"Angst ist ein sehr gefährlicher Ratgeber"
Die AfD ist zweistellig in den Bundestag eingezogen. Doch jetzt in Angststarre zu verfallen oder gar zu versuchen, sich inhaltlich anzunähern, sei der falsche Weg, sagt Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Die AfD müsse politisch bekämpft werden.
Die AfD zieht in den Bundestag ein – und nun? Müssen wir uns Sorgen machen, gar Angst haben, vor dem Rechtsruck, der damit einhergeht?
Für den Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler ist Angst in dieser Situation kein guter, sogar ein gefährlicher Ratgeber.
"Man muss sie in Furcht verwandeln – ein diffuses Bedrohtheitsempfinden verwandeln in eine objektbezogene Disposition. Und das kann Politik bearbeiten. Angst können Sie nicht bearbeiten."
Politische Annährung hat der CSU nichts gebracht
Am Beispiel Bayern könne man gut sehen, dass es ebenfalls nichts bringe, sich der AfD inhaltlich anzunähern. In Bayern musste die CSU dennoch dramatische Verluste hinnehmen, die AfD hingegen legte deutlich zu.
"Es ist obendrein für unsere politische Kultur gefährlich. Man muss also zusehen, dass man diese Partei politisch stellt, ihre Widersprüche herausarbeitet und vor allem auch darauf setzt, dass nunmehr im Gefühl der Macht, die sie erkennbar haben, die Kämpfe der Männer und Frauen beginnen."
Münkler sagte, er sei überzeugt, "dass Frauke Petry in den nächsten Wochen oder Monaten gestürzt werden wird. Und damit muss man schon den Wählern deutlich machen, dass viele von ihnen – einige Millionen – ein Partei gewählt haben, die im Prinzip für die großen Fragen der deutschen Politik keine Antwort hat."
Der Politikwissenschaftler betonte: "Das ist eine Herausforderung, der man sich stellen muss."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Das vorläufige amtliche Endergebnis der Bundestagswahl liegt nun vor und in mehreren Punkten, auch in diesem einen, auf den ich gerade kommen möchte, ändert das nichts an dem, was schon gestern Abend ziemlich früh klar war, nämlich: Die drei Regierungsparteien – die CDU, die CSU und die SPD – haben stark verloren und alle anderen Parteien, die im künftigen Bundestag vertreten sein werden, die haben gewonnen, wenn auch in deutlich unterschiedlichem Ausmaß. Diese Anmerkung stelle ich ganz bewusst dem Gespräch vor, das wir jetzt mit Herfried Münkler führen wollen. Er ist Professor für die Theorie der Politik an der Berliner Humboldt-Universität und zurzeit, noch bis zum Ende dieses Monats, Carl Friedrich von Siemens Fellow in München. Dort ist er deshalb heute Morgen auch, schönen guten Morgen nach München, Herr Münkler!
Herfried Münkler: Guten Morgen!
Kassel: Eine Große Koalition stärkt immer die politischen Ränder. Das ist unbestritten, weil es ja immer schon so gewesen ist. Kann man insofern sagen, das, was wir gestern erlebt haben als Ergebnis der Bundestagswahl, ist eigentlich gar nicht besonders erstaunlich?
Münkler: Es ist in mancher Hinsicht nicht erstaunlich und andererseits doch wieder erstaunlich, jedenfalls was das Ausmaß der Stärkung der Ränder anbetrifft. Und wenn man den demoskopischen Analysen der Wählerwanderung vertrauen darf – dafür gibt es in diesem Fall gute Gründe –, dann muss man sagen, die Abwanderung von den beiden großen Parteien, insbesondere zu der blauen Partei, ist schon weit über das hinaus, was man noch Ende August, Anfang September erwartet hat. Und insofern ist es doch dann eine erstaunliche Wahl vom Ergebnis her.
Was hat die AfD beflügelt?
Kassel: Haben Sie eigentlich eine Erklärung dafür, dass das alles ja wirklich in den letzten Tagen des Bundestagswahlkampfs passiert zu sein scheint? Wenn man die Prognosen der vergangenen Woche betrachtet, diese Verluste für die regierenden Parteien und die Zuwächse der anderen, das hat sich noch mal kurz vor der Wahl ja offenbar stark verändert.
Münkler: Ja, ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass es eine Erklärung ist, es ist vielleicht auch eine Spekulation, aber es hat sicher auch damit was zu tun, dass in den letzten Wochen vor der Wahl über die AfD und ihre Themen sehr, sehr viel geredet worden ist, sodass also plötzlich das Flüchtlingsthema, das ja eigentlich im Verlauf dieses Jahres keine so zentrale Rolle gespielt hat, in den Vordergrund getreten ist und die Botschaften der großen Parteien eher randständig gewesen sind. In gewisser Hinsicht hat das mit dem Duell Merkel-Schulz – Duell in Anführungszeichen – begonnen und hat sich dann sicherlich auch durch eine geschickte Provokationsstrategie der AfD, die dazu genötigt hat, sich mit ihr, aber nicht mit ihren fehlenden Inhalten auseinanderzusetzen, verstärkt. Das ist im Wesentlichen die Erklärung, die mir jedenfalls plausibel erscheint.
