Hessen hinkt bei der Inklusion hinterher
Auch behinderte und benachteiligte Kinder müssen einen Zugang zur Regelschule haben. So sieht es die UN-Behindertenrechtskonvention vor. Bremen und Berlin lösen daher die Förderschulen auf - im Gegensatz zu Hessen. Dort, sagen Eltern und Vereine, bremst die schwarz-gelbe Regierung mit ihrer Politik die Inklusion aus.
Janika ist acht, sitzt im Rollstuhl und kann ihre Arme nicht zielgerichtet bewegen. Sie spricht mit Hilfe eines Sprachcomputers, den sie mit den Augen steuert. Dass ihre Tochter auf die reguläre Grundschule geht – keine Selbstverständlichkeit, hält Alexandra Cremer fest.
"Es war ein Riesenkampf, überhaupt eine Schule zu finden, die bereit war, sie zu nehmen. Wir kommen ursprünglich aus Hanau, und da gab es keine Schule, da hat es schon an der Barrierefreiheit gehapert und der Bereitschaft zur Inklusion im Generellen. Und dann hab’ ich mich beschwert bis zum Kultusministerium, und nun geht sie hier in Frankfurt an die Schule, eine barrierefreie Schule, ganz frisch gebaut, und da sind wir ganz froh, dass sie jetzt da in die Schule geht."
Mit acht zusätzlichen Förderstunden pro Woche – auch das eher die Ausnahme, erstritten von einer kämpferischen Mutter.
"Man braucht Nerven wie Drahtseile und ich hatte auch mit meinem Mann Riesen-Diskussionen, der sagte, ‚verstehst du nicht, dass du gegen Windmühlen kämpfst? Das wird nichts‘, und ich hab’ immer nur gerufen, ‚der Kampf ist noch nicht verloren!‘"
Andere Eltern, zum Beispiel geistig behinderter Kinder, geben auf, wenn sie im Erstgespräch an der Grundschule erfahren, dass ihr Sprössling mit zwei, drei zusätzlichen Förderstunden in einer Klasse von 27 Schülern klarkommen soll. Noch lange nach der Einschulung betrauern diese Eltern, dass sie ihr Kind doch an die Förderschule geben mussten, weiß Gabi Mehmet von der Frühförder- und Beratungsstelle der Lebenshilfe Gießen.
"Eltern wollen die Wahl haben, und sie haben in Hessen keine echte Wahl, weil die Rahmenbedingungen an der Regelschule so schlecht sind, eben zwei Stunden, vier Stunden, dass viele Eltern sich aus diesem Grund dagegen entscheiden und die Förderschule wählen. Man muss sich schon fragen, wie kommt es, dass in den Zeiten der Inklusion der Anteil der Schüler an Förderschulen sehr deutlich wächst. Das ist keine freie Entscheidung der Eltern, sondern das ist eine Entscheidung aufgrund der Rahmenbedingungen, die Hessen vorgibt, und das ist nicht in Ordnung."
Bildungsministerin Nicola Beer von der FDP räumt ein:
"(Es) können sicherlich noch wesentlich mehr Kinder inklusiv in den Regelschulen beschult werden, aber es gibt eine ganze Reihe von Kindern, für die ist eine sachgerechte Unterstützung in der Förderschule wesentlich besser möglich. Und Eltern und ihren Kindern diese Wahlfreiheit zu lassen, deswegen setzen wir eben auf das Zwei-Säulen-Modell. Es soll überall im Land die Möglichkeit geben, zwischen beiden Möglichkeiten der Beschulung auszusuchen, und es sollen die Eltern sein, die an dieser Stelle aussuchen."
Solange aber Regelschulen behinderte Kinder mit Verweis auf fehlendes Personal ablehnen dürften, hinke das schwerz-gelb regierte Hessen beim gemeinsamen Unterricht hinterher, meint Wiltrud Thies vom Expertenkreis Inklusion der Deutschen UNESCO-Kommission. Das Beharren darauf, die Förderschulen parallel zu erhalten, entziehe dem inklusiven System das nötige Geld. Die frühere Leiterin der inklusiven Grund- und Gesamtschule der Lebenshilfe in Gießen schlägt vor, als erstes die Lernhilfeschulen aufzulösen.
"Lernhilfeschulen gibt es nirgendwo in Europa, nur in Deutschland. Überall anders sind es die sogenannten ‚slow learners‘, die überall dabei sind und eben langsamer und vom Umfang her weniger lernen. Wenn man so eine Entscheidung trifft, kann man sagen, all diese Lehrkräfte gehen sofort in die Regelschule, wo sie dringend gebraucht werden, wo sie viel für individuelle Förderung für diese aber auch andere Kinder leisten könnten. Und schon hat man mehr Förderschulwissen im Regelsystem und eben ausreichend Lehrkräfte."
