Herdenimmunität

Epidemiologe Markus Scholz bremst die Zuversicht

08:27 Minuten
Illustration von einem runden, leeren Raum im Zentrum einer Menschenmenge.
Angesichts der zu niedrigen Impfquote wird eine Herdenimmunität in Deutschland vorerst wohl kaum erreicht, sagt der Epidemiologe Markus Scholz. © imago / Ikon Images / Oivind Hovland
Markus Scholz im Gespräch mit Dieter Kassel |
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Wenig Hoffnung auf eine Herdenimmunität macht der Leipziger Epidemiologe Markus Scholz. Er fordert angesichts der vierten Welle mehr Schutz für die Schulen. Eltern und Kontaktpersonen sollten geimpft sein, um Covid-19 nicht in die Klassen zu tragen.
Angesichts niedriger Inzidenzwerte und zunehmender Lockerung der Coronaregeln glauben viele Menschen die Pandemie sei bereits vorbei. Sie hoffen auf eine Rückkehr zur Normalität, weil immer mehr Menschen bereits beimpft sind. Dabei ist auch immer wieder von einer "Herdenimmunität" die Rede, die erreicht werden könne.

Die Impfquote ist zu niedrig


Der Epidemiologe Markus Scholz ist da skeptisch. Der Professor für Medizinische Informatik an der Universität Leipzig sagt, eine vierte Welle sei nicht vermeidbar. Es sei unklar, ob es zu einer Herdenimmunität überhaupt kommen werde, bei der das Virus sich nicht mehr weiterverbreiten könne. "Das ist schon möglich, dass man so einen Zustand erreicht", so Scholz. "Die Frage ist, bloß, ob der dauerhaft erreichbar ist." Dagegen spreche, dass ständig neue Varianten entstünden.
Ob es gelinge, eine Herdenimmunität zu erzielen, hänge von mehreren Faktoren ab, sagt Scholz: Er nennt die Impfquote, das Kontaktverhalten und die Jahreszeiten. Bei der Delta-Variante müsse die Impfquote über 80 Prozent liegen. Das sei aber bisher nicht in Sichtweite – auch weil Kinder und Jugendliche nicht geimpft würden. "Solange das der Fall ist, wird eine Herdenimmunität nicht erreichbar sein."

Durch die Impfungen von Erwachsenen gebe es bereits weniger schwere Corona-Erkrankungen, so Scholz. Durch die Delta-Variante werde es zwar zu mehr Infektionen kommen, aber diese würden weniger kritisch ausfallen. "Wir rechnen bei der vierten Welle nicht mit einer Überlastung des Gesundheitssystems, wie wir das bei anderen Wellen hatten, aber mit hohen Zahlen."
Doch angesichts der Risiken von Long-Covid sei nicht zu wünschen, dass sich jetzt alle infizieren, die noch nicht geimpft sind.

Schutz für die Schulen

Deshalb sei es wichtig, nach den Sommerferien die Schulen zu schützen, damit sich in der vierten Welle nicht alle Kinder und Jugendlichen infizierten. "Das wäre zu riskant", sagt der Epidemiologe. In den Schulen hätten sich die Tests zweimal in der Woche bewährt. Außerdem seien Raumluftfilteranlagen nötig.
"Es wäre ein großer Vorteil, wenn alle Eltern und Kontaktpersonen der Kinder und Jugendlichen geimpft sind", erklärt Scholz weiter. Eine Kampagne für diese Impfungen des Umfelds wäre sinnvoll, um Corona möglichst nicht in die Schulen hineinzutragen.
Sein Ausblick: "Ich rechne damit, dass man in den Schulen Hygiene-Konzepte aufrecht erhalten muss." Denn, so Scholz, gerade bei Kinder und Jugendlichen könnten chronische Erkrankungen durch Long-Covid das ganze Leben begleiten.
(gem)


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