"Hier geht’s um Schwerverbrecher"
Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hat sich für die Möglichkeit ausgesprochen, Täter auch nach Ablauf ihrer Strafe in Haft zu belassen. Es müsse die Möglichkeit geben, auch aufgrund von Erkenntnissen während der Haft die Sichersverwahrung anzuordnen, sagte Seehofer.
Deutschlandradio Kultur: Herr Seehofer, die Koalition hat sich nach langem, langem Ringen jetzt diese Woche zum Gesundheitskompromiss durchgerungen. Sie haben ja monatelang – auch gegen die Vorschläge von Herrn Rösler, kann man ja sagen – Stimmung gemacht. Der Gesundheitsminister hat ja gesagt, "mit der CSU ist eine Kopfpauschale nicht zu machen". Welche Kröten mussten Sie denn jetzt schlucken?
Horst Seehofer: Diese Reform hat drei wichtige Bestandteile. Das ist einmal Sparen, ohne die Versorgung der Bevölkerung mit guter Medizin zu beeinträchtigen. Das Zweite ist Beitragserhöhung, paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert. Und das Dritte ist ein für den Versicherten limitierter Zusatzbeitrag, nämlich nicht mehr als zwei Prozent seines beitragspflichtigen Einkommens für Zusatzbeiträge, die ja jetzt nicht aktuell notwendig werden, sondern vielleicht einmal in der mittleren und weiteren Zukunft.
Insofern muss ich und muss auch meine Partei keine Kröte schlucken, weil wir immer als oberstes Ziel eine Aufrechterhaltung der Erstklassigkeit in Medizin und Pflege in Deutschland erreichen wollten. Und wenn der medizinische Fortschritt voranschreitet, wir Menschen das Glück haben, dass wir insgesamt älter werden können, dann hat dies einen Preis, den Sie nicht nur durch Sparen beantworten können im Medizinwesen. Denn dann würde das bedeuten, dass Sie rationieren müssen. Insofern kann ich mit diesen drei Elementen leben, die wir vereinbart haben. Wobei manche Teile in der Umsetzung uns noch einiges abverlangen werden.
Deutschlandradio Kultur: Die Versicherten, Herr Seehofer, tragen ja eine große Last. Der Beitragssatz wird erhöht, der Arbeitgeberanteil demnächst eingefroren. Und die Kosten für den Sozialausgleich zahlt der Steuerzahler. Nach unserem Eindruck ist dieser Gesundheitskompromiss weder sozial noch wird besonders gespart. Wie erklären Sie das dann den Beitragszahlern, Ihren Wählern in Bayern?
Horst Seehofer: Wissen Sie, die Bundesregierung hat offensichtlich nicht die größte Stärke darin, getroffene Vereinbarungen richtig in der Öffentlichkeit darzustellen. Nur deshalb konnte wohl auch dieses Märchen entstehen, dass die kleinen Leute diese Reform bezahlen. Wir sparen vier Milliarden dadurch, dass die Leistungserbringer im Gesundheitswesen weniger bekommen - zum Beispiel die Ärzte. Wir belasten die Arbeitgeber mit drei Milliarden und nehmen zwei Milliarden aus dem Steuertopf. Und dann kommen noch drei Milliarden für die Arbeitnehmer dazu.
Das heißt, von über elf Milliarden Einsparvolumen tragen sieben Milliarden die Leistungserbringer im Gesundheitswesen und die Arbeitgeber, zwei Milliarden kommen aus dem Steuertopf und drei Milliarden von den Arbeitnehmern. Wie bei einer solchen Konstellation davon die Rede sein kann, jetzt werden die kleinen Leute betroffen, das ist mir schleierhaft. Betroffen sind sie alle, aber wir haben es gerecht verteilt. Die Leistungserbringer und die Unternehmen sind sogar überproportional betroffen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben jetzt gerade gesagt, Sie haben es gerecht verteilt. Aber wenn wir jetzt mal an die 20 Millionen Rentner denken, die wir jetzt in Deutschland haben, viele von denen werden ja mit einer kleinen Rente meistens dann doch auf den Sozialausgleich angewiesen sein. Da heißt es ja dann, die sollen ja dann schauen, welche Kasse für sie denn am günstigsten ist. Kann man das denn guten Gewissens alten Menschen zumuten, die nicht mehr so flexibel sind, wie vielleicht wir Jüngeren, wo wir ständig irgendwie im Internet nachschauen können, ja, welche Krankenkasse hat jetzt welche Tarife.
Horst Seehofer: Es kommt zu dieser Beitragserhöhung im nächsten Jahr von 0,3 Prozent. Und das halte ich für sozial vertretbar. Danach kann das Problem auftreten mit den Zusatzbeiträgen nach dem Jahre 2011. Und dann muss ja vom Gesundheitsminister noch die Überforderungsklausel, die soziale Schutzklausel konkret definiert werden. Mir lag es daran, dass niemand mit mehr als 2 Prozent seines Einkommens herangezogen wird für die Zusatzbeiträge - wie gesagt, erst nach 2011. Und wir werden sehen, wie sich diese Überforderungsklausel in der Praxis gestaltet, wie sie konkret ausgestaltet wird.
Deutschlandradio Kultur: Welches Haltbarkeitsdatum geben Sie denn diesem Gesundheitskompromiss?
Horst Seehofer: Man kann für einige Jahre ein System stabilisieren, aber nicht auf Dauer. Dafür ist in unserer Welt alles viel zu dynamisch – gerade im Medizinwesen. Das Wissen im Medizinwesen wälzt sich alle sieben Jahre einmal vollständig um. Da zu glauben, man hätte die Voraussicht, es für eine ganze Dekade, also für ein ganzes Jahrzehnt zu lösen, da kann man sich verabschieden davon. Ich kann immer nur schmunzeln, wenn ich wieder tapfere Politikerinnen und Politiker höre, die dann sagen, jetzt haben wir die langfristige Finanzierung gefunden und die wird auf Dauer halten. – Pustekuchen.
Deutschlandradio Kultur: Das war jetzt die Ankündigung der nächsten Reform.
Horst Seehofer: Es wird in der nächsten oder übernächsten Legislatur des Deutschen Bundestages wieder eine Gesundheitsreform geben. Aber die, die wir jetzt vereinbart haben, die trägt für diese Legislatur.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie eigentlich Mitleid auch mit Herrn Rösler? Ich meine, Sie waren ja immerhin auch mal Gesundheitsminister. Sie kennen sich gut aus mit der Materie. Sie wissen, worum es da geht. Sie kennen auch die ganzen Prozesse.
Horst Seehofer: Ich habe mit keinem Politiker, mich eingeschlossen, Mitleid, weil uns niemand zwingt, Politik zu machen. Es wird doch niemand gezwungen, Ministerpräsident oder Gesundheitsminister zu sein. Das waren Hundejahre, wie ich selbst Gesundheitsminister war. Das waren ja fast sieben Jahre. Die gehören nicht unbedingt zu den vergnüglichsten meines Lebens. Aber ich hab dann auch die Herausforderung angenommen. Das war unangenehm, von den Ärzten bekämpft, von den Versicherten bekämpft, von allen Gesundheitsberufen bekämpft, in der Öffentlichkeit nicht unbedingt hochpopulär.
