Hilfe bei ungewollter Schwangerschaft
Die vertrauliche Geburt ist eine Chance für schwangere Frauen in Not. © Imago/ Cavan Images
Das Modell der vertraulichen Geburt
06:26 Minuten
Manche Frauen, die ungewollt schwanger sind, erfahren erst so spät davon, dass eine Abtreibung nicht mehr möglich ist. In dieser Notlage kann ihnen im Rahmen einer vertraulichen Geburt geholfen werden. Ein Konzept, das allerdings wenig bekannt ist.
Bis zur zwölften Woche kann man in Deutschland eine Schwangerschaft abbrechen. Danach nur wegen schwerwiegender medizinischer Gründe. Was, also, tun, nach der zwölften Woche, wenn niemand von der Schwangerschaft erfahren soll, aber eine Abtreibung nicht mehr möglich ist?
Christine Klapp ist Ärztin im Bereich Geburtsmedizin an der Charité. Sie berät Frauen in Schwangerschaftskonfliktsituationen, kümmert sich also genau um diese schweren Schicksale. Seit 2014 kann sie den Patientinnen eine vertrauliche Geburt vorschlagen.
Ergänzung zu anonymer Geburt und Babyklappe
"Die vertrauliche Geburt ist noch mal eine wesentliche Ergänzung zu Babyklappe und anonymer Geburt", erklärt sie. "Und zwar ist der wesentliche Unterschied der, dass die Schwangerschaft mitbetreut werden kann und sollte, dass danach noch mal eine Betreuung da ist, die vor allem medizinisch, aber auch psychologisch sein kann. Das Kind kann erfahren, wo es herkommt, es wird also ein Herkunftsnachweis erstellt."
Etwa 110 Kinder werden jedes Jahr so in Deutschland geboren. Anders als bei der anonymen Geburt, bei der die Schwangere erst zur Entbindung im Krankenhaus behandelt wird oder dem Konzept der Babyklappe, bei dem die Frau die Geburt sogar alleine durchsteht, kümmern sich bei der vertraulichen Geburt Beraterinnen und medizinische Fachkräfte schon während der Schwangerschaft um die Hilfesuchende.
Behandlungen und Klinikaufenthalt unter anderem Namen
Die Betroffene bekommt während der medizinischen Behandlungen und dem Klinikaufenthalt einen anderen Namen. Ihre wahren Kontaktdaten werden in einem Safe aufbewahrt. Ab dem 16. Lebensjahr hat das Kind die Möglichkeit, zu erfahren, wie die leibliche Mutter heißt und unter Umständen auch, warum sie das Baby nach der Geburt nicht behalten konnte.
Das ist weder bei der Babyklappe noch bei der anonymen Geburt möglich. Und im Gegensatz zur klassischen Adoption werden die Daten der Betroffenen vertraulich behandelt, denn eine ungewollte Schwangerschaft kann bei manchen Frauen zu größeren Problemen oder gar lebensbedrohlichen Szenarien führen.
"Also wir haben vielleicht eine Frau aus einem anderen Kulturkreis, die schwanger geworden ist – vor der Ehe oder außerhalb der Ehe und absolut in Not ist, weil sie befürchtet, dass hier die Familie oder die Verwandtschaft sie verstoßen oder sie möglicherweise verletzten oder töten könnten", erläutert die Ärztin.
Bei anderen Frauen geht es vielleicht nicht um Leben oder Tod, dafür um Scham und soziale Ächtung. "Wo die Frauen einfach vermuten, ihre Situation, ihr Ansehen in der Familie zu verlieren, die dann etwa denken ‚Wie kann man jetzt nur schwanger werden? Zu blöd zum Verhüten?‘. Diesen Nachteil spüren die Frauen und nicht die Erzeuger."
