Herausforderungen für die EU

Europa quo vadis?

Manfred Weber (CSU), der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament im Juli 2014
Manfred Weber (CSU), der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament © picture-alliance / dpa / Tobias Hase
EU-Politiker Manfred Weber im Gespräch mit Burkhard Birke |
Finanzprobleme in Griechenland, Euroschwäche und steigende Flüchtlingszahlen - keine leichten Zeiten für Europa. Ein Gespräch mit dem Europaparlamentarier Manfred Weber (CSU) über eine wachsende Euroskepsis, das Schreckgespenst Islamisierung und eine gemeinsame Zuwanderungsstrategie.
Deutschlandradio Kultur: Manfred Weber, Sie sind der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europaparlament. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben, hier am Rande der Tagung der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth. Und die Idylle in den Bergen kann leider nicht darüber hinwegtäuschen, dass die EU vor besonderen Herausforderungen steht.
Zum einen schwebt das Damoklesschwert des Terrors wieder über den EU-Ländern seit dem fürchterlichen Anschlag Mitte der Woche in Paris gegen die Zeitung Charlie Hebdo, die Satirezeitung. Zum anderen meldet sich ja die Verschuldungskrise wieder massiv zurück mit intensiven Debatten über Griechenlands Zukunft anlässlich der Wahlen und eines möglichen Wahlsieges der Linken dort, die sich gegen das Diktat aus Brüssel wendet. Das sind nur zwei herausragende Ereignisse, Herr Weber, die unterstreichen, dass Europa wohl geeinter denn je auf Bedrohung und Risiken reagieren muss.
Terroranschläge wie der auf die französische Satirezeitung Charlie Hebdo sind zwar nicht ganz neu in Europa, aber, Herr Weber, haben wir generell die Bedrohung durch diesen islamistischen Terror unterschätzt in Europa?
Wir alle sind geschockt
Manfred Weber: Man lebt mit der Hoffnung, dass wir ihn überwinden können. Deswegen ist es wieder ein Schock für uns, dass es möglich ist in Europa, solchen Terror zu verbreiten, Angst zu verbreiten - um das geht's ja, das sind Terroristen - und ihr Lebensmodell, ihre Vorstellungen und ihre Ideologie, ihren Fanatismus uns aufzuzwingen. Deswegen sind wir alle geschockt. Und jetzt müssen wir Europäer Antworten geben.
Das Wichtigste ist, dass wir dadurch unser Lebensmodell nicht kaputtmachen lassen. Unser freiheitliches Lebensmodell wird verteidigt.
Deutschlandradio Kultur: Europa muss Antworten geben, sagen Sie. Wie könnten diese Antworten aussehen ganz konkret? Denn man sagt ja auch: Gegen eine solche Art von Terror durch Einzeltäter - wir hatten auch Breivik in Norwegen, wir hatten auch hier zwei oder drei Einzeltäter - ist da eigentlich kein Kraut gewachsen? Was kann man konkret tun?
Manfred Weber: Wir tun zunächst gut daran, jetzt nicht Schnellschüsse zu produzieren im Sinne von, perfekte schnelle Antworten zu haben, weil, dafür ist das Thema zu komplex und die Herausforderung zu groß. Übrigens, in den Tagen nachher ist auch wichtig, zunächst mal an die Opfer zu denken, an die Menschen zu denken, die dort betroffen sind, die Familien, die betroffen sind. Trotzdem muss Politik jetzt diskutieren und überlegen, wie wir damit umgehen.
Und die ganz große Thematik ist die gesellschaftliche Herausforderung, dass wir uns selbst einfach mit der Frage beschäftigen: Wie kann das sein, dass die Menschen, die da in unserer Gesellschaft leben, sich dann da radikalisieren und solchen Hass aufbauen, dann solche Gewalttaten zu vollbringen? Das kann eigentlich in der Gesellschaft, in einer offenen Gesellschaft kann das ja eigentlich gar nicht in einem irgendwie geschützten Raum funktionieren. Das muss ja jemand mitkriegen. Wir brauchen auch eine Sensibilität dafür. Wir brauchen auch den Willen, uns zuzuhören, uns zu sehen und zu verstehen. Jeder ist ein Stück weit gefordert. Es ist zunächst mal staatliche Aufgabe, nicht immer nur politische Aufgabe, sondern gesellschaftliche Aufgabe.
Und dann ist es wichtig, dass wir in unserer Gesellschaft deutlich machen, dass Religion nicht zum Entzweien unserer Gesellschaften dienen darf. Eine große Errungenschaft von uns Europäern während der Aufklärung, das ist ein Wert, den wir erkämpft haben als Europäer, ist die Religionsfreiheit, ist das Denken, dass wir Staat und Religion trennen und dass wir den Menschen allen das Recht geben, so zu leben und so zu glauben, wie sie es für richtig halten.
Und das ist eben jetzt ein Prinzip, das wir uns durch niemanden, durch keine Gewalt kaputtmachen lassen dürfen.
Deutschlandradio Kultur: Auf die Religionsfreiheit kommen wir gleich noch zu sprechen, Herr Weber. Aber lassen Sie uns konkret bei Maßnahmen bleiben, die man ergreifen könnte. Großbritannien ist ja nicht Teil des Schengen- Abkommens, hat aber jetzt dennoch die Grenzkontrollen nach diesen Terroranschlägen in Paris nochmal massiv verschärft.
