Herzergreifendes Unglück und große Zärtlichkeit

Olivier Adam ist ein wahrer Meister der poetischen Verzweiflung, dem es auf wundersame Weise immer wieder gelingt, kleinbürgerlichen Mief, Trostlosigkeit und Tod auf eine ihm ganz eigene Weise zu sublimieren.
So wächst aus dem Elend eine Melancholie, die nicht nur einen eigentümlichen Charme entwickelt, sondern am Ende beinahe Hoffnung vermittelt – in diesem Fall genau an dem Punkt, an dem der Protagonist eigentlich alle Hoffnung fahren lassen muss.

Dieser Protagonist, Paul, partiell ein Alter Ego des Autors, ist Schriftsteller und Vater zweier Kinder, deren Mutter, die von allen Dreien innig geliebte Sarah, spurlos verschwunden ist. Der Roman beginnt, als die kleine Rumpffamilie, um der Verzweiflung zu entkommen, aus der Pariser Banlieu in die Bretagne, die Heimat des Ich-Erzählers zieht. Dieser hat seit dem Verschwinden seiner Frau Probleme mit dem Schreiben und wird Fahrlehrer bei seinem Bruder, der den elterlichen Betrieb nach deren Tod übernommen hat. War die Geschwisterbeziehung in den ersten Romanen Adams ob ihrer übersteigerten Intensität das Problem der Protagonisten, in "Klippen" schließlich der Notanker zweier Brüder nach dem Freitod der Mutter, schildert er die familiären Bindungen in "Gegenwinde" geradezu gelassen. Sie sind nicht ohne Spannungen, werden aber von der gemeinsamen Sehnsucht nach Wärme und Nähe übertönt.

Vor allem die intensive Liebe des Vaters zu seinen Kindern mag man als Idealisierung auffassen, ist allerdings ob all des anderen geschilderten Elends nicht undankbar dafür. Dabei wird deutlich, dass Wohlstand oder soziale Sicherheit keinen wirklichen Schutz bieten. Der Job als Fahrlehrer bringt den Ich-Erzähler mit Menschen verschiedenster Schichten und Altersstufen zusammen, es entsteht eine tröstliche Solidarität, die das Unglück für Figuren wie Leser erträglicher macht. Gleichzeitig bietet sich dem Autor damit eine hervorragende Gelegenheit für Milieustudien, durch die sich bereits seine vorherigen Romane auszeichnen. Diesmal erweitert er das Spektrum, da er ein kleines Netz aus mehr oder weniger gestrandeten Existenzen webt, wobei "gestrandet" ob der Nähe zum Meer beinahe wörtlich genommen werden kann. So sind es hier nicht allein Jugendliche, die mit oder ohne nachvollziehbaren Grund abdriften, ohne dass sie deshalb im Roman dafür verurteilt würden, sondern Menschen aller Altersstufen.

Der Titel, "Gegenwinde", lässt sich metaphorisch, aber auch ganz konkret verstehen: Das raue Klima an der bretonischen Küste, Stürme, die buchstäblich Bäume entwurzeln und das Meer bieten einen ausdrucksstarken Gegenpol zur Entwurzelung der Menschen, ohne dass Olivier Adam jemals solch platte Parallelen explizieren würde.

Statt des lakonischen Stils in "Keine Sorge, mir geht’s gut" pflegt der Autor in "Gegenwinde" einen sehr viel ausgefeilteren Duktus, in dem präzise Beschreibungen, mitunter etwas rohe Dialoge und poetische Aufzählungen ohne Punkt und Komma miteinander verflochten sind – in genauer Entsprechung zum Kontrast aus herzergreifendem Unglück und Momenten großer Zärtlichkeit.

Besprochen von Carolin Fischer

Olivier Adam: Gegenwinde
Aus dem Französischen von Andrea Springler
Klett-Cotta, Stuttgart 2011
270 Seiten, 21,95 Euro