Heribert Prantl zur Leipziger Silvesternacht

"Polizei darf Konflikte nicht weiter anheizen"

05:53 Minuten
Polizisten stehen an einer Kreuzung im Stadtteil Connewitz. In der Neujahrsnacht ist es dort zu Zusammenstößen zwischen Linksautonomen und der Polizei gekommen.
Nach dem Einsatz in Leipzig wird die Polizei stark für ihr Vorgehen kritisiert. © picture-alliance/dpa/Sebastian Willnow/
Heribert Prantl im Gespräch mit Axel Flemming |
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Nach den Silvestereinsätzen der Polizei erinnert der Journalist Heribert Prantl daran, dass die Beamten nicht zur Partei werden dürften. Der Jurist kritisiert die fehlerhafte Öffentlichkeitsarbeit.
Der Polizeieinsatz in der Silvesternacht in Leipzig soll kritisch aufgearbeitet werden. Das kündigte der sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU) an. Im Leipziger Stadtteil Connewitz war es in der Silvesternacht zu schweren Ausschreitungen gekommen, bei denen mehrere Zivilisten und Polizeibeamte verletzt wurden.

Kritik an Öffentlichkeitsarbeit

"Es gab ja wirklich sehr verschiedene Polizeiberichte", sagt unser Studiogast, der Journalist Heribert Prantl. Zunächst habe es geheißen, eine Gruppe von Gewalttätern habe versucht, einen brennenden Einkaufswagen mitten in eine Einheit der Bereitschaftspolizei zu schieben. "Später hieß es, dieser brennende Wagen wurde in Richtung der Beamten geschoben", so der frühere Innenpolitikchef der "Süddeutschen Zeitung". Ähnlich sei es mit den Verletzungen gewesen. Erst habe es geheißen, ein Beamter hätte notoperiert werden müssen. Später sei diese Meldung aber zurückgenommen worden – offenbar nach Informationen aus dem Krankenhaus. Es habe wohl nur eine kleinere Operation mit örtlicher Betäubung an der Ohrmuschel gegeben.
Heribert Prantl, früher Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung". 
Der Journalist Heribert Prantl© picture-alliance/dpa/Karlheinz Schindler
Die Morgennachrichten hätten alle diese Polizeimeldungen übernommen, weil sie eine gewisse Autorität genießen und man das auf die Schnelle nicht nachprüfen könne. "Aber man hatte schon den Eindruck und das darf nicht sein, dass sich die Polizei zur Partei macht." Trotz des Aktualitätsdrucks dürfe die Polizei doch keine Unwahrheiten verbreiten, kritisiert der Jurist. "Ich kann etwas dazu sagen, wenn ich etwas klar und deutlich weiß – ich kann nicht Notoperationen behaupten."

Pflicht der Polizei zur Deeskalation

Bei Polizeieinsätzen in heiklen Situationen gehe es immer um Deeskalation. "Polizei darf nicht eskalieren, darf Konflikte nicht weiter anheizen", so Prantl. Dazu gebe es eine sehr gute Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1985 in Folge der großen Demonstrationen gegen die Atomkraftwerke in Brokdorf. Die Karlsruher Richter hätten damals gesagt, "es gibt eine Pflicht der Polizei zur Kooperation und zur Kommunikation sowie zu einer professionellen Öffentlichkeitsarbeit der Polizei." Seiner Ansicht nach sollten im Polizeiunterricht einmal wieder solche alten Urteile des Bundesverfassungsgerichts gelehrt und diskutiert werden.
Der Polizeipräsident von Leipzig habe stattdessen Kritik an seinen Leuten in einer Pressemitteilung als "erschreckend" bezeichnet. "Das geht nicht", so Prantl. "Wenn es Kritik gibt, muss er die Kritik prüfen." Die Staatsanwaltschaft sei nicht nur dazu da, Haftbefehle zu erlassen, sondern Kritik an der Polizei anzunehmen. Wenn es so sei, dass falsche Polizeiberichte herausgegeben würden, dann sollte die Staatsanwaltschaft künftig schon überlegen, dass sie Herrin des Ermittlungsverfahrens sei und deshalb auch die Öffentlichkeitsarbeit übernehmen sollte.
(gem)

Der Journalist Heribert Prantl, geboren 1953, war 25 Jahre lang Leiter des Ressorts Innenpolitik der "Süddeutschen Zeitung", dann Leiter des Ressorts Meinung. Acht Jahre lang war er Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung. Seit seinem altersbedingten Ausscheiden ist er weiter als Kolumnist und Autor tätig und lehrt als Honorarprofessor für Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld. Prantl ist der Autor zahlreicher Bücher, zuletzt "Vom großen und kleinen Widerstand" (2018).

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