Wäre das auch Weg, den man auch innerhalb des Schengenraums gehen müsste, dass man wieder Grenzkontrollen einführt, um mögliche Terroristen abzuhalten?
Manfred Weber: In den letzten Jahren hatten wir überall in Europa Terroranschläge, den schlimmen Anschlag in Madrid und eben auch einen Anschlag in London vor einigen Jahren. Das heißt, auch Grenzkontrolle im klassischen Sinn führt nicht dazu, dass man vor Terroranschlägen sicher ist. Deswegen ist das keine Maßnahme, die uns hilft das Problem zu lösen. Wir brauchen vielmehr gemeinsame Ansätze auf europäischer Ebene.
Deutschlandradio Kultur: Gemeinsame Ansätze auf europäischer Ebene. Ihre Partei, die CSU hat ja in Wildbad Kreuth angeregt, man möge eben jetzt wieder dieoder endlich die Vorratsdatenspeicherung einführen. Und man möge auch den Sicherheitsbehörden mehr Befugnisse geben. Und man müsse auch das Strafgesetzbuch in der Bundesrepublik beispielsweise verschärfen.
Ist das dann die Blaupause auch für Europa?
Vorratsdatenspeicherung - im Blick haben
Manfred Weber: Der Anschlag zeigt uns, dass wir es mit einer Herausforderung zu tun haben, die in ganz Europa zuschlagen kann, die uns Europäer herausfordert, das westliche Modell herausfordert. Deswegen muss der Staat auch abwehrbereit sein. Er muss auch Antworten geben können. Und in einer Welt, die immer mehr von Datensammeln und von Datenauswerten getrieben wird und auch geprägt wird, kann der Staat nicht blind sein, wenn es um Datenauswertung geht. Deswegen ist diese Überlegung mit Vorratsdatenspeicherung, die ja bereits einmal eine parlamentarische Mehrheit hatte im Europäischen Parlament - mit Zustimmung der Sozialdemokraten und der Europäischen Volkspartei -, ist so eine Idee, denke ich, etwas, was wir im Blick haben müssen, dass wir auch unseren Ermittlungsbehörden, diejenigen, die unsere Sicherheit verteidigen, dass wir denen auch Möglichkeiten geben, über Datenauswertung, über das, was an Spuren hinterlassen wird im Netz, auch Verbrecher und auch Terroristen zu finden.
Ein automatisches Lager für Magnet-Datenbänder arbeitet am 23.02.2012 in einem Nebenraum des Supercomputers "Blizzard"
Vorratsdatenspeicherung - zwischen Freiheit und Sicherheit© dpa/Charisius
Deutschlandradio Kultur: Würden Sie da Fristen setzen? Wäre das die übliche Sechsmonatsfrist, die ja in dem ursprünglichen Richtlinienentwurf drin stand? Sollte das auf dieser Zeitspanne laufen? Oder sind Sie überhaupt zuversichtlich, dass das dieses Jahr noch über die Bühne geht? Denn offensichtlich steht's ja auch nicht im Arbeitsprogramm der Kommission.
Manfred Weber: Wir müssen drüber reden, wie wir auf europäischer Ebene gesetzgeberisch vorgehen. Und das Zentrale dabei ist, dass wir die Hinweise, die sowohl Karlsruhe, unser deutsches Verfassungsgericht, als auch der Europäische Gerichtshof in Luxemburg uns gegeben hat bei entsprechenden Urteilen, dass wir die als Gesetzgeber jetzt berücksichtigen. Das heißt: höhere Datenschutzstandards, kürzere Speicherdauern und vor allem Zugriff auf diese Daten nur, wenn es um Schwerkriminalität geht. Die Bürger müssen sich sicher sein, dass die gespeicherten Daten nur angewandt werden von Ermittlungsbehörden, wenn es wirklich um schwerste Kriminalität sich handelt.
Nichtsdestotrotz muss man auch dazu sagen, dass - solange keine europäische Richtlinie vorliegt - auch jedes Land frei ist, seinen eigenen Weg zu gehen. Großbritannien hat die Vorratsdatenspeicherung eingeführt, praktiziert sie auch. Und es ist auch unbenommen, dass auch die Bundesrepublik Deutschland diesen Schritt geht, wenn die Bundespolitiker da der Meinung sind, dass es richtig ist.
Deutschlandradio Kultur: Das ist aber nur ein Element. Und wir wissen, auch, dass die mutmaßlichen Täter von Paris sogar unter Observation standen der Behörden in Frankreich. Und dennoch konnten sie zuschlagen. - Was müsste sonst noch an Stärkung der Sicherheitskräfte vollzogen werden, auch auf europäischer Ebene?
Austausch muss normal werden
Manfred Weber: In Europa ist das Feld der Sicherheitspolitik ein junges Feld. Erst seit einigen Jahren haben wir dafür die gesetzgeberische Kompetenz, auch Rahmen zu setzen. Und was aus meiner Sicht das Wichtigste ist, ist, keine Zentralisierung europäischer Sicherheitsarchitektur, also, irgendwie Zentralbehörden schaffen, die sozusagen dann eigenständig ermitteln, also ein FBI für Europa zu gestalten. Nein, ich glaube, das Wichtigste ist, dass die bestehenden Behörden dort Vertrauen aufzubauen, zu vernetzen, die Partnerschaft zu stärken, dass wenn heute, was selbstverständlich ist, zwischen deutschen Behörden, zwischen dem Landeskriminalamt in Bayern und dem in Nordrhein-Westfalen, ein Datenaustausch, ein Informationsaustausch stattfindet, dass es auch selbstverständlich sein muss, dass das bayerische LKA mit seinen Kollegen in Oberösterreich zusammenarbeitet oder in Südtirol zusammenarbeitet.
