"Hier geht es um Leben und Tod für viele"
An einem Seitenfluss des Amazonas soll in Brasilien der drittgrößte Staudamm der Welt, der Bel-Monte-Staudamm, gebaut werden. Doch für die indigenen Völker, die am Fluss leben, sei eine Umsiedlung nicht möglich, da sie sich auf das Leben in diesem Gebiet angepasst haben, sagt Umweltschützer Ulrich Eichelmann.
Katrin Heise: Wasserkraft ist gut für das Klima, die Technologie ist CO2-neutral, sie ist regenerativ, weil das Wasser bei der Stromerzeugung nicht verbraucht wird, und Wasserkraft macht uns unabhängiger von fossilen Energiequellen wie Öl und Kohle. In Brasilien soll nun mit dem Belo-Monte-Staudamm an einem Seitenfluss des Amazonas der drittgrößte Staudamm der Welt entstehen. Am Bau beteiligt sind auch das deutsche Unternehmen Voith Hydro zum Beispiel. Doch was für den Klimaschutz gut ist, ist für die Menschen am Fluss eine Katastrophe, der Fluss Xingu soll über mehrere Talsperren zu zwei Stauseen aufgestaut werden, eine Fläche so groß wie der Bodensee wird geflutet.
Ulrich Eichelmann engagiert sich bei ECA Watch, und begutachtet kritisch Großprojekte wie beispielsweise den Belo-Monte-Staudamm. Der ist für ihn verantwortungslos. Warum, das wird er uns jetzt erklären. Schönen guten Tag, Herr Eichelmann!
Ulrich Eichelmann: Hallo, ich grüße Sie!
Heise: Dort, wo diese Stauseen jetzt entstehen sollen, was ist da momentan?
Eichelmann: Das ist erst mal eine Riesen-Flusslandschaft, die mit europäischen Maßstäben gar nicht zu beschreiben ist. Der Fluss ist, glaube ich, zehnmal so groß wie die Donau in Österreich beispielsweise oder wie der Rhein bei Köln. Es ist umgeben von Urwäldern, es gibt sehr kataraktartige Bereiche, teilweise ist der Fluss 16 Kilometer breit. Also das sind schon ziemliche Dimensionen.
Heise: Wie viele Menschen leben dort, welche Tierwelt herrscht dort vor?
Eichelmann: Es gibt da eine relativ große Stadt, die heißt Altamira, es ist nicht vollkommen verlassener Urwald, wie man sich das vorstellt, sondern es gibt schon Siedlungen auch, Indianer-Siedlungen, die Menschen, die Indigenen leben dort in ziemlicher Harmonie mit der Natur, wie man sich das so vorstellt, die nutzen den Fluss als Transportweg, die nutzen den Fluss vor allen Dingen zum Fischfang, weil in dem Fluss gibt es etwa 700 bis 800 Fischarten. Das sind viermal mehr Arten, als in ganz Europa, in allen Flüssen und Seen Europas zusammen vorkommen. Den nutzen die, und entsprechend groß ist die Artenvielfalt auch im Wald drinnen. Und das alles würde vernichtet, wenn dieser Staudamm tatsächlich gebaut würde.
Heise: Das heißt, der Staudamm würde genau diese Gegend total überfluten. Schildern Sie uns die Folgen mal ein bisschen genauer, für Natur und die indigenen Völker oder die Stadt, die Sie erwähnt haben.
Eichelmann: Es gibt da zwei Effekte: Der eine ist sozusagen der Einstaueffekt, das ist das, was für jeden einleuchtend ist, da wird halt eine riesige Fläche überflutet, und das heißt, vernichtet auch. Das andere ist das Menschliche sozusagen, dass da relativ viele Menschen, man rechnet – es sind 20.000, bis zu 30.000 Menschen müssten umgesiedelt werden. Darunter sind Menschen, die in Altamira leben, die flachen, die niedrigen Bereiche der Stadt, die müssten freigeräumt werden, die würden überflutet.