Aber das liegt doch an einem selbst, ob man das machen will oder nicht. Ich wollte die Politik machen, will sie machen. Und dann ist diese Schattenseite natürlich auch dabei, dass es darunter auch Aufgaben und Reformen gibt, die nicht so gut bekömmlich sind. Und deshalb, ich respektiere und achte den Gesundheitsminister Rösler, aber jetzt Mitleid, also, unter aller Humanität und Menschlichkeit, wir machen es freiwillig.
Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie jetzt mal das Ergebnis betrachten, wer war da eigentlich Koch und wer war Kellner? Ist Seehofer der Koch und Rösler der Kellner beim Verfassen dieser Reform?
Horst Seehofer: Wir denken immer nur in den Kategorien in Deutschland. Entweder ist alles sehr gut, alles sehr schlecht. Entweder man ist Sieger oder man ist Verlierer. In einer Woche sind wir mit unserer Fußballnationalmannschaft die Helden. In der nächsten Woche ist Mitleid oder Untergang angesagt. Ein Kompromiss zwischen drei Parteien und zwischen der Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem Guido Westerwelle und mir unter Beteiligung der Fraktionsvorsitzenden und des Bundesgesundheitsministers hat nach der Natur der Sache von allen drei Denkrichtungen CDU/CSU und FDP wichtige Bestandteile.
Sonst hätte keine Partei das abgeschlossen. Und deshalb gibt’s da nicht Sieger und Verlierer im Sinne, wer hat sich jetzt durchgesetzt und wer ist unterlegen, sondern es gibt eigentlich nur den Sieg der Vernunft, dass die Koalition den Ernst der Lage, ihrer eigenen Lage begriffen hat und sich als handlungsfähig erwiesen hat nach dieser ja nicht sehr wunderschönen Bundesversammlung, was jetzt den Ablauf betrifft.
Deutschlandradio Kultur: Hat Sie das zusammengeschweißt?
Horst Seehofer: Ich glaube, dass – das erlebe ich ja nicht das erste Mal in der Politik -, wenn man also in besonders schwierigen Gewässern ist und es gelingt die Dinge noch zu lösen, und es ist uns jetzt gelungen mit dem ganz schwierigen Thema Gesundheit, dann rückt man eher zusammen, das spüre ich sehr stark, jedenfalls die Partei- und Fraktionsvorsitzenden, da ist dies der Fall. Und deshalb werde ich, jedenfalls in meiner Partei, auch nicht mehr zulassen, wenn Einzelne immer wieder glauben, was in der Vergangenheit oft der Fall war, sie müssten sich zu Lasten des Ganzen profilieren und müssten ihre Egoismen ausleben. Ich bin auch der Kanzlerin dankbar, dass sie in ihrer eigenen Partei dieses ganz klare Signal gegeben hat.
Deutschlandradio Kultur: Aber so was bleibt natürlich hängen. Können Sie sich an eine unionsgeführte Koalition erinnern, in der es noch heftiger zuging? Ich meine, da fielen Begriffe wie "Gurkentruppe", "Wildsau". Da muss man schon weit zurückdenken.
Horst Seehofer: Ich habe auch Regierungen erlebt, da ging's auch heftig her, aber diese Semantik, die Sie jetzt gerade ansprechen, das war sicher ein Tiefpunkt. Und das war für uns auch Alarmsignal, dass es so nicht weitergehen kann. Es geht gar nicht jetzt um Angela Merkel oder mich, sondern es geht um unsere Anhänger, unsere Mitglieder, unsere Wähler.
Die haben kein Verständnis mehr für diese Ichlinge, die nur darauf schauen, wie kommen sie in eine Schlagzeile, wie kommen sie in eine Nachricht. Wie können sie durch Kritik eigenes Gehör sich verschaffen in der Öffentlichkeit? Das ist ja meistens die Motivation. Wenn du als Fußballmannschaft ständig aufs eigene Tor spielst, dann – glaube ich – wird die Begeisterung auf den Rängen sehr schnell umschlagen.
Deutschlandradio Kultur: Bei Ihrer Schwesterpartei muss man ja auch gucken, wie es um die Stabilität bestellt ist. Dort ziehen sich ja jetzt aus unterschiedlichen Gründen ja drei der vier Stellvertreter der Parteivorsitzenden aus der aktiven Politik zurück. Also, machen Sie sich da auch Sorgen um Ihre Unions-Schwester, die jetzt dann ja ab dem Herbst oder November ohne die Ministerpräsidenten Koch, Rüttgers und Wulff auskommen muss?
Horst Seehofer: Solche tiefgreifenden Veränderungen kommen von Zeit zu Zeit auf jede Partei zu. Schauen Sie. Sie CSU hat sich in den letzten eineinhalb Jahren personell total erneuert, hier in Berlin wie in München. Und solche Erneuerungen sind immer mit Reibungen, auch persönlichen Verletzungen verbunden. Ich hab da einiges hinter mir seitdem ich Parteivorsitzender bin und Ministerpräsident. Wir haben auch Wahlniederlagen erlitten unter anderem deshalb, weil wir diese personelle Veränderung nicht rechtzeitig eingeleitet haben.
Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass Jürgen Rüttgers ein Wahlergebnis bekommt, wonach er bleiben kann in Düsseldorf, dass Roland Koch nicht jetzt jedenfalls aus der Politik ausscheidet in einer ganz schwierigen Phase, aber wenn's denn so ist, wie es der Wähler in einem Fall und Roland Koch im anderen Fall entschieden hat, dann muss man es annehmen in der Politik.
Deutschlandradio Kultur: Sie plädieren, Herr Seehofer, für Einvernehmen, für Koalitionsfrieden. Gilt das auch für die nächsten großen Projekte? Ich nenne zum Beispiel mal die Steuerreform.
Horst Seehofer: Also, ich möchte heute schon vorsorglich sagen bei der Steuer, da soll und kann und muss es auch eine zeitlich befristete Diskussion geben. Und dann kommt die Entscheidung. Vielleicht denke ich hier ein bissel zu demokratietheoretisch, aber ich werbe dafür, dass dieses Land frisch bleibt, dass man diskutiert, dass man sich auseinandersetzt und das nicht immer sofort als ganz bedenklichen Befund einer politischen Kraft identifiziert.
Wenn dann der Entscheidungsprozess abgeschlossen ist, dann muss man dabei bleiben. Dann kann man es nicht jede Woche variieren und wieder infrage stellen. Aber bis dahin müssen wir doch in Deutschland einmal drüber diskutieren: Wie handhaben wir das mit dem Spitzensteuersatz? Wann setzt er ein? Wie hoch soll er sein? Welche Auswirkungen hat es auf die mittleren und unteren Einkommen aufgrund unserer Progressionskurve im Steuerrecht? Das muss doch sein.
Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, was man einmal beschlossen hat, dabei soll man dann auch bleiben. Gilt das auch für die reduzierte Mehrwertsteuer für Hotelunternehmen? Da hat ja sogar die FDP inzwischen leichte Zweifel.
Horst Seehofer: Ja, da ist ja so ein Punkt, das gemeinsam zu beschließen und anschließend die Zweifel zu äußern. Da fragen sich die Leute, haben sich die das nicht vorher überlegt. Ich bleibe dabei, denn ich hab das wohl überlegt, gemeinsam mit meinen Parteifreunden. Wir haben das vereinbart in der Koalition.
Und in dem Fall waren es vor allem bayerische Argumente, die wichtig waren, weil wir grenzen an viele Länder an, die ja uns echte Konkurrenten sind im Fremdenverkehr, im Tourismus, und die alle miteinander geringere Steuersätze haben als wir in Deutschland. Und in dem Fall musste ich bayerische Interessen in den Vordergrund stellen. Und ich stelle jetzt fest, dass bei diesen Gasthöfen und Hotels investiert wird. Genau das wollten wir, damit wir eine gute, moderne Infrastruktur da bekommen.
Deutschlandradio Kultur: Wir haben ja jetzt gerade über Demokratieverständnis auch gesprochen und wie auch Demokratie, die Diskussion um Demokratie auch in der Bevölkerung wahrgenommen wird. Wir hatten ja jetzt gerade am Sonntag in Bayern auch einen sehr demokratischen Vorgang, nämlich den Volksentscheid zum Rauchverbot.
Und die Bürger haben sich ja da durchgesetzt und haben ja damit auch Politik gemacht. Im Gegensatz zu Ihrem Koalitionspartner in Bayern, der FDP, die sich ja dagegen ausgesprochen hat, hat sich ja die CSU eher vornehm zurückgehalten. Heißt das jetzt, dass die CSU sich damit jetzt auch aus der Landespolitik ein bisschen zurückzieht und die Bürger Politik machen lässt?
Horst Seehofer: Wir haben eine große Tradition mit Volksentscheiden in Bayern. Es gibt kein Bundesland in Deutschland, das mehr Volksentscheide hat als wir in Bayern. Und daneben auch noch, auf kommunaler Ebene waren ja auch am gleichen Sonntag mehrere Bürgerentscheide über lokale Angelegenheiten. Und ich sage Ihnen: Im Prinzip bin ich ein großer Anhänger, dass von Zeit zu Zeit solche unmittelbaren demokratischen Akte stattfinden – direkt durch die Bevölkerung.
Jetzt kommt wieder das Gegenargument aus Medien. Die sagen: Ja, für was brauchen wir dann noch eine Regierung, wenn die Regierung sagt, es ist doch gut, wenn das Volk unmittelbar entscheidet? – Auch da ist der richtige Mittelweg wieder die zielführende Antwort. Ich habe das beim Rauchen und Nichtraucherschutz deshalb für richtig gehalten, wenn die Bevölkerung entscheidet, respektieren wir das Ergebnis und machen jetzt als CSU keinen Wahlkampf, weil ich in den letzten Jahren selbst festgestellt habe, dass die Meinungen dazu in der eigenen Partei quer durch gehen. Da gab's am Anfang Leute, die haben gesagt, das muss man überhaupt nicht regeln. Dann gab's Leute, die haben gesagt, man muss es ganz scharf regeln, aber doch mit ein paar Hintertürchen für Bierzelte und für Raucherclubs.
Dann gab es wieder andere, da hab ich mehr dazu gehört, das mit einem vernünftigen Mittelweg zu machen. Das war das, was dann von der bayerischen Staatsregierung zuletzt entschieden wurde. So. Und die Bevölkerung oder die Initiatoren des Volksbegehrens haben gesagt: Ganz scharf ohne jede Ausnahmemöglichkeit, auch keine Ausnahmemöglichkeit für Nebenräume, für Bierzelte, für Raucherclubs etc.
So. Jetzt hat das Volk so entschieden. Das Volk hat immer recht. Und da hat's überhaupt keinen Sinn, die Bevölkerung zu beschimpfen. Das ist ungefähr so, als wenn man nach Wahlen für das Wahlergebnis die Bevölkerung verantwortlich macht. Ab und zu ist das in Bayern notwendig. Dann nimmt das Volk sein Schicksal selbst in die Hände und entscheidet. Wir haben keinen Wahlkampf gemacht als CSU und haben dann auch das Ergebnis begrüßt.
Wo sind wir denn eigentlich? Ich kann doch nicht sagen, es ist gut, wenn das Volk entscheidet, aber wenn es dann so entscheidet, wie es mir nicht gefällt, dann ist es wieder schlecht. Also, ich hab da einfach vielleicht ein anderes Demokratieverständnis.
Deutschlandradio Kultur: Bis Ende September 2008 hat die CSU jahrzehntelang allein regiert in Bayern. Nun haben Sie einen liberalen Koalitionspartner. Haben Sie sich daran gewöhnt?
Horst Seehofer: Das ist für jemanden, der seit seiner Jugendzeit ein Schwarzer ist und in Bayern alleine regiert hat mit seiner Partei, natürlich schon ein Prozess, wo man sich einfach nicht so daran gewöhnen will, wenn das ganze Leben anders gelaufen ist, ist doch klar. Trotzdem läuft die Regierung in München sehr gut, sehr vertrauensvoll, sehr ergebnisorientiert. Wir stellen also nicht Harmonie dadurch her, dass wir nicht handeln, sondern wir handeln und haben trotzdem Harmonie.
Die Schwierigkeit für die CSU ist jetzt: Wenn es gut läuft in Bayern, dann sagt die Bevölkerung, ja, die Konstellation passt doch, diese Koalition passt doch. Je besser eine Regierung in Bayern jetzt arbeitet in der Koalition, desto schwieriger wird es sein, den Menschen zu vermitteln, aber es ist trotzdem notwendig, stärker CSU zu wählen. Und wenn wir nicht gut regieren, dann geht’s mit beiden Koalitionspartnern nach unten. Also, wir sind verdammt zum guten Regieren, was uns dann politisch gleichzeitig in die Schwierigkeit bringt, dass die Bevölkerung sagt, ein Teil dessen, was da gut läuft, ordnen wir auch unserem Koalitionspartner zu.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben ja eben schon davon gesprochen, dass Parteien sich auch immer wieder zwischendurch erneuern müssen und dass auch Ihre Partei, die CSU, sich auch erneuert hat. Sind Sie schon am Ende dieses Erneuerungsprozesses? Sie sind ja auch angetreten und haben gesagt, Sie wollen die CSU modernisieren.
Horst Seehofer: Fertig ist man nie, aber wir haben einen ganz großen Teil bewältigt, wenn ich an die personelle Erneuerung denke. Wenn ich mal eine Frau, die Ilse Aigner, und einen Mann, den Karl-Theodor zu Guttenberg, hier in Berlin sehe, dann würde ich sagen, sind die sozusagen ein Aushängeschild dieser Erneuerung. Aber ich könnte eine ganze Reihe von Persönlichkeiten auch aus dem Münchner Kabinett nennen.