Dieser Austausch muss normal werden. Dieses Gespräch muss normal werden. Und dann, glaub ich, kommen wir in der Sicherheitsarchitektur Europas einen großen Schritt weiter.
Deutschlandradio Kultur: Herr Weber, Sie sitzen im Europaparlament. Und in der letzten Wahl sind vor allen Dingen sehr europaskeptische, aber auch islamfeindliche Gruppierungen dort als Gruppen eingezogen, als Parlamentarier.
Sind die jetzt im Begriff, durch diese Terroranschläge den Islam generell zu stigmatisieren?
Manfred Weber: Nein, das darf nicht sein. Der Islam ist heute selbstverständlich ein Teil Europas, unserer Gesellschaften. Und das Abendland ist sicherlich nicht gefährdet durch den Islam, den friedlichen Islam, den wir heute in Europa haben, sondern er ist vielmehr gefährdet von vielen Gruppen in der Europäischen Union, die nicht mehr wissen, was Abendland eigentlich ausmacht - Toleranz ...
Deutschlandradio Kultur: Wobei, Abendland ... Die christlichen Werte, die sind ja morgenländisch.
"Es liegt in unserer Hand als Demokraten"
Manfred Weber: Auch, ja. Aber das, was der Begriff ausdrückt, ist natürlich unsere Wertebasis, die wir in der Europäischen Union haben. Und da gehört für mich eben die christliche Prägung dazu, die aussagt, Solidarität in Europa zu praktizieren. Da gehört für mich auch die Aufklärung integral natürlich mit dazu, über die wir bereits gesprochen haben. Das sind ja alles Punkte, die ich bei vielen der Kollegen, die jetzt ins Europäische Parlament gewählt worden sind, nicht mehr wiederfinde. Die Populisten und die Extremisten, die sich dort zu Wort melden, praktizieren ein anderes Menschenbild.
Und da gilt es sich hinzustellen. Da gilt es zu argumentieren. Da gilt es zu werten, zu kämpfen als Demokraten. Und ich bin überzeugt, wenn wir auch die Probleme, die dahinter liegen, zum Beispiel wirtschaftliche Fragen, Arbeitslosigkeit in Europa, Armut in Europa oder auch die Migrationsfragen, wenn wir die Fragen auch lösen, seriös angehen, dann haben wir alle Chancen, auch den Populismus und den Extremismus in Europa zu besiegen. Es liegt in unserer Hand als Demokraten, wenn wir engagiert und ehrgeizig jetzt an die Lösung der Aufgaben herangehen.
Deutschlandradio Kultur: Sind diese Populisten auch diejenigen, die jetzt als Pegida-Patrioten, patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, auf die Straße ziehen? Und befürchten Sie, dass jetzt nach den Attentaten in Paris nächsten Montag in Dresden nicht nur 18.000 Menschen, sondern 30.000 dastehen und rufen "wir sind das Volk", den Spruch, den damals die DDR-Bürgerrechtler für die Befreiung vom SED-Regime benutzt haben?
Manfred Weber: Die Pegida-Bewegung, vor allem bei den Köpfen, es sind sicher viele dabei, die nicht für ein abendländisches Menschenbild stehen, die eben eher für Abgrenzung, für Hass, für Auseinandersetzung stehen.
Deutschlandradio Kultur: Die unter anderem wie der Vize Alexander Gauland sagen, der Anschlag sei ja ein Beleg für die Gefahr des islamischen Terrors in Europa und in der Mitte unserer Gesellschaft.
Manfred Weber: Solche Aussagen sind eben gefährliche Aussagen. Wenn man jetzt versucht, parteipolitisches Süppchen zu kochen mit diesen Anschlägen, dann zeigt das den waren Geist, der hinter diesen Politikern steht. Wer jetzt Antiislamstimmung macht mit diesen extremen Terroranschlägen, der kocht ein Süppchen, das hoffentlich keine Basis findet.
Deutschlandradio Kultur: Wie kann man dem begegnen? Oder wie kann mit diesen Pegida-Anhängern umgehen?
Manfred Weber: Zunächst wichtig: Ich bin zutiefst überzeugt, dass in Deutschland und auch in ganz Europa die ganz große Masse der Menschen solchem Gedankengut nicht anhängt. Ich vertraue zutiefst drauf, dass wir breite Gesellschaftsschichten haben, die wissen, dass das Hass-Säen, dass Auseinandersetzung, das Spiel der Terroristen weiter zu spielen, dass das gerade der falsche Weg wäre.
Und mit den wenigen, die das anders sehen, mit denen müssen wir uns hart auseinandersetzen in der Demokratie im Sinne von Argument und Gegenargument. Und die Menschen, die mitgehen, müssen wir überzeugen.
