Herta Müller und Marcel Beyer diskutieren in Berlin

Untaten mit Sprache

Lesung mit Herta Müller - Mein Vaterland war ein Apfelkern. Ein Gang durch das Werk von Herta Müller Moderation: Ernest Wichner Er stammt wie Herta Müller aus dem Banat und leitet das Berliner Literaturhaus. Herta Müller, geboren 1953 in Nitzkydorf/ Rumänien, lebt seit 1987 als Schriftstellerin in Berlin. Ihr Werk ist geprägt von ihren Erfahrungen im totalitären System des kommunistischen Ceausescu-Regimes. Neben zahlreichen Preisen wurde sie 2009 mit dem Literaturnobelpreis und 2015 mit dem Heinrich-Böll-Preis ausgezeichnet. 21. Erfurter Herbstlese 2017 des Erfurter Herbstlese e.V. *** Reading with Herta Mueller Mine Fatherland was a apple core a Monitoring through the Work from Herta Mueller Moderation Ernest Wichner he originates like Herta Mueller out the Banat and directs the Berlin Literature House Herta Mueller born 1953
Lesung mit Herta Müller © imago stock&people
Von Christiane Habermalz |
Die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller und den Georg-Büchner-Preisträger Marcel Beyer eint ihr schatzgräberischer Umgang mit Sprache. Bei einem gemeinsamen Abend zum Thema Sprache in Berlin sprechen sie über die Wunden, die Sprache einem zufügen kann.
Es war ein sprachmächtiger, sprachverliebter Abend. Herta Müller und Marcel Beyer sprechen über ihr Werkzeug, das Instrument ihrer Arbeit und ihres Selbstverständnisses: Die Sprache. Die Literaturnobelpreisträgerin, aufgewachsen im rumänischen Bannat, Autorin von Büchern mit Titeln wie "Atemschaukel" oder "Herztier" und der gut zehn Jahre jüngere Marcel Beyer, aufgewachsen in Neuss, Wahlheimat Dresden, Büchner-Preisträger, Essayist, Lyriker, Schriftsteller.
Der Schriftsteller Marcel Beyer
Der Schriftsteller Marcel Beyer © picture alliance/dpa/Foto: Andreas Arnold
Was tut Sprache, was kann sie anrichten, dient sie der Freiheit oder den Unterdrückern? - Sprache hat immer etwas mit dem persönlich Erlebten zu tun. Das sagt Herta Müller. Wörter sind mit Bedeutungen besetzt, die man in der Kindheit erfährt und bleiben es oft ein Leben lang:
"Ich glaube, für mich kann das Wort 'Polizist' nie das bedeuten, was es für jemanden bedeutet, der nicht ganz schlimme Erfahrungen mit Polizei hatte oder mit einer gewissen Sorte von Polizisten. Für mich ist auch ein Staat was anderes: eine Diktatur. Das muss nicht immer so bleiben, ich kann die Unterschiede sehr wohl machen. Aber die Grundbesetzung, die bleibt vorhanden, die geht nicht weg, die kann ich aus dem Wort nicht herausschieben."
Herta Müller hat erst mit 15 Jahren Rumänisch gelernt. Bis dahin nur Bannater Dialekt, der in ihrem Dorf gesprochen wurde. Deutsch war für sie eine private Sprache, sagt sie. Rumänisch dagegen habe sie bis heute geprägt durch die Peotik seiner Sprachbilder und Redewendungen, denn Wörter heißen auf Rumänisch nicht nur anders, sondern sie haben auch ein anderes Bild:
"Und dieses Bild des Wortes ist mir dann auch in den Kopf gewachsen. Wenn ein Maiglöckchen 'Kleine Träne' heißt. Oder: 'Der Rose' - das ist maskulin und 'der Lilie'. Und dann ist 'die Lilie' für mich eine Dame auf Deutsch, ein Herr auf Rumänisch. Und das sind Sachen, die sind als Bild im Kopf. Und natürlich denkt sich das mit."