Und was die Parteiorganisation betrifft, auch wieder mehr Mitentscheidungen der Mitglieder und ähnliches, da sind wir mitten im Diskussionsprozess. Das werden wir im Oktober abschließen auf dem Parteitag. Da sind ein paar ganz schwierige Themen dabei, sehr umstritten in der Partei.
Brauchen wir eine Frauenquote? Brauchen wir eine Begrenzung bei Ämtern in Vorständen für Berufspolitiker, dass nicht alle Positionen durch Berufspolitiker besetzt werden und die Ehrenamtlichen mehr Chancen haben? Soll ein Parteivorsitzender mal auch unmittelbar von allen Mitgliedern gewählt werden können? – Und solche Dinge. Da sind wir mitten in der Arbeit.
Was die inhaltliche Geschichte betrifft, da sind wir auch weitgehend vorangekommen, sozusagen eine traditions- und historisch verbundene Partei, die trotzdem weltoffen ist, dem Fortschritt hoffen steht, nicht als Eigenbrödler hinter den eigenen Grenzen zu sitzen und sich auf sich selbst zurückzuziehen, sondern offen zu sein gegenüber dem Fortschritt, offen zu sein für Neues, wenn das Neue besser ist, also nicht Modeerscheinungen nachlaufen. Also, wir sind wertekonservativ, möchte ich sagen, aber nicht strukturkonservativ.
Deutschlandradio Kultur: Ich würde gern noch auf zwei bundespolitische Themen zurückkommen, die in der Öffentlichkeit Konfliktpotenzial haben. Das eine ist die Sicherheitsverwahrung, die geplante Abschaffung der Sicherheitsverwahrung, das Zweite ist die Wehrpflicht. In der Sicherheitsverwahrung könnte ja der nächste Konflikt mit der FDP drohen. Zumindest sagen CDU und CSU, so, wie die Justizministerin es plant, läuft es nicht.
Horst Seehofer: Es muss gewährleistet sein, dass man auch nachträglich, also während des Strafvollzugs, mit den Erkenntnissen, die man während dem Strafvollzug gewinnt, eine Sicherheitsverwahrung anordnen kann – immer durch einen Richter und rechtsstaatlich, ist völlig klar. Wir werden da die Kanzlerin bitten, dass wir noch mal in der Koalition darüber reden. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Sie wissen, dass die CSU sehr darauf achtet, dass die Sicherheit unserer Bevölkerung nach innen und außen gewährleistet bleibt. Hier geht’s um Schwerverbrecher und es geht um die Behandlung von Menschen, immer rechtstaatlich, die zu einer echten Gefahr für die Menschen sich herausgebildet haben.
Und da reichen mir nicht Fußfesseln und ähnliches, was da als Alternative überlegt wird, sondern solche Leute, die Gewaltverbrechen begehen, gerade mit Sexualdelikten oder mit Anschlägen auf Leib und Leben, die muss man wegsperren. Und wenn die so gefährlich sind, dass die Wiederholungsgefahr besteht und die Fortsetzung einer kriminellen Karrieren, dann muss auf sauberer rechtlicher Grundlage diesem Staat die Möglichkeit gegeben werden, die Bevölkerung vor solchen Gewaltverbrechern zu schützen.
Deutschlandradio Kultur: Der Verteidigungsminister zu Guttenberg kann sich ja vorstellen, aus Kostengründen bei der Bundeswehr personell und materiell ja auch, einige Kürzungen vorzunehmen. Er kann sich ja auch vorstellen, dass man die Wehrpflicht nicht so aufrechterhalten kann. Geht er damit zu weit?
Horst Seehofer: Wissen Sie, was immer ich jetzt sage, wird immer zu allererst in einen Gegensatz zu meinem Freund Karl-Theodor zu Guttenberg gebracht. Das ist auch wieder so ein Diskussionsmerkmal in der Bundesrepublik Deutschland. Es wird alles sofort personalisiert.
Deutschlandradio Kultur: Sagen Sie einfach was zur Wehrpflicht.
Horst Seehofer: Deshalb haben wir schlicht und einfach vereinbart, "wir" heißt, die Kanzlerin mit Karl-Theodor zu Guttenberg einerseits und Karl-Theodor zu Guttenberg und ich für die CSU, dass er jetzt seine Konzepte ausarbeitet. Er hat die Unterstützung bei einer Bundeswehrreform. Es geht hier um die äußere Sicherheit unseres Landes. Das ist ein ganz wichtiges Thema.
Und er wird im September Szenarien dazu vorlegen. Wobei nicht primär jetzt das Geld entscheidend sein soll, sondern die Frage: Was brauchen wir in dieser modernen Welt mit offenen Grenzen an nationaler Armee? Und wie wird diese Armee eingebunden in internationale Bündnisse? Also, es muss primär gedacht werden von der Sicherheitsnotwendigkeit und Sicherheitsarchitektur eine Armee in einer Bündnisgemeinschaft.
Deutschlandradio Kultur: Ich versuch's dann mal so rum: Auch der CSU-Vorsitzende will die Wehrpflicht nicht um jeden Preis erhalten?
Horst Seehofer: Jetzt möchte ich Ihnen sagen: Dann werden Szenarien vorgelegt. Und diese Szenarien werden dann diskutiert und nach meiner Vorstellung auf unserem Parteitag abschließend entschieden. Und jetzt muss man auch wieder ein bisschen eine Anleihe nehmen: Wie stellt man sich die Kultur des Dialogs vor? Ich stelle mir nicht vor, dass wir eine solche Diskussion beginnen jetzt im Juli mit einer Vorgabe, "sie wird in jedem Fall so beibehalten, wie sie jetzt ist, oder sie wird in jedem Fall abgeschafft". Das ist nicht meine Vorstellung, wie man solche Dinge angeht.
Ich möchte, dass wir ohne Vorbedingungen diese Debatte führen und dass Karl-Theodor zu Guttenberg deshalb, weil es keine Vorbedingungen geben soll – weder vom Parteivorsitzenden noch von Ministern -, dass wir mehrere Szenarien bekommen. Und dann muss man mal den Status quo sich anschauen. Wie würde es aussehen, wenn man reduziert? Und wie sind dann Möglichkeiten mit und ohne Wehrpflicht? Welche Folgen hätte das für die Sicherheit, gesellschaftspolitisch, für die Rekrutierung von Berufssoldaten, für die Finanzen und vieles andere mehr?
So, wie ich ganz am Anfang unseres Gesprächs gesagt habe, wir werden künftig etwas härter gegenüber Funktionären vorgehen, die immer gerne und schlau und schnell schwätzen, so müssen wir als Vorsitzende auch mit gutem Beispiel vorangehen und müssen nicht auf jede Frage, die uns in einem Gespräch gestellt wird, so antworten, dass wir wieder einige Wochen die Bevölkerung unterhalten mit kontroversen Meinungen.