Darunter, unter diesen Menschen, sind aber auch viele Indianer, Indigene, die man nicht einfach umsiedeln kann, weil die sind gewohnt, in ihrem Bereich zu jagen, zu fischen und Pflanzen zu suchen. Die kennen sich in anderen Bereichen nicht aus. Das kann man nicht mit der Situation in Deutschland vergleichen, wo man sagt: Ein Wald ist wie der andere, sondern die Vielfalt und die Diversität ist so enorm, dass die Leute sich genau dort auskennen und vielleicht andere Pflanzen dann essen würden, die giftig sind, und so weiter, in anderen Bereichen.
Heise: sie drehen einen Dokumentarfilm über Verbrechen im Namen des Klimaschutzes und waren deshalb zweimal in dem jetzt von uns besprochenen Urwaldgebiet, zuletzt gerade im vergangenen Oktober. Wie reagieren denn die betroffenen Menschen eigentlich, formiert sich Protest, oder protestieren sie?
Eichelmann: Wütend. Ja, die sind alle wütend. Die Indianer, die sagen uns ganz klar: Wenn der weiße Mann hier seinen Moloch bauen will, dann werden wir in den Krieg ziehen, und dann werden wir sie töten. Das sagen die ganz dezediert, weil für sie geht es um Leben und Tod. Das muss man tatsächlich so sehen. Es gibt auch einen relativ groß organisierten Widerstand, der wird seit 30 Jahren – so lange geht das schon mit diesem Projekt – angeführt von einem katholischen Bischof, dem österreichstämmigen Bischof Erwin Kräutler ...
Heise: ... Träger des Alternativen Nobelpreises, gerade auch für dieses Engagement ...
Eichelmann: ... jetzt hat sich auch der Autor und Regisseur James Cameron, bekannt durch "Titanic" und "Avatar", eingeschaltet, Bill Clinton war jetzt dort, Arnold Schwarzenegger, dieser Staudamm ist sozusagen nicht nur ein Staudamm irgendwo, sondern das ist im Prinzip der Türöffner für die Zerstörung, für die großflächige Zerstörung des Amazonasgebietes. Weil nach diesem Projekt sollen noch 80 Megadämme entstehen und 600 mittlere Dämme. Das heißt, letztendlich sollen alle – auch jetzt noch völlig unberührten – Flächen eingestaut werden, und dann darf man sich das nicht nur vorstellen, dass da ein Damm ist, sondern Sie müssen Straßen bauen, es müssen große Siedlungen entstehen, es müssen viele 1.000 Kilometer lange Hochspannungsleitungen durch zum Teil unberührte Flächen geführt werden. Dazu müssen Sie wieder roden, müssen wieder Straßen bauen, das ist wie eine Krebszelle, die Sie implantieren in einen gesunden Körper, und die sich dann einfach weiter fort frisst.
Heise: Das Projekt existiert, wie Sie sagen, ja schon seit den 70er-Jahren, die Dimensionen scheinen immer weiter auszuufern – es war ja auch schon mal gestoppt, unter Lula de Silva wurde es dann wieder aufgenommen. Jetzt gab es gerade im Februar unter anderem mal wieder einen Baustopp durch einen Bundesrichter. Wie weit ist es jetzt tatsächlich momentan?
Eichelmann: Das ist ein ständiges Hin und Her, im Grunde overruled immer die Regierung, dann wieder die richterlichen Stoppbescheide, das war auch diesmal so, auch jetzt haben sie schon mit den Bauvorbereitungen begonnen, obwohl die zwingend erforderlichen Ausgleichmaßnahmen oder Prüfungen noch gar nicht erfolgt sind. Diese Staudämme – deshalb machen wir auch diesen Film "Climate Crime – Umweltverbrechen im Namen des Klimaschutzes" – die werden so als Klimaschutz verkauft, zerstören aber in Wahrheit genau das, was der Klimaschutz eigentlich retten will oder erreichen will, nämlich Artenvielfalt soll erhalten werden eigentlich durch den Klimaschutz, und durch diese Staudämme werden aber gigantische Artenzahlen vernichtet.
