Herbert Quelle: "Kein falscher Zungenschlag"
Black Music Matters
Books on Demand
276 Seiten, 20 Euro
sowie als eBook bei Online-Buchhändlern.
Aus der Hosentasche in die Welt
08:58 Minuten
Von sächsischen Ort Markneukirchen aus wanderten deutsche Mundharmonikas in die Vereinigten Staaten, wo afroamerikanische Bluesmusiker sie für sich entdeckten. Ein Buch schildert liebevoll die bewegte Geschichte des Hosentascheninstruments.
Der Erzähler hat Zweifel: "War er ehrlich neugierig, andere Meinungen zu hören? Oder brauchte er diese nur als Anknüpfungspunkt für die Verlautbarung seiner eigenen Auffassungen? Ritt ihn die Arroganz des Besserwissers? Wie schrecklich, wenn er anderen auch mit seiner Mundharmonikaleidenschaft ständig auf den Wecker ginge."
Die Zweifel sind unberechtigt. Dem Autor, Hobbymusiker und Diplomaten im Ruhestand, Herbert Quelle, ist mit "Kein falscher Zungenschlag" eine kurzweilige Mischung zwischen Fiktion und Sachbuch gelungen. Im, wenn man so will, dokumentarischen Teil des Buches geht es um die Geschichte und Spielweisen der Mundharmonika.
Eingebettet ist dies in eine fiktive Deutschlandreise des 25 Jahre alten Afroamerikaners James. Sein Großvater erstand als Besatzungssoldat nach dem Krieg in Klingenthal einen Koffer voller Harmonikas: ein Erbe, dass James nur nach einer Reise zu den Produktionsorten und damit in die Geschichte des Instrumentes erhalten sollte.
Eine doppelbödige Deutschlandreise
Gesagt, getan. James reist nach Deutschland, begleitet vom 70 Jahre alten Walter, einem ehemaligen Deutschen, der seit Jahrzehnten in den USA lebt. Gleich zu Beginn der Reise lernt James Karin kennen, eine Deutsche mit afrikanischen Wurzeln. Aus den beiden wird ein Paar, und Walter plagen abermals Zweifel: "Karin war die erste Afrodeutsche, die ihm je begegnet war. Die sprachliche Perfektion ihrer ersten Sätze hatte bei ihm Überraschung ausgelöst. Wieso fiel ihm die Parallelität muttersprachlicher Deutsch-Kompetenz mit schwarzer Hautfarbe überhaupt auf? War seine Empfindung, als Karin den Mund aufmachte, schon eine Form von inhärentem Rassismus?" Dazu Herbert Quelle:
"Ich habe hier diesen Gegensatz bewusst gesucht zwischen einer Afrodeutschen und einem Afroamerikaner, um mal zu beleuchten, wie weit über die Hautfarbe ein gewisses Verhalten der Mehrheitsgesellschaft gegenüber diesen Gruppen definiert wird."
Quelle spielt mit der Doppeldeutigkeit des Titels. Ein falscher Zungenschlag entlockt der Harmonika schräge Töne – gesellschaftlich kann ein falscher Zungenschlag Wunden schlagen, die, zum Beispiel beim Thema Rassismus, über Jahrhunderte wuchern, sagt Herbert Quelle:
"Ich denke, an dem Problem, dass es systemische Diskriminierung in den USA auch heute noch gibt, kann man nicht herumdeuteln. Und ich denke: Deswegen muss es auch ständig zur Sprache gebracht werden."
Der Rassismus lauert auch hierzulande
Der junge James verweist auf die Erfahrung in seiner Heimat: "Wir Afroamerikaner können aus der Rollenzuweisung in der amerikanischen Gesellschaft, die mit der Sklavenhaltung ihren Anfang nahm, nicht ausbrechen. Aus unserer Geschichte in den USA resultiert sowohl ein spezifisches Selbstverständnis von uns als auch eine spezifische Projektion von Erwartungen der Weißen in uns."
