Herrschaft über die Zeit
Viele Menschen planen ihre Tage, Wochen und Monate mit einem Kalender. Dabei dürfte ihnen aber kaum bewusst sein, wie umfassend und nachhaltig der Kalender unseren Alltag, unsere Zeitrhythmen, unser Denken und Fühlen prägt. Jörg Rüpke zeichnet in seinem Buch "Zeit und Feste" die Geschichte des Kalenders von der Antike bis zur Gegenwart nach und präsentiert überraschende wie faszinierende Erkenntnisse über diesen wirkungsmächtigen kulturellen Zeitgeber.
Um die Kulturgeschichte des Kalenders und der Feste geht es Jörg Rüpke in seinem neuen Buch "Zeit und Feste". Rüpke, Professor für Vergleichende Religionswissenschaft an der Universität Erfurt, interessiert sich in erster Linie für die gesellschaftspolitische Bedeutung von Kalendern. Welchen Kalender gibt sich eine Kultur oder Gesellschaft? Was haben Regierungen davon, dass ganz bestimmte Feste den Lauf des Jahres strukturieren? Welche Feiern kommen hinzu, welche werden abgeschafft – und wer baut damit seine Macht aus? Das sind die Fragen, die den Autor interessieren. Rund 250 Seiten Platz nimmt er sich dafür – Abbildungen gibt es hin und wieder, aber sie machen nicht den Schwerpunkt des Buches aus. Jörg Rüpke möchte die Geschichte des Kalenders weder mit Worten noch mit Bildern illustrieren, sondern er möchte sie in Beziehung setzen zu gesellschaftlichen und machtpolitischen Entwicklungen.
Sehr schön arbeitet Jörg Rüpke heraus, dass die vielen unterschiedlichen Kalendersysteme, die es auf der Erde gibt, den Kalender zu weit mehr machen als einer Abbildung der "natürlichen" Ordnung der Dinge. Sicherlich sind alle lebenden Wesen natürlichen Rhythmen unterworfen und haben in der einen oder anderen Weise ein Gespür für Tageszeiten, Jahreszeiten und zyklische Veränderungen der Umwelt. Der denkende Mensch konnte sich diese Rhythmen bewusst machen, darin liegt der Ursprung der verschiedenen Kalendersysteme. Doch was die Menschen tun mit den Rhythmen, die in ihnen wirken und von denen sie sich umgeben fühlen, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Es ist in erster Linie die Religion, erklärt der Autor, die nach zuverlässig bestimmbaren Daten verlangte, um kultischen Verpflichtungen nachzukommen. Ein Blick in die Frühzeit der Menschheitsgeschichte zeigt, dass die ältesten Kalendersysteme Mondkalender waren. Die Nomadenvölker der Altsteinzeit haben den Tag nach der Position des Mondes auf dem Fixsternhimmel bestimmt, also vor den Sternkreiszeichen. Spätere Mondkalender orientieren sich an den Mondphasen. Der Mond, sagt Rüpke, ist ein sehr demokratischer Zeitgeber. Jeder kann sehen, wo der Mond steht, und die Zeit überprüfen. "Wir treffen uns bei Vollmond", so lautet eine alte Verabredung für Feste – und niemand ist davon abhängig, darüber informiert zu werden, wann dieser Vollmond wohl stattfindet. Anders mit der Sonne: Es ist viel schwieriger, den genauen Zeitpunkt von Sonnenauf- und -untergang zu bestimmen, hier sind Spezialisten gefordert – und Spezialisten verfügen immer über eine besondere Macht innerhalb einer Gesellschaft.
Der Vorteil des Sonnenkalenders gegenüber einem Mondkalender liegt darin, dass die Jahreszeiten sich im Laufe der Zeit nicht verschieben. Dazu muss allerdings nachjustiert werden, denn aufgrund von Bahnstörungen und anderen Faktoren dreht sich die Erde nicht immer in exakt dem gleichen Zeitraum um die Sonne. Legionen von Astronomen haben gerechnet, um die optimalen Korrektur-Faktoren herauszufinden. Man kann Schalttage oder Schaltjahre einführen – und diese Unsicherheit, so zeigt Rüpke sehr schön, bietet für die Obrigkeiten die Möglichkeit, ihre Experten zu installieren und ihre Vorstellungen durchzusetzen. Wer die Herrschaft über die Zeit ausübt, der beherrscht eben den Alltag, den Grundrhythmus der Menschen. Diese Macht hat im Laufe der Geschichte sowohl religiöse wie weltliche Herrscher interessiert.
