Herzen in der Finsternis
In seiner ausgeprägtesten Erscheinungsform ist es namenlos. Und obendrein unfassbar: Irgendwo auf der Grenzlinie zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen lauert es auf einen Riss im Alltag, um in die Idylle einzubrechen. Normalitäten erweisen sich als Maske des Grauenvollen, Inneres stülpt sich nach außen, Kausalitäten zerbröckeln, das Ich ist sich seiner selbst nicht mehr sicher - und doch gibt es inmitten der Angst eine merkwürdige Lust, die aus eben dieser Angst geboren wird. Sind es unsere eigenen Abgründe, die faszinieren?
Horrorgeschichten werfen Fragen auf, die in evolutionäre Urzeiten zurückreichen oder in psychoanalytische Untiefen vordringen. Es wurde also viel nachgedacht über dieses "Schmuddelkind" der Literatur und des Films. Das Grauen wird - auch nach dieser Langen Nacht - bestehen bleiben. Denn die Grundlage aller fiktionalen Darstellungen des Grauens sind seine realen Vorlagen, wie sie uns u.a. über die täglichen Nachrichten erreichen. Um mit diesem realen Grauen "ein wenig besser zurechtzukommen", meint Stephen King, der Großmeister des Horrors, "muss man es in einem Marmeladenglas einfangen".
Zitat aus dem Manuskript:
Horror: Im Griechischen meint der Begriff noch bescheiden "Angst" und "Furcht"; im Lateinischen umfasst er bereits die gesamte Bandbreite des Entsetzens und Schauders. In den deutschen Sprachgebrauch fließt das Wort allerdings erst im 18. Jahrhundert ein, als Entlehnung des französischen "horreur". Jedoch wurde seine Bedeutung vor allem durch das englische "horror" beeinflusst, das als Synonym für allerlei Erlebnisse herhalten muss: Grusel, Abscheu, Ekel, Angst, Schrecken - aber ebenso Lust, Sensation, Thrill und Kitzel, denn der Begriff dient auch zur Kennzeichnung eines ganzen literarischen und filmischen Genres mitsamt einer äußerst lukrativen Unterhaltungsindustrie.
Aber das ist alles nichts gegen das schöne deutsche Wort "Grauen". Im Grimm'schen Wörterbuch nimmt es 30 Spalten ein, wobei alleine 17 dem Verb gewidmet sind. Der belgische Schriftsteller und Journalist Jean Ray, dem wir unter anderem den bizarren Schauerroman "Malpertuis" verdanken, Jean Ray bemerkte einmal, nur der Deutsche besitze einen derart beängstigenden Begriff wie "das Grauen".
Literatur:
Charles MacLean
Ich, der Wächter
Deutsch von Franziska Reiter
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1987:
H.P. Lovecraft
"Die Ratten im Gemäuer"
in: ders., Der kosmische Schrecken. Horrorgeschichten.
Aus dem Amerikanischen von Andreas Diesel und Frank Festa.
Verlag Festa,
Leipzig 2005
Jean Ray
Malpertuis
Deutsch von Jörg Krichbaum.
Suhrkamp, Frankfurt am Main 1986
Thea Dorn
Die Hirnkönigin
Goldmann, München 2001
H.P. Lovecraft
Berge des Wahnsinns
Aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein
Suhrkamp, Frankfurt am Main 1997:
Edgar Alan Poe
Die denkwürdigen Erlebnisse des Arthur Gor-don Pym.
Diogenes 2009
Stephen King
Danse Macabre
Die Welt des Horrors.
Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber.
Ullstein, Berlin 2004
Stephen King
"Der Nebel"
in ders., Blut.
Aus dem Amerikanischen von Alexandra von Reinhardt.
Willhelm Heyne, München 1996:
Stanislaw Przybyszewski:
"De profundis"
zitiert nach Hans Richard Brittnacher
"Phantasmen der Niederlage.
Über weibliche Vampire und deren männliche Opfer um 1900"
in: Julia Bertschik/Christa Agnes Tu-czay (Hg),
Poetische Widergänger.
Deutschsprachige Vampirismus -Diskurse vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
Francke Verlag, Tübingen 2005:
Friederike Mayröcker
"Horror Fibel / Szene mit kleiner Dame im Horror Ablauf"
in: Peter Handke (Hg.)
Der gewöhnliche Schrecken.
Horrorgeschichten.
dtv, München 1981
Siehe Stephen King
Das Spiel
Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber.
Ullstein, München 2002
Joseph Conrad,
Herz der Finsternis.
