"Hier zeigt sich, dass wir dringenden Handlungsbedarf haben"
Angesichts der Lohndumping-Vorwürfe gegen die Drogeriemarktkette Schlecker plädiert SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles für Mindestlöhne. Besonders im Einzelfall sei es schlechte Praxis, sich über Leiharbeitsfirmen Mitarbeiter vermitteln zu lassen und dadurch die Löhne zu drücken, sagte Nahles.
Jörg Degenhardt: Auf die Werbung hätte die Drogeriekette Schlecker wohl gerne verzichtet: Das Unternehmen ist wegen des vermehrten Einsatzes von Leiharbeitskräften in die Negativschlagzeilen geraten. Es soll fest angestellte Mitarbeiter in neue Verträge mit deutlich schlechteren Arbeits- und Einkommensbedingungen gezwungen haben. Und zwar über die Zeitarbeitsfirma Meniar, die einen Stundenlohn von nur 6,78 Euro zahlt.
Im Bundesdurchschnitt liegt der Tariflohn einer Verkäuferin hingegen bei 12,70 Euro. Schlecker hat nun reagiert, neue Zeitarbeitsverträge mit besagter Firma sollen nicht mehr abgeschlossen werden. Lohndumpingvorwürfe wurden allerdings dementiert. Andrea Nahles begrüße ich am Telefon, die SPD-Generalsekretärin. Guten Morgen, Frau Nahles!
Andrea Nahles: Guten Morgen, Herr Degenhardt!
Degenhardt: Ist Schleckers aktuelles Verhalten für Sie ein Einlenken und damit auch ein Zeichen, dass man sich zu weit vorgewagt hat?
Nahles: Ja, anders kann man sich nicht erklären, dass sie hier so schnell reagiert haben. Das scheint ihnen klar zu sein, dass sie das öffentlich nicht vermitteln können, wie sie da mit Mitarbeitern umgegangen sind.
Degenhardt: Laut ver.di hat die Zeitarbeitsfirma Meniar bislang rund 43.000 Leiharbeiter an Schlecker vermittelt, das ist ja eine beträchtliche Größenordnung und wahrscheinlich nicht der einzige Fall dieser Art. Was vermuten Sie?
Nahles: Ich denke, dass es mittlerweile schon schlechte und üble Praxis ist in einigen Bereichen, besonders im Einzelhandel. Ich habe so was auch schon von anderen gehört, dass eben auch zum Beispiel im Mainzer Raum in einer anderen normalen Einzelhandelskette solche Praktiken üblich waren. Und hier zeigt sich, dass wir dringenden Handlungsbedarf haben.
Degenhardt: Können Sie das etwas konkreter machen, welche Konsequenzen muss die Politik aus diesen Fällen ziehen?
Nahles: Also es braucht im Grunde genommen zunächst mal ganz klar einen Mindestlohn auch in dieser Branche, und da hat sich die Union, auch als wir noch mit ihnen zusammen regiert haben, ständig gesperrt, auch ist im Koalitionsvertrag dazu nichts zu finden. Darüber hinaus muss eigentlich der Bereich der Leiharbeit genauso behandelt werden vom Stundenlohn wie die Stammbelegschaft, also gleicher Lohn für die gleiche Arbeit.
Degenhardt: Hat nicht auch Ihre Partei mit der Agenda 2010, also mit der Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, die da gefordert und gesetzlich gefördert wurden, möglicherweise zu solchen Entwicklungen beigetragen, die wir jetzt beklagen?
Nahles: Also ich denke, dass wir tatsächlich, aber damals auch zusammen mit den Gewerkschaften den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung, also der Zeitarbeit neu aufgestellt haben. Wir müssen allerdings feststellen, dass nicht immer das, was man als Gesetzgeber denkt, dann auch umgesetzt wird. Da kam es dann zu einer Regelung, die sagt, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, es sei denn, ein Tarifvertrag regelt was anderes.
Und durch diesen kleinen Zusatz, der uns damals nicht schlecht erschien, weil wir DGB-Tarifverträge vor allem hatten, hat dazu geführt, dass es zu einem massenhaften Unterlaufen des Grundsatzes gleicher Lohn für gleiche Arbeit gekommen ist, weil einige eben mit einigen sogenannten christlichen Gewerkschaften und sonstigen Alternativen zum DGB dann Tarifverträge gemacht haben, die eben Lohndumping bedeutet haben. Insoweit muss dem jetzt auch gesetzlich ein Riegel vorgeschoben werden, das hatten wir auch im letzten Jahr noch versucht, aber die Union hat dort geblockt.
Degenhardt: Die Arbeitgeber fordern des Weiteren eine Korrektur der Hartz-IV-Gesetze und mehr Anreize für die Aufnahme einer Vollzeitarbeit. Geht nicht vom Gesetz in vielen Fällen der Reiz aus, vielleicht nur ein Taschengeld noch hinzuverdienen zu wollen?
