Hilfe für alle
Als Hilfswerk für verwundete Soldaten gegründet, steht das Rote Kreuz für eine Organisation, die Menschen hilft. Menschlichkeit und Neutralität sind dabei die obersten Gebote. "Eine erstaunliche Leistung", sagt Autor Stefan Schomann, der sich ausführlich mit der Geschichte der Organisation befasst hat.
Hanns Ostermann: Das rote Kreuz auf weißem Grund gehört zu den weltweit bekanntesten Symbolen, ähnlich wie die olympischen Ringe. Das rote Kreuz auf weißem Grund steht für eine Organisation, die weltweit Millionen Menschen hilft, Menschlichkeit in Neutralität ist dabei oberstes Gebot. Vor 150 Jahren gründete der Schweizer Henry Dunant die Organisation, das Deutsche Rote Kreuz feiert den Geburtstag heute in Stuttgart mit einem Festakt, an dem wird auch Bundespräsident Joachim Gauck teilnehmen.
Ausführlich mit der Geschichte des Deutschen Roten Kreuzes hat sich der Buchautor Stefan Schomann beschäftigt, "Im Zeichen der Menschlichkeit", so der Titel. Ich habe ihn zunächst gefragt: Haben Sie eine Erklärung dafür gefunden, weshalb die Bewegung ständig gewachsen ist und mit jeder Katastrophe an Gewicht gewonnen hat?
Stefan Schomann: Weil es einfach gebraucht wurde, weil es zu jeder historischen Situation für diese Aufgaben, die es übernommen hat, nötig war, und wenn es es nicht gegeben hätte, hätte man es erfinden müssen. Es ist ja entstanden als Hilfsgesellschaft für verwundete Soldaten, also eine sehr präzise, eigentlich sehr enge Aufgabenstellung, aber es sind sehr bald dann auch zivile Aufgaben - Katastrophenschutz und Rettungsdienste - hinzugekommen, und das lag einfach ein bisschen in der Luft. Es war wohl nötig, so etwas zu gründen, und das Rote Kreuz war dann auch ein sehr guter Organisator, also hat auch diese Gunst der Stunde dann genutzt.
Ostermann: Sie haben jede Menge Tagebücher und Augenzeugenberichte gelesen. Wie halten es die Menschen, wie halten es die Helfer aus, wenn ein Ausnahmezustand normal ist?
Schomann: Ich glaube, dass das menschliche Bewusstsein sich auf solche Ausnahmezustände einstellt, selber in so einen Ausnahmemodus schaltet und dann umgekehrt - das habe ich auch mehrfach gefunden in diesen Tagebüchern - Schwierigkeiten hat, in den Alltag zurückzukommen. Das scheint eine spezifisch menschliche Fähigkeit zu sein, dass man sich selbst an Situationen gewöhnt und anpasst, wo man zunächst aus einem gewissen Abstand denken würde, das geht nicht, das ist überhaupt nicht zu schaffen. Es ist ganz erstaunlich, was also Krankenschwestern im Krieg zum Beispiel ausgehalten haben, und zwar eben nicht jetzt in einer einmaligen Situation, sondern über Monate hinweg, wenn nicht gar über Jahre. Und das ist schon auch also menschlich eine erstaunliche Leistung.
Ausführlich mit der Geschichte des Deutschen Roten Kreuzes hat sich der Buchautor Stefan Schomann beschäftigt, "Im Zeichen der Menschlichkeit", so der Titel. Ich habe ihn zunächst gefragt: Haben Sie eine Erklärung dafür gefunden, weshalb die Bewegung ständig gewachsen ist und mit jeder Katastrophe an Gewicht gewonnen hat?
Stefan Schomann: Weil es einfach gebraucht wurde, weil es zu jeder historischen Situation für diese Aufgaben, die es übernommen hat, nötig war, und wenn es es nicht gegeben hätte, hätte man es erfinden müssen. Es ist ja entstanden als Hilfsgesellschaft für verwundete Soldaten, also eine sehr präzise, eigentlich sehr enge Aufgabenstellung, aber es sind sehr bald dann auch zivile Aufgaben - Katastrophenschutz und Rettungsdienste - hinzugekommen, und das lag einfach ein bisschen in der Luft. Es war wohl nötig, so etwas zu gründen, und das Rote Kreuz war dann auch ein sehr guter Organisator, also hat auch diese Gunst der Stunde dann genutzt.
Ostermann: Sie haben jede Menge Tagebücher und Augenzeugenberichte gelesen. Wie halten es die Menschen, wie halten es die Helfer aus, wenn ein Ausnahmezustand normal ist?
Schomann: Ich glaube, dass das menschliche Bewusstsein sich auf solche Ausnahmezustände einstellt, selber in so einen Ausnahmemodus schaltet und dann umgekehrt - das habe ich auch mehrfach gefunden in diesen Tagebüchern - Schwierigkeiten hat, in den Alltag zurückzukommen. Das scheint eine spezifisch menschliche Fähigkeit zu sein, dass man sich selbst an Situationen gewöhnt und anpasst, wo man zunächst aus einem gewissen Abstand denken würde, das geht nicht, das ist überhaupt nicht zu schaffen. Es ist ganz erstaunlich, was also Krankenschwestern im Krieg zum Beispiel ausgehalten haben, und zwar eben nicht jetzt in einer einmaligen Situation, sondern über Monate hinweg, wenn nicht gar über Jahre. Und das ist schon auch also menschlich eine erstaunliche Leistung.
"Mit Bravour gemeistert"
Ostermann: Gab es andere Berichte, die Sie ganz besonders beeindruckt haben?