Das geht über zwei Wege. Wir müssen die Themen, die dahinter stehen, lösen. Es ist eine Mischung aus vielen, vielen Themen, wo manche Menschen einfach unzufrieden sind mit Politik. Und da muss man schon hinhören. Aber auf der anderen Seite muss auch klar sein, dass es zu keiner Zusammenarbeit mit extremen Gruppen und auch mit extremen Parteien dann kommen kann.
Das heißt für unsere Arbeit im Europäischen Parlament, dass wir keine Mehrheiten aufbauen, wo wir auf rechts- oder linksradikale Stimmen angewiesen sind. Der Wähler muss wissen, jede Stimme für so eine Kraft, ist eine Stimme, die dann parlamentarisch keine Wirkung hat.
Deutschlandradio Kultur: Ist die AfD, die Alternative für Deutschland, eine solche extreme Partei in Ihren Augen?
Manfred Weber: Ja. Wenn Gauland sich jetzt da entsprechend äußert, dann zeigt es zumindest den Geist. Und wir haben auch im Europäischen Parlament jetzt erste Abstimmungen gehabt, wo die AfD geschlossen mit Le Pen und Wilders gestimmt hat, also mit Rechtsradikalen gestimmt hat. Und deswegen sieht man, dass dort Strömungen vorhanden sind, die einen bedenklich stimmen.
Die AfD wird aus meiner Sicht diese Fragen nicht klären können. Sie wird sich nicht auf Dauer eindeutig von diesen Strömungen distanzieren können. Und jeder, der dann die Stimme der AfD gibt, muss das wissen, dass er damit auch Rechtsradikalismus ein Stück weit hoffähig macht.
Und jetzt geht's drum, die Themen aufzugreifen, die Themen zu lösen, die manchen Bürger auch bewegen, und auch klarzumachen eben, dass man mit Radikalen nicht arbeiten will.
Deutschlandradio Kultur: Nehmen wir mal eines solcher Themen, nämlich die Zuwanderung. Wir haben in diesem letzten Jahr 200.000 Asylanten gehabt in der Bundesrepublik. Das war fast doppelt so viel wie im Jahr davor, aber noch nicht einmal die Hälfte dessen, was wir in den 90er Jahren vom Balkan durch die dortigen damaligen kriegerischen Auseinandersetzungen als Zustrom an Flüchtlingen bekommen haben.
Wie kann man mit diesen Flüchtlingsströmen umgehen? Und wie kann man auch auf europäischer Ebene eine gerechte Lastenverteilung erzielen?
Manfred Weber: Die Flüchtlingsfrage ist eine Frage für Europa. An das hat uns ja Papst Franziskus erinnert, als er im Europäischen Parlament seine starke proeuropäische Rede gehalten hat. Deswegen müssen wir als Europäer antworten. Das heißt zunächst mal, unsere Humanität ist herausgefordert. Jedem, der anklopft, muss die Tür aufgemacht werden, dem müssen wir helfen. Es geht um menschenwürdige Unterbringung. Es geht um menschenwürdige Verfahren, die durchgeführt werden, um zu prüfen, ob jemand einen Flüchtlingsstatus hat, ob jemand einen Asylgrund hat oder nicht. Das ist zunächst mal die Grundüberlegung.
Und wer die Bilder jetzt aus Syrien sieht, aus den Bürgerkriegsgebieten sieht, der kann nicht anders als zunächst mal die Tür aufzumachen und zu helfen.
Trotzdem gibt's da eine zweite Herausforderung. Die heißt, dass nach allen rechtsstaatlichen Verfahren in Europa zwei Drittel der ungefähr 450.000 Bewerber, die wir in Europa hatten, zwei Drittel dieser Bewerber abgelehnt werden, also keinen Flüchtlingsgrund haben, nicht aus Syrien kommen. Deswegen erwarten die Bürger auch zu Recht, dass Politik dafür sorgt, dass die, die keinen Flüchtlingsgrund haben, auch wieder abgeschoben werden, auch wieder rückgeführt werden in ihre Heimat, weil sonst das System zur Debatte steht.
Und wenn wir das organisieren können, wenn Politik das operativ umsetzen kann, Staaten das organisieren können, dann glaube ich auch, dass die Menschen dem System voll vertrauen. Wir müssen es nur in der Praxis auch wirklich vollziehen.
Deutschlandradio Kultur: Herr Weber, Sie haben gesagt, man muss also die Asylantenströme dann auch trennen bzw. zwischen denen, die wirklich Asyl verdienen, und dass man den wirklich Bedürftigen und in Not befindlichen Menschen helfen müsse, aber eben die Wirtschaftsflüchtlinge, um es mal so zu nennen, dann doch rauszufiltern.
Nun hat Kardinal Marx, der Münchner Kardinal und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz gesagt, man könne gar nicht so strikt zwischen Wirtschafts- und zwischen politischen Flüchtlingen unterscheiden. - Hat er Unrecht?
Subsidiären Flüchtlingsschutz
Manfred Weber: Ich konnte die Aussage, ganz ehrlich gesagt, nicht ganz nachvollziehen, weil die Rechtslage dazu auch klar ist. Wir haben Gesetze, die das definieren, wer Asylbewerber ist. Darüber gibt's ja auch Streit immer wieder, wie man das auslegt, wer verfolgt ist und wer nicht. Wir wissen auch vom UNHCR sehr genau, welche Gebiete Bürgerkriegsgebiete sind auf dieser Welt. Und wenn aus diesen Gebieten Menschen kommen, haben sie subsidiären Flüchtlingsschutz, das Recht darauf.