Nahles: Ich muss da mal widersprechen, weil wir haben eine ganze Reihe von Menschen, die Aufstocker sind sogenannte, also die, obwohl sie voll arbeiten, noch von zusätzlichen Mitteln, Transfermitteln zusätzlich leben müssen. Die gehen trotzdem arbeiten. Es gibt ganz viele Menschen, die Niedrigstlöhne in Deutschland bekommen.
Man muss fast sagen, es sind insgesamt von allen Arbeitnehmern mindestens 20 Prozent, die man zu dieser Gruppe rechnen muss, und die haben kaum genug, um davon existieren zu können, die gehen trotzdem arbeiten. Und deswegen geht es nicht darum, den Anreiz für Arbeit zu erhöhen, sondern anständige Löhne für Arbeit zu bezahlen.
Degenhardt: Noch mal die Nachfrage: Hartz IV nachbessern, das will ja auch die neue Bundesarbeitsministerin – stehen Sie da an ihrer Seite oder sagen Sie, nein, im Grunde haben wir damals die richtigen Pflöcke eingeschlagen?
Nahles: Ich denke, dass wir nach Jahren, die wir dieses Gesetz jetzt beobachten, schon einige Korrekturen auch vorgehoben haben, denken Sie an die Verlängerung des Arbeitslosengelds I, auch noch unter Parteivorsitzendem Kurt Beck. Aber ich denke, warum, wenn es sinnvolle Verbesserungen gibt, da sperrt sich die SPD nicht – wenn es den Menschen hilft, wenn es mehr Menschen in Arbeit bringt.
Allerdings habe ich von Frau von der Leyen als einzigen konkreten Punkt bisher nur gehört, die Sanktionen zu verstärken, und das allerdings scheint mir dann eine Mogelpackung zu sein. Also die SPD ist immer bereit auch, an Gesetzen, die sie selber gemacht hat, noch mal Korrekturen da, wo nötig sind, auch zu machen, aber nicht wenn es darum geht, dann die Situation für die Menschen noch zu verschlechtern.
Degenhardt: Dann schenken Sie uns zum Schluss noch einen konkreten Vorschlag!
Nahles: Ich will zunächst mal Mindestlöhne, und ich will zunächst mal die Leiharbeit von dem, was jetzt passiert ist, also den Missbräuchen, die wir jetzt beobachten, das muss beendet werden, dafür müssen wir ein Gesetz ändern, nämlich das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass es noch weitere Änderungen geben muss, aber darüber wollen wir in der Jahreseröffnungsklausur am nächsten Wochenende innerhalb der SPD beraten.
Degenhardt: Andrea Nahles, die SPD-Generalsekretärin, zum Fall Schlecker und möglichen Korrekturen nicht nur in Sachen Zeitarbeit. Vielen Dank, Frau Nahles, für das Gespräch!
Nahles: Besten Dank!
Im Bundesdurchschnitt liegt der Tariflohn einer Verkäuferin hingegen bei 12,70 Euro. Schlecker hat nun reagiert, neue Zeitarbeitsverträge mit besagter Firma sollen nicht mehr abgeschlossen werden. Lohndumpingvorwürfe wurden allerdings dementiert. Andrea Nahles begrüße ich am Telefon, die SPD-Generalsekretärin. Guten Morgen, Frau Nahles!
Andrea Nahles: Guten Morgen, Herr Degenhardt!
Degenhardt: Ist Schleckers aktuelles Verhalten für Sie ein Einlenken und damit auch ein Zeichen, dass man sich zu weit vorgewagt hat?
Nahles: Ja, anders kann man sich nicht erklären, dass sie hier so schnell reagiert haben. Das scheint ihnen klar zu sein, dass sie das öffentlich nicht vermitteln können, wie sie da mit Mitarbeitern umgegangen sind.
Degenhardt: Laut ver.di hat die Zeitarbeitsfirma Meniar bislang rund 43.000 Leiharbeiter an Schlecker vermittelt, das ist ja eine beträchtliche Größenordnung und wahrscheinlich nicht der einzige Fall dieser Art. Was vermuten Sie?
Nahles: Ich denke, dass es mittlerweile schon schlechte und üble Praxis ist in einigen Bereichen, besonders im Einzelhandel. Ich habe so was auch schon von anderen gehört, dass eben auch zum Beispiel im Mainzer Raum in einer anderen normalen Einzelhandelskette solche Praktiken üblich waren. Und hier zeigt sich, dass wir dringenden Handlungsbedarf haben.
Degenhardt: Können Sie das etwas konkreter machen, welche Konsequenzen muss die Politik aus diesen Fällen ziehen?
