Hessisch-Sibirien
Wo der Alltag noch wehtut: Der Satiriker Hartmut El Kurdi berichtet in seinen Kolumnen direkt aus der Hölle der westdeutschen Provinz. Nach anstrengenden Jugendjahren im "nordhessischen Gulag" nimmt er nun das "eitle Talkshow-Schwadronieren" der Politiker ebenso wie die Insignien der bundesrepublikanischen Konsensgesellschaft aufs Korn.
Hartmut El Kurdi teilt kräftig aus. In seinen Kolumnen entlarvt der Satiriker die beliebten Klagen über den angeblich schlechten Service in Deutschland als "ekliges Neue-Mitte-Phänomen", ärgert sich über Claudia Roths "eitles Talkshow-Schwadronieren" und besichtigt die "No-brain-Area" im Kopf eines Bundesinnenministers, der Rechtsradikale, PDS-Mitglieder und "irre Islamisten" in einen Topf wirft.
Für seinen Band "Der Viktualien-Araber" hat El Kurdi nun einige seiner bösesten Texte zusammengestellt und sie um neues Material angereichert. Angenehm schlecht gelaunt bläst er zum Angriff auf die Bollwerke der bundesrepublikanischen Konsensgesellschaft: "Freunden der Anthroposophie" serviert er mundgerecht die schönsten rassistischen Zitate aus dem Werk Rudolf Steiners. Oder er fragt sich, warum man in Deutschland von Einwanderern bessere Sprachkenntnisse fordert, gleichzeitig aber keine Probleme mit dem "Ballaballa-Apostroph" in "Biene's Wollkiste" oder "Wiesenhof Chicken Snack's" hat.
Das liest man gerne, egal ob man sich nun bestätigt fühlt oder vielleicht auch selbst erwischt wird. Der eigentliche Reiz dieses Bandes liegt allerdings nicht in den verbalen Ohrfeigen, die treffsicher an Amok laufende Politiker und selbstverliebte Bescheidwisser ausgeteilt werden, sondern in den autobiografischen Details in fast allen Texten. El Kurdi ärgert sich über andere, aber er schreibt über sich selbst.
1964 wurde er als Kind eines arabischen Vaters und einer deutschen Mutter in Jordanien geboren. Er kam dann ausgerechnet nach Kassel in "Hessisch Sibirien". Jetzt ist alles Provinz. Hartmut El Kurdi beschreibt seine "Prollsiedlungskindheit" mit "Resopalküchentisch" und einem Stiefvater, der sein Bein in Russland verloren hat. Die Schulzeit wird durch "frustrierte SPD-Lehrer" und feministisch angehauchte Klassenkameradinnen bestimmt, die sich im "SV-Raum" dann ausgerechnet dem Jahrgangsmacho hingeben. Es ist eine bestürzend durchschnittliche Jugend, zu deren Höhepunkten gelegentliche Rauschgiftexzesse gehören und ein Wochenendbesuch bei einer linken WG in Hamburg, in der "die Ermordung der RAF in Stammheim als gesicherte Tatsache gilt".
Daran hätten wir uns lieber nicht erinnert. Hartmut El Kurdi führt uns noch einmal die westdeutsche Provinz der späten Siebziger vor Augen, mit ihren traurigen Fußgängerzonen und muffigen Amtsstuben, in denen ein Porträt des Bundespräsidenten und "SA-Manns" Karl Carstens über den Schreibtischen hängt. Damals ist es schon ein revolutionärer Akt, die "Haare bis zum Arsch" zu tragen, und "creative writing" heißt noch "expressives Schreiben". Die Provinz - das ist die Hölle.
Hartmut El Kurdi verdient darum größte Bewunderung dafür, dass er Anfang der Neunziger nicht wie die meisten anderen vermeintlichen "Kreativen" dieses Landes nach Berlin umgezogen ist. Er ist dort geblieben, wo der Alltag noch wehtut. Den "nordhessischen Gulag" hat er zwar hinter sich gelassen, aber nur, um sich in Braunschweig niederzulassen, mitten im "zuckerrübigen Ackerland" von Niedersachsen. Anfang dieses Jahres hätte man ihn allerdings beinahe ausgebürgert: El Kurdi hatte in einer seiner Kolumnen auf die NPD-Vergangenheit des Braunschweiger Oberbürgermeisters hingewiesen und wurde daraufhin öffentlich zur persona non grata erklärt.