Das heißt, die Definition ist rechtlich eigentlich relativ klar. Es ist auf der Vollzugsfrage festzustellen, wo kommt jemand her, welchen Hintergrund hat es, auf der Vollzugsfrage im Einzelfall das zu klären. Aber im Generellen, glaube ich, ist die Rechtslage dazu klar. Und ich werbe auch dafür, dass wir das hochhalten dieses Prinzip.
Ich möchte einfach aus europäischer Sicht auch drauf verweisen dürfen, dass wir im Süden unseres Kontinents 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit haben. In Italien, Spanien, Griechenland sucht eine halbe Generation nach Arbeit. Und da müssen wir als europäische Politiker schon sagen dürfen, dass wir jetzt, wenn es um die Wirtschaftszuwanderung geht, um Wirtschaftsmigration geht, um Arbeitsplatzsuche geht, dass wir uns zunächst mal drum kümmern müssen, dass unsere Jugend eine Zukunft hat, auf diesem Kontinent hat, bevor wir Migranten aus Afrika, aus dem asiatischen Bereich, aus dem Mittleren Osten nach Europa einladen, um hier zu arbeiten.
Deswegen muss man die beiden Dinge, glaube ich, schon sehr, sehr sorgfältig auseinanderhalten.
Deutschlandradio Kultur: Aber was brauchen wir an Neuregelungen auf europäischer Ebene, um eben auch die Lasten gerechter zu verteilen?
Manfred Weber: Wir haben in Europa zum Thema Migration, Flüchtlinge bereits eine Reihe von Grundsätzen geregelt, wie sie unterzubringen sind, wie die Verfahren durchzuführen sind. Wir haben eine eigene Agentur geschaffen, die definiert, wer ist denn Flüchtling und wer nicht, damit wir zu gemeinsamen europäischen Standards kommen.
Und eine Frage geht eben noch ab, nämlich die Lastenverteilung in Europa. Derzeit gilt das Prinzip: Dort, wo der Flüchtling ankommt, dieser Staat ist zuständig.
Deutschlandradio Kultur: Und es gibt fünf Staaten, die nehmen 70 Prozent aller Flüchtlinge auf und der Rest ...
Manfred Weber: Exakt. Exakt das ist eine Frage, die wir klären müssen auf europäischer Ebene. Und in dieser Legislaturperiode wird das zu klären sein.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie einen konkreten Vorschlag, wie das aussehen könnte?
Manfred Weber: Ich glaub schon, dass wir Deutschen mit unserem Königsteiner Modell, die Lastenverteilung zwischen den Ländern in Deutschland, eigentlich ein sehr verlässliches und gutes und für die Bürger nachvollziehbares Konzept entwickelt haben. Das heißt, man kann schon über Quotenregelungen auf Europäischer Ebene reden. Und da ist die neue Kommission jetzt an der Aufgabe, so eine Quotenüberlegung mal vorzulegen, auf den Tisch zu legen. Und ich sehe da auch eine wachsende Zustimmung in ganz Europa dafür.
Deutschlandradio Kultur: Ist es eigentlich zumutbar, Sie haben Griechenland angesprochen mit einer Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent, dass Länder wie Griechenland, die ja nach dem Dubliner Asylabkommen eigentlich die Asylanten, die bei ihnen zunächst aufgelaufen sind, wieder aufnehmen müssten, dass man eben Asylanten möglicherweise wieder nach Griechenland zurückschickt? Ist das zumutbar noch heutzutage? Oder gehört zu einer gerechteren Lastenverteilung auch, dass man Südländer wie Spanien, vielleicht auch Italien und Griechenland erstmal ausnimmt von der Aufnahme der Flüchtlinge?
Manfred Weber: Man muss jedes Land, glaub ich, sehr spezifisch, sehr genau anschauen. Mit Griechenland ein Land, das wegen der Krise wirklich an seine Leistungsfähigkeit kommt und deswegen ganz gezielte Unterstützung braucht. Deutschland führt derzeit nicht zurück, weil auch Gerichte das nicht erlauben.
Auf der anderen Seite ist zum Beispiel Spanien ein Land, das vergleichsweise wenig Flüchtlinge aufnimmt im Vergleich mit anderen Mitgliedsstaaten der EU. Das heißt, wenn wir über Lastenverteilung reden, muss die Einwohnergröße eine Rolle spielen, die Leistungsfähigkeit eines Landes und natürlich die wirtschaftliche Kraft eines Landes. Und über die Fragen müssen wir die nächsten Monate diskutieren.
Deutschlandradio Kultur: Herr Weber, ich hab Griechenland erwähnt. Wird Griechenland in einem Jahr noch in der Eurozone sein?
Unsicherheit in Griechenland
Manfred Weber: Ich gehe davon aus. Und wir wollen, dass Europa zusammenhält. Wir wollen, dass der Euro stabil bleibt. Da hat die Europäische Union und speziell die Eurozone Enormes geleistet in den letzten Jahren mit dem Aufbau von Solidaritätsmechanismen, mit der Übernahme von Bürgschaften, also wirklich von Garantien für andere Staaten wurde Enormes geleistet auf europäischer Ebene - früher undenkbar, das würde ich sagen - geleistet.