Ein interdisziplinäres Team sucht den besten Weg aus der Notlage
Damit das Umfeld der Schwangeren nicht doch noch etwas von der Schwangerschaft merkt, wird die Geburt oft künstlich eingeleitet. Manchmal wird einer Hochschwangeren auch ein Klinikaufenthalt unter einer anderen vorsätzlichen Diagnose ermöglicht, damit zu Hause oder auf der Arbeit niemand den dicken Bauch sieht.
Gemeinsam versucht das Team aus Schwangerschaftskonfliktberaterin und medizinischen Fachkräften den besten Weg raus aus der Notlage der Schwangeren zu finden. Wie es einzelnen Betroffenen wohl geht, fragt sich das Team immer wieder – auch lange nachdem sie aus der Klinik entlassen wurden.
Nach den Erfahrungen, die Christine Klapp an der Charité gemacht hat, entscheiden sich die unterschiedlichsten Schwangeren für eine vertrauliche Geburt. Alter, Geld und Bildung sind keine Indikatoren. Genauso unterschiedlich wie die Frauen sind auch ihre Geschichten:
"Eine junge Frau, die während der Abiturprüfung Wehen bekommen hat und sich dann ganz schnell gegen das Kind entscheiden konnte, eine andere, die dann immer wieder dieses Kind aufgesucht hat in der Klinik und sich nicht entscheiden konnte und die dann schließlich nach einem Jahr das Kind auch wieder zurückgenommen hat."
Anders als bei einer klassischen Adoption, hat die Mutter nach einer vertraulichen Geburt noch länger die Möglichkeit, sich für oder gegen das Kind zu entscheiden: Wegen der Extremsituation, in der sie sich befindet, hat sie etwa ein Jahr lang Zeit. Nur etwa jede Zehnte entscheidet sich nach aktuellen Zahlen aber noch um.
Das Phänomen verdrängte Schwangerschaft
Denn einige Frauen, die die vertrauliche Geburt in Anspruch nehmen, haben erst kurz vor der Geburt überhaupt von ihrer Schwangerschaft erfahren. Dahinter steckt das Phänomen der verdrängten Schwangerschaft – und das ist gar nicht so selten. Statistisch wird eine von 500 Schwangerschaften verdrängt, eine von 2500 bleibt sogar bis zur Geburt unbemerkt.
Gerade bei diesen verdrängten Schwangerschaften, bei denen es in der Regel zu spät für eine Abtreibung ist, greifen vertrauliche Geburten. Allerdings hat die Präventionsarbeit Tücken. Bislang erreichen die Beratungsangebote vor allem Frauen, die sich ihrer Schwangerschaft zumindest vor der Geburt bewusst sind, erzählt die Ärztin Christine Klapp.
Wie also erreicht man die verdrängt oder heimlich Schwangeren? "Im Grunde müsste man schauen, ob man nicht vielleicht sehr viel früher schon dieses Wissen in die Gesellschaft bringen kann. Wenn ich doch schwanger werde, trotz Verhütung: Es gibt Rat und Hilfe. Und wo gibt es die? Dass es viel selbstverständlicher ist, zu wissen: Jetzt gehe ich erst mal da hin, bevor ich jetzt irgendwie Panik schiebe oder mich völlig abschotte."
Das Konzept bekannter machen
Das Modell der vertraulichen Geburt müsse bekannter gemacht werden. Nur wenn Frauen überhaupt davon wissen, können sie in der akuten Notsituation das Angebot auch nutzen. Deshalb hat Christine Klapp mit der Ärztlichen Gesellschaft für Gesundheitsförderung eine Informationsveranstaltung für Schulklassen entwickelt.
"Wir sehen pro Jahr, so deutschlandweit ungefähr 80.000 - 130.000 Jugendliche und da läuft jetzt schon auch seit einiger Zeit mit der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung ein Projekt wo wir mit den Schüler*innen – also den Jungen und den Mädchen klären: Was wäre denn wenn? Also nicht nur: Wie könnt ihr prima verhüten, sondern eben: Was wäre denn wenn?"