Als Julius Cäsar seinen Kalender einführte, ging ihm nicht nur um Zeiteinteilung – es ging ihm auch darum, Feste in diesem Kalender zu verankern, die seine Herrschaft feierten und festigten. Auch als Papst Gregor XIII. den Julianischen Kalender reformierte, ging es nicht einfach darum, eine noch exaktere Zeitrechnung einzuführen, sondern die römischen Päpste versuchten im Zuge dieser Reform, die Regelungshoheit über alle Kalenderangelegenheiten zu erlangen. Regionale Kalender sollten abgeschafft werden, es sollte nur noch einen universalen Kalender geben, auf den allein der Papst Zugriff hatte. Das rief natürlich den Protest der protestantischen Länder und Städte hervor. Sie weigerten sich in ganz Europa, den neuen Kalender des Papstes zu akzeptieren. Jahrhunderte lang herrschte in Europa ein Sammelsurium an Daten, in jedem Kleinstaat ging die Uhr ein wenig anders. Die evangelischen Territorien des Deutschen Reichs etwa übernahmen den gregorianischen Kalender erst 1700. Die protestantischen Herrscher haben den Gregorianischen Kalender erst dann übernommen, als sie mit ihrer Definitionsmacht fest im Sattel saßen und den römischen Kalender problemlos mit den fest etablierten, lokalen, protestantischen Festkalendern fusionieren konnten.
So spannend sich das anhört – Rüpkes Buch ist keine leichte Kost. Es liefert eine Fülle von Details, die meisten davon beziehen sich auf die römische Geschichte – verständlicherweise, denn Jörg Rüpke verfolgt "unsere" Kalendergeschichte, und die geht nun einmal von dem römischen Julianischen Kalender hin zum Gregorianischen Kalender. Dennoch bewegt sich das Buch hier manchmal hart an der Grenze vom populärwissenschaftlich geschriebenen Sachbuch zu einem Fachbuch der spezielleren römischen Kalendergeschichte. Um dem populärwissenschaftlichen Anspruch des Buches gerechter zu werden, hätte es sehr geholfen, wenn der Autor sich hin und wieder zu einer zusammenfassenden Passage entschieden hätte, doch die sucht man meist vergebens. Das ist schade, denn der Autor hat für sein Buch zur Kulturgeschichte des Kalenders eine interessante Perspektive gewählt – und leider fehlt es ihm ein wenig am Mut zur Populärwissenschaft.
Jörg Rüpke: Zeit und Fest - Eine Kulturgeschichte des Kalenders
Ch. Beck Verlag
256 Seiten, 23,60 Euro
Sehr schön arbeitet Jörg Rüpke heraus, dass die vielen unterschiedlichen Kalendersysteme, die es auf der Erde gibt, den Kalender zu weit mehr machen als einer Abbildung der "natürlichen" Ordnung der Dinge. Sicherlich sind alle lebenden Wesen natürlichen Rhythmen unterworfen und haben in der einen oder anderen Weise ein Gespür für Tageszeiten, Jahreszeiten und zyklische Veränderungen der Umwelt. Der denkende Mensch konnte sich diese Rhythmen bewusst machen, darin liegt der Ursprung der verschiedenen Kalendersysteme. Doch was die Menschen tun mit den Rhythmen, die in ihnen wirken und von denen sie sich umgeben fühlen, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Es ist in erster Linie die Religion, erklärt der Autor, die nach zuverlässig bestimmbaren Daten verlangte, um kultischen Verpflichtungen nachzukommen. Ein Blick in die Frühzeit der Menschheitsgeschichte zeigt, dass die ältesten Kalendersysteme Mondkalender waren. Die Nomadenvölker der Altsteinzeit haben den Tag nach der Position des Mondes auf dem Fixsternhimmel bestimmt, also vor den Sternkreiszeichen. Spätere Mondkalender orientieren sich an den Mondphasen. Der Mond, sagt Rüpke, ist ein sehr demokratischer Zeitgeber. Jeder kann sehen, wo der Mond steht, und die Zeit überprüfen. "Wir treffen uns bei Vollmond", so lautet eine alte Verabredung für Feste – und niemand ist davon abhängig, darüber informiert zu werden, wann dieser Vollmond wohl stattfindet. Anders mit der Sonne: Es ist viel schwieriger, den genauen Zeitpunkt von Sonnenauf- und -untergang zu bestimmen, hier sind Spezialisten gefordert – und Spezialisten verfügen immer über eine besondere Macht innerhalb einer Gesellschaft.
