"Museumsarbeit ist immer politisch"
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In Amsterdam konnte Hetty Berg schon 30 Jahre lang Museumserfahrung sammeln. Mitten in Corona-Zeiten hat die Niederländerin die Leitung des Jüdischen Museums Berlin übernommen – und sich den ersten Fahrradhelm ihres Lebens gekauft.
Allein durchs Museum wandeln? Für Hetty Berg ist das schon lange keine romantische Vorstellung mehr. Schließlich kann die neue Leiterin des Jüdischen Museums Berlin seit Monaten kein Publikum ins Haus lassen. Erst kam die Neugestaltung der Dauerausstellung und dann auch noch Corona hinzu.
"Ein Museum lebt von seinen Besuchern. Da herumzulaufen, ohne dass jemand da ist, ist sehr traurig."
Ende August soll nun endlich wieder geöffnet werden.
"Nicht mit Tagespolitik beschäftigen"
Von Corona konnte Hetty Berg nichts ahnen, als sie sich für Berlin entschied. Davon, dass das Jüdische Museum in der Hauptstadt in der Kritik stand, schon. Im Kern ging es darum, was ein jüdisches Museum soll oder nicht soll, was es darf oder nicht. Wie tagesaktuell es sein sollte, wie es sich zur politischen Situation in Israel positioniert.
Hetty Berg hat dazu ein klare Meinung:
"Die Museumsarbeit ist immer politisch. Aber es soll sich nicht mit tagespolitischen Dingen beschäftigen. Ein Museum muss eine soziale und gesellschaftliche Rolle spielen. Ich hoffe, dass in dieser immer mehr polarisierten Gesellschaft das Museum ein Ort sein kann für offene Debatten und ein offenes Miteinander. Alle Themen, die wir im Museum behandeln, wie Ausgrenzung, Zugehörigkeit, Diversität und Identität, das sind alles Themen, die in der ganzen jüdischen Geschichte eine Rolle gespielt haben. All diese wichtigen Fragen sind auch wichtige Fragen von heute. "
Das Museum vor Instrumentalisierung schützen
Gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit in Berlin schickte Hetty Berg eine Botschaft nach Israel: "Wir sind ein Bundesmuseum."
Was war geschehen? Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte eine Ausstellung des Hauses als zu israelkritisch attackiert und verlangt, es sollten Gelder gestrichen werden.
"Ich muss das Museum davor schützen, dass es nicht durch irgendeine Richtung oder Partei instrumentalisiert wird. Das Museum ist da, um die Vergangenheit und Gegenwart der jüdischen Kultur und des jüdischen Lebens in Deutschland zu zeigen. Und auch, um die heutigen komplexen Themen aufzugreifen, und dafür, einen zuverlässigen und geschützten Raum zu bieten."
Vorfreude aufs Publikum
An der neuen Dauerausstellung konnte Hetty Berg nur noch wenig mitgestalten. Das Konzept stammt von ihrem Vorgänger Peter Schäfer. Dennoch, die Vorfreude kurz vor der Wiedereröffnung ist der Museumsleiterin deutlich anzumerken.
"Was ich sehr schön finde ist, dass mit den Sehgewohnheiten der Besucher gespielt wird. Es gibt da eine 3D-Brille. Mit dieser 3D-Brille kann man vier verschiedene Synagogen angucken. Und man spürt wirklich, als wäre man in diesen Gebäuden. Das sind vier Synagogen, die in den 30er-Jahren zerstört wurden."
Ohne Fahrradhelm nach Berlin
Hetty Berg, geboren 1961 in Den Haag, stammt aus einer jüdischen Familie. Religion spielte weniger eine Rolle, "politisches Engagement" war dafür umso wichtiger. Ihre Eltern und Großeltern wurden versteckt und konnten so die Nazi-Herrschaft überleben. Viel wurde in der Familie über diese Zeit nicht gesprochen, auch ein Grund dafür, warum die Kulturhistorikerin im Jüdischen Museum in Amsterdam landete.
30 Jahre hat sie dort gearbeitet. Für die neue Aufgabe in Berlin fühlt sich die heute 59-Jährige gut gewappnet. Schließlich ist sie auch ausgebildete Balletttänzerin. "Ich habe dadurch eine ziemlich gute Ausdauer und auch Disziplin. Das nimmt man in sein Leben mit."
Einen Helm jedoch hat die passionierte Fahrradfahrerin aus Amsterdam nicht mitgenommen. Hetty Berg besaß bisher keinen. Hier in Berlin hat sie ihren ersten gekauft. "Die Fahrradfahrer sind weniger wild als in Amsterdam. Aber Berlin ist natürlich eine größere Stadt, mit größeren Straßen. Die Autos haben mehr Raum als in Amsterdam."
(ful)