Aus dem Englischen neu übersetzt und mit einem Nachwort von Urs Widmer.
Piper, München und Zürich 2006
Hannah Arendt
Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft.
Piper, München/Zürich 1986:
Hans D. Baumann
Horror. Die Lust am Grauen.
Wilhelm Heyne Verlag, München 1989
Homer
Ilias
Neue Übersetzung
Nachwort und Register von Roland Hampe.
Reclam, Stuttgart 1988
Peter Weiss
Die Ästhetik des Widerstands. Band III.
Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982
Brüder Grimm (Hg.)
Das Rosenzweiglein. Ritter Blaubart
Illustriert von Edmund Dulac.
Lentz Verlag, 1984
Dan Simmons
Göttin des Todes.
Heyne, München 2009
Stephen King
Die Arena. Heyne
München 2009
Stephenie Meyer
Bis(s) zum Morgengrauen.
Carlsen, Hamburg 2008
Christian Morgenstern
"Der Werwolf"
in: Margaretha Morgenstern (Hg.)
Alle Galgenlieder.
Diogenes, Zürich 1961
Howard Phillips Lovecraft
"Cthulhus Ruf"
in ders. Cthulhu. Geistergeschichten.
Deutsch von H.C. Artmann.
Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972
Cormac McCarthy
Die Straße
Deutsch von Nikolaus Stingl.
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2009
Heiko Michael Hartmann
MOI.
Carl Hanser, München-Wien 1997
Friedrich Dürrenmatt
"Der Tunnel"
in ders., Der Hund. Der Tunnel. Die Panne. - Erzählungen
Diogenes, Zürich 1998
Zitat aus dem Manuskript:
Jan C. L. König:
"Also ganz alleine in einen dunklen Keller zu gehen, der wirklich dunkel ist, wo kein Licht brennt und wo ich vielleicht auch noch Geräusche höre, das wäre mir bis heute unheimlich."
Jan C. L. König, Germanist und Medienwissenschaftler. In seiner Studie "Herstellung des Grauens" untersucht er, wie es einem Autor oder Regisseur gelingt, dass sich der Rezipient fürchtet. Und er zeigt auf, wie bestimmte ästhetische Muster und Motive des Horrorgenres bereits in der Antike erprobt wurden.
Jan C. L. König:
"Bei Apuleus findet sich zum Beispiel eine Gespenstergeschichte über einen Ehemann, der wieder aufersteht von seinem Totenlaken. Allein die Vorstellung, dass so etwas heute passiert, ist genauso unheimlich wie sie damals war vor 2000 Jahren. Es gibt Schiffe bei den Germanen, die aus den Fuß- und Fingernägeln der Toten gezimmert sind und über die Meere geistern. Das gibt es auch bei Hauff: 'Das Gespensterschiff'. Bei den Griechen gab es die charonischen Gänge unter den Theatern mit Öffnungen nach oben, wo man dann unbeobachtet hervorkommen konnte als Schauspieler. Wir haben heute im Film natürlich ganz andere Möglichkeiten. Und bei einer Erzählung gibt es dieses Problem gar nicht. Aber wenn man so etwas auf der Bühne darstellt, dann war das sicherlich damals für die Zuschauer sehr, sehr unheimlich."
In seiner Wirkungsanalyse beschäftigt sich König auch mit Alltagsgegenständen, die in Horrorromanen oder -filmen mit einer Bedeutung aufgeladen werden, die ihnen sonst nicht anhaftet. Türen zum Beispiel. Sie öffnen nicht nur Räume, sondern auch Handlungseinheiten. Und sie fungieren als Einlass ins Grauen.
Jan C. L. König:
"Wir wissen immer, dass es unheimlich grauenhaft sein muss, was da hinter der Tür lauert. Wird die Tür nun tatsächlich ganz weit auf gemacht, dann werden wir am Ende sicherlich enttäuscht sein. Denn das, was wir uns vorstellen oder das, was wir glauben, was dahinter ist, ist immer stärker als das, was da wirklich darstellbar wartet."
Weitere Literaturauswahl:
Hans-Dieter Bahr
Sätze ins Nichts.
Versuch über den Schrecken.
Konkursbuchverlag, Tübingen 1986
Elisabeth Bronfen
Tiefer als der Tag gedacht.
Eine Kulturgeschichte der Nacht
Carl Hanser, München 2008
Klaus Herding, Gerlinde Gehrig (Hg.)
Orte des Unheimlichen.
Die Faszination verborgenen Grauens in Literatur und bildender Kunst.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006
Horst Herrmann
Die Folter.
