"Hidden Champions": Die Hansestadt Wismar

Alte Steine, neues Business

Der abendliche Stadthafen mit dem Nachbau der Poeler Kogge, aufgenommen am 09.12.2016 in Wismar (Mecklenburg-Vorpommern) aus dem wieder aufgebauten früheren Getreidespeicher. Im Alten Hafen prägen die wuchtigen Bauten aus Backstein die Kulisse. Seit einem Vierteljahrhundert haben die Speicher jedoch ausgedient, eingelagert wird dort nichts mehr. Seither sorgen sich Denkmalschützer um den Erhalt der zerbröselnden Industriegebäude. Die ersten Speicher sollen nun nach aufwendiger Sanierung oder Neubau als Bürogebäude, Ferienwohnungen oder Restaurants genutzt werden
Im Alten Hafen von Wismar prägen die wuchtigen Bauten aus Backstein die Kulisse. Nach aufwendiger Sanierung oder Neubau sollen viele Speicher als Bürogebäude, Ferienwohnungen oder Restaurants genutzt werden. © picture-alliance / dpa / Jens Büttner
Von Silke Hasselmann |
Neben den prominenten Hansestädten Mecklenburg-Vorpommerns wie Rostock oder Stralsund gibt es auch weniger bekannte wie Wismar. Zum Unesco-Welterbe gehört sie schon eine Weile - doch sie hat noch mehr zu bieten. Neben archäologischen Sensationsfunden gehört auch eine lebendige Start-up-Szene dazu.
Das Land Mecklenburg-Vorpommern grenzt im Norden auf ganzer Breite an die Ostsee. Kein Wunder, dass sich auch an der dortigen Küste schon vor hunderten Jahren Seefahrer, Bootsbauer und Kaufleute niedergelassen haben. Die größten Städte gehörten zudem zu dem Handels- und Städtebund Hanse.
Die wohl bekanntesten sind heute die Hansestädte Rostock, Greifswald und Stralsund. Doch da gibt es auch noch Wismar an der nordwestmecklenburgischen Ostseeküste. Seit 15 Jahren genießt die Hansestadt Wismar den Status eines Unesco-Weltkulturerbes, sie verfügt über eine Hochschule und über lange Schiffbau-Traditionen.

Wismar – anders als die anderen Hansestädte

Doch erst jetzt steht die 43.000-Einwohner-Stadt im Begriff, aus dem Windschatten der anderen Hansestädte herauszutreten, denn sie hat vieles zu bieten. Dazu zählen auch die liebevoll restaurierten Altstadthäuser.
"Wir sind jetzt in der Beletage. Vor 300 Jahren war hier ein Luftraum. Das ist die alte Deckenhöhe. Man hat seinerzeit dann einen Fußboden eingezogen."

Zu Gast im ältesten Haus der Hansestadt Wismar. Die Ziege am Portal in der Dankwartstraße 8 verweist auf den nunmehr 30. Eigentümer seit dem Mittelalter: Hermann Ziegenhals. Der gelernte Zimmerer und studierte Architekt aus Sachsen hatte sich 1978 mit seinen Studenten der Wismarer Hochschule daran gemacht, das abrissbedrohte Fachwerkhaus zu retten.
"Es war seinerzeit der Trend: Raus aus den Altstädten. Alle wollten eine Neubauwohnung am Stadtrand haben. Ich hatte eine Neubauwohnung am Stadtrand, wollte in die Innenstadt und sagte mir, die alten Häuser, die in der Stadt existieren, müssen doch mit Leben erfüllt werden. Und viele Studenten, die auch hier mitgearbeitet haben, haben später selber alle alte Häuser übernommen und Ähnliches praktiziert."
Sechs Jahre – bis 1984 – dauerte die Sanierung des heute denkmalgeschützten Hauses, das Hermann Ziegenhals selbst bewohnt.
"Alle Steine sind hier original mit Metall. Alles wurde wieder neu, wie im Mittelalter, untergemauert, bis zur letzten Fuge."

Wismars Altstadt – seit 2002 Unesco-Weltkulturerbe

Zwar bezeichnen sich einige Wismarer mit Blick in die wechselvolle Zugehörigkeitsgeschichte noch immer gern als "Südschweden". Doch zu wem Wismar auch immer gehörte, der Stadtgrundriss hat sich hunderte Jahre lang kaum verändert.
Das war ein Grund für die UNESCO, Wismars Altstadt 2002 gemeinsam mit Stralsund als Weltkulturerbe einzustufen. Ein anderer Grund: Alle Patrizierhäuser und Kontore wurden inzwischen liebevoll saniert. Gerade sind die großen Speicher und Silos im Alten Hafen dran. Und dann sind da die drei hohen Backsteinkathedralen – darunter St. Georgen mit einem 35 Meter hohen und 10 Meter breiten Mittelschiff.
Die lange Zeit größte Klosterruine Deutschlands wurde nach der Wende das erste Förderprojekt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Heute dient die Georgenkirche wieder religiösen wie auch kulturellen Zwecken – etwa als akustisch bestens geeigneter Konzertort der "Festspiele Mecklenburg-Vorpommern", die auch in diesem Sommer von Juni bis September im ganzen Land stattfinden. Wer es zudem ohne Höhenangst auf die neueröffnete Aussichtsplattform schafft, wird mit einem grandiosen Stadtblick aus der Vogelperspektive belohnt.