Deutschlandradio Kultur: Wir nehmen das mit Bedauern zur Kenntnis.
Horst Seehofer: Aber es ist nicht schadenersatzpflichtig.
Deutschlandradio Kultur: Und danken für dieses Gespräch.
Horst Seehofer: Danke auch.
Horst Seehofer: Diese Reform hat drei wichtige Bestandteile. Das ist einmal Sparen, ohne die Versorgung der Bevölkerung mit guter Medizin zu beeinträchtigen. Das Zweite ist Beitragserhöhung, paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert. Und das Dritte ist ein für den Versicherten limitierter Zusatzbeitrag, nämlich nicht mehr als zwei Prozent seines beitragspflichtigen Einkommens für Zusatzbeiträge, die ja jetzt nicht aktuell notwendig werden, sondern vielleicht einmal in der mittleren und weiteren Zukunft.
Insofern muss ich und muss auch meine Partei keine Kröte schlucken, weil wir immer als oberstes Ziel eine Aufrechterhaltung der Erstklassigkeit in Medizin und Pflege in Deutschland erreichen wollten. Und wenn der medizinische Fortschritt voranschreitet, wir Menschen das Glück haben, dass wir insgesamt älter werden können, dann hat dies einen Preis, den Sie nicht nur durch Sparen beantworten können im Medizinwesen. Denn dann würde das bedeuten, dass Sie rationieren müssen. Insofern kann ich mit diesen drei Elementen leben, die wir vereinbart haben. Wobei manche Teile in der Umsetzung uns noch einiges abverlangen werden.
Deutschlandradio Kultur: Die Versicherten, Herr Seehofer, tragen ja eine große Last. Der Beitragssatz wird erhöht, der Arbeitgeberanteil demnächst eingefroren. Und die Kosten für den Sozialausgleich zahlt der Steuerzahler. Nach unserem Eindruck ist dieser Gesundheitskompromiss weder sozial noch wird besonders gespart. Wie erklären Sie das dann den Beitragszahlern, Ihren Wählern in Bayern?
Horst Seehofer: Wissen Sie, die Bundesregierung hat offensichtlich nicht die größte Stärke darin, getroffene Vereinbarungen richtig in der Öffentlichkeit darzustellen. Nur deshalb konnte wohl auch dieses Märchen entstehen, dass die kleinen Leute diese Reform bezahlen. Wir sparen vier Milliarden dadurch, dass die Leistungserbringer im Gesundheitswesen weniger bekommen - zum Beispiel die Ärzte. Wir belasten die Arbeitgeber mit drei Milliarden und nehmen zwei Milliarden aus dem Steuertopf. Und dann kommen noch drei Milliarden für die Arbeitnehmer dazu.
Das heißt, von über elf Milliarden Einsparvolumen tragen sieben Milliarden die Leistungserbringer im Gesundheitswesen und die Arbeitgeber, zwei Milliarden kommen aus dem Steuertopf und drei Milliarden von den Arbeitnehmern. Wie bei einer solchen Konstellation davon die Rede sein kann, jetzt werden die kleinen Leute betroffen, das ist mir schleierhaft. Betroffen sind sie alle, aber wir haben es gerecht verteilt. Die Leistungserbringer und die Unternehmen sind sogar überproportional betroffen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben jetzt gerade gesagt, Sie haben es gerecht verteilt. Aber wenn wir jetzt mal an die 20 Millionen Rentner denken, die wir jetzt in Deutschland haben, viele von denen werden ja mit einer kleinen Rente meistens dann doch auf den Sozialausgleich angewiesen sein. Da heißt es ja dann, die sollen ja dann schauen, welche Kasse für sie denn am günstigsten ist. Kann man das denn guten Gewissens alten Menschen zumuten, die nicht mehr so flexibel sind, wie vielleicht wir Jüngeren, wo wir ständig irgendwie im Internet nachschauen können, ja, welche Krankenkasse hat jetzt welche Tarife.
Horst Seehofer: Es kommt zu dieser Beitragserhöhung im nächsten Jahr von 0,3 Prozent. Und das halte ich für sozial vertretbar. Danach kann das Problem auftreten mit den Zusatzbeiträgen nach dem Jahre 2011. Und dann muss ja vom Gesundheitsminister noch die Überforderungsklausel, die soziale Schutzklausel konkret definiert werden. Mir lag es daran, dass niemand mit mehr als 2 Prozent seines Einkommens herangezogen wird für die Zusatzbeiträge - wie gesagt, erst nach 2011. Und wir werden sehen, wie sich diese Überforderungsklausel in der Praxis gestaltet, wie sie konkret ausgestaltet wird.
Deutschlandradio Kultur: Welches Haltbarkeitsdatum geben Sie denn diesem Gesundheitskompromiss?
Horst Seehofer: Man kann für einige Jahre ein System stabilisieren, aber nicht auf Dauer. Dafür ist in unserer Welt alles viel zu dynamisch – gerade im Medizinwesen. Das Wissen im Medizinwesen wälzt sich alle sieben Jahre einmal vollständig um. Da zu glauben, man hätte die Voraussicht, es für eine ganze Dekade, also für ein ganzes Jahrzehnt zu lösen, da kann man sich verabschieden davon. Ich kann immer nur schmunzeln, wenn ich wieder tapfere Politikerinnen und Politiker höre, die dann sagen, jetzt haben wir die langfristige Finanzierung gefunden und die wird auf Dauer halten. – Pustekuchen.
Deutschlandradio Kultur: Das war jetzt die Ankündigung der nächsten Reform.
Horst Seehofer: Es wird in der nächsten oder übernächsten Legislatur des Deutschen Bundestages wieder eine Gesundheitsreform geben. Aber die, die wir jetzt vereinbart haben, die trägt für diese Legislatur.
Deutschlandradio Kultur: Haben Sie eigentlich Mitleid auch mit Herrn Rösler? Ich meine, Sie waren ja immerhin auch mal Gesundheitsminister. Sie kennen sich gut aus mit der Materie. Sie wissen, worum es da geht. Sie kennen auch die ganzen Prozesse.
Horst Seehofer: Ich habe mit keinem Politiker, mich eingeschlossen, Mitleid, weil uns niemand zwingt, Politik zu machen. Es wird doch niemand gezwungen, Ministerpräsident oder Gesundheitsminister zu sein. Das waren Hundejahre, wie ich selbst Gesundheitsminister war. Das waren ja fast sieben Jahre. Die gehören nicht unbedingt zu den vergnüglichsten meines Lebens. Aber ich hab dann auch die Herausforderung angenommen. Das war unangenehm, von den Ärzten bekämpft, von den Versicherten bekämpft, von allen Gesundheitsberufen bekämpft, in der Öffentlichkeit nicht unbedingt hochpopulär.