Eine Enzyklopädie des Grauens.
Eichborn, Frankfurt am Main 2004
Horst Herrmann
Sex und Folter in der Kirche.
2000 Jahre Folter im Namen Gottes
Aufbau, Berlin 2006
Daniel Hohrath
Kriegsgräuel.
Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert.
Ferdinand Schöningh, Paderborn 2008
Johannes Laube (Hg.)
Das Böse in den Weltreligionen.
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2003
Howard Phillips Lovecraft
Die Literatur der Angst.
Zur Geschichte der Phantastik.
Suhrkamp, Frankfurt am Main 1995
Silke Seybold, Silke (Hg.)
All about Evil. Das Böse.
Philipp von Zabern, Mainz am Rhein 2007
Philip Zimbardo
Der Luzifer-Effekt.
Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen.
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2008
Zitat aus dem Manuskript:
"Was uns Angst macht, sind letztlich nicht Monster und geheimnisvolle Kräfte", "
schreibt der Kunstwissenschaftler Hans D. Baumann.
" "Was uns Angst macht, [sind] Umweltzerstörung, Arbeitslosigkeit oder Kriegsgefahr. Man würde dem Horror zu viel abverlangen, sollte er positive Auswege aus den allgegenwärtigen Gewaltverhältnissen aufzeigen; eher schon ist es seine Aufgabe, symbolisch die verborgene Brutalität bluttriefend ins grellste Bühnenlicht zu stellen."
Aber immerhin: In den Fratzen der Monster verschafft das Genre den Ängsten einen Ausdruck und macht dadurch das reale Grauen überschaubarer. Oder zumindest handhabbarer. Wobei klar sein dürfte, dass das schrecklichste Monster der Mensch ist und irgendwelche zähnefletschenden Ungeheuer nur bedingt als symbolische Übersetzung politischer, sozialer oder wirtschaftlicher Verrohung taugen. Die rabenschwarzen Satiren, düsteren Parabeln und negativen Utopien von Autoren des zeitgenössischen Horrors wie Stephen King, Cormac McCarthy oder Heiko Michael Hartmann kommen folgerichtig ohne erfundene Schreckgestalten aus. Und die Ängste, die sie thematisieren, beziehen sich nicht so sehr auf das Hereinbrechen des Übernatürlichen in unsere Welt, sondern auf die Folgen tatsächlichen Tuns - wodurch die Grenzen des Genres allerdings immer verschwommener werden.
Diese Art des Horrors schneidet tief, weil er mit unserer größten Angst spielt: der Angst vor dem Tod. Wie plötzlich und aus unerklärlichem Grund dieses sorgsam gehütete gesellschaftliche Tabu die geregelten Bahnen des Alltags durcheinander bringen kann, muss auch ein junger Student in Friedrich Dürrenmatts Erzählung "Der Tunnel" erfahren.
Zitat aus dem Manuskript:
Horror: Im Griechischen meint der Begriff noch bescheiden "Angst" und "Furcht"; im Lateinischen umfasst er bereits die gesamte Bandbreite des Entsetzens und Schauders. In den deutschen Sprachgebrauch fließt das Wort allerdings erst im 18. Jahrhundert ein, als Entlehnung des französischen "horreur". Jedoch wurde seine Bedeutung vor allem durch das englische "horror" beeinflusst, das als Synonym für allerlei Erlebnisse herhalten muss: Grusel, Abscheu, Ekel, Angst, Schrecken - aber ebenso Lust, Sensation, Thrill und Kitzel, denn der Begriff dient auch zur Kennzeichnung eines ganzen literarischen und filmischen Genres mitsamt einer äußerst lukrativen Unterhaltungsindustrie.
Aber das ist alles nichts gegen das schöne deutsche Wort "Grauen". Im Grimm'schen Wörterbuch nimmt es 30 Spalten ein, wobei alleine 17 dem Verb gewidmet sind. Der belgische Schriftsteller und Journalist Jean Ray, dem wir unter anderem den bizarren Schauerroman "Malpertuis" verdanken, Jean Ray bemerkte einmal, nur der Deutsche besitze einen derart beängstigenden Begriff wie "das Grauen".
Literatur:
Charles MacLean
Ich, der Wächter
Deutsch von Franziska Reiter
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1987:
H.P. Lovecraft
"Die Ratten im Gemäuer"
in: ders., Der kosmische Schrecken. Horrorgeschichten.
Aus dem Amerikanischen von Andreas Diesel und Frank Festa.
Verlag Festa,
Leipzig 2005
Jean Ray
Malpertuis
Deutsch von Jörg Krichbaum.