Nahles: Also es braucht im Grunde genommen zunächst mal ganz klar einen Mindestlohn auch in dieser Branche, und da hat sich die Union, auch als wir noch mit ihnen zusammen regiert haben, ständig gesperrt, auch ist im Koalitionsvertrag dazu nichts zu finden. Darüber hinaus muss eigentlich der Bereich der Leiharbeit genauso behandelt werden vom Stundenlohn wie die Stammbelegschaft, also gleicher Lohn für die gleiche Arbeit.
Degenhardt: Hat nicht auch Ihre Partei mit der Agenda 2010, also mit der Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, die da gefordert und gesetzlich gefördert wurden, möglicherweise zu solchen Entwicklungen beigetragen, die wir jetzt beklagen?
Nahles: Also ich denke, dass wir tatsächlich, aber damals auch zusammen mit den Gewerkschaften den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung, also der Zeitarbeit neu aufgestellt haben. Wir müssen allerdings feststellen, dass nicht immer das, was man als Gesetzgeber denkt, dann auch umgesetzt wird. Da kam es dann zu einer Regelung, die sagt, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, es sei denn, ein Tarifvertrag regelt was anderes.
Und durch diesen kleinen Zusatz, der uns damals nicht schlecht erschien, weil wir DGB-Tarifverträge vor allem hatten, hat dazu geführt, dass es zu einem massenhaften Unterlaufen des Grundsatzes gleicher Lohn für gleiche Arbeit gekommen ist, weil einige eben mit einigen sogenannten christlichen Gewerkschaften und sonstigen Alternativen zum DGB dann Tarifverträge gemacht haben, die eben Lohndumping bedeutet haben. Insoweit muss dem jetzt auch gesetzlich ein Riegel vorgeschoben werden, das hatten wir auch im letzten Jahr noch versucht, aber die Union hat dort geblockt.
Degenhardt: Die Arbeitgeber fordern des Weiteren eine Korrektur der Hartz-IV-Gesetze und mehr Anreize für die Aufnahme einer Vollzeitarbeit. Geht nicht vom Gesetz in vielen Fällen der Reiz aus, vielleicht nur ein Taschengeld noch hinzuverdienen zu wollen?
Nahles: Ich muss da mal widersprechen, weil wir haben eine ganze Reihe von Menschen, die Aufstocker sind sogenannte, also die, obwohl sie voll arbeiten, noch von zusätzlichen Mitteln, Transfermitteln zusätzlich leben müssen. Die gehen trotzdem arbeiten. Es gibt ganz viele Menschen, die Niedrigstlöhne in Deutschland bekommen.
Man muss fast sagen, es sind insgesamt von allen Arbeitnehmern mindestens 20 Prozent, die man zu dieser Gruppe rechnen muss, und die haben kaum genug, um davon existieren zu können, die gehen trotzdem arbeiten. Und deswegen geht es nicht darum, den Anreiz für Arbeit zu erhöhen, sondern anständige Löhne für Arbeit zu bezahlen.
Degenhardt: Noch mal die Nachfrage: Hartz IV nachbessern, das will ja auch die neue Bundesarbeitsministerin – stehen Sie da an ihrer Seite oder sagen Sie, nein, im Grunde haben wir damals die richtigen Pflöcke eingeschlagen?
Nahles: Ich denke, dass wir nach Jahren, die wir dieses Gesetz jetzt beobachten, schon einige Korrekturen auch vorgehoben haben, denken Sie an die Verlängerung des Arbeitslosengelds I, auch noch unter Parteivorsitzendem Kurt Beck. Aber ich denke, warum, wenn es sinnvolle Verbesserungen gibt, da sperrt sich die SPD nicht – wenn es den Menschen hilft, wenn es mehr Menschen in Arbeit bringt.
Allerdings habe ich von Frau von der Leyen als einzigen konkreten Punkt bisher nur gehört, die Sanktionen zu verstärken, und das allerdings scheint mir dann eine Mogelpackung zu sein. Also die SPD ist immer bereit auch, an Gesetzen, die sie selber gemacht hat, noch mal Korrekturen da, wo nötig sind, auch zu machen, aber nicht wenn es darum geht, dann die Situation für die Menschen noch zu verschlechtern.
Degenhardt: Dann schenken Sie uns zum Schluss noch einen konkreten Vorschlag!
Nahles: Ich will zunächst mal Mindestlöhne, und ich will zunächst mal die Leiharbeit von dem, was jetzt passiert ist, also den Missbräuchen, die wir jetzt beobachten, das muss beendet werden, dafür müssen wir ein Gesetz ändern, nämlich das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Und ich kann mir durchaus vorstellen, dass es noch weitere Änderungen geben muss, aber darüber wollen wir in der Jahreseröffnungsklausur am nächsten Wochenende innerhalb der SPD beraten.
Degenhardt: Andrea Nahles, die SPD-Generalsekretärin, zum Fall Schlecker und möglichen Korrekturen nicht nur in Sachen Zeitarbeit. Vielen Dank, Frau Nahles, für das Gespräch!
Nahles: Besten Dank!