Und ein positiver Effekt ist auf jeden Fall schon mal, dass heute wir trotz der Unsicherheit in Griechenland nicht mehr über eine Eurokrise reden, sondern zunächst über griechischen Fall reden. Das heißt, wir konnten den Euro, andere Staaten stabiler machen, obwohl ein Land zurzeit in einer Unsicherheitsphase ist.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt also, wir könnten eigentlich die Eurozone auch fortführen ohne Griechenland?
Manfred Weber: Wir wollen, dass Griechenland im Euro bleibt. Sonst hätten wir die letzten Jahre nicht uns so engagiert für Griechenland. Ich muss auch höchsten Respekt sagen vor Andonis Samaras, der die letzten Jahre in Griechenland Unmögliches geleistet hat. Das Land hat heute einen ausgeglichenen Haushalt vor Schuldendienst. Das ist ja eine Leistung, die beachtlich ist. Und den Menschen wurde auch viel zugemutet. Das sollten wir auch respektieren, wir Europäer.
Und jetzt geht's drum, ob man den Umweg zu Ende geht, weil die Hoffnungssignale ja offensichtlich sind. Im Jahr 2014 hatten wir Wachstum in Griechenland. Wir hatten einen starken Tourismussektor in Griechenland usw. Also, es sind ja Signale der Hoffnung da. Und deswegen ist unsere Bitte an die griechischen Bürger, jetzt bei der Wahl den Weg weiter zu gehen und zu Ende zu gehen, weil er der erfolgversprechende ist.
Deutschlandradio Kultur: Ist das nicht Einmischung wie damals, als man Herrn Papandreou das Referendum ausgeredet hat. Es war ja doch offensichtlich, dass hier aus Kanzleramt und Finanzministerium gezielt Informationen gestreut wurden, man könne sich ja auch die Eurozone ohne Griechenland vorstellen, vielleicht damit Herr Samaras wieder die Regierung bildet und nicht Herr Tsipras von der Linken SYRIZA-Partei an die Macht kommt.
Manfred Weber: Also, keiner will den Grexit, keiner will den Ausstieg Griechenlands aus dem Euro, sonst hätte man, wie gesagt, die letzten Jahre nicht so viel Risiken übernommen. Das wäre hanebüchen die Argumentation.
Und bei mir ist es so, ich darf Fraktionschef einer Fraktion sein, die aus ganz Europa Mitglieder hat. Meine griechischen Kollegen gehören der Nea-Dimokratia an, sprich, der Partei von Andonis Samaras. Die sind in meiner Fraktion Mitglied. Wir stehen für den Kurs der Konsolidierung, der Haushaltsdisziplin, der Reformen in diesen Ländern, nicht nur in Griechenland, auch in Portugal, Spanien und Irland. Deswegen verteidigen wir diesen Kurs auch.
Wir sind Politiker, die für Europa Verantwortung haben. Und deswegen ist das keine Einmischung, sondern die Bitte an die Griechen: Geht den Weg weiter. Ihr seid auf dem richtigen Weg.
Deutschlandradio Kultur: Manfred Weber, Sie sind lange genug im Europäischen Geschäft, um auch zu wissen, dass wahrscheinlich Griechenland dennoch neue Mittel brauchen wird. - Wird es einen neuen Schuldenschnitt geben?
Die griechische und die europäische Flagge wehen am 06.03.2014 vor dem Parlamentsgebäude in Athen. Foto: Wolfgang Kumm/dpa
Parlamentsgebäude in Athen© dpa/picture-alliance/Wolfgang Kumm
Manfred Weber: Schuldenschnitt ist zurzeit kein Thema. Griechenland hat Schuldenlast abgenommen bekommen durch die ESM, durch die Troika-Tätigkeiten, durch die Solidarität der Eurostaaten. Und Zinszahlungen sind ausgesetzt. Es besteht gar kein akuter Druck, das zu machen.
Deutschlandradio Kultur: Aber Griechenland muss demnächst sechs oder acht Milliarden zahlen und erwartet ja eigentlich auch noch eine Tranche von zehn Milliarden im Laufe des Jahres.
Manfred Weber: Exakt. Die war auch vorgesehen, mit Andonis Samaras, mit der bestehenden Regierung zu verhandeln. Und die würde, wird auch, wenn zum Beispiel Andonis Samaras jetzt wieder gewählt würde, die wird auch ganz normal weiter verhandelt, weil das ganz normal im Troika-Paket vorgesehen war, die letzte Tranche zu zahlen. Aber auch die wird wieder konditioniert sein.
Deutschlandradio Kultur: Aber wenn die Linke dran kommt, dann könnte man das als Faustpfand benutzen, die zehn Milliarden nicht zu zahlen.
Der vereinbarte Weg
Manfred Weber: Die Formulierungen passen nicht. Das ist vereinbarter Weg. Die Griechen wählen übrigens keinen neuen Staat, sondern die Griechen wählen nur ein neues Parlament, eine neue Regierung. Und deswegen ist klar, dass die Griechen die Zusagen, die frühere Regierungen eingegangen sind, auch umzusetzen haben.
