Hier spricht der Dichter
"Willkommen zu Ihrer persönlichen Poesielesung", steht als Überschrift auf der Homepage von "Lyrikline.org". Über 5500 Gedichte von 600 Dichtern aus aller Welt sind hier nachzulesen und vor allem nachzuhören, gelesen von den Dichtern selbst. Lyrikline feiert jetzt zehnten Geburtstag.
"Meine Verse gähnen noch ein bisschen.
Daran gewöhn ich mich nie. Sie haben hier lang
genug gewohnt.
Genug. lch schick sie weg, ich will nicht warten
bis ihre Zehen kalt sind."
Dass sich die Verse aus Hugo Claus' Gedicht übers Gedichteschreiben, gelesen vom Autor selbst, vier Jahre vor seinem Tod, im Netz die Füße vertreten können, haben sie einem Einfall zu verdanken, der heute seinen zehnten Geburtstag feiert.
"Es gibt zwei Momente, die es in die Welt gebracht haben."
- erinnert sich Christiane Lange an die Geburtsstunde der Internet-Plattform Lyrikline.org.
"Das eine ist die Situation der Lyrik allgemein ... Lyrik findet auf dem Buchmarkt kaum statt. Das andere Argument ist, dass das Buch nicht das alleinige Medium für die Poesie sein kann und sollte. Gedichte müssen gehört werden, und am besten hört man sie vom Dichter selbst gesprochen."
Mittlerweile kann man auf "Lyrikline" 600 Lyrikern zuhören, wie sie eines von 5500 Gedichten aufsagen - in 50 Sprachen. Die Übersetzung gibt's dazu als Popup-Text.
"Und wenn man sich dareinbegibt wie in ein Haus, und da rumspaziert und dort, dann kann man so unterschiedliche Erfahrungen machen."
"Lyrikline" ist ein virtuelles Haus mit vielen Zimmern, und hinter jeder Tür wartet ein anderer Bewohner darauf, entdeckt zu werden oder alte Bekannte darauf, wieder gehört zu werden: Philippa Yaa de Villiers aus Südafrika neben Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Derek Walcott neben Durs Grünbein.
Es gibt Zimmer, die kennt man seit Lesebuchtagen, ein paar Zimmer stehen noch leer. Zum Beispiel die Salons der großen englischen Lyriker T. S. Elliot, Ezra Pound oder W.H. Auden, aber dafür steht man mit einem Mal in einer Kammer, die so vollgepackt ist wie ein orientalischer Bazar.
Mein Mantel und ich machen Winterspaziergänge.
Ich gebe ihm meine Zigaretten zur Aufbewahrung,
Und wir fragen niemanden nach dem Weg.
Ich trage ihn über dem Arm, wenn die Welt zu ersticken droht.
"Ich habe hier Girgis Shoukry, das ist ein junger Autor aus Kairo. Er vergleicht seine Gedichte gern mit Bildern von Magritte."
Shoukry steht zwischen Erzähltradition und Sprachexperiment. Für beides finden sich Beispiele bei "Lyrikline":
"Wir haben ja im Laufe des 20. Jahrhunderts auch das Vertrauen in die Sprache verloren, und das drückt sich in der Lyrik dadurch aus, dass es dieses ungebrochene Erzählen eher selten gibt. Gerade in der Mitte des Jahrhunderts gibt es sehr viele experimentelle Texte, es hat sich die Lautpoesie entwickelt, eine sprachphilosophische Richtung. In den arabischen Ländern ist die Poesie sehr erzählend. Sie hat 'ne ganz andere Tradition."
Dass diese Tradition auch hierzulande zu Gehör kommt, ist das Verdienst von "Lyrikline" und seinen Herausgebern. Deren Computer stehen nicht nur in der Berliner Werkstatt, sondern in Partnerorganisationen in 41 Ländern. Nationale PEN-Zentren finden sich darunter, Stiftungen und hin und wieder auch ein Kulturministerium. Gelesen und gehört wird sie auf der ganzen Welt. Vier Millionen Klicks auf die Seite hat Christiane Lange gezählt. Übrigens sehr oft in der Mittagszeit.
"Als würden die Leute zur Erholung in der Mittagspause Gedichte hören, was ich verstehen kann."
Denn Lyrik, sagt Christiane Lange, ...
"... bietet immer Momente des Innehaltens im Trott, im Sprachmüll, Rauschen der Kommunikation, und dann wird's plötzlich ... pffft ... da gibt es so einen Moment, wo die Uhr plötzlich langsamer geht, wo man einen Moment des Innehaltens hat, der Schönheit, der Wahrheit vielleicht."
Als Flaschenpost aus dem Internet und trotzdem persönlicher als jede Reklame-Spam-Mail, die dem Empfänger ganz persönlich alles Mögliche verspricht.