Aber das liegt doch an einem selbst, ob man das machen will oder nicht. Ich wollte die Politik machen, will sie machen. Und dann ist diese Schattenseite natürlich auch dabei, dass es darunter auch Aufgaben und Reformen gibt, die nicht so gut bekömmlich sind. Und deshalb, ich respektiere und achte den Gesundheitsminister Rösler, aber jetzt Mitleid, also, unter aller Humanität und Menschlichkeit, wir machen es freiwillig.
Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie jetzt mal das Ergebnis betrachten, wer war da eigentlich Koch und wer war Kellner? Ist Seehofer der Koch und Rösler der Kellner beim Verfassen dieser Reform?
Horst Seehofer: Wir denken immer nur in den Kategorien in Deutschland. Entweder ist alles sehr gut, alles sehr schlecht. Entweder man ist Sieger oder man ist Verlierer. In einer Woche sind wir mit unserer Fußballnationalmannschaft die Helden. In der nächsten Woche ist Mitleid oder Untergang angesagt. Ein Kompromiss zwischen drei Parteien und zwischen der Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem Guido Westerwelle und mir unter Beteiligung der Fraktionsvorsitzenden und des Bundesgesundheitsministers hat nach der Natur der Sache von allen drei Denkrichtungen CDU/CSU und FDP wichtige Bestandteile.
Sonst hätte keine Partei das abgeschlossen. Und deshalb gibt’s da nicht Sieger und Verlierer im Sinne, wer hat sich jetzt durchgesetzt und wer ist unterlegen, sondern es gibt eigentlich nur den Sieg der Vernunft, dass die Koalition den Ernst der Lage, ihrer eigenen Lage begriffen hat und sich als handlungsfähig erwiesen hat nach dieser ja nicht sehr wunderschönen Bundesversammlung, was jetzt den Ablauf betrifft.
Deutschlandradio Kultur: Hat Sie das zusammengeschweißt?
Horst Seehofer: Ich glaube, dass – das erlebe ich ja nicht das erste Mal in der Politik -, wenn man also in besonders schwierigen Gewässern ist und es gelingt die Dinge noch zu lösen, und es ist uns jetzt gelungen mit dem ganz schwierigen Thema Gesundheit, dann rückt man eher zusammen, das spüre ich sehr stark, jedenfalls die Partei- und Fraktionsvorsitzenden, da ist dies der Fall. Und deshalb werde ich, jedenfalls in meiner Partei, auch nicht mehr zulassen, wenn Einzelne immer wieder glauben, was in der Vergangenheit oft der Fall war, sie müssten sich zu Lasten des Ganzen profilieren und müssten ihre Egoismen ausleben. Ich bin auch der Kanzlerin dankbar, dass sie in ihrer eigenen Partei dieses ganz klare Signal gegeben hat.
Deutschlandradio Kultur: Aber so was bleibt natürlich hängen. Können Sie sich an eine unionsgeführte Koalition erinnern, in der es noch heftiger zuging? Ich meine, da fielen Begriffe wie "Gurkentruppe", "Wildsau". Da muss man schon weit zurückdenken.
Horst Seehofer: Ich habe auch Regierungen erlebt, da ging's auch heftig her, aber diese Semantik, die Sie jetzt gerade ansprechen, das war sicher ein Tiefpunkt. Und das war für uns auch Alarmsignal, dass es so nicht weitergehen kann. Es geht gar nicht jetzt um Angela Merkel oder mich, sondern es geht um unsere Anhänger, unsere Mitglieder, unsere Wähler.
Die haben kein Verständnis mehr für diese Ichlinge, die nur darauf schauen, wie kommen sie in eine Schlagzeile, wie kommen sie in eine Nachricht. Wie können sie durch Kritik eigenes Gehör sich verschaffen in der Öffentlichkeit? Das ist ja meistens die Motivation. Wenn du als Fußballmannschaft ständig aufs eigene Tor spielst, dann – glaube ich – wird die Begeisterung auf den Rängen sehr schnell umschlagen.
Deutschlandradio Kultur: Bei Ihrer Schwesterpartei muss man ja auch gucken, wie es um die Stabilität bestellt ist. Dort ziehen sich ja jetzt aus unterschiedlichen Gründen ja drei der vier Stellvertreter der Parteivorsitzenden aus der aktiven Politik zurück. Also, machen Sie sich da auch Sorgen um Ihre Unions-Schwester, die jetzt dann ja ab dem Herbst oder November ohne die Ministerpräsidenten Koch, Rüttgers und Wulff auskommen muss?
Horst Seehofer: Solche tiefgreifenden Veränderungen kommen von Zeit zu Zeit auf jede Partei zu. Schauen Sie. Sie CSU hat sich in den letzten eineinhalb Jahren personell total erneuert, hier in Berlin wie in München. Und solche Erneuerungen sind immer mit Reibungen, auch persönlichen Verletzungen verbunden. Ich hab da einiges hinter mir seitdem ich Parteivorsitzender bin und Ministerpräsident. Wir haben auch Wahlniederlagen erlitten unter anderem deshalb, weil wir diese personelle Veränderung nicht rechtzeitig eingeleitet haben.
Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass Jürgen Rüttgers ein Wahlergebnis bekommt, wonach er bleiben kann in Düsseldorf, dass Roland Koch nicht jetzt jedenfalls aus der Politik ausscheidet in einer ganz schwierigen Phase, aber wenn's denn so ist, wie es der Wähler in einem Fall und Roland Koch im anderen Fall entschieden hat, dann muss man es annehmen in der Politik.
Deutschlandradio Kultur: Sie plädieren, Herr Seehofer, für Einvernehmen, für Koalitionsfrieden. Gilt das auch für die nächsten großen Projekte? Ich nenne zum Beispiel mal die Steuerreform.
Horst Seehofer: Also, ich möchte heute schon vorsorglich sagen bei der Steuer, da soll und kann und muss es auch eine zeitlich befristete Diskussion geben. Und dann kommt die Entscheidung. Vielleicht denke ich hier ein bissel zu demokratietheoretisch, aber ich werbe dafür, dass dieses Land frisch bleibt, dass man diskutiert, dass man sich auseinandersetzt und das nicht immer sofort als ganz bedenklichen Befund einer politischen Kraft identifiziert.
Wenn dann der Entscheidungsprozess abgeschlossen ist, dann muss man dabei bleiben. Dann kann man es nicht jede Woche variieren und wieder infrage stellen. Aber bis dahin müssen wir doch in Deutschland einmal drüber diskutieren: Wie handhaben wir das mit dem Spitzensteuersatz? Wann setzt er ein? Wie hoch soll er sein? Welche Auswirkungen hat es auf die mittleren und unteren Einkommen aufgrund unserer Progressionskurve im Steuerrecht? Das muss doch sein.
Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, was man einmal beschlossen hat, dabei soll man dann auch bleiben. Gilt das auch für die reduzierte Mehrwertsteuer für Hotelunternehmen? Da hat ja sogar die FDP inzwischen leichte Zweifel.