Und diese Staudämme, die haben darüber hinaus noch so was Machtähnliches: Alle großen Staaten wie China, die bauen den Dreischluchtendamm, das größte Bauwerk von China, die Türken bauen Ilisu, das größte Stauprojekt der Türkei, und die Brasilianer jetzt eben Belo Monte.
Heise: Lassen Sie uns mal in Brasilien bleiben, das ist nämlich jetzt im Moment im Deutschlandradio Kultur unser Thema, der Belo-Monte-Staudamm. Ulrich Eichelmann von der kritischen ECA Watch engagiert sich dagegen. Sie haben eben, Herr Eichelmann, die Auflagen erwähnt, denn zur Wiederaufnahme dieses Projektes, nachdem es mal gestoppt war, kam es natürlich nur durch massive Auflagen an die Unternehmen. Lassen Sie uns mal darüber sprechen: Ausgleichsentschädigungsleistungen, die sind, wenn ich Sie richtig verstehe, ungenügend?
Eichelmann: Ach, die sind nicht mal existent in Wahrheit. So was ist meistens eine Marketinggeschichte. Da gibt es dann Auflagen, die heißen: In dem Baustellenbereich darf man nur 30 fahren wegen der Staubentwicklung, es gibt natürlich auch ...
Heise: ... es ist aber auch von großen Summen die Rede, die zum Beispiel für Umsiedlung aufgewendet werden.
Eichelmann: Ja, das ist aber – wie ich eben schon versucht habe, zu erklären – manchmal kann man mit Geld Leute nicht befriedigen oder glücklich machen. Ich kann einem Indianer – ein Cayapo-Indianer –, der sein Leben lang in den Wäldern und im Fluss gejagt hat und gelebt hat, nicht einfach mit Geld entschädigen und sagen: Jetzt geh du mal ganz woanders hin, zumal die Flächen ja auch nicht immer frei verfügbar sind. Also da ist das Geld, was da im Raum steht, spiegelt nicht die Realität wieder.
Heise: Das deutsche Unternehmen Voith Hydro, das ja vor kurzem eingestiegen ist, Turbinen, Generatoren, Transformatoren liefern wird, beruft sich darauf, dass man davon ausgeht, die ausgehandelten Auflagen würden umgesetzt, was Umwelt und indigene Völker angeht. Was sagen Sie dazu?
Eichelmann: Das stimmt einfach nicht. Das zeigen ganz viele Beispiele. Am Anfang wird immer alles versprochen, und wenn dann ...
Heise: ... Also es stimmt nicht, dass die Auflagen umgesetzt werden.
Eichelmann: Die Auflagen werden jetzt nicht umgesetzt, das hat ja auch ein Gericht in Para, das ist der Bundesstaat, so festgestellt, und hat gesagt: Erst müssen Auflagen erfüllt werden, und dann könnt ihr anfangen. Nein, das ist gleich wieder overruled worden, und gesagt worden, die sollen mal anfangen, und während des Baus kann man dann Auflagen erfüllen. Das widerspricht übrigens den Standards der Weltbank.
Heise: Sie haben etwas anderes noch erwähnt, nämlich das Gegeneinander von Klimaschutz und Menschenrechtseinhaltung beziehungsweise auch Naturschutz. Brasilien als eine aufstrebende Wirtschaftsmacht ist sehr stolz darauf, den Menschen mehr Wohlstand zu ermöglichen, entsprechend groß ist der Energiebedarf. Gleichzeitig versucht man es dann mit regenerativer Energie wie eben der Wasserkraft, das ist doch eine Interessenkollision, wie ist die zu umgehen?