Suhrkamp, Frankfurt am Main 1986
Thea Dorn
Die Hirnkönigin
Goldmann, München 2001
H.P. Lovecraft
Berge des Wahnsinns
Aus dem Amerikanischen von Rudolf Hermstein
Suhrkamp, Frankfurt am Main 1997:
Edgar Alan Poe
Die denkwürdigen Erlebnisse des Arthur Gor-don Pym.
Diogenes 2009
Stephen King
Danse Macabre
Die Welt des Horrors.
Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber.
Ullstein, Berlin 2004
Stephen King
"Der Nebel"
in ders., Blut.
Aus dem Amerikanischen von Alexandra von Reinhardt.
Willhelm Heyne, München 1996:
Stanislaw Przybyszewski:
"De profundis"
zitiert nach Hans Richard Brittnacher
"Phantasmen der Niederlage.
Über weibliche Vampire und deren männliche Opfer um 1900"
in: Julia Bertschik/Christa Agnes Tu-czay (Hg),
Poetische Widergänger.
Deutschsprachige Vampirismus -Diskurse vom Mittelalter bis zur Gegenwart.
Francke Verlag, Tübingen 2005:
Friederike Mayröcker
"Horror Fibel / Szene mit kleiner Dame im Horror Ablauf"
in: Peter Handke (Hg.)
Der gewöhnliche Schrecken.
Horrorgeschichten.
dtv, München 1981
Siehe Stephen King
Das Spiel
Aus dem Amerikanischen von Joachim Körber.
Ullstein, München 2002
Joseph Conrad,
Herz der Finsternis.
Aus dem Englischen neu übersetzt und mit einem Nachwort von Urs Widmer.
Piper, München und Zürich 2006
Hannah Arendt
Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft.
Piper, München/Zürich 1986:
Hans D. Baumann
Horror. Die Lust am Grauen.
Wilhelm Heyne Verlag, München 1989
Homer
Ilias
Neue Übersetzung
Nachwort und Register von Roland Hampe.
Reclam, Stuttgart 1988
Peter Weiss
Die Ästhetik des Widerstands. Band III.
Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982
Brüder Grimm (Hg.)
Das Rosenzweiglein. Ritter Blaubart
Illustriert von Edmund Dulac.
Lentz Verlag, 1984
Dan Simmons
Göttin des Todes.
Heyne, München 2009
Stephen King
Die Arena. Heyne
München 2009
Stephenie Meyer
Bis(s) zum Morgengrauen.
Carlsen, Hamburg 2008
Christian Morgenstern
"Der Werwolf"
in: Margaretha Morgenstern (Hg.)
Alle Galgenlieder.
Diogenes, Zürich 1961
Howard Phillips Lovecraft
"Cthulhus Ruf"
in ders. Cthulhu. Geistergeschichten.
Deutsch von H.C. Artmann.
Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972
Cormac McCarthy
Die Straße
Deutsch von Nikolaus Stingl.
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2009
Heiko Michael Hartmann
MOI.
Carl Hanser, München-Wien 1997
Friedrich Dürrenmatt
"Der Tunnel"
in ders., Der Hund. Der Tunnel. Die Panne. - Erzählungen
Diogenes, Zürich 1998
Zitat aus dem Manuskript:
Jan C. L. König:
"Also ganz alleine in einen dunklen Keller zu gehen, der wirklich dunkel ist, wo kein Licht brennt und wo ich vielleicht auch noch Geräusche höre, das wäre mir bis heute unheimlich."
Jan C. L. König, Germanist und Medienwissenschaftler. In seiner Studie "Herstellung des Grauens" untersucht er, wie es einem Autor oder Regisseur gelingt, dass sich der Rezipient fürchtet. Und er zeigt auf, wie bestimmte ästhetische Muster und Motive des Horrorgenres bereits in der Antike erprobt wurden.
Jan C. L. König:
"Bei Apuleus findet sich zum Beispiel eine Gespenstergeschichte über einen Ehemann, der wieder aufersteht von seinem Totenlaken. Allein die Vorstellung, dass so etwas heute passiert, ist genauso unheimlich wie sie damals war vor 2000 Jahren. Es gibt Schiffe bei den Germanen, die aus den Fuß- und Fingernägeln der Toten gezimmert sind und über die Meere geistern. Das gibt es auch bei Hauff: 'Das Gespensterschiff'. Bei den Griechen gab es die charonischen Gänge unter den Theatern mit Öffnungen nach oben, wo man dann unbeobachtet hervorkommen konnte als Schauspieler. Wir haben heute im Film natürlich ganz andere Möglichkeiten. Und bei einer Erzählung gibt es dieses Problem gar nicht. Aber wenn man so etwas auf der Bühne darstellt, dann war das sicherlich damals für die Zuschauer sehr, sehr unheimlich."