Horst Seehofer: Ja, da ist ja so ein Punkt, das gemeinsam zu beschließen und anschließend die Zweifel zu äußern. Da fragen sich die Leute, haben sich die das nicht vorher überlegt. Ich bleibe dabei, denn ich hab das wohl überlegt, gemeinsam mit meinen Parteifreunden. Wir haben das vereinbart in der Koalition.
Und in dem Fall waren es vor allem bayerische Argumente, die wichtig waren, weil wir grenzen an viele Länder an, die ja uns echte Konkurrenten sind im Fremdenverkehr, im Tourismus, und die alle miteinander geringere Steuersätze haben als wir in Deutschland. Und in dem Fall musste ich bayerische Interessen in den Vordergrund stellen. Und ich stelle jetzt fest, dass bei diesen Gasthöfen und Hotels investiert wird. Genau das wollten wir, damit wir eine gute, moderne Infrastruktur da bekommen.
Deutschlandradio Kultur: Wir haben ja jetzt gerade über Demokratieverständnis auch gesprochen und wie auch Demokratie, die Diskussion um Demokratie auch in der Bevölkerung wahrgenommen wird. Wir hatten ja jetzt gerade am Sonntag in Bayern auch einen sehr demokratischen Vorgang, nämlich den Volksentscheid zum Rauchverbot.
Und die Bürger haben sich ja da durchgesetzt und haben ja damit auch Politik gemacht. Im Gegensatz zu Ihrem Koalitionspartner in Bayern, der FDP, die sich ja dagegen ausgesprochen hat, hat sich ja die CSU eher vornehm zurückgehalten. Heißt das jetzt, dass die CSU sich damit jetzt auch aus der Landespolitik ein bisschen zurückzieht und die Bürger Politik machen lässt?
Horst Seehofer: Wir haben eine große Tradition mit Volksentscheiden in Bayern. Es gibt kein Bundesland in Deutschland, das mehr Volksentscheide hat als wir in Bayern. Und daneben auch noch, auf kommunaler Ebene waren ja auch am gleichen Sonntag mehrere Bürgerentscheide über lokale Angelegenheiten. Und ich sage Ihnen: Im Prinzip bin ich ein großer Anhänger, dass von Zeit zu Zeit solche unmittelbaren demokratischen Akte stattfinden – direkt durch die Bevölkerung.
Jetzt kommt wieder das Gegenargument aus Medien. Die sagen: Ja, für was brauchen wir dann noch eine Regierung, wenn die Regierung sagt, es ist doch gut, wenn das Volk unmittelbar entscheidet? – Auch da ist der richtige Mittelweg wieder die zielführende Antwort. Ich habe das beim Rauchen und Nichtraucherschutz deshalb für richtig gehalten, wenn die Bevölkerung entscheidet, respektieren wir das Ergebnis und machen jetzt als CSU keinen Wahlkampf, weil ich in den letzten Jahren selbst festgestellt habe, dass die Meinungen dazu in der eigenen Partei quer durch gehen. Da gab's am Anfang Leute, die haben gesagt, das muss man überhaupt nicht regeln. Dann gab's Leute, die haben gesagt, man muss es ganz scharf regeln, aber doch mit ein paar Hintertürchen für Bierzelte und für Raucherclubs.
Dann gab es wieder andere, da hab ich mehr dazu gehört, das mit einem vernünftigen Mittelweg zu machen. Das war das, was dann von der bayerischen Staatsregierung zuletzt entschieden wurde. So. Und die Bevölkerung oder die Initiatoren des Volksbegehrens haben gesagt: Ganz scharf ohne jede Ausnahmemöglichkeit, auch keine Ausnahmemöglichkeit für Nebenräume, für Bierzelte, für Raucherclubs etc.
So. Jetzt hat das Volk so entschieden. Das Volk hat immer recht. Und da hat's überhaupt keinen Sinn, die Bevölkerung zu beschimpfen. Das ist ungefähr so, als wenn man nach Wahlen für das Wahlergebnis die Bevölkerung verantwortlich macht. Ab und zu ist das in Bayern notwendig. Dann nimmt das Volk sein Schicksal selbst in die Hände und entscheidet. Wir haben keinen Wahlkampf gemacht als CSU und haben dann auch das Ergebnis begrüßt.
Wo sind wir denn eigentlich? Ich kann doch nicht sagen, es ist gut, wenn das Volk entscheidet, aber wenn es dann so entscheidet, wie es mir nicht gefällt, dann ist es wieder schlecht. Also, ich hab da einfach vielleicht ein anderes Demokratieverständnis.
Deutschlandradio Kultur: Bis Ende September 2008 hat die CSU jahrzehntelang allein regiert in Bayern. Nun haben Sie einen liberalen Koalitionspartner. Haben Sie sich daran gewöhnt?
Horst Seehofer: Das ist für jemanden, der seit seiner Jugendzeit ein Schwarzer ist und in Bayern alleine regiert hat mit seiner Partei, natürlich schon ein Prozess, wo man sich einfach nicht so daran gewöhnen will, wenn das ganze Leben anders gelaufen ist, ist doch klar. Trotzdem läuft die Regierung in München sehr gut, sehr vertrauensvoll, sehr ergebnisorientiert. Wir stellen also nicht Harmonie dadurch her, dass wir nicht handeln, sondern wir handeln und haben trotzdem Harmonie.
Die Schwierigkeit für die CSU ist jetzt: Wenn es gut läuft in Bayern, dann sagt die Bevölkerung, ja, die Konstellation passt doch, diese Koalition passt doch. Je besser eine Regierung in Bayern jetzt arbeitet in der Koalition, desto schwieriger wird es sein, den Menschen zu vermitteln, aber es ist trotzdem notwendig, stärker CSU zu wählen. Und wenn wir nicht gut regieren, dann geht’s mit beiden Koalitionspartnern nach unten. Also, wir sind verdammt zum guten Regieren, was uns dann politisch gleichzeitig in die Schwierigkeit bringt, dass die Bevölkerung sagt, ein Teil dessen, was da gut läuft, ordnen wir auch unserem Koalitionspartner zu.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben ja eben schon davon gesprochen, dass Parteien sich auch immer wieder zwischendurch erneuern müssen und dass auch Ihre Partei, die CSU, sich auch erneuert hat. Sind Sie schon am Ende dieses Erneuerungsprozesses? Sie sind ja auch angetreten und haben gesagt, Sie wollen die CSU modernisieren.
Horst Seehofer: Fertig ist man nie, aber wir haben einen ganz großen Teil bewältigt, wenn ich an die personelle Erneuerung denke. Wenn ich mal eine Frau, die Ilse Aigner, und einen Mann, den Karl-Theodor zu Guttenberg, hier in Berlin sehe, dann würde ich sagen, sind die sozusagen ein Aushängeschild dieser Erneuerung. Aber ich könnte eine ganze Reihe von Persönlichkeiten auch aus dem Münchner Kabinett nennen.