"Geht jetzt, Verse, auf euren leichten Füßen,
ihr habt nicht schwer getreten auf der alten Erde,
wo die Gräber lachen, wenn sie ihre Gäste sehen,
die eine Leiche auf die andere gestapelt.
Geht jetzt und taumelt zu ihr,
die ich nicht kenne."
Daran gewöhn ich mich nie. Sie haben hier lang
genug gewohnt.
Genug. lch schick sie weg, ich will nicht warten
bis ihre Zehen kalt sind."
Dass sich die Verse aus Hugo Claus' Gedicht übers Gedichteschreiben, gelesen vom Autor selbst, vier Jahre vor seinem Tod, im Netz die Füße vertreten können, haben sie einem Einfall zu verdanken, der heute seinen zehnten Geburtstag feiert.
"Es gibt zwei Momente, die es in die Welt gebracht haben."
- erinnert sich Christiane Lange an die Geburtsstunde der Internet-Plattform Lyrikline.org.
"Das eine ist die Situation der Lyrik allgemein ... Lyrik findet auf dem Buchmarkt kaum statt. Das andere Argument ist, dass das Buch nicht das alleinige Medium für die Poesie sein kann und sollte. Gedichte müssen gehört werden, und am besten hört man sie vom Dichter selbst gesprochen."
Mittlerweile kann man auf "Lyrikline" 600 Lyrikern zuhören, wie sie eines von 5500 Gedichten aufsagen - in 50 Sprachen. Die Übersetzung gibt's dazu als Popup-Text.
"Und wenn man sich dareinbegibt wie in ein Haus, und da rumspaziert und dort, dann kann man so unterschiedliche Erfahrungen machen."
"Lyrikline" ist ein virtuelles Haus mit vielen Zimmern, und hinter jeder Tür wartet ein anderer Bewohner darauf, entdeckt zu werden oder alte Bekannte darauf, wieder gehört zu werden: Philippa Yaa de Villiers aus Südafrika neben Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Derek Walcott neben Durs Grünbein.
Es gibt Zimmer, die kennt man seit Lesebuchtagen, ein paar Zimmer stehen noch leer. Zum Beispiel die Salons der großen englischen Lyriker T. S. Elliot, Ezra Pound oder W.H. Auden, aber dafür steht man mit einem Mal in einer Kammer, die so vollgepackt ist wie ein orientalischer Bazar.
Mein Mantel und ich machen Winterspaziergänge.
Ich gebe ihm meine Zigaretten zur Aufbewahrung,
Und wir fragen niemanden nach dem Weg.
Ich trage ihn über dem Arm, wenn die Welt zu ersticken droht.
"Ich habe hier Girgis Shoukry, das ist ein junger Autor aus Kairo. Er vergleicht seine Gedichte gern mit Bildern von Magritte."
Shoukry steht zwischen Erzähltradition und Sprachexperiment. Für beides finden sich Beispiele bei "Lyrikline":
"Wir haben ja im Laufe des 20. Jahrhunderts auch das Vertrauen in die Sprache verloren, und das drückt sich in der Lyrik dadurch aus, dass es dieses ungebrochene Erzählen eher selten gibt. Gerade in der Mitte des Jahrhunderts gibt es sehr viele experimentelle Texte, es hat sich die Lautpoesie entwickelt, eine sprachphilosophische Richtung. In den arabischen Ländern ist die Poesie sehr erzählend. Sie hat 'ne ganz andere Tradition."
Dass diese Tradition auch hierzulande zu Gehör kommt, ist das Verdienst von "Lyrikline" und seinen Herausgebern. Deren Computer stehen nicht nur in der Berliner Werkstatt, sondern in Partnerorganisationen in 41 Ländern. Nationale PEN-Zentren finden sich darunter, Stiftungen und hin und wieder auch ein Kulturministerium. Gelesen und gehört wird sie auf der ganzen Welt. Vier Millionen Klicks auf die Seite hat Christiane Lange gezählt. Übrigens sehr oft in der Mittagszeit.
"Als würden die Leute zur Erholung in der Mittagspause Gedichte hören, was ich verstehen kann."
Denn Lyrik, sagt Christiane Lange, ...
"... bietet immer Momente des Innehaltens im Trott, im Sprachmüll, Rauschen der Kommunikation, und dann wird's plötzlich ... pffft ... da gibt es so einen Moment, wo die Uhr plötzlich langsamer geht, wo man einen Moment des Innehaltens hat, der Schönheit, der Wahrheit vielleicht."
Als Flaschenpost aus dem Internet und trotzdem persönlicher als jede Reklame-Spam-Mail, die dem Empfänger ganz persönlich alles Mögliche verspricht.
"Geht jetzt, Verse, auf euren leichten Füßen,
ihr habt nicht schwer getreten auf der alten Erde,
wo die Gräber lachen, wenn sie ihre Gäste sehen,
die eine Leiche auf die andere gestapelt.
Geht jetzt und taumelt zu ihr,
die ich nicht kenne."