Rezensiert von Kolja Mensing
Hartmut El Kurdi: Der Viktualien-Araber. Geschichten und Kolumnen
Edition Tiamat, Berlin 2007
174 Seiten, 13 Euro
Für seinen Band "Der Viktualien-Araber" hat El Kurdi nun einige seiner bösesten Texte zusammengestellt und sie um neues Material angereichert. Angenehm schlecht gelaunt bläst er zum Angriff auf die Bollwerke der bundesrepublikanischen Konsensgesellschaft: "Freunden der Anthroposophie" serviert er mundgerecht die schönsten rassistischen Zitate aus dem Werk Rudolf Steiners. Oder er fragt sich, warum man in Deutschland von Einwanderern bessere Sprachkenntnisse fordert, gleichzeitig aber keine Probleme mit dem "Ballaballa-Apostroph" in "Biene's Wollkiste" oder "Wiesenhof Chicken Snack's" hat.
Das liest man gerne, egal ob man sich nun bestätigt fühlt oder vielleicht auch selbst erwischt wird. Der eigentliche Reiz dieses Bandes liegt allerdings nicht in den verbalen Ohrfeigen, die treffsicher an Amok laufende Politiker und selbstverliebte Bescheidwisser ausgeteilt werden, sondern in den autobiografischen Details in fast allen Texten. El Kurdi ärgert sich über andere, aber er schreibt über sich selbst.
1964 wurde er als Kind eines arabischen Vaters und einer deutschen Mutter in Jordanien geboren. Er kam dann ausgerechnet nach Kassel in "Hessisch Sibirien". Jetzt ist alles Provinz. Hartmut El Kurdi beschreibt seine "Prollsiedlungskindheit" mit "Resopalküchentisch" und einem Stiefvater, der sein Bein in Russland verloren hat. Die Schulzeit wird durch "frustrierte SPD-Lehrer" und feministisch angehauchte Klassenkameradinnen bestimmt, die sich im "SV-Raum" dann ausgerechnet dem Jahrgangsmacho hingeben. Es ist eine bestürzend durchschnittliche Jugend, zu deren Höhepunkten gelegentliche Rauschgiftexzesse gehören und ein Wochenendbesuch bei einer linken WG in Hamburg, in der "die Ermordung der RAF in Stammheim als gesicherte Tatsache gilt".
Daran hätten wir uns lieber nicht erinnert. Hartmut El Kurdi führt uns noch einmal die westdeutsche Provinz der späten Siebziger vor Augen, mit ihren traurigen Fußgängerzonen und muffigen Amtsstuben, in denen ein Porträt des Bundespräsidenten und "SA-Manns" Karl Carstens über den Schreibtischen hängt. Damals ist es schon ein revolutionärer Akt, die "Haare bis zum Arsch" zu tragen, und "creative writing" heißt noch "expressives Schreiben". Die Provinz - das ist die Hölle.
Hartmut El Kurdi verdient darum größte Bewunderung dafür, dass er Anfang der Neunziger nicht wie die meisten anderen vermeintlichen "Kreativen" dieses Landes nach Berlin umgezogen ist. Er ist dort geblieben, wo der Alltag noch wehtut. Den "nordhessischen Gulag" hat er zwar hinter sich gelassen, aber nur, um sich in Braunschweig niederzulassen, mitten im "zuckerrübigen Ackerland" von Niedersachsen. Anfang dieses Jahres hätte man ihn allerdings beinahe ausgebürgert: El Kurdi hatte in einer seiner Kolumnen auf die NPD-Vergangenheit des Braunschweiger Oberbürgermeisters hingewiesen und wurde daraufhin öffentlich zur persona non grata erklärt.
Rezensiert von Kolja Mensing
Hartmut El Kurdi: Der Viktualien-Araber. Geschichten und Kolumnen
Edition Tiamat, Berlin 2007
174 Seiten, 13 Euro