"Es geht um Respekt"
Die deutsche Regierung ist vor einem New Yorker Bezirksgericht angeklagt: Vertreter der Herero und Nama wollen so erreichen, an Verhandlungen über den Genozid zu Kolonialzeiten beteiligt zu werden. Der Aktivist Israel Kaunatjike verfolgt jeden Prozesstag aufmerksam von Berlin aus.
Israel Kaunatjike steht in seinem Wohnzimmer vor der Stereoanlage. Das kurze Haar und der Bart sind ergraut, leise summt er mit, bewegt sich rhythmisch zur Musik:
"Oh, krieg ich Gänsehaut."
Für einen kurzen Moment schließt der 70-Jährige die Augen, lässt seine Faust in die Luft schnellen. "Winds of Change" - heißt der Song von Jackson Kaujeua, einer der großen namibischen Freiheitskämpfer.
In seinem Regal sind viele Erinnerungen an seine Heimat Namibia verstaut. Kaunatjike zieht ein weiteres Album heraus:
"Das ist der Samara Herero. Das war der, der Widerstand organisiert hat."
Ein Leben geprägt vom Widerstand
Widerstand – ein Wort, das Israel Kaunatjikes Leben prägt. Aufgewachsen ist er in Namibia in einer sogenannten "Old Location", in der damals nur Menschen mit dunkler Hautfarbe leben.
"Apartheid, das ist Rassismus pur gewesen, das heißt, du darfst als Schwarzer Mensch überhaupt nicht in Parks sitzen, wo die weißen Bürger sitzen und das war die sogenannte non-whites and whites-Geschichte in Parks. Ob du zur Fleischerei gehst, bei der Post, da waren immer zwei Reihen, eine für die Schwarzen, eine für die Weißen und das hat mir auch nicht gefallen. Im Grunde genommen, wenn du in einer solchen Situation groß geworden, bist du so total politisiert."
Er hält die Unterdrückung nicht mehr aus. Er will etwas ändern, schließt sich in den 60er-Jahren der SWANU-Partei an, um gegen die Apartheid zu kämpfen. Da war er gerade mal 17 Jahre alt. Doch er muss fliehen und landet schließlich in Westberlin.
In Westberlin Asyl beantragt
Dort beantragt er politisches Asyl. Weil er als Herero gegen die Apartheid kämpft, bekommt er es, und arbeitet zunächst als Heizungsmonteur in Berlin. Mit der Kolonialgeschichte seiner neuen Heimat Deutschland setzt er sich erst viel später auseinander:
"Ich hab das später erfahren, weil ich bin in einem Apartheidsstaat groß geworden, für uns war Apartheid abzuschaffen einfach, das war für uns nur Apartheid zu bekämpfen. Und die deutsche Geschichte war im Hintergrund, dadurch kam das einfach später alles."
Erst mit 50 fängt Kaunatjike an, Fragen zu stellen. Begibt sich 2004 mit dem Dokumentarfilmer Martin Baer auf Spurensuche. Erfährt, dass er deutsche Vorfahren hat, die während der Kolonialzeit in Namibia stationiert waren. Kennengelernt hat er sie nie, es war ein Tabu in seiner Familie.
Forderung nach Respekt und Widergutmachung
Er will nicht länger schweigen, setzt sich heute dafür ein, dass das dunkle Kapitel seiner zwei Heimatländer aufgearbeitet wird:
"Wir wollen unsere – wie sagt man – Würde noch mal herstellen. Anerkennung, Würde, Menschenwürde, das ist für uns das Wichtigste überhaupt. Es geht nicht nur um Geld, materiell, es geht um Respekt, von Menschen, 100.000 Menschen, die damals umgekommen sind."
Viele Herero sind heute arm, sagt er. Deutschland hat Namibia zwar beim Aufbau des Landes finanziell unterstützt, Entwicklungshilfe geleistet, doch Wiedergutmachung sieht für den Herero Israel Kaunatjike anders aus. Deutsche Nachfahren leben heute auf dem Land, das früher den Herero gehörte.
"Wir wollen unser Land teilweise wieder zurückhaben, weil, erstens haben wir auch vertriebene Herero, die heute in Botsuana leben, in Südafrika leben, da sind Tausende von Menschen und manche wollen auch nach Hause nach Namibia."
Herero wollen mit am Tisch sitzen
Und noch etwas möchten die Herero. Sie wollen mit am Tisch sitzen, wenn die deutsche Regierung mit Namibia über die Anerkennung des Völkermords, eine Entschuldigung und auch finanzielle Leistungen verhandelt. Israel Kaunatjike spricht ruhig, lässt sich seine Empörung kaum anmerken. Und doch, es brodelt in ihm:
"Sie können nicht ohne uns reden über uns. Das heißt, wenn die über uns reden ohne uns, das ist gegen uns."
Um das zu erreichen, haben Vertreter der Herero die Bundesregierung vor einem New Yorker Bezirksgericht verklagt. Israel Kaunatjike verfolgt jeden Prozesstag, eine Kopie der Klage liegt auf seinem Tisch.
Dass die deutsche Regierung bis heute keinen offiziellen Vertreter zur Verhandlung geschickt hat, versteht er nicht:
"Deutschland versucht, sich total billig zu verkaufen, finde ich total dumm, sie versuchen -als großes Land- Sachen zu vertuschen. Das macht mich wütend, es ist respektlos, vielleicht weil wir Afrikaner sind, keine Ahnung."
Ein Stück Namibia in Berlin
Trotzdem: Deutschland bleibt für ihn Heimat. Seine Kinder leben hier und seine acht Enkelkinder. Und Namibia? Wird auch immer sein Zuhause sein, sagt Israel Kaunatjike. Regelmäßig fliegt er dorthin, um seine Familie zu sehen. Liebevoll blickt er auf die Fotos, die an den Wänden im Wohnzimmer hängen. Bruder und Mutter sind darauf zu sehen. Ein Stück Namibia hat er sich nach Berlin geholt, er nimmt ein kleines Tongefäß in die Hand, aus dem man trinkt, und lächelt andächtig.
"Das hab ich von meiner Tante aus Namibia, dass ich immer daran denke, wie wir Herero ungefähr leben."