Herausforderungen der Industrie

Nur wer sich traut Fehler zu machen, wagt Neues

In der Endabnahme: Ein Hybrid-Golf in der Auto-Produktion des Volkswagen-Werks in Wolfsburg.
In der Endabnahme: Ein Hybrid-Golf in der Auto-Produktion des Volkswagen-Werks in Wolfsburg © picture alliance / dpa / Sebastian Gollnow
Christoph Keese im Gespräch mit Christian Rabhansl · 24.09.2016
Deutschland verlässt sich viel zu sehr auf alte Stärken und verpasst dadurch den Anschluss an die digitalisierte Wirtschaft, warnt Christoph Keese in seinem Buch "Silicon Germany". Der Journalist und Springer-Manager erklärt Unternehmern und Politik, was sie anders machen sollten.
Bloß keine Fehler zulassen – die deutschen Unternehmer, mit denen Christoph Keese gesprochen hat, sind stolz auf ihren Perfektionismus und ihre Null-Fehler-Kultur. Doch genau die sei falsch, meint Keese: Nur wer sich traue Fehler zu machen, wage auch wirklich Neues. Überhaupt verlasse sich die deutsche Industrie zu sehr auf alte Stärken. Doch genau dadurch sei sie behäbig und gefährdet, wenn plötzlich neue Start-Ups die Branche aufmischen.
Im Wortsinne sei die deutsche Wirtschaft zwar weitgehend digitalisiert – aber lediglich vertikal, betonte Keese im "Lesart"-Gespräch: "Wenn Sie in eine Autofabrik gehen, dann sind Sie verblüfft davon, dass dort überhaupt keine Vorräte stehen. Keine Reifen oder Lenkräder, die eingebaut werden. Die werden erst zehn Minuten, bevor sie verbaut werden, angeliefert. Das ist nur möglich, weil diese Fabriken vertikal mit ihren Zulieferern und die wieder mit ihren Zulieferern vernetzt sind."
Was der deutschen Industrie dagegen fehle, sei eine zukunftsträchtige horizontale Vernetzung – quer durch die Branchen. Als Beispiel nennt Keese selbstfahrende Autos: Hier biete sich die Gelegenheit, die Autoindustrie mit der Hotelbranche zu vernetzen. "In Zukunft wird es so sein, dass Sie abends eine sechs Meter lange Limousine bestellen, die Sie über Nacht wie ein Hotelzimmer von A nach B fährt." Derjenige, der solche Entwicklungen zuerst erkenne, könne daraus großen Nutzen ziehen.

"Man muss in seine Kannibalen investieren"

So genannte Plattformen, die nichts mehr selbst herstellten, sondern Dienste und Menschen vernetzen, seien "nicht nur die Zukunft". Wer sich damit nicht auseinandersetze, werde als Hersteller an den Rand gedrängt, so Keese: "Plattformen verdrängen die Hersteller von realen Gütern." Das bedeute zwar nicht, dass ein Hersteller seine Existenz aufgeben müsse, denn die Plattformen benötigten auch die Güter: airbnb benötige Immobilien, uber brauche Autos und Fahrer. "Aber damit wird man immer weniger Geld verdienen können. Das wirklich große Geld bleibt bei den Plattformen."
Unternehmern rät Keese, sich – erstens – intensiv mit den Wirkmechanismen von Digitalisierung und Vernetzung zu beschäftigen, sich – zweitens – mit neuen Technologien wie der Cloud-Technologie und Künstlicher Intelligenz auseinandersetzen, und – drittens – sollten Unternehmer nicht hoffen, dass alles Nötige aus dem Stammunternehmen komme. "Man muss in seine eigenen Kannibalen investieren. Es gibt ganz viele, die einen aus dem bestehenden Geschäft verdrängen möchten. Die sollte man nicht ignorieren, sondern in sie investieren."