Herfried Münkler: Der Dreißigjährige Krieg, Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618-1648
Rowohlt Berlin, 2017
912 Seiten, 39,95 Euro
Eine Blaupause für heutige Kriege?
Der Historiker Herfried Münkler analysiert in "Der Dreißigjährige Krieg" minutiös damalige Schlachten und strategische Schachzüge. Zugleich geht er der Frage nach, ob Kriegsunternehmer wie Wallenstein vergleichbar sind mit heutigen Warlords?
"Ist der Dreißigjährige Krieg womöglich so etwas wie eine Blaupause für die Kriege des 21. Jahrhunderts?" Mit dieser Leitfrage strebt der Politikwissenschaftler Herfried Münkler an, sich von einer als "antiquarisch" kritisierten, rein quellen- und faktenbezogenen Geschichtswissenschaft deutlich abzuheben. Vielmehr versucht er aus der theoretischen Abstraktion einzelner Kriegsphasen "analoge Strukturen" herauszudestillieren, die sich auf die heutigen Kriege im Nahen Osten, in der Maghrebregion und in der Sahelzone übertragen lassen und so deren Verständnis vertiefen.
Mit Blick auf den heutigen sicherheitspolitischen Diskurs beklagt der Autor: "Die Erörterung politischer Herausforderungen im Horizont moralischer Normen und Imperative ist vielfach an die Stelle strategischen Denkens getreten." Daher will Münkler seine sehr detaillierte Darstellung der großen Schlachten auch als eine einführende Übung in militärisch- strategisches Denken verstanden wissen.
Mit Blick auf den heutigen sicherheitspolitischen Diskurs beklagt der Autor: "Die Erörterung politischer Herausforderungen im Horizont moralischer Normen und Imperative ist vielfach an die Stelle strategischen Denkens getreten." Daher will Münkler seine sehr detaillierte Darstellung der großen Schlachten auch als eine einführende Übung in militärisch- strategisches Denken verstanden wissen.
Zweck der ausufernden Schlachtendarstellungen bleibt fraglich
Mitunter verrät sein ausgeprägtes Interesse für jedes minutiöse Detail jeder Schlacht, für ihre Aufstellung und die taktischen und strategischen Schachzüge ihrer Heerführer genau jenes rein "antiquarische" Interesse, das er mit Nietzeanischer Verve bei Historikern gerne belächelt. Denn der Zweck dieser ausufernden Schlachtendarstellungen bleibt fraglich– ist doch die Kriegstechnik von damals für irgendeine "strukturelle Analogie" zur Gegenwart viel zu verschieden von der heutigen.
Von dieser Schwäche abgesehen gelingt es Münkler glänzend, die verschiedenen Kriegsformen zu differenzieren, ihre jeweiligen politischen Implikationen zu analysieren und das höchst verwickelte Knäuel unterschiedlichster Interessen und gleichzeitiger Handlungsverläufe zu sezieren. Erst dadurch wird das Vertragswerk von 1648 und seine damit geschaffene neue Ordnung Europas als ein diplomatisches Meisterwerk deutlich, das in der Tat verführt, es auf heutige Friedensbemühungen im Nahen Osten zu übertragen.
Von dieser Schwäche abgesehen gelingt es Münkler glänzend, die verschiedenen Kriegsformen zu differenzieren, ihre jeweiligen politischen Implikationen zu analysieren und das höchst verwickelte Knäuel unterschiedlichster Interessen und gleichzeitiger Handlungsverläufe zu sezieren. Erst dadurch wird das Vertragswerk von 1648 und seine damit geschaffene neue Ordnung Europas als ein diplomatisches Meisterwerk deutlich, das in der Tat verführt, es auf heutige Friedensbemühungen im Nahen Osten zu übertragen.
Sind Kriegsunternehmer von damals die Warlords von heute?
Sind die Kriegsunternehmer von damals, wie Wallenstein und von Mansfeld, nicht vergleichbar den heutigen Warlords, die mit ihren Stammesgenossen im Afghanistan-Krieg ihr brutales Kriegsgeschäft betreiben? Hatte die Religion in diesem Konfessionskrieg die Gewaltbereitschaft der Kombattanten nicht genauso erhört wie der islamistische Dschihad heute? Hat die Entstaatlichung des Krieges durch marodierende Banden ganze Regionen nicht genauso verwüstet und ihre Bewohner vertrieben wie heute der IS und die verschiedenen radikalen Splittergruppen im Nahen Osten? Verlängern nicht heute externe Mächte den Nahost-Krieg genauso wie damals das Eingreifen Schwedens und Frankreichs den Dreißigjährigen Krieg?
Als der Krieg nach Erschöpfung fast aller menschlicher und materieller Ressourcen endete, gelang es, den Konfessionskonflikt zu befrieden. Die umstrittene Vorherrschaft der Habsburger im Römischen Reich deutscher Nation wurde bestätigt und das Kriegswesen wurde verstaatlicht. All das lässt sich im Nahen Osten von heute nicht verwirklichen, nach Trumps Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels weniger denn je. So bleibt der Erkenntnismehrwert aus den "strukturellen Analogien" am Ende gering, wie Münkler selbst nüchtern eingesteht. Aber wie schon Jacob Burckhardt als Historiker optimistisch wusste: "Das Studium der Geschichte macht nicht klug für ein andermal, sondern nur weise für immer."