"Sprache ist verräterisch"

Doch Sprache sei auch verräterisch und unsicher. Manchmal habe sie den Eindruck, man habe sich die Sprache nur geliehen, sagt Herta Müller. Aus der Diktatur wisse sie, dass nicht alles so ist, wie es scheint:
"Und das ist in der Sprache genauso: Bildet sie nur das ab, was passiert, oder verursacht sie auch?"
Marcel Beyer dagegen, der Sprache erforscht, präzise auf ihre Abgründe analysiert. Er beschäftige sich viel mit der NS-Zeit, erzählt er, auch weil ihn fasziniere, dass sich in der Sprache der Zeit so viel ablesen lässt über die Gesinnung der Autoren:
"Dass da auch dezidiert nicht-politische Texte verseucht sind. Und ich kann mir selber gar nicht richtig klar machen, wie, inwiefern. Also auch Landschaftsgedichte oder mein Lieblingsbeispiel, dieser Josef Weinheber, der eben, Lob der deutschen Sprache. Oder er schreibt über den Heurigen, und man liest das und spürt: 'Ja, der ist in der NSDAP. Irgendwie spür ich das.'"
Das sei bis heute so: Sprache verrate viel über den, der sie verwendet. Wenn Björn Höcke heute eine Rede halte und vom Holocaust-Mahnmal in Berlin als dem "Denkmal der Schande" spreche, dann sei es ernüchternd und entlarvend, zu wissen, woher er das habe: Nämlich aus der Diskussion um das Haus der Wannseekonferenz, als die 1973 von einer Jugendherberge in eine Gedenkstätte umgewandelt werden sollte. Auch damals wurde heftigst polemisiert und gefragt, ob Deutschland das denn nötig hätte, sich noch so ein "Denkmal der Schande" zuzulegen:
"Auf eine Weise machen mich solche Funde einen Tick sicherer, weil ich anfange zu schwimmen und den Boden zu verlieren: Wo kommt denn dieses ganze unheilvolle Reden her. Und wenn ich aber wenigstens den Faden ziehen kann und hier 'ne Nadel reinstecken: Zack! 1973, Christ und Welt, Leitartikel. Giselher Wirsing. - Kennt heute kein Mensch mehr. Einflussreicher alter Nazi. Äh, Christ, meine ich."

"Sprache kann zwei Seiten haben"

Beide Schriftsteller haben Texte mitgebracht, eigene und fremde, die sich mit Sprache und ihrer Wirkungsmacht auseinandersetzen. Gedichte von Oskar Pastior und Friederike Mayröcker, Beyer liest einen Text des Schriftstellers und Ethnologen Michel Leiris, der sich Gedanken macht darüber, wie vier Jahre Besatzung durch die Deutschen Paris und seine Sprache verändert haben. Eine Zeit, in der unter Folter erpresste Geständnisse, den Tod von Gefährten bedeuten konnten, Ausgesprochenes nie mehr zurückgenommen werden konnte.
Herta Müller zitiert Georges-Arthur Goldschmidt, der sich als verfolgter Jude seine Deutsche Sprache vor den Verstümmelungen und Vergwaltigungen durch die Nazis zu bewahren suchte. "Mein Deutsch habe ich mir erfunden, um möglichst kein einziges Wort in den Mund zu nehmen, wie es in Hitlerdeutschland geprochen wurde", schreibt er. "Das Deutsch ist für mich eine andere Sprache geworden, ein 'Meindeutsch', wie ich es vor der Untat alleine für mich retten konnte. Sprache kann zwei Seiten haben", sagt Herta Müller.
Wie das Wort "Heimat", das so anders klingt und genutzt wird von den Heimatbesitzern und denjenigen, die ihre Heimat verloren haben. Zum Schluss ein kurzer Schwenk auf die Sprache der Gegenwart: Einig sind sich beide, dass sie mit dem wörter- und bedeutungsreduzierenden Twittern nicht viel anfangen können. Dabei ist auch das Poesie – naja, manchmal.
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