Eichelmann: Da kommt man in eine generelle Diskussion, die hat für mich zwei Aspekte. Der eine ist: Das Amazonasgebiet, das hat für mich globale Bedeutung aus Naturschutzsicht, aus Sicht der indigenen Bevölkerung. Das muss absolut – meiner Ansicht nach – unberührt bleiben.
Das zweite ist die aufstrebende Nation – da gibt es viele von diesen Nationen –, so was ist nur zu lösen, auch mit diesem Klimaaspekt, wenn man runter geht im Verbrauch. Denn die Brasilianer, die sind auf dem Weg, genau so viel Energie zu verbrauchen wie wir, dann gibt es keine Chance. Dann können die auch noch 80 Staudämme bauen, dann sind in 15 Jahren auch diese Ressourcen aufgebraucht, und der Hunger nach mehr Energie ist größer. Das ist keine Option, immer weiter zu machen, und bei ...
Heise: ... das ist ja nicht einmal eine Option hier in unseren Regionen, wo man sich vielleicht da die Gedanken schon macht, weil man ja einen gewissen Wohlstand erreicht hat. Wie weit ist denn die Diskussion dort zu führen?
Eichelmann: In Brasilien ist die ganz schwer zu führen. Das ist natürlich klar, dass alle hungrig sind auf mehr, und für die Brasilianer ist das Amazonasgebiet vollständig rückständiges Gebiet, was einfach – sozusagen – zivilisiert gehört. Das Wissen um Amazonien ist in Brasilien enorm gering, die Wertschätzung des Urwaldes enorm gering, und das ist konträr zu der internationalen Sicht. Deshalb glaube ich auch, das hier die internationale Gemeinschaft viel stärker auf die brasilianische Regierung einwirken muss. Und zur ...
Heise: Was glauben Sie, wie es weitergehen wird bei dem Projekt Belo-Monte-Staudamm?
Eichelmann: Ich glaube, dass das clashen wird. Dass einerseits die Indianer – mit Unterstützung auch von Leuten wie dem James Cameron und anderen – den Widerstand aufrecht erhalten werden, und dass die Regierung nicht abgehen wird von ihrem Vorhaben und das weiter propagiert, und das kann gut sein, dass es dort richtig zu Auseinandersetzungen kommt, bis hin zu vielen Toten, weil hier geht es um Leben und Tod für viele.
Heise: Sorgen, die sich Ulrich Eichelmann macht. Er ist engagiert für die ECA Watch, einer Vereinigung von Umwelt-, Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen, die Großprojekte kritisch beobachtet wie den besprochenen Belo-Monte-Staudamm. Herr Eichelmann, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Eichelmann: Danke auch!
Ulrich Eichelmann engagiert sich bei ECA Watch, und begutachtet kritisch Großprojekte wie beispielsweise den Belo-Monte-Staudamm. Der ist für ihn verantwortungslos. Warum, das wird er uns jetzt erklären. Schönen guten Tag, Herr Eichelmann!
Ulrich Eichelmann: Hallo, ich grüße Sie!
Heise: Dort, wo diese Stauseen jetzt entstehen sollen, was ist da momentan?
Eichelmann: Das ist erst mal eine Riesen-Flusslandschaft, die mit europäischen Maßstäben gar nicht zu beschreiben ist. Der Fluss ist, glaube ich, zehnmal so groß wie die Donau in Österreich beispielsweise oder wie der Rhein bei Köln. Es ist umgeben von Urwäldern, es gibt sehr kataraktartige Bereiche, teilweise ist der Fluss 16 Kilometer breit. Also das sind schon ziemliche Dimensionen.
Heise: Wie viele Menschen leben dort, welche Tierwelt herrscht dort vor?