Archäologischer Sensationsfund im Hafen?

Im Alten Hafen liegen seetüchtige Segelboote ebenso wie traditionelle Koggen. Doch auch dort, wo der neue Hafen entsteht, scheint immer wieder Geschichte auf. Als Bergungsspezialisten voriges Jahr dort nach Munition aus diversen Weltkriegen und Militärübungen suchten, fanden sie Reste zweier Holzschiffe aus der frühen Hansezeit. Die Bergung übernahmen Archäologen wie Roman Scholz:
"Hier auf diesem Luftbild kann man hervorragend erkennen: Das sind die Positionen der beiden Wracks, die wir gerade bearbeiten."
Mittlerweile wissen die Archäologen, dass die 15 Meter und 18 Meter langen ehemaligen Handelsschiffe aus Eichen bestehen, die um 1200 in Mecklenburg gefällt worden sein müssen. Vieles spricht dafür, dass sie in Wismar gebaut worden waren – die Wiege der frühen hanseatischen Flotte.
"Und wenn man vielleicht eine durchschnittliche Nutzungsdauer von 30, 40, 50 Jahren annimmt, dann kommt man Mitte, Ende des 13. Jahrhunderts mit der Datierung an. Wenn sich das bestätigen sollte, wäre das ein absoluter Sensationsfund nicht nur für die Region hier, nicht nur für Wismar, sondern auch überregional für den baltischen Raum."
Doch es geht noch sensationeller. Ende Mai fanden die Forscher unter den beiden geborgenen Wracks ein drittes. Das stammt laut ersten Holzproben sogar aus dem 10. Jahrhundert.

Milliarden-Investition für den Bau von Luxusschiffen

Heutzutage gehören Wismar und der Schiffsbau zusammen wie schon lange nicht mehr. Der 1946 gegründete volkseigene Betrieb "Matthias-Thesen-Werft" beschäftigte zum Ende der DDR 1300 Menschen. Heute sind es rund 700. Die Werft ging nach der Wende durch viele Krisen mit immer wieder wechselnden Namen und Privateigentümern.
Doch voriges Jahr zahlte sich endlich aus, dass die Schweriner Landesregierung jahrelang insgesamt über eine Milliarde Steuereuro in die Modernisierung der Werften in Wismar, Rostock und Stralsund gesteckt hat. Das überzeugte nämlich den malaysischen Mischkonzern Genting, zu dem asiatische und amerikanische Kreuzfahrtlinien gehören.
Nun sollen diese drei Standorte unter dem Namen "MV Werften" Luxuskreuzfahrtschiffe bauen, darunter die größten der Welt. Betriebsrat Harald Ruschel glaubt den neuen Eignern mittlerweile, dass allein am Hauptgeschäftssitz Wismar schon bald mindestens 1500 Leute gutbezahlte Arbeit arbeiten werden.
"Mein Bauchgefühl sagt mir, dass wir in einer guten Zeit angekommen sind. Wir haben ein Auftragsbuch von über zehn Jahren. Welche Firma in Mecklenburg-Vorpommern kann ein solches Auftragsbuch aufweisen?"

Lebendige Start-up-Szene

Abstecher ins fast 200 Jahre alte Rathaus, das die Nordseite des 100 mal 100 Meter großen Marktplatzes säumt. Hier richtete Gastgeber Mecklenburg-Vorpommern kürzlich die Europaminister-Konferenz aus.
Gelegenheit für Bürgermeister Thomas Beyer, die weitgereisten Gäste auf seine Stadt aufmerksam zu machen, in der viele junge Leute bleiben beziehungsweise in die Gutgebildete kommen. Gründe? Die Sogwirkung der auflebenden Werft. Die gut entwickelte Holzindustrie. Die vielen Start-up-Unternehmen im Umfeld der Hochschule. Die wunderschöne Altstadt mit Weltkulturerbe-Status. Und die dennoch preiswertesten Mieten aller Hansestädte, meint Thomas Beyer:
"Also ich glaube, dass es tatsächlich diese Sogwirkung gibt. Wir haben ein sehr schönes Lebensklima hier. Wir sind Welterbe-Stadt. Wir haben eine wunderschöne Region und landschaftlich einiges zu bieten. Was wir natürlich auch schon zu Marketingzwecken immer wieder deutlich gemacht haben auch als Bundesland Mecklenburg-Vorpommern: 'Leute, das ist nicht nur ein Land, in dem man Urlaub machen kann, sondern hier kann man auch gut leben.' Das wird jetzt deutlich oder augenscheinlich, müsste ich besser sagen, dass das tatsächlich stimmt. Und gerade für Wismar stimmt."
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