Hightech bei den Paralympics

Prothesen aus dem 3D-Drucker

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Auf blauem Untergrund mit dem weißen Schriftzug Tokio liegen ein Rucksack, ein Handtuch, Schwimmkleidung und zwei Beinprothesen.
Passgenaue Teile für Prothesen lassen sich inzwischen mit dem 3D-Drucker herstellen. © imago images / SNA / Ilya Pitalev / Sputnik
Von Elmar Krämer |
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Zukunftslabor Paralympics: Fast genauso wichtig wie die Trainingshallen ist hier die Werkstatt. Auf 700 Quadratmetern wird in Tokio genäht, geschweißt, gesägt – ob Prothesen oder Rollstühle. Manches wird auch mit einem 3D-Drucker vor Ort hergestellt.
Paralympischer Sport ist hart und Hochleistung - allerdings nur, wenn Mensch und Material, oft im wahrsten Sinne des Wortes, eins werden. Futuristische Beinprothesen, unauffällige Armprothesen oder Rollstühle aus Karbon. Die enormen Leistungen im Triathlon, im Sprint, im Rollstuhlbasketball und all den anderen Sportarten können nur erreicht werden, wenn das Material einwandfrei funktioniert.
"Ich sage immer, während der Paralympics sind drei Sachen wichtig", so Leichtathlet Heinrich Popow, mehrfacher Medaillengewinner bei den Paralympics im Sprint und Weitsprung.
"Das ist einmal das Zimmer, in dem man schläft, dann ist es die Dining-Hall, wo man isst, und das ist die Werkstatt. Denn man sollte schon wissen, wo einem geholfen wird, wenn die Passteile nicht mehr passen oder aus irgendeinem Grund auch kaputt gehen."

Von klassischer Werkstatt bis zum Zukunftslabor

Die Werkstatt in Tokio ist in einer Fabrikhalle unweit des Stadions eingerichtet. Auf 700 Quadratmetern gibt es alles von klassischer Werkstatt bis zum Zukunftslabor, wie Peter Franzel vom Orthopädiehersteller Otto Bock erklärt. Er ist der Direktor des technischen Serviceteams:
"Wir können Körperteile auch einscannen und dann im 3D-Drucker spezielle Passteile ausdrucken, die wir dann individuell für die Athletinnen und Athleten anfertigen."
Gefolgt von einer Kamera geht Franzel durch die Räume. Trotz strenger Corona-Auflagen ist einiges los in den Werkstätten und im Wartebereich. Franzel zeigt einen Fingerschutz für einen Bogenschützen – entstanden im 3D-Drucker.
"Momentan druckt er gerade ein anderes Teil, das dauert mit dem 3D-Drucker momentan immer noch ein paar Stunden, aber ich bin überzeugt, dass das in Zukunft viel, viel schneller und effektiver wird und wir dann noch viel mehr machen können."

Bis zu 200 Reparaturen am Tag

Bis zu 200 Reparaturen am Tag fallen an. Rund 98 Prozent davon sind herkömmliche Arbeiten: schweißen, sägen, nähen, nieten.
Es ist ein enormer Aufwand mit entsprechender Logistik: 18 Tonnen Ausrüstungsgegenstände wurden aus Deutschland eingeflogen. Darunter über 17.000 Ersatzteile und Werkstattmaschinen wie Fräsen, Bohrmaschinen, Infrarotwärmeöfen und und und.
"Für die Paralympics muss man eben auch diesen Reparaturservice anbieten", sagt Franzel. "Es ist in dem Pflichten- und Lastenheft der Austragungsorte mit reingeschrieben und Otto Bock hat das eben seit 1988 gemacht und nur wir machen das."
Das deutsche Unternehmen ist Weltmarktführer im Bereich orthopädischer Prothesen. Ein Großteil der Sportprothesen und Rollstühle bei den Paralympics kommt aus Deutschland. Die Werkstatt hilft jedoch auch Athletinnen und Athleten aus anderen Ländern.
"Wir reparieren alle Fabrikate aller Hersteller der Welt, auch Selbstgemachtes. Es gibt im Sportbereich ganz viele Sachen, die selbst hergestellt werden, wo die Sportler mit ihren Freunden und Trainern selber daran tüfteln. Das reparieren wir alles und wir haben natürlich auch von anderen Herstellern Ersatzteile dabei."

Die Prothese wird dem Leistungsstand angepasst

Ist ein Gurt gerissen, läuft ein Kugellager nicht rund, sitzt ein Prothesenschaft locker oder bricht ein Teil: Es gibt fast nichts, das nicht vor Ort repariert werden kann. Oft sind dabei Kreativität und handwerkliches Geschick gefordert: Für die Eröffnungsfeier zum Beispiel mussten die Fachkräfte für zwei Fahnenträger ohne Arme Oberkörperhalterungen entwerfen und bauen.
Die Prothesen sind ausgefeiltes Spezialgerät. Trotzdem sei kein Teil so ausgefeilt wie die Natur, sagt Heinrich Popow, der mittlerweile selbst Orthopädietechniker ist:
"Ein menschlicher Körper passt sich einer Entwicklung selber an, indem man vielleicht Muskeln aufbaut oder abbaut. Eine mechanische Komponente muss man dann immer wieder nachjustieren. Das ist das Geheimnis. Man muss immer wieder schauen, dass die Prothese dem aktuellen Leistungsstand entspricht."

Ohne Vertrauen ins Gerät geht es nicht

Doch für Spitzenleistungen bei den Paralympics braucht es nicht nur perfektes Material. Genauso wichtig sei das emotionale Vertrauen ins Gerät:
"Mein Trainer hat mir immer gesagt, wenn ich bei so einem Highlight wie den Paralympics in den Startblock gehe, dann darf ich niemals eine Frage im Kopf haben, die noch nicht beantwortet ist. Und deswegen ist auch da das Verhältnis zu Orthopädietechniker extrem wichtig. Ich darf nicht die Frage im Kopf haben, ob meine Prothese jetzt hält oder ob sie perfekt eingestellt ist. Das muss selbstverständlich sein."
Heinrich Popow kennt beide Seiten: früher als Spitzenathlet und heute als Orthopädietechniker. In Tokio sieht er sich als Mittler zwischen Sport und Technik.
"Da bin ich froh, dass ich mit meiner Kariere und meinem Wissen sehr viel helfen kann, auch wenn es am Ende vielleicht nicht immer das Hilfsmittel ist, sondern einfach nur die Seele streicheln. Da muss nicht immer eine Reparatur dabei helfen, dass die Athleten Topleistungen bringen."
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