Hier herrscht die Hoffnungslosigkeit
Düsternis brachte der Lyriker und Prosaautor Christoph Meckel bereits in früheren Versen zum Ausdruck. Sein Gedichtband "Gottgewimmer" klingt allerdings wie ein endgültiger Abgesang auf das Leben.
Der Berliner Schriftsteller Christoph Meckel, der auch als Grafiker und Zeichner Anerkennung fand, feierte diesen Sommer seinen 75. Geburtstag. Und doch liest sich sein neuester Gedichtband "Gottgewimmer" wie ein Abgesang. "Wenn er ankommt, hat er Paradies/ und Regenbogen und Sonne verbraucht/ und kann nichts erzählen./ Das Gedicht ist alt. Er ist/ zur Not in ihm untergekommen/ und wartet, kann warten/ bis die Schuhe in Wörter verwandelt sind."
Möchte man da nicht - als Bewunderer des Meckelschen Ceuvres, wenn auch ohne Kenntnis von den konkreten Lebensumständen des alternden Meisters - beherzt widersprechen? Schließlich legt sein ganzes bisheriges Dichterleben davon Zeugnis ab, wie geradezu umgekehrt "Wörter in Schuhe" verwandelt werden können. Will heißen: Ob in den grandiosen Romanen rund um das imaginäre "Babylon-City" oder in den zahllosen Gedichten – wer seiner Generation war sinnlicher oder auch nur von der gleichen poetischen Mobilität?
Wehender Mantel, offene Zugfenster und Schiffsdecks, das Meer, immer wieder das Meer, der französische oder ein metaphorischer Süden, Landschaften der Leichtigkeit und des Lichts… Kann das mit zunehmendem Alter tatsächlich nicht allein vergangen, sondern auch obsolet geworden sein? Sind sie wirklich ganz verschwunden, jene "Markttage, die nach Maronen duften"?
"Landschaft, Meerschaft/ durcheinander geschmissen, das ist noch kein Erdteil./(…)Diese Welt, für nichts geschaffen/ hat ihr Ende hinter sich." Andererseits: Was kann die Welt dafür, wenn ein Atheist in ihr in die Jahre kommt? Und wird folgende Lebensbilanz tatsächlich einer Schriftsteller-Existenz gerecht, die nicht nur vielen Lesern immense Glücksmomente geschenkt hat, sondern – spekulieren wir einmal über den bekannten, mehrfach preisgekrönten und weitgereisten Dichter – auch selbst wohl nicht allein von Unglück, Wahn und Täuschung geprägt gewesen war?
Christoph Meckel aber schreibt: "Ein paar%e mehr/ werden zusammenkommen, wenn er/ sein Soll und Haben zusammensucht./ Falsche Rechnung. Die Zahl hält nichts fest/ von Tagen des Sommers in Les Valettes,/ Nacht und Atem im Haus Giaconta/ und Wein von den Hügeln des Falce./ Was er verbrauchte, nicht verbrauchte/ vom Licht, von sich selbst, seiner Hoffung-/ Tod genug, zu verschwinden."
Nun war Meckel nie ein tumber Optimist gewesen, Düsternis und Apokalypse bewohnten auch bereits früher seine Verse, doch galt für sie, was er nun nur noch rückblickend beschreibt: "Als ich lebte, glaubte ich an Sätze/ in denen der Raubtierengel jagen ging." Und siehe da, ab und an blitzen sie noch durch, auch wenn das Gedicht bereits im Titel verrät, das es nun nur noch ein "Traum" ist: "Wollen wir nicht aufhören mit dem Tod. / Wir wollen nach Norden gehen/ und in der Brise leben./ Niemand vermisst uns, und wir lassen die Post/ an die alte Adresse schicken./ In unserem Bett schlafen Freunde, die gehen auch ans Telefon./ Wir sind abhanden, solange das Leben reicht,/ wir sind in Paris und fliegen in offenen Mänteln/ übern Pont Mirabeau."
Vielleicht ist es ja eine Frage des Temperaments (um korrekterweise nicht von Glauben und Religion zu sprechen). Dennoch: Mitunter kommt man nicht umhin, an die so wunderbar widerständige Transzendenz in den späten, dem Tode tatsächlich abgerungenen Gedichten von Czeslaw Milosz zu denken und Christoph Meckel auch nur ein Prozent dieser anderen Gestimmtheit zu wünschen. Immerhin hatte in einem Prosastück – auch dies vor Jahren – der Ich-Erzähler einmal dies zu Protokoll gegeben: "Mein Hauptberuf heißt Kälte Überleben." Darauf zählen wir nach wie vor.
