Herbsttagung des Bundeskriminalamts

Die Polizei befindet sich im letzten Jahrhundert

Ein fiktiver Einbrecher hebelt mit einem Brecheisen eine Tür im Keller eines Wohnhauses auf.
Selbst kleine Einbrecherbanden arbeiten heute international, sodass die Anforderungen an die Polizei europaweit wachsen © dpa picture allliance / Silas Stein
Sebastian Fiedler im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Mehr Flexibilität in der Organisation der Verbrechensbekämpfung fordert Sebastian Fiedler, stellvertretender Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Er sieht die Polizei vor einer Jahrhundertaufgabe, um die Probleme der Zukunft europaweit zu bewältigen.
Angesichts der Herausforderungen für die Polizei kritisierte der stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, die Kleinstaaterei in Deutschland. Bei der Organisation der Polizei befinde man sich im letzten Jahrhundert, sagte Fiedler im Deutschlandfunk Kultur anlässlich der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes. In jedem Bundesland gebe es bis heute unterschiedliche IT-Systeme und einen Personalmangel, den man beheben müsse. "Wir diskutieren immer, wie viel wurde im letzten Jahr eingebrochen", sagte Fiedler. "Wir diskutieren aber nicht so sehr, welche Kriminalität haben wir eigentlich in den nächsten fünf Jahren, in den nächsten zehn Jahren zu befürchten."

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Heute beginnt sie wieder, die Herbsttagung des Bundeskriminalamts, und da steht das Thema "Polizei im Umbruch. Herausforderungen und Zukunftsstrategie" auf dem Zettel. Dabei sind auch der Bundesinnenminister und der BKA-Präsident und natürlich viele, viele Polizisten. Einer ist jetzt bei mir am Telefon, Sebastian Fiedler nämlich. Er ist Stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Schönen guten Morgen!
Sebastian Fiedler: Schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Der Chef des BKA, Holger Münch, hat schon vor der Tagung davon gesprochen, es stünde ein Jahrhundertprojekt an. In welchem Jahrhundert befindet sich die Polizei denn?
Fiedler: Mindestens im letzten Jahrhundert, zumindest, was die Organisation der Polizei angeht – ich würde da schon fast von Kleinstaaterei sprechen. Und das, was Holger Münch meint, betrifft die IT-Infrastruktur, nämlich die Art und Weise, wie wir mit unseren Datensystemen zusammenarbeiten. Da haben wir natürlich vorsichtshalber in jedem Bundesland völlig unterschiedliche Systeme vorliegen. Und da geht es jetzt tatsächlich darum, ein komplett neues System nach den rechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hier zu implementieren. Und das ist in der Tat ein Jahrhundertprojekt.
Sebastian Fiedler, stellvertretender Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, im DLF-Studio.
Sebastian Fiedler, stellvertretender Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter© Deutschlandradio - Jörg Stroisch
von Billerbeck: Beschreiben Sie uns doch mal vielleicht an Beispielen, was Ihren Arbeitsalltag so besonders schwierig macht.
Fiedler: Da wird unsere Sendezeit wahrscheinlich jetzt nicht ausreichen. Aber ich will vielleicht versuchen, den Titel der Tagung insoweit aufzugreifen, als dass sowohl politische Diskussionen als auch die Frage, wie wir im Moment aufgestellt sind, sich an der Vergangenheit orientiert. Wir diskutieren immer, wie viel wurde im letzten Jahr eingebrochen. Wir diskutieren aber nicht so sehr, welche Kriminalität haben wir eigentlich in den nächsten fünf Jahren, in den nächsten zehn Jahren zu befürchten.
Und da gibt es in der Tat ebenfalls eine ganze Reihe von Umbrüchen, und die begründen, warum wir nicht mehr so weiterarbeiten können. Der Terrorismus und die organisierte Kriminalität sind voneinander in Teilen nicht mehr zu trennen. Kriminalität ist ohne Grenzen vorhanden. Selbst kleine Banden arbeiten nicht mehr nur national. 95 Prozent der Kriminalität im Darknet bleiben unentdeckt, es sind rechtsfreie Räume. Täter arbeiten nicht mehr delikttreu. Die Einbrecher von heute begehen morgen Ladendiebstähle. Die Kommunikation funktioniert nur noch kryptiert. Und da könnte ich jetzt noch eine ganze Weile weitermachen. Und auf der anderen Seite steht eine Polizei, die in den jeweiligen Bundesländern völlig unterschiedlich organisiert ist.
Sie werden also kaum einen nordrhein-westfälischen Kriminalbeamten finden, der Ihnen jetzt sofort spontan sagen könnte, wer in Bayern, Baden-Württemberg oder in anderen Ländern speziell in welchem Kommissariat überhaupt zuständig ist. Da sind wir völlig unterschiedlich organisiert. Und das ist nur die Kriminalpolizei. Für Straftaten ist zusätzlich noch die Steuerfahndung zuständig, auf Bundesebene der Zoll und das Bundeskriminalamt. Und da brauchen wir tatsächlich neue Antworten, um zum Beispiel projektbezogen in der Zukunft auch Tätern auf die Spur kommen zu können und um Verbindlichkeiten innerhalb des Föderalismus herzustellen. Da sind wir in wesentlichen Teilen mit den Vorschlägen des BKA-Präsidenten einig, weil einige der Vorschläge auch von uns kommen.