Viele Deutsche, die James und Walter auf ihrer Reise nach Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen und Berlin treffen, hegen ähnliche Vorurteile. Immer wieder muss Walter erklären und schlichten. Der Rassismus lauert auch hierzulande, allerdings niedrigschwelliger als in den Vereinigten Staaten: "Für manche Probleme gibt es nicht nur keine gute Lösung, sondern gar keine. Man schiebt sie einfach immer weiter vor sich her. Aber hör mal die Musik."
160 Jahre einer fruchtbaren Wechselbeziehung
Womit wir bei dem Thema wären, in das Herbert Quelle während seiner Zeit als Generalkonsul in Chicago mit ungezählten Musikerfreunden eintauchen durfte: "Unter dem Radar der Tagespolitik besteht seit 160 Jahren durch die in Deutschland gebaute und von Amerikanern gespielte Mundharmonika eine enge und beiderseits fruchtbare Wechselbeziehung", so Quelle.
"Die Mundharmonika besetzt in Deutschland eine Nische. Mein Versuch ist eigentlich, die Mundharmonika aus der Nische herauszuholen und in die Gesellschaft, der sie angehörte, hinüberzuführen. Wir müssen anerkennen, dass die Mundharmonika ein Kulturgut ist, ein Wirtschaftsprodukt und ein Industrieerzeugnis. Und ein Kulturgut, was mit dem deutschsprachigen Raum seit Anfang des 19. Jahrhunderts verbunden ist.
Walter und James beginnen ihre Entdeckungsreise bei der Firma Hohner, gegründet 1857. Neben dem zehn Jahre älteren Unternehmen Seydel in Klingenthal ist Hohner noch immer ein führender Hersteller von Harmonikas. Herbert Quelle:
"Dieser erfolgreiche Erzeuger aus Trossingen, im Bereich zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb gelegen, der hat sich um die Qualität des Produktes gekümmert. Es war ihm genug zu wissen, dass es Spieler gab, die mit dem Instrument, das er produzierte, sehr zufrieden waren. Aber er hat sich, nachdem, was ich herausgefunden habe, herzlich wenig darum geschert, welche Musik damit gemacht wurde, insbesondere Blues. Der Blues ist sozusagen erst ins Leben von Trossingen getreten in den 70er-Jahren. Also Jahrzehnte, nachdem er in den USA auf Platten aufgezeichnet wurde."
Der afroamerikanische Blues machte das Instrument groß
Es waren Afroamerikaner, die den Harmonika-Blues spielten. Das Instrument war klein und preisgünstig, im Versand war es im 19. Jahrhundert in den USA für nur 25 Cent zu haben. Unschlagbare Argumente, die in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts die jährlichen Importe auf 21 Millionen steigen ließen. Herbert Quelle reicht diese Erfolgsgeschichte nicht. Wenn Walter schon einmal mit einem afroamerikanischen Freund durch Deutschland fährt, dann soll der Leser mehr erfahren:
"Dazu zählen Dinge, die mit der deutschen Einheit zu tun haben, mit der Parallelität der Gesellschaften, mit dem Zusammenwachsen, mit den Phänomenen, die uns begegnen. Sei es Rechtsextremismus, sei es Alltagsrassismus, was alles irgendwie in dem Buch mit aufscheint."
Dabei geht es in Quelles lesenswertem interkulturellen Reisebuch nicht nur um die großen Themen. Gestreift wird unter anderem das Essverhalten diesseits und jenseits des Atlantiks, die Einstellung zu Waffenbesitz oder zu Geschwindigkeitsbegrenzungen im Straßenverkehr. Deutsch-amerikanische Gegensätze, deren Erwähnung indes keine Erklärung für die Gegenwart ist. Dennoch bleibt der Autor optimistisch:
"Was wir derzeit erleben, ist, glaube ich, der niedrigste Stand in den bilateralen Beziehungen auf politischer Ebene. Ich rechne das nicht der Bundesregierung, sondern der amerikanischen Administration zu. Und bei Anerkennung dieses Faktes darf man nicht vergessen, dass es die Gesellschaften gibt, die nach wie vor viel mehr gemeinsam haben, als sie trennt."