Für den Fall eines rot-grünen Wahlsiegs am 22. September haben die Sozialdemokraten im Hessischen Landtag angekündigt, genau diesen Weg einzuschlagen.
Weitere Informationen:
Gruppe InklusionsBeobachtung Hessen
Gemeinsam leben Hessen e.V.
Netzwerk Inklusion Frankfurt
"Es war ein Riesenkampf, überhaupt eine Schule zu finden, die bereit war, sie zu nehmen. Wir kommen ursprünglich aus Hanau, und da gab es keine Schule, da hat es schon an der Barrierefreiheit gehapert und der Bereitschaft zur Inklusion im Generellen. Und dann hab’ ich mich beschwert bis zum Kultusministerium, und nun geht sie hier in Frankfurt an die Schule, eine barrierefreie Schule, ganz frisch gebaut, und da sind wir ganz froh, dass sie jetzt da in die Schule geht."
Mit acht zusätzlichen Förderstunden pro Woche – auch das eher die Ausnahme, erstritten von einer kämpferischen Mutter.
"Man braucht Nerven wie Drahtseile und ich hatte auch mit meinem Mann Riesen-Diskussionen, der sagte, ‚verstehst du nicht, dass du gegen Windmühlen kämpfst? Das wird nichts‘, und ich hab’ immer nur gerufen, ‚der Kampf ist noch nicht verloren!‘"
Andere Eltern, zum Beispiel geistig behinderter Kinder, geben auf, wenn sie im Erstgespräch an der Grundschule erfahren, dass ihr Sprössling mit zwei, drei zusätzlichen Förderstunden in einer Klasse von 27 Schülern klarkommen soll. Noch lange nach der Einschulung betrauern diese Eltern, dass sie ihr Kind doch an die Förderschule geben mussten, weiß Gabi Mehmet von der Frühförder- und Beratungsstelle der Lebenshilfe Gießen.
"Eltern wollen die Wahl haben, und sie haben in Hessen keine echte Wahl, weil die Rahmenbedingungen an der Regelschule so schlecht sind, eben zwei Stunden, vier Stunden, dass viele Eltern sich aus diesem Grund dagegen entscheiden und die Förderschule wählen. Man muss sich schon fragen, wie kommt es, dass in den Zeiten der Inklusion der Anteil der Schüler an Förderschulen sehr deutlich wächst. Das ist keine freie Entscheidung der Eltern, sondern das ist eine Entscheidung aufgrund der Rahmenbedingungen, die Hessen vorgibt, und das ist nicht in Ordnung."
Bildungsministerin Nicola Beer von der FDP räumt ein:
"(Es) können sicherlich noch wesentlich mehr Kinder inklusiv in den Regelschulen beschult werden, aber es gibt eine ganze Reihe von Kindern, für die ist eine sachgerechte Unterstützung in der Förderschule wesentlich besser möglich. Und Eltern und ihren Kindern diese Wahlfreiheit zu lassen, deswegen setzen wir eben auf das Zwei-Säulen-Modell. Es soll überall im Land die Möglichkeit geben, zwischen beiden Möglichkeiten der Beschulung auszusuchen, und es sollen die Eltern sein, die an dieser Stelle aussuchen."
Solange aber Regelschulen behinderte Kinder mit Verweis auf fehlendes Personal ablehnen dürften, hinke das schwerz-gelb regierte Hessen beim gemeinsamen Unterricht hinterher, meint Wiltrud Thies vom Expertenkreis Inklusion der Deutschen UNESCO-Kommission. Das Beharren darauf, die Förderschulen parallel zu erhalten, entziehe dem inklusiven System das nötige Geld. Die frühere Leiterin der inklusiven Grund- und Gesamtschule der Lebenshilfe in Gießen schlägt vor, als erstes die Lernhilfeschulen aufzulösen.
"Lernhilfeschulen gibt es nirgendwo in Europa, nur in Deutschland. Überall anders sind es die sogenannten ‚slow learners‘, die überall dabei sind und eben langsamer und vom Umfang her weniger lernen. Wenn man so eine Entscheidung trifft, kann man sagen, all diese Lehrkräfte gehen sofort in die Regelschule, wo sie dringend gebraucht werden, wo sie viel für individuelle Förderung für diese aber auch andere Kinder leisten könnten. Und schon hat man mehr Förderschulwissen im Regelsystem und eben ausreichend Lehrkräfte."
Für den Fall eines rot-grünen Wahlsiegs am 22. September haben die Sozialdemokraten im Hessischen Landtag angekündigt, genau diesen Weg einzuschlagen.
Weitere Informationen:
Gruppe InklusionsBeobachtung Hessen
Gemeinsam leben Hessen e.V.
Netzwerk Inklusion Frankfurt