Wenn wir dieses Prinzip nicht mehr anwenden, dass frühere Zusagen auch gelten, obwohl demokratisch neue Mehrheiten gebildet werden, wenn wir das nicht weiter hochhalten dieses Prinzip, dass Zusagen gelten, dann müssen wir in Europa alle Gespräche beenden, weil wir drauf vertrauen, dass wir verlässlich sind in der Europäischen Union. Und das gilt für jede Regierung, die in Griechenland gewählt wird.
Deutschlandradio Kultur: Grexit, also der Ausstieg Griechenlands aus der Union oder aus der Währungsunion ist die eine Seite eines Szenarios für dieses Jahr. Die andere wäre, dass nicht dieses, aber vielleicht in den kommenden Jahren Großbritannien aus der Union ausscheidet- Brexit, britischer Exit. Inwieweit sehen Sie Möglichkeiten, den Briten da noch entgegenzukommen, weil auch die UK Independence Party, UKIP hat ja massiv bei den Europawahlen gewonnen und ist ja auch als stärkste Partei aus Großbritannien im Europaparlament vertreten.
Manfred Weber: Zunächst muss ich leider feststellen, dass wir in Großbritannien zu wenig Diskussion haben von fast allen Parteien über die Sinnhaftigkeit einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Man lässt Farage zu viel Raum, in der öffentlichen Debatte nur das Negative zu beschreiben.
Und ja, in einer Clubmitgliedschaft gibt's positive Sachen wie bei jedem Verein usw. Und es gibt auch negative Sachen. Man muss einen Beitrag zum Beispiel zahlen usw. Es ist immer so, dass immer nie Schwarz oder Weiß ist, es ist immer bissel Grau. Und so ist es bei Europa auch. Es gibt viele, viele positive Sachen. Und es gibt aber auch negative Sachen. Das Gesamtbild müssen wir den Briten, den britischen Bürgern auch nahe bringen. Und da würde man mehr Engagement auch der britischen Politik wünschen. Und dann werden wir die Entwicklungen absehen.
Es ist keine Zwangsmitgliedschaft die EU. Jeder ist freiwillig dabei. Aber ich sage auch ausdrücklich dazu: Es gibt kein Cherry Picking. Es gibt entweder eine Mitgliedschaft oder es gibt keine Mitgliedschaft in der EU. Und das müssen die Briten auch wissen.
Deutschlandradio Kultur: Aber es gibt ja konkrete Punkte, die Cameron nachverhandelt wissen will. Und vielleicht haben Sie als CSU-Politiker auch Verständnis dafür, dass er zum Beispiel den Sozialmissbrauch auch von EU-Zuwanderern unterbinden will und die Zahlen quotieren will.
Wäre das ein Punkt, wo sie dafür plädieren würden, den Briten entgegenzukommen?
Manfred Weber: Als Europapolitiker muss man grundsätzlich immer viel Verständnis für viele Positionen haben, weil wir ja Gott sei Dank ein vielfältiger Kontinent sind. Allerdings hab ich für die Sozialdebatte wenig Verständnis, weil der EUGH dieses Jahr Urteile gefällt hat, wo er ausdrücklich sagt: Freizügigkeit bedeutet nicht Zuwanderung in Sozialsysteme.
Wir Deutschen haben im letzten Jahr Gesetzesänderungen in Deutschland vorgenommen, um Sozialmissbrauch, Zugang zu Kindergeld zum Beispiel, um den zu bekämpfen. Das ist absolut in Linie mit Europarecht. Das kann jeder Staat für sich heute machen.
Was aber nicht geht, ist, wenn ein deutscher Bürger in London dort bei einer Bank arbeitet und die Freizügigkeit nutzt und dort lebt und arbeitet, dass er dann erst nach fünf Jahren Zugang zu den dortigen Sozialsystemen bekommt, weil er nämlich ab dem ersten Tag dort auch Steuern bezahlt. Und deswegen, bestimmte Vorschläge gehen eben auch nicht. Das muss Cameron auch wissen. Und da gibt's rote Linien, über die wir nicht gehen werden. Grundprinzipien der EU werden nicht infrage gestellt. Und das müssen wir dem David Cameron klar signalisieren.
Wir wollen, dass Großbritannien dabei bleibt. Aber sie müssen auch wissen, dass sie Teile in einem Club sind, der Spielregeln hat.
Deutschlandradio Kultur: Und vielleicht Teil eines Clubs, der eigentlich enger zusammenrücken will? Wollen Sie mehr Europa, auch als Antwort auf die Sorgen und Nöte der EU-Bürger, auf den Euroskeptizismus? Brauchen wir eine engere Verzahnung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, wie es ja auch Sarkozy seinerzeit, also der französische Präsident Sarkozy mit Kanzlerin Merkel angeregt hat und eigentlich schon beschlossen hatte, was aber nie richtig umgesetzt wurde? - Wo wünschen Sie sich mehr Europa, Herr Weber?
Es geht um praktische Fragen
Manfred Weber: Wenn ich jetzt einfach sagen würde, ja, mehr Europa, würden wahrscheinlich viele Zuhörer sagen, das ist der typische Europäer, der immer noch mehr Macht will, usw. Es geht für uns nicht um Machtzuwachs, um dieses klassische mehr Europa, damit dieses Projekt funktioniert, das sind Theoriedebatten. Es geht um praktische Fragen.