Und was die Parteiorganisation betrifft, auch wieder mehr Mitentscheidungen der Mitglieder und ähnliches, da sind wir mitten im Diskussionsprozess. Das werden wir im Oktober abschließen auf dem Parteitag. Da sind ein paar ganz schwierige Themen dabei, sehr umstritten in der Partei.
Brauchen wir eine Frauenquote? Brauchen wir eine Begrenzung bei Ämtern in Vorständen für Berufspolitiker, dass nicht alle Positionen durch Berufspolitiker besetzt werden und die Ehrenamtlichen mehr Chancen haben? Soll ein Parteivorsitzender mal auch unmittelbar von allen Mitgliedern gewählt werden können? – Und solche Dinge. Da sind wir mitten in der Arbeit.
Was die inhaltliche Geschichte betrifft, da sind wir auch weitgehend vorangekommen, sozusagen eine traditions- und historisch verbundene Partei, die trotzdem weltoffen ist, dem Fortschritt hoffen steht, nicht als Eigenbrödler hinter den eigenen Grenzen zu sitzen und sich auf sich selbst zurückzuziehen, sondern offen zu sein gegenüber dem Fortschritt, offen zu sein für Neues, wenn das Neue besser ist, also nicht Modeerscheinungen nachlaufen. Also, wir sind wertekonservativ, möchte ich sagen, aber nicht strukturkonservativ.
Deutschlandradio Kultur: Ich würde gern noch auf zwei bundespolitische Themen zurückkommen, die in der Öffentlichkeit Konfliktpotenzial haben. Das eine ist die Sicherheitsverwahrung, die geplante Abschaffung der Sicherheitsverwahrung, das Zweite ist die Wehrpflicht. In der Sicherheitsverwahrung könnte ja der nächste Konflikt mit der FDP drohen. Zumindest sagen CDU und CSU, so, wie die Justizministerin es plant, läuft es nicht.
Horst Seehofer: Es muss gewährleistet sein, dass man auch nachträglich, also während des Strafvollzugs, mit den Erkenntnissen, die man während dem Strafvollzug gewinnt, eine Sicherheitsverwahrung anordnen kann – immer durch einen Richter und rechtsstaatlich, ist völlig klar. Wir werden da die Kanzlerin bitten, dass wir noch mal in der Koalition darüber reden. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Sie wissen, dass die CSU sehr darauf achtet, dass die Sicherheit unserer Bevölkerung nach innen und außen gewährleistet bleibt. Hier geht’s um Schwerverbrecher und es geht um die Behandlung von Menschen, immer rechtstaatlich, die zu einer echten Gefahr für die Menschen sich herausgebildet haben.
Und da reichen mir nicht Fußfesseln und ähnliches, was da als Alternative überlegt wird, sondern solche Leute, die Gewaltverbrechen begehen, gerade mit Sexualdelikten oder mit Anschlägen auf Leib und Leben, die muss man wegsperren. Und wenn die so gefährlich sind, dass die Wiederholungsgefahr besteht und die Fortsetzung einer kriminellen Karrieren, dann muss auf sauberer rechtlicher Grundlage diesem Staat die Möglichkeit gegeben werden, die Bevölkerung vor solchen Gewaltverbrechern zu schützen.
Deutschlandradio Kultur: Der Verteidigungsminister zu Guttenberg kann sich ja vorstellen, aus Kostengründen bei der Bundeswehr personell und materiell ja auch, einige Kürzungen vorzunehmen. Er kann sich ja auch vorstellen, dass man die Wehrpflicht nicht so aufrechterhalten kann. Geht er damit zu weit?
Horst Seehofer: Wissen Sie, was immer ich jetzt sage, wird immer zu allererst in einen Gegensatz zu meinem Freund Karl-Theodor zu Guttenberg gebracht. Das ist auch wieder so ein Diskussionsmerkmal in der Bundesrepublik Deutschland. Es wird alles sofort personalisiert.
Deutschlandradio Kultur: Sagen Sie einfach was zur Wehrpflicht.
Horst Seehofer: Deshalb haben wir schlicht und einfach vereinbart, "wir" heißt, die Kanzlerin mit Karl-Theodor zu Guttenberg einerseits und Karl-Theodor zu Guttenberg und ich für die CSU, dass er jetzt seine Konzepte ausarbeitet. Er hat die Unterstützung bei einer Bundeswehrreform. Es geht hier um die äußere Sicherheit unseres Landes. Das ist ein ganz wichtiges Thema.
Und er wird im September Szenarien dazu vorlegen. Wobei nicht primär jetzt das Geld entscheidend sein soll, sondern die Frage: Was brauchen wir in dieser modernen Welt mit offenen Grenzen an nationaler Armee? Und wie wird diese Armee eingebunden in internationale Bündnisse? Also, es muss primär gedacht werden von der Sicherheitsnotwendigkeit und Sicherheitsarchitektur eine Armee in einer Bündnisgemeinschaft.
Deutschlandradio Kultur: Ich versuch's dann mal so rum: Auch der CSU-Vorsitzende will die Wehrpflicht nicht um jeden Preis erhalten?
Horst Seehofer: Jetzt möchte ich Ihnen sagen: Dann werden Szenarien vorgelegt. Und diese Szenarien werden dann diskutiert und nach meiner Vorstellung auf unserem Parteitag abschließend entschieden. Und jetzt muss man auch wieder ein bisschen eine Anleihe nehmen: Wie stellt man sich die Kultur des Dialogs vor? Ich stelle mir nicht vor, dass wir eine solche Diskussion beginnen jetzt im Juli mit einer Vorgabe, "sie wird in jedem Fall so beibehalten, wie sie jetzt ist, oder sie wird in jedem Fall abgeschafft". Das ist nicht meine Vorstellung, wie man solche Dinge angeht.
Ich möchte, dass wir ohne Vorbedingungen diese Debatte führen und dass Karl-Theodor zu Guttenberg deshalb, weil es keine Vorbedingungen geben soll – weder vom Parteivorsitzenden noch von Ministern -, dass wir mehrere Szenarien bekommen. Und dann muss man mal den Status quo sich anschauen. Wie würde es aussehen, wenn man reduziert? Und wie sind dann Möglichkeiten mit und ohne Wehrpflicht? Welche Folgen hätte das für die Sicherheit, gesellschaftspolitisch, für die Rekrutierung von Berufssoldaten, für die Finanzen und vieles andere mehr?
So, wie ich ganz am Anfang unseres Gesprächs gesagt habe, wir werden künftig etwas härter gegenüber Funktionären vorgehen, die immer gerne und schlau und schnell schwätzen, so müssen wir als Vorsitzende auch mit gutem Beispiel vorangehen und müssen nicht auf jede Frage, die uns in einem Gespräch gestellt wird, so antworten, dass wir wieder einige Wochen die Bevölkerung unterhalten mit kontroversen Meinungen.
Deutschlandradio Kultur: Wir nehmen das mit Bedauern zur Kenntnis.
Horst Seehofer: Aber es ist nicht schadenersatzpflichtig.
Deutschlandradio Kultur: Und danken für dieses Gespräch.
Horst Seehofer: Danke auch.