Der Vorteil des Sonnenkalenders gegenüber einem Mondkalender liegt darin, dass die Jahreszeiten sich im Laufe der Zeit nicht verschieben. Dazu muss allerdings nachjustiert werden, denn aufgrund von Bahnstörungen und anderen Faktoren dreht sich die Erde nicht immer in exakt dem gleichen Zeitraum um die Sonne. Legionen von Astronomen haben gerechnet, um die optimalen Korrektur-Faktoren herauszufinden. Man kann Schalttage oder Schaltjahre einführen – und diese Unsicherheit, so zeigt Rüpke sehr schön, bietet für die Obrigkeiten die Möglichkeit, ihre Experten zu installieren und ihre Vorstellungen durchzusetzen. Wer die Herrschaft über die Zeit ausübt, der beherrscht eben den Alltag, den Grundrhythmus der Menschen. Diese Macht hat im Laufe der Geschichte sowohl religiöse wie weltliche Herrscher interessiert.
Als Julius Cäsar seinen Kalender einführte, ging ihm nicht nur um Zeiteinteilung – es ging ihm auch darum, Feste in diesem Kalender zu verankern, die seine Herrschaft feierten und festigten. Auch als Papst Gregor XIII. den Julianischen Kalender reformierte, ging es nicht einfach darum, eine noch exaktere Zeitrechnung einzuführen, sondern die römischen Päpste versuchten im Zuge dieser Reform, die Regelungshoheit über alle Kalenderangelegenheiten zu erlangen. Regionale Kalender sollten abgeschafft werden, es sollte nur noch einen universalen Kalender geben, auf den allein der Papst Zugriff hatte. Das rief natürlich den Protest der protestantischen Länder und Städte hervor. Sie weigerten sich in ganz Europa, den neuen Kalender des Papstes zu akzeptieren. Jahrhunderte lang herrschte in Europa ein Sammelsurium an Daten, in jedem Kleinstaat ging die Uhr ein wenig anders. Die evangelischen Territorien des Deutschen Reichs etwa übernahmen den gregorianischen Kalender erst 1700. Die protestantischen Herrscher haben den Gregorianischen Kalender erst dann übernommen, als sie mit ihrer Definitionsmacht fest im Sattel saßen und den römischen Kalender problemlos mit den fest etablierten, lokalen, protestantischen Festkalendern fusionieren konnten.
So spannend sich das anhört – Rüpkes Buch ist keine leichte Kost. Es liefert eine Fülle von Details, die meisten davon beziehen sich auf die römische Geschichte – verständlicherweise, denn Jörg Rüpke verfolgt "unsere" Kalendergeschichte, und die geht nun einmal von dem römischen Julianischen Kalender hin zum Gregorianischen Kalender. Dennoch bewegt sich das Buch hier manchmal hart an der Grenze vom populärwissenschaftlich geschriebenen Sachbuch zu einem Fachbuch der spezielleren römischen Kalendergeschichte. Um dem populärwissenschaftlichen Anspruch des Buches gerechter zu werden, hätte es sehr geholfen, wenn der Autor sich hin und wieder zu einer zusammenfassenden Passage entschieden hätte, doch die sucht man meist vergebens. Das ist schade, denn der Autor hat für sein Buch zur Kulturgeschichte des Kalenders eine interessante Perspektive gewählt – und leider fehlt es ihm ein wenig am Mut zur Populärwissenschaft.
Jörg Rüpke: Zeit und Fest - Eine Kulturgeschichte des Kalenders
Ch. Beck Verlag
256 Seiten, 23,60 Euro