Henry Keazor: "Täuschend Echt! Eine Geschichte der Kunstfälschung"
Theiss-Verlag, Darmstadt 2015
256 Seiten, 24,95 Euro
Theiss-Verlag, Darmstadt 2015
256 Seiten, 24,95 Euro