In seiner Wirkungsanalyse beschäftigt sich König auch mit Alltagsgegenständen, die in Horrorromanen oder -filmen mit einer Bedeutung aufgeladen werden, die ihnen sonst nicht anhaftet. Türen zum Beispiel. Sie öffnen nicht nur Räume, sondern auch Handlungseinheiten. Und sie fungieren als Einlass ins Grauen.
Jan C. L. König:
"Wir wissen immer, dass es unheimlich grauenhaft sein muss, was da hinter der Tür lauert. Wird die Tür nun tatsächlich ganz weit auf gemacht, dann werden wir am Ende sicherlich enttäuscht sein. Denn das, was wir uns vorstellen oder das, was wir glauben, was dahinter ist, ist immer stärker als das, was da wirklich darstellbar wartet."
Weitere Literaturauswahl:
Hans-Dieter Bahr
Sätze ins Nichts.
Versuch über den Schrecken.
Konkursbuchverlag, Tübingen 1986
Elisabeth Bronfen
Tiefer als der Tag gedacht.
Eine Kulturgeschichte der Nacht
Carl Hanser, München 2008
Klaus Herding, Gerlinde Gehrig (Hg.)
Orte des Unheimlichen.
Die Faszination verborgenen Grauens in Literatur und bildender Kunst.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006
Horst Herrmann
Die Folter.
Eine Enzyklopädie des Grauens.
Eichborn, Frankfurt am Main 2004
Horst Herrmann
Sex und Folter in der Kirche.
2000 Jahre Folter im Namen Gottes
Aufbau, Berlin 2006
Daniel Hohrath
Kriegsgräuel.
Die Entgrenzung der Gewalt in kriegerischen Konflikten vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert.
Ferdinand Schöningh, Paderborn 2008
Johannes Laube (Hg.)
Das Böse in den Weltreligionen.
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2003
Howard Phillips Lovecraft
Die Literatur der Angst.
Zur Geschichte der Phantastik.
Suhrkamp, Frankfurt am Main 1995
Silke Seybold, Silke (Hg.)
All about Evil. Das Böse.
Philipp von Zabern, Mainz am Rhein 2007
Philip Zimbardo
Der Luzifer-Effekt.
Die Macht der Umstände und die Psychologie des Bösen.
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2008
Zitat aus dem Manuskript:
"Was uns Angst macht, sind letztlich nicht Monster und geheimnisvolle Kräfte", "
schreibt der Kunstwissenschaftler Hans D. Baumann.
" "Was uns Angst macht, [sind] Umweltzerstörung, Arbeitslosigkeit oder Kriegsgefahr. Man würde dem Horror zu viel abverlangen, sollte er positive Auswege aus den allgegenwärtigen Gewaltverhältnissen aufzeigen; eher schon ist es seine Aufgabe, symbolisch die verborgene Brutalität bluttriefend ins grellste Bühnenlicht zu stellen."
Aber immerhin: In den Fratzen der Monster verschafft das Genre den Ängsten einen Ausdruck und macht dadurch das reale Grauen überschaubarer. Oder zumindest handhabbarer. Wobei klar sein dürfte, dass das schrecklichste Monster der Mensch ist und irgendwelche zähnefletschenden Ungeheuer nur bedingt als symbolische Übersetzung politischer, sozialer oder wirtschaftlicher Verrohung taugen. Die rabenschwarzen Satiren, düsteren Parabeln und negativen Utopien von Autoren des zeitgenössischen Horrors wie Stephen King, Cormac McCarthy oder Heiko Michael Hartmann kommen folgerichtig ohne erfundene Schreckgestalten aus. Und die Ängste, die sie thematisieren, beziehen sich nicht so sehr auf das Hereinbrechen des Übernatürlichen in unsere Welt, sondern auf die Folgen tatsächlichen Tuns - wodurch die Grenzen des Genres allerdings immer verschwommener werden.
Diese Art des Horrors schneidet tief, weil er mit unserer größten Angst spielt: der Angst vor dem Tod. Wie plötzlich und aus unerklärlichem Grund dieses sorgsam gehütete gesellschaftliche Tabu die geregelten Bahnen des Alltags durcheinander bringen kann, muss auch ein junger Student in Friedrich Dürrenmatts Erzählung "Der Tunnel" erfahren.