Eichelmann: Es gibt da eine relativ große Stadt, die heißt Altamira, es ist nicht vollkommen verlassener Urwald, wie man sich das vorstellt, sondern es gibt schon Siedlungen auch, Indianer-Siedlungen, die Menschen, die Indigenen leben dort in ziemlicher Harmonie mit der Natur, wie man sich das so vorstellt, die nutzen den Fluss als Transportweg, die nutzen den Fluss vor allen Dingen zum Fischfang, weil in dem Fluss gibt es etwa 700 bis 800 Fischarten. Das sind viermal mehr Arten, als in ganz Europa, in allen Flüssen und Seen Europas zusammen vorkommen. Den nutzen die, und entsprechend groß ist die Artenvielfalt auch im Wald drinnen. Und das alles würde vernichtet, wenn dieser Staudamm tatsächlich gebaut würde.
Heise: Das heißt, der Staudamm würde genau diese Gegend total überfluten. Schildern Sie uns die Folgen mal ein bisschen genauer, für Natur und die indigenen Völker oder die Stadt, die Sie erwähnt haben.
Eichelmann: Es gibt da zwei Effekte: Der eine ist sozusagen der Einstaueffekt, das ist das, was für jeden einleuchtend ist, da wird halt eine riesige Fläche überflutet, und das heißt, vernichtet auch. Das andere ist das Menschliche sozusagen, dass da relativ viele Menschen, man rechnet – es sind 20.000, bis zu 30.000 Menschen müssten umgesiedelt werden. Darunter sind Menschen, die in Altamira leben, die flachen, die niedrigen Bereiche der Stadt, die müssten freigeräumt werden, die würden überflutet.
Darunter, unter diesen Menschen, sind aber auch viele Indianer, Indigene, die man nicht einfach umsiedeln kann, weil die sind gewohnt, in ihrem Bereich zu jagen, zu fischen und Pflanzen zu suchen. Die kennen sich in anderen Bereichen nicht aus. Das kann man nicht mit der Situation in Deutschland vergleichen, wo man sagt: Ein Wald ist wie der andere, sondern die Vielfalt und die Diversität ist so enorm, dass die Leute sich genau dort auskennen und vielleicht andere Pflanzen dann essen würden, die giftig sind, und so weiter, in anderen Bereichen.
Heise: sie drehen einen Dokumentarfilm über Verbrechen im Namen des Klimaschutzes und waren deshalb zweimal in dem jetzt von uns besprochenen Urwaldgebiet, zuletzt gerade im vergangenen Oktober. Wie reagieren denn die betroffenen Menschen eigentlich, formiert sich Protest, oder protestieren sie?
Eichelmann: Wütend. Ja, die sind alle wütend. Die Indianer, die sagen uns ganz klar: Wenn der weiße Mann hier seinen Moloch bauen will, dann werden wir in den Krieg ziehen, und dann werden wir sie töten. Das sagen die ganz dezediert, weil für sie geht es um Leben und Tod. Das muss man tatsächlich so sehen. Es gibt auch einen relativ groß organisierten Widerstand, der wird seit 30 Jahren – so lange geht das schon mit diesem Projekt – angeführt von einem katholischen Bischof, dem österreichstämmigen Bischof Erwin Kräutler ...
Heise: ... Träger des Alternativen Nobelpreises, gerade auch für dieses Engagement ...
Eichelmann: ... jetzt hat sich auch der Autor und Regisseur James Cameron, bekannt durch "Titanic" und "Avatar", eingeschaltet, Bill Clinton war jetzt dort, Arnold Schwarzenegger, dieser Staudamm ist sozusagen nicht nur ein Staudamm irgendwo, sondern das ist im Prinzip der Türöffner für die Zerstörung, für die großflächige Zerstörung des Amazonasgebietes. Weil nach diesem Projekt sollen noch 80 Megadämme entstehen und 600 mittlere Dämme. Das heißt, letztendlich sollen alle – auch jetzt noch völlig unberührten – Flächen eingestaut werden, und dann darf man sich das nicht nur vorstellen, dass da ein Damm ist, sondern Sie müssen Straßen bauen, es müssen große Siedlungen entstehen, es müssen viele 1.000 Kilometer lange Hochspannungsleitungen durch zum Teil unberührte Flächen geführt werden. Dazu müssen Sie wieder roden, müssen wieder Straßen bauen, das ist wie eine Krebszelle, die Sie implantieren in einen gesunden Körper, und die sich dann einfach weiter fort frisst.