Besprochen von Marko Martin
Christoph Meckel: Gottgewimmer. Gedichte
Hanser Verlag, München 2010
80 Seiten, geb., 14,90 Euro
Möchte man da nicht - als Bewunderer des Meckelschen Ceuvres, wenn auch ohne Kenntnis von den konkreten Lebensumständen des alternden Meisters - beherzt widersprechen? Schließlich legt sein ganzes bisheriges Dichterleben davon Zeugnis ab, wie geradezu umgekehrt "Wörter in Schuhe" verwandelt werden können. Will heißen: Ob in den grandiosen Romanen rund um das imaginäre "Babylon-City" oder in den zahllosen Gedichten – wer seiner Generation war sinnlicher oder auch nur von der gleichen poetischen Mobilität?
Wehender Mantel, offene Zugfenster und Schiffsdecks, das Meer, immer wieder das Meer, der französische oder ein metaphorischer Süden, Landschaften der Leichtigkeit und des Lichts… Kann das mit zunehmendem Alter tatsächlich nicht allein vergangen, sondern auch obsolet geworden sein? Sind sie wirklich ganz verschwunden, jene "Markttage, die nach Maronen duften"?
"Landschaft, Meerschaft/ durcheinander geschmissen, das ist noch kein Erdteil./(…)Diese Welt, für nichts geschaffen/ hat ihr Ende hinter sich." Andererseits: Was kann die Welt dafür, wenn ein Atheist in ihr in die Jahre kommt? Und wird folgende Lebensbilanz tatsächlich einer Schriftsteller-Existenz gerecht, die nicht nur vielen Lesern immense Glücksmomente geschenkt hat, sondern – spekulieren wir einmal über den bekannten, mehrfach preisgekrönten und weitgereisten Dichter – auch selbst wohl nicht allein von Unglück, Wahn und Täuschung geprägt gewesen war?
Christoph Meckel aber schreibt: "Ein paar%e mehr/ werden zusammenkommen, wenn er/ sein Soll und Haben zusammensucht./ Falsche Rechnung. Die Zahl hält nichts fest/ von Tagen des Sommers in Les Valettes,/ Nacht und Atem im Haus Giaconta/ und Wein von den Hügeln des Falce./ Was er verbrauchte, nicht verbrauchte/ vom Licht, von sich selbst, seiner Hoffung-/ Tod genug, zu verschwinden."
Nun war Meckel nie ein tumber Optimist gewesen, Düsternis und Apokalypse bewohnten auch bereits früher seine Verse, doch galt für sie, was er nun nur noch rückblickend beschreibt: "Als ich lebte, glaubte ich an Sätze/ in denen der Raubtierengel jagen ging." Und siehe da, ab und an blitzen sie noch durch, auch wenn das Gedicht bereits im Titel verrät, das es nun nur noch ein "Traum" ist: "Wollen wir nicht aufhören mit dem Tod. / Wir wollen nach Norden gehen/ und in der Brise leben./ Niemand vermisst uns, und wir lassen die Post/ an die alte Adresse schicken./ In unserem Bett schlafen Freunde, die gehen auch ans Telefon./ Wir sind abhanden, solange das Leben reicht,/ wir sind in Paris und fliegen in offenen Mänteln/ übern Pont Mirabeau."
Vielleicht ist es ja eine Frage des Temperaments (um korrekterweise nicht von Glauben und Religion zu sprechen). Dennoch: Mitunter kommt man nicht umhin, an die so wunderbar widerständige Transzendenz in den späten, dem Tode tatsächlich abgerungenen Gedichten von Czeslaw Milosz zu denken und Christoph Meckel auch nur ein Prozent dieser anderen Gestimmtheit zu wünschen. Immerhin hatte in einem Prosastück – auch dies vor Jahren – der Ich-Erzähler einmal dies zu Protokoll gegeben: "Mein Hauptberuf heißt Kälte Überleben." Darauf zählen wir nach wie vor.
Besprochen von Marko Martin
Christoph Meckel: Gottgewimmer. Gedichte
Hanser Verlag, München 2010
80 Seiten, geb., 14,90 Euro