Henry Mance: "Mit Tieren leben. Warum wir das Verhältnis zwischen Mensch und Tier neu definieren müssen"
Aus dem Englischen von Yamin von Rauch
Verlag Kein & Aber, Zürich 2021
480 Seiten, 27 Euro
Henry Mance: "Mit Tieren leben"
So deutlich sich Henry Mance an die Seite der leidenden Kreatur stellt, so differenziert bleibt er: Die Rotwildjagd aus Naturschutzgründen findet Gnade vor seinen Augen. © Deutschlandradio / Kein & Aber
Wir töten und wir lieben sie
05:39 Minuten
Menschen verhätscheln ihre Haustiere und essen Fleisch aus Massentierhaltung. Henry Mance hat ein Buch über das verworrene Verhältnis zwischen Mensch und Tier verfasst. Sein Fazit: Wir müssen Tiere nicht lieben. Es reicht, wenn wir ihnen nichts antun.
"Tiere töten. Tiere lieben": In zwei große Abschnitte gliedert der preisgekrönte britische Journalist Henry Mance sein neues Buch und man ahnt schon zu Beginn: Das eine unterscheidet sich kaum von dem anderen.
Schlachthöfe, Fischerei, Jagd füllen den ersten Teil des Buches. Zoologische Gärten, Artensterben, Haustierhaltung und Erbgutmanipulationen den zweiten. Mehr Aspekte braucht der Autor nicht, um ein umfassendes und eindringliches Panorama des verqueren Verhältnisses zwischen Mensch und Tier aufzuspannen.
Wie artgerecht ist ein Wohnzimmer?
So fächert er die Haustierhaltung in ihrer ganzen Zwiespältigkeit auf. Was hat es mit einem artgerechten Leben zu tun, wenn sich Hunde, Katzen oder einsame Papageien im Plüschgewitter menschlicher Wohnzimmer zu Tode langweilen?
Dazu kommt der ökologische Fußabdruck der Lieblinge. Schätzungen zufolge töten Katzen in den USA jedes Jahr vier Milliarden Vögel.
Lebendig und dicht erzählt
Henry Mance ist ein Meister des lebendigen und dichten Erzählens. Geschickt verwebt er die Ergebnisse seiner umfassenden Recherchen – historische Rückblicke, aktuelle Studien, Statistiken und Lektüren – mit persönlichen Erlebnissen.
Er heuert in einem Schlachthof an, weidet Tiere am Fließband aus, riecht das Blut, hört die Schreie und übersieht auch das harte Los der Arbeiterinnen und Arbeiter nicht. Mit Jägern lauert er Hirschen auf, zieht mit Fischern Miesmuscheln an Land, reist in den globalen Süden, wo kostbare Regenwälder der Rindfleischgier geopfert werden.
Wenn sich der Autor selbst ins Spiel bringt, hat das nichts mit Eitelkeit zu tun, sondern auf diese Weise kann er stellvertretend all die Fragen aufwerfen, die auch sein Publikum beschäftigen. Fressen Tiere einander nicht auch? Braucht das menschliche Gehirn nicht hochwertige Proteine? Sind Zoos wichtig, um Kindern wilde Tiere nahezubringen?
Zwei Hühner adoptiert
So deutlich sich Henry Mance an die Seite der leidenden Kreatur stellt, so differenziert bleibt er und wagt dabei immer wieder auch überraschende Einschätzungen. Als eine der wenigen Mensch-Tier-Beziehungen findet die Rotwildjagd aus Naturschutzgründen Gnade vor seinen Augen.
Am Ende adoptiert Henry Mance sogar zwei Hühner, die es aus einer Legebatterie geschafft haben – er möchte seinen Töchtern die Herkunft ihres geliebten Frühstückseis nahebringen.
Lakonisch beschreibt er das Scheitern des Unterfangens. Das eine Huhn sinkt von der Freiheit schockiert zu Boden und verendet. Das andere gedeiht und attackiert die Familie, bis der Fuchs es sich holt. Nein, die Hühner seien keine idealen Haustiere gewesen, resümiert Henry Mance. Doch "was für ein alberner Gedanke, dass ihr Verstand und ihre Gefühle nur eine Nebenrolle spielen, wenn wir sie verzehren."
Es reicht, ihnen nichts anzutun
Was lässt sich gegen das Massenelend der Tiere tun? Sechs Punkte listet der Autor schließlich auf. Sie nicht mehr essen, nichts von ihnen. Ablass zahlen für jedes Haustier. Sich für den Klimaschutz einsetzen. Schutzzonen einrichten, in denen Wildnis eine Chance hat.
Wir müssen Tiere nicht lieben, sagt Henry Mance. Es reicht, wenn wir ihnen nichts antun.