Heise: Das Projekt existiert, wie Sie sagen, ja schon seit den 70er-Jahren, die Dimensionen scheinen immer weiter auszuufern – es war ja auch schon mal gestoppt, unter Lula de Silva wurde es dann wieder aufgenommen. Jetzt gab es gerade im Februar unter anderem mal wieder einen Baustopp durch einen Bundesrichter. Wie weit ist es jetzt tatsächlich momentan?
Eichelmann: Das ist ein ständiges Hin und Her, im Grunde overruled immer die Regierung, dann wieder die richterlichen Stoppbescheide, das war auch diesmal so, auch jetzt haben sie schon mit den Bauvorbereitungen begonnen, obwohl die zwingend erforderlichen Ausgleichmaßnahmen oder Prüfungen noch gar nicht erfolgt sind. Diese Staudämme – deshalb machen wir auch diesen Film "Climate Crime – Umweltverbrechen im Namen des Klimaschutzes" – die werden so als Klimaschutz verkauft, zerstören aber in Wahrheit genau das, was der Klimaschutz eigentlich retten will oder erreichen will, nämlich Artenvielfalt soll erhalten werden eigentlich durch den Klimaschutz, und durch diese Staudämme werden aber gigantische Artenzahlen vernichtet.
Und diese Staudämme, die haben darüber hinaus noch so was Machtähnliches: Alle großen Staaten wie China, die bauen den Dreischluchtendamm, das größte Bauwerk von China, die Türken bauen Ilisu, das größte Stauprojekt der Türkei, und die Brasilianer jetzt eben Belo Monte.
Heise: Lassen Sie uns mal in Brasilien bleiben, das ist nämlich jetzt im Moment im Deutschlandradio Kultur unser Thema, der Belo-Monte-Staudamm. Ulrich Eichelmann von der kritischen ECA Watch engagiert sich dagegen. Sie haben eben, Herr Eichelmann, die Auflagen erwähnt, denn zur Wiederaufnahme dieses Projektes, nachdem es mal gestoppt war, kam es natürlich nur durch massive Auflagen an die Unternehmen. Lassen Sie uns mal darüber sprechen: Ausgleichsentschädigungsleistungen, die sind, wenn ich Sie richtig verstehe, ungenügend?
Eichelmann: Ach, die sind nicht mal existent in Wahrheit. So was ist meistens eine Marketinggeschichte. Da gibt es dann Auflagen, die heißen: In dem Baustellenbereich darf man nur 30 fahren wegen der Staubentwicklung, es gibt natürlich auch ...
Heise: ... es ist aber auch von großen Summen die Rede, die zum Beispiel für Umsiedlung aufgewendet werden.
Eichelmann: Ja, das ist aber – wie ich eben schon versucht habe, zu erklären – manchmal kann man mit Geld Leute nicht befriedigen oder glücklich machen. Ich kann einem Indianer – ein Cayapo-Indianer –, der sein Leben lang in den Wäldern und im Fluss gejagt hat und gelebt hat, nicht einfach mit Geld entschädigen und sagen: Jetzt geh du mal ganz woanders hin, zumal die Flächen ja auch nicht immer frei verfügbar sind. Also da ist das Geld, was da im Raum steht, spiegelt nicht die Realität wieder.
Heise: Das deutsche Unternehmen Voith Hydro, das ja vor kurzem eingestiegen ist, Turbinen, Generatoren, Transformatoren liefern wird, beruft sich darauf, dass man davon ausgeht, die ausgehandelten Auflagen würden umgesetzt, was Umwelt und indigene Völker angeht. Was sagen Sie dazu?