Nehmen Sie mal die Überlegung, welche Schwierigkeiten es bedeutet, eine kraftvolle Antwort auf die Ukraineherausforderung zu geben. Da ist die Frage, Sanktionen aufzubauen, derzeit ein Einstimmigkeitsprinzip. Wir brauchen viel Kraft in Europa, um uns bei Einstimmigkeitsverfahren, wo 28 Staaten Ja sagen müssen, erstmal auf eine Position zu einigen, geschweige denn, sie dann zu vertreten.
Und deswegen glaube ich, dass es in so einem Beispiel besser wäre, wir würden mit Mehrheit entscheiden, wie wir es in vielen anderen Punkten machen, um schneller handlungsfähig zu sein, weil nur Europa gemeinsam solche Herausforderungen wie Russland bewältigen kann.
Also, ich komme nicht über die Argumentation und die Institution Europa braucht mehr Macht, sondern wie lassen sich unsere Herausforderungen lösen. Das muss unsere Argumentation sein. Und da sind wir in der EVP übrigens auch offen für alle Vorschläge, die wieder Kompetenzen zurückverlagern. Wenn in Großbritannien Ideen da sind, dass man Kompetenzen auch wieder auf nationaler Ebene gestaltet kann und nicht in Europa zentral gestalten muss, sind wir sehr offen für die Debatten. Es muss pragmatisch argumentiert werden.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben jetzt für Mehrheitsentscheidungen plädiert. Wäre das dann auch einfacher, verschärfte Sanktionen nochmal gegen Russland zu verhängen, um die Ukraine-Krise zu lösen?
Manfred Weber: Zumindest wären wir handlungsfähiger.
Deutschlandradio Kultur: Sind Sie für schärfere Sanktionen?
Manfred Weber: Ich glaube, die Sanktionen, die wir jetzt angewandt haben, wirken. Und sie sind gut. Und sie sind die Maßnahme, die wir anwenden, um die Ukraine in ihrem Freiheitskampf, in ihrem Kampf für Demokratie zu unterstützen. Das, was wir am Majdan erlebt haben, ist das Gleiche, was wir vor 25 Jahren in Ungarn, in Polen und in den neuen Bundesländern in Dresden und Leipzig erlebt haben. Und deswegen müssen wir an der Seite der Ukrainer, der Majdan-Kämpfer stehen.
Das heißt, das war eine Antwort, die wir geben mussten, weil Putin so reagiert, wie er reagiert. Deswegen heute Sanktionen wirken lassen, offen sein für neue Sanktionen, sollte Putin sich nicht bewegen. Wir müssen auch in der Lage sein, nochmal nachzulegen, wenn es denn notwendig ist, und als dritte Stufe auf jeden Fall auch immer wieder offen sein für Dialog.
Putin hat über Weihnachten jetzt signalisiert, dass er sich vorstellen kann, wir könnten mit der eurasischen Union über Wirtschaftsfragen reden, über Handelsfragen reden zwischen der EU und der Eurasischen Union. Das ist eine Tür, die sich aufmacht. Wir sollten durchgehen. Wir sollten alle Gesprächsfäden, alle Gesprächsmöglichkeiten, die es mit Russland gibt, nutzen.
Deutschlandradio Kultur: Altkanzler Helmut Kohl hat in seinem Buch zu Europa, seinem jüngsten, als größten Sündenfall bezeichnet, dass damals die Regierung Schröder/ Fischer und die Regierung in Paris die Maastrichtkriterien gerissen haben. Nun reißt Frankreich schon wieder die Maastrichtkriterien. - Begehen wir wieder einen großen Sündenfall?
Manfred Weber: Die Entscheidung steht im März an, wie Frankreich sich verhält, ob Frankreich zurückkommt zu den Prinzipien, die sie selbst unterschrieben hat und die sie selbst akzeptiert hat. Jean-Claude Juncker hat als neuer Kommissionspräsident sowohl Italien als auch Frankreich und übrigens auch Belgien nochmal eine Frist gegeben, die zugesagten Reformen auch umzusetzen.
Wir sehen in Belgien große Fortschritte. Die dortige Regierung ist enorm engagiert in den Zusagen für Europa, die auch einzuhalten. Italien tut viel. Der Arbeitsmarkt, die Reformen sind wirklich große Schritte, die Renzi jetzt geht. Und in Paris warten wir noch auf die Schritte. Die Zusagen liegen von Premierminister Valls auf dem Tisch, aber wir warten noch auf die Umsetzung.
Deutschlandradio Kultur: Was, wenn nicht? Sollte man dann Frankreich sanktionieren?
Sanktionen gegenüber großen Staaten
Manfred Weber: Für mich ist klar, wir haben Regeln. Und es steht bei der Umsetzung der Regeln die Glaubwürdigkeit Europas im Mittelpunkt.
Wie kann man gegenüber Portugal und Griechenland argumentieren, dass wir bei jeder Zahlung, die wir geben, nochmal mehr Reformen erzwingen in diesen Ländern und die Menschen ein Stück weit in die soziale Not zwingen und bei großen Ländern, wie bei Frankreich ist alles erlaubt? Das würde die Glaubwürdigkeit Europas schwer erschüttern. Deswegen muss die EU-Kommission danach mit Sanktionen gegenüber großen Staaten vorgehen.
Deutschlandradio Kultur: Am Mikrofon bedankt sich fürs Zuhören Burkhard Birke.
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