Kassel: Nun sagt jetzt nach der Wahl sehr, sehr deutlich der SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz – aber zum Beispiel Ursula von der Leyen hat das auch gesagt gestern in einer Talkshow –, sie würden sich jetzt ja doch mal sehr darüber ärgern, dass so viele konkrete Themen gar nicht diskutiert worden seien in diesem Wahlkampf. Ist das nicht ein bisschen absurd? Ich meine, wer außer den Parteien, die sie diskutieren wollen, sollen sie denn auf die Agenda setzen, diese Themen?
Münkler: Na ja, auf die Agenda setzen es die Parteien, aber die Parteien sind angewiesen darauf, dass es einen Resonanzraum gibt. Und diesen Resonanzraum bieten dann in mancher Hinsicht auch die Medien. Und ich bin jetzt ganz weit weg von Medienschelte, es hat sich jedenfalls so entwickelt, dass diese Themen nicht die zentrale Rolle gespielt haben, dass die Parteien mit ihnen nicht durchgedrungen sind. Man kann sagen, offenbar ist das Wahlverhalten doch in sehr viel höherem Maße durch bestimmte kulturalistische Ängste und Sagen bestimmt worden als durch soziale Fragen. Das zeigen die Wähleranalysen ja auch. Und dann haben Parteien ein Problem, wenn sie einen Wahlkampf führen, der auf soziale Fragen ausgelegt ist, aber die Leute interessieren sich dafür nur mäßig, oder jedenfalls ist das nicht die erste Präferenz ihrer Wahlentscheidung.
Kassel: Aber wie soll es nun weitergehen? Es stellt sich ja offenbar für mindestens die CSU, aber ich habe auch schon ein paar solcher Töne aus der CDU gehört, zum Beispiel vom Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, es stellen sich ja offenbar tatsächlich jetzt Fragen wie: Sollen wir uns der AfD jetzt thematisch annähern und die Sorgen der Menschen ernst nehmen, indem wir ähnlich argumentieren, oder sollen wir das ganz anders machen? Was würden Sie denen denn raten?
Sich inhaltlich anzunähern, bringt nichts
Münkler: Ganz anders machen nicht. Wenn man versucht, sich auf diese Fragen einzulassen, dann wird man tatsächlich, wie Gauland das gestern erklärt hat, zum Gejagten und man gerät dann in einen Prozess hinein, in dem die Rhythmik von den anderen vorgegeben wird. Ich glaube, das ist das ganz Falsche, sondern na ja, man muss zunächst einmal einen guten Blick darauf werfen, dass das Wahlverhalten in den alten und den neuen Bundesländern natürlich auch sehr unterschiedlich ist und dass das zweistellige Ergebnis der AfD wesentlich durch die Abstimmungen im Osten zustande gekommen sind, teilweise auch in den süddeutschen Bundesländern, insbesondere in Bayern, wo man sich ja erstaunlicherweise eher in Richtung gewissermaßen dieser kulturalistischen Bedenken genähert hat und das offenbar nichts geholfen hat, um diese Partei einzudämmen. Von daher glaube ich, es macht keinen Sinn, sich darauf einzulassen, sich denen anzunähern unter parteitaktischen Gesichtsgründen, es ist obendrein für unsere politische Kultur gefährlich.
Man muss also zusehen, dass man diese Partei politisch stellt, ihre Widersprüche herausarbeitet und vor allen Dingen auch darauf setzt, dass nunmehr im Gefühl der Macht, die sie erkennbar haben, die Kämpfe der Männer und der Frauen gegeneinander beginnen. Ich glaube, dass Frau Petry in den nächsten Wochen, Monaten gestürzt werden wird. Und damit muss man schon auch den Wählern deutlich machen, dass man hier etwas gewählt hat oder dass viele von ihnen, einige Millionen eine Partei gewählt haben, die im Prinzip für die großen Fragen der deutschen Politik keine Antwort hat.
Kassel: Macht Ihnen die politische Entwicklung, die wir da gerade beobachten, Angst?
Münkler: Ach nein. Wissen Sie, das Problem beim Wahlverhalten des gestrigen Tages ist ja, dass dabei so viel Angst eine Rolle gespielt hat. Angst ist in der Politik ein sehr gefährlicher Ratgeber. Man muss sie in Furcht verwandeln, also sozusagen ein diffuses Bedrohtheitsempfinden verwandeln in eine objektbezogene Disposition. Und das kann Politik bearbeiten. Angst kann sie nicht bearbeiten. Also, ich habe da jetzt keine Angst, sondern ich glaube, das ist eine Herausforderung, der man sich stellen muss.
Kassel: Herfried Münkler, vielen Dank für das Gespräch!
Münkler: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. DLFKultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.