Eichelmann: Das stimmt einfach nicht. Das zeigen ganz viele Beispiele. Am Anfang wird immer alles versprochen, und wenn dann ...
Heise: ... Also es stimmt nicht, dass die Auflagen umgesetzt werden.
Eichelmann: Die Auflagen werden jetzt nicht umgesetzt, das hat ja auch ein Gericht in Para, das ist der Bundesstaat, so festgestellt, und hat gesagt: Erst müssen Auflagen erfüllt werden, und dann könnt ihr anfangen. Nein, das ist gleich wieder overruled worden, und gesagt worden, die sollen mal anfangen, und während des Baus kann man dann Auflagen erfüllen. Das widerspricht übrigens den Standards der Weltbank.
Heise: Sie haben etwas anderes noch erwähnt, nämlich das Gegeneinander von Klimaschutz und Menschenrechtseinhaltung beziehungsweise auch Naturschutz. Brasilien als eine aufstrebende Wirtschaftsmacht ist sehr stolz darauf, den Menschen mehr Wohlstand zu ermöglichen, entsprechend groß ist der Energiebedarf. Gleichzeitig versucht man es dann mit regenerativer Energie wie eben der Wasserkraft, das ist doch eine Interessenkollision, wie ist die zu umgehen?
Eichelmann: Da kommt man in eine generelle Diskussion, die hat für mich zwei Aspekte. Der eine ist: Das Amazonasgebiet, das hat für mich globale Bedeutung aus Naturschutzsicht, aus Sicht der indigenen Bevölkerung. Das muss absolut – meiner Ansicht nach – unberührt bleiben.
Das zweite ist die aufstrebende Nation – da gibt es viele von diesen Nationen –, so was ist nur zu lösen, auch mit diesem Klimaaspekt, wenn man runter geht im Verbrauch. Denn die Brasilianer, die sind auf dem Weg, genau so viel Energie zu verbrauchen wie wir, dann gibt es keine Chance. Dann können die auch noch 80 Staudämme bauen, dann sind in 15 Jahren auch diese Ressourcen aufgebraucht, und der Hunger nach mehr Energie ist größer. Das ist keine Option, immer weiter zu machen, und bei ...
Heise: ... das ist ja nicht einmal eine Option hier in unseren Regionen, wo man sich vielleicht da die Gedanken schon macht, weil man ja einen gewissen Wohlstand erreicht hat. Wie weit ist denn die Diskussion dort zu führen?
Eichelmann: In Brasilien ist die ganz schwer zu führen. Das ist natürlich klar, dass alle hungrig sind auf mehr, und für die Brasilianer ist das Amazonasgebiet vollständig rückständiges Gebiet, was einfach – sozusagen – zivilisiert gehört. Das Wissen um Amazonien ist in Brasilien enorm gering, die Wertschätzung des Urwaldes enorm gering, und das ist konträr zu der internationalen Sicht. Deshalb glaube ich auch, das hier die internationale Gemeinschaft viel stärker auf die brasilianische Regierung einwirken muss. Und zur ...
Heise: Was glauben Sie, wie es weitergehen wird bei dem Projekt Belo-Monte-Staudamm?
Eichelmann: Ich glaube, dass das clashen wird. Dass einerseits die Indianer – mit Unterstützung auch von Leuten wie dem James Cameron und anderen – den Widerstand aufrecht erhalten werden, und dass die Regierung nicht abgehen wird von ihrem Vorhaben und das weiter propagiert, und das kann gut sein, dass es dort richtig zu Auseinandersetzungen kommt, bis hin zu vielen Toten, weil hier geht es um Leben und Tod für viele.
Heise: Sorgen, die sich Ulrich Eichelmann macht. Er ist engagiert für die ECA Watch, einer Vereinigung von Umwelt-, Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen, die Großprojekte kritisch beobachtet wie den besprochenen Belo-Monte-Staudamm. Herr Eichelmann, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Eichelmann: Danke auch!