Residenzstadt mit virtuellem Schloss
Mit den Schlössern hatte die Residenzstadt kein Glück. Beide brannten ab. Dafür kann man in Neustrelitz so einiges anderes entdecken. Unter anderem eine der größten, barocken Stadtanlagen Europas und ein Haus, das die Farbe wechselt.
Zu Gast auf der Anlage des Tennisvereins Neustrelitz, in diesem Sommer Gastgeber der Senioren-Landesmeisterschaften. Mit Sportwart Marco ist auch ein Ur-Neustrelitzer dabei.
"Ich bin 44 Jahre alt. Gebürtiger Neustrelitzer. Ich wohne in einer wunderschönen Gegend. Wir haben mittlerweile super Fahrradwege, wo ich kilometerlang in schönster Umgebung fahren kann. Kann Pausen machen an Waldseen, die absolut unberührt sind. Man kann einfach die Gegend genießen."
Planstadt nach italienischem Vorbild
Die Stadt selbst hat nach der Wende viele Einwohner verloren. Dennoch kann es hier quirlig zugehen, vor allem im Sommer, wenn täglich hunderte Operettenfreunde zu den Schlossfestspielen anreisen. Von der Außentreppe vor der Stadtkirche lässt es sich gut beobachten, das Treiben auf dem Marktplatz samt Wasserfontänen und den acht gleichmäßig in alle Richtungen abgehenden Straßen. Ein streng konstruierter Strahlenkranz, wie ihn Großherzog Gustav Adolf III mit seinem Auftrag zur Wiedergründung der abgebrannten herzoglichen Residenz Strelitz bereits 1733 im Sinn hatte.
Das kann man besonders gut aus der Vogelperspektive erkennen. Dafür betrete man einfach die Stadtkirche, lasse den Pfarrer das Orgelspiel proben und steige auf den Turm. Hier wird augenfällig, dass Neustrelitz als Planstadt nach italienischem Vorbild errichtet worden war und heute nach Eigenauskunft über die europaweit größte noch zusammenhängende barocke Stadtanlage verfügt. Mit Orangerie, Schlossgarten, Schlosskirche, Gedächtnishalle für Königin Luise von Preußen, eine geborene Prinzessin zu Mecklenburg-Strelitz.
Ehemaliger Königssitz – ohne Schloss
Nur ein Schloss fehlt. Denn 1945 war auch das zweite abgebrannt. Mehr erfährt man im Kulturquartier Mecklenburg-Strelitz, Herberge von rund 800 Zeugnissen aus der Stadtgeschichte. Albrecht Pyritz ist der Direktor des Kulturquartier Neustrelitz:
"Nur wenige Städte haben noch ihre originale Gründungsurkunde. Das ist die der Stadt Strelitz aus dem Jahr 1349."
Wenig später berührt Albrecht Pyritz die Schaltfläche einer Medienstation und löst einen virtuellen Schlossrundgang aus.
"In diesem Fall haben wir den wunderbaren Thronsaal mit einer Originalausstattung. Darin ist ein Schrank, ein wunderschöner französischer Neubarock mit Goldapplikationen, mit Intarsien drin. Der hat bestimmt so viel gekostet wie heute ein Einfamilienhaus."
Das Kulturquartier Neustrelitz samt Landesmuseum, Regionalarchiv und Stadtbibliothek ist selbst in einem aufwendig renovierten Gebäude untergebracht. Die Spuren der Kaiserlichen Post erkennt der Besucher vor allem an der gründerzeitlichen Schalterhalle im Eingangsbereich. Dort überdauert hat aber auch eine Telefonkabine aus DDR-Zeiten, so Albrecht Pyritz.
"Die ist von 1983. Und das ist der Ort, von dem aus in Neustrelitz telefoniert werden konnte. Quasi die einzige Telefonzelle, die öffentlich war."
Ein Haus, dass die Farbe ändern kann
Doch Neustrelitz lebt nicht rückwärtsgewandt. Neben dem modernen Heizkraftwerk zum Beispiel steht ein Gebäude, das einem Chamäleon gleich die Fassadenfarbe ändern kann – je nach Bewölkung, Lichteinfall und Lufttemperatur. Hier sitzt die stadteigene Landeszentrale für Erneuerbare Energien GmbH, kurz Leea, deren Ausstellungen über die "Ressourcenkammer Erde" und über physikalisch-energetische Phänomene vieles zum Ausprobieren und Mitmachen bieten.
"Also ich fand hier zum Beispiel diesen Spiegel cool, wo man sich ganz oft selber gesehen hat. Oder wo man diese Wasserpumpe dahinten betätigen musste. Und – ja, es ist schon cool hier. Man hält's hier aus."
Hauptattraktion im Leea: Die Carrera-Bahn. Hier bewegen sich die Rennautos allerdings nur, wenn jemand ihnen durch das Strampeln auf danebenstehenden Hometrainern Energie zuführt, erklärt Steffi Henning-Schult:
"Es geht einfach mal darum, dass man mit eigener Muskelkraft Energie erzeugt und die kleinen Flitzer zum Laufen bringt, um einfach zu sehen: Wie viel Energie steckt hinter einer Carrera-Bahn, damit die Autos so schnell fahren und auf einer Länge von 35 Metern nach circa zehn Sekunden ins Ziel kommen?"
Umweltfreundlich, innovativ und etwas abgelegen
Übrigens: Neustrelitz zählt zu jenen deutschen Städten, die mindestens 30 Prozent ihres Strom- und Wärmebedarfes aus regional erzeugter Biomasse decken. Voriges Jahr zeichnete das Bundeslandwirtschaftsministerium die Stadt als Sieger des Wettbewerbs "Bioenergie-Kommune 2016" aus. Von dem Preisgeld werden nun weitere städtische Ladesäulen für Elektroautos finanziert.
Zugleich investieren die außergewöhnlich innovativen Stadtwerke über 16 Millionen Euro in ein Hochgeschwindigkeits-Internet für Neustrelitz. Im Februar ging der erste Teil des "STRELIX"-Glasfasernetzes in Betrieb – dringend erwartet von Schulen, Wirtschaft, Handwerk, Dienstleistern. Auch ein Argument für heimatverbundene Ex-Neustrelitzer zurückzukommen, sagt Maik Zellermann.
Der Tennisvereinschef ist von Beruf Regionalleiter eines namhaften Holzverarbeiters, der als einer der wenigen Betriebe in Neustrelitz mehr als 100 Menschen beschäftigt.
"Leider fehlt natürlich ein bisschen die Wirtschaft und die Kaufkraft, und das Thema Abwanderung haben wir folglich natürlich auch. Aber da bin ich wieder bei der Infrastruktur und der Erreichbarkeit. Weil, Neustrelitz ist wirklich eine Stadt, die ihresgleichen sucht. Allein, wenn man sich die Stadtanlage anguckt, den Stand der Restauration und die schönen Gebäude. Leider ist das überregional ganz vielen Menschen gar nicht bekannt. Das mag auch damit zu tun haben, dass wir von der Infrastruktur her nicht so angebunden sind und etwas abseits der großen Autobahnen liegen. Ich finde, da muss man einfach noch ein bisschen was tun. Ein Stichwort ist sicher der Ausbau der B 96 und solche Geschichten, damit man auch diese Region besser erreicht."