Fragen nach der Qualifikation

von Billerbeck: Das heißt, das ist tatsächlich ein Jahrhundertprojekt, denn ich vermute, das war jetzt nur ein kleiner Ausschnitt aus dem, was eigentlich alles passieren müsste.
Fiedler: Sie haben vollkommen recht. Und da gibt es kurzfristige Lösungen – es bedarf Finanzmitteln, und es gibt mittelfristige Lösungen. Wir stellen uns beispielsweise vor, dass Bund und Länder Verträge miteinander eingehen, um Verbindlichkeiten im Hinblick auf die Frage herzustellen, wie viel Personal für welche Deliktsbereiche, für welche Verbrechensbereiche wir zur Verfügung halten.
Ganz wesentlicher Punkt für uns ist, wie muss das Personal qualifiziert sein? Sie müssen sich vorstellen, in ganz Deutschland gibt es keinerlei Einigkeit darüber, was ein Kriminalbeamter mindestens überhaupt können muss. In Wahrheit müssen wir uns aber darüber unterhalten, was ein Kriminalbeamter in Europa denn mindestens können muss, weil wir nämlich auch europaweit zusammenarbeiten müssen. Und daran erkennen Sie schon, das sind tatsächlich Fragen, die sind von essenzieller Bedeutung für die Verbrechensbekämpfung in den nächsten zehn und fünfzehn Jahren, und deswegen müssen wir heute Antworten finden und Entscheidungen treffen.

Wesentliche Polizeiarbeit in den Ländern

von Billerbeck: Sie haben jetzt über die Zukunft, das Jahrhundertprojekt und die Zukunft der Polizeiarbeit gesprochen. So als normaler Bürger erlebt man dann aber doch die Gegenwart und den Alltag, und da gibt es viele Einbrüche, und die Polizei sagt, die würden zu 17 Prozent aufgeklärt. Kann denn da etwas durch akute Veränderungen verbessert werden? Die Sondierer der Jamaika-Koalition haben gerade vermeldet, dass sie 7500 neue Polizistenstellen schaffen wollen. Nutzt das was?
Fiedler: Damit meinen sie aber nur die Stellen auf Bundesebene, und da kommen wir direkt zu dem Thema, was ich gerade angedeutet habe: Die wesentliche Polizeiarbeit geschieht allerdings in den Ländern. Nicht das Bundeskriminalamt bearbeitet die Einbruchskriminalität. Wie wissen andererseits schon, wie wir den Tätern auf die Spur kommen können. Weil die großen Bauchschmerzen machen uns nicht so sehr die immer noch vorhandenen Gelegenheitseinbrecher oder die Jugendlichen, die einbrechen, sondern die professionellen Täter. Und denen kommen wir nur dadurch auf die Spur, dass wir professionelle Ermittlungskommissionen zusammenstellen, die in der Lage sind, verdeckte Ermittlungsmaßnahmen durchzuführen und sich tatsächlich einer Einbrechergruppe an die Fersen zu heften.
In den Fällen, wo wir das machen, da geschieht das auch sehr erfolgreich. Wir haben nur tatsächlich, und das ist der Kern des Problems, zu wenig Personal. Und die entscheidende Frage muss lauten, wie kriegen wir in den Ländern mehr Personal. Und die Antwort liegt darin begründet, was ich gerade skizziert habe: Länder und Bund müssen miteinander Verträge eingehen und müssen verbindliche Aussagen dazu treffen, wie viel Personal sie in diesen Fragen auch zur Verfügung halten. Und dann gelingt das auch, solchen Tätergruppen auf die Spur zu kommen. Dann kriegen wir auch höhere Aufklärungsquoten, und insbesondere kriegen wir weniger Fälle.
Das ist der entscheidende Punkt, weil es für die Einbrecher dann ungemütlich wird. Auf der anderen Seite komme ich ebenfalls zum Anfang meiner Ausführungen zurück: Viele der Täter in diesen Fällen verlagern dann in andere Deliktsbereiche und verdingen sich dann in der Zukunft mit professionellen Ladendiebstählen und klauen 2000 Euro am Tag aus Läden zusammen. Wir müssen in der Zukunft flexibler sein, was die Organisation der Verbrechensbekämpfung angeht. Ich glaube, das ist die große Überschrift der Zukunft.
von Billerbeck: Also ein Jahrhundertprojekt, wie vom BKA-Chef formuliert. Darüber wird diskutiert bei der Herbsttagung des Bundeskriminalamts. Die ganze Sachlage hat uns geschildert – sagen wir, in Auszügen – Sebastian Fiedler, der Stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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