Schomann: Vor allem eigentlich von den Helfern in der unmittelbaren Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als nicht nur Deutschland wirklich am Boden lag, als auch nichts funktionierte, die ganzen staatlichen Strukturen und Institutionen waren mehr oder weniger handlungsunfähig oder nicht mehr existent.
Und da hatte dann so eine Organisation wie das Rote Kreuz quasi staatliche Aufgaben. Und die hat das, wie ich finde, wirklich mit Bravour gemeistert. Es gab damals Zehntausende von unterernährten Kindern, es gab die zerstörten Städte, es fehlte an medizinischer Infrastruktur. Und da wurde wirklich, glaube ich, großartige Arbeit geleistet.
Ostermann: Das IRK wurde ja zuletzt jedenfalls kritisiert, als es in Afghanistan Taliban in Erster Hilfe ausgebildet hat. Neutralität, Menschlichkeit in Neutralität, das ist das Stichwort für das Internationale Rote Kreuz, aber darf man Leute schulen, die umgekehrt Helfer bedrohen und töten?
Schomann: Also, Grundsatz es IKRK ist immer, beiden oder allen Konfliktparteien die gleiche Hilfe anzubieten, in dem Fall eben dann das Know-how für Ärztehilfe. Das ist also durchaus konsistent mit den Grundsätzen des Roten Kreuzes, dass man allen Konfliktparteien Hilfe anbietet, natürlich eben nicht militärische Hilfe.
Und von daher glaube ich, jeder, der ein bisschen mit diesen völkerrechtlichen Grundsätzen vertraut ist, wird sich darüber nicht wundern. Es wäre umgekehrt sozusagen eher zu verwundern, wenn es das nicht angeboten hätte. Oft wird es dann nicht angenommen, das kommt natürlich vor, dass dann eine Konfliktpartei dankend abwinkt. Aber das Rote Kreuz ist sogar verpflichtet, in einem Kriegs- oder Konfliktfall eben beiden Seiten Hilfe in der Form anzubieten, wie es sie eben leisten kann.
Ostermann: Das Internationale Rote Kreuz engagiert sich ähnlich wie Menschenrechtsorganisationen, allerdings ist der Weg teilweise unterschiedlich. Das IRK verpflichtet sich zur Diskretion bei Gefängnisbesuchen, um ein Beispiel zu nennen. Ist das, sofern Sie das beurteilen können, der richtige Weg auch heute noch?
Schomann: Vor allem eigentlich von den Helfern in der unmittelbaren Nachkriegszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als nicht nur Deutschland wirklich am Boden lag, als auch nichts funktionierte, die ganzen staatlichen Strukturen und Institutionen waren mehr oder weniger handlungsunfähig oder nicht mehr existent.
Und da hatte dann so eine Organisation wie das Rote Kreuz quasi staatliche Aufgaben. Und die hat das, wie ich finde, wirklich mit Bravour gemeistert. Es gab damals Zehntausende von unterernährten Kindern, es gab die zerstörten Städte, es fehlte an medizinischer Infrastruktur. Und da wurde wirklich, glaube ich, großartige Arbeit geleistet.
Ostermann: Das IRK wurde ja zuletzt jedenfalls kritisiert, als es in Afghanistan Taliban in Erster Hilfe ausgebildet hat. Neutralität, Menschlichkeit in Neutralität, das ist das Stichwort für das Internationale Rote Kreuz, aber darf man Leute schulen, die umgekehrt Helfer bedrohen und töten?
Schomann: Also, Grundsatz es IKRK ist immer, beiden oder allen Konfliktparteien die gleiche Hilfe anzubieten, in dem Fall eben dann das Know-how für Ärztehilfe. Das ist also durchaus konsistent mit den Grundsätzen des Roten Kreuzes, dass man allen Konfliktparteien Hilfe anbietet, natürlich eben nicht militärische Hilfe.
Und von daher glaube ich, jeder, der ein bisschen mit diesen völkerrechtlichen Grundsätzen vertraut ist, wird sich darüber nicht wundern. Es wäre umgekehrt sozusagen eher zu verwundern, wenn es das nicht angeboten hätte. Oft wird es dann nicht angenommen, das kommt natürlich vor, dass dann eine Konfliktpartei dankend abwinkt. Aber das Rote Kreuz ist sogar verpflichtet, in einem Kriegs- oder Konfliktfall eben beiden Seiten Hilfe in der Form anzubieten, wie es sie eben leisten kann.
Ostermann: Das Internationale Rote Kreuz engagiert sich ähnlich wie Menschenrechtsorganisationen, allerdings ist der Weg teilweise unterschiedlich. Das IRK verpflichtet sich zur Diskretion bei Gefängnisbesuchen, um ein Beispiel zu nennen. Ist das, sofern Sie das beurteilen können, der richtige Weg auch heute noch?
"Ganz schwer zu entscheiden, was richtig ist"
Schomann: Darüber wird diskutiert, da gibt es andere Organisationen, die das anders sehen, die stärker das Gewicht zum Beispiel auf Öffentlichkeitsarbeit legen. Die sagen, wir brauchen Pressearbeit, wir brauchen internationalen Druck, um bestimmte Zustände, sagen wir also Haftbedingungen für politische Gefangene etwa, zu verändern.
Das IKRK hat eben immer schon sehr starken Wert auf diese diplomatische Diskretion gelegt und argumentiert so, dass das die beste Garantie oder die noch besten Arbeitsmöglichkeiten sind. Das ist sicher ganz schwer zu entscheiden, was richtig ist und was besser ist, historisch gibt es Beispiele für beide Strategien. Es gibt Beispiele, wo es wichtig gewesen wäre, Öffentlichkeit zu schaffen, es gibt Beispiele, wo diese stille, diskrete, diplomatische Arbeit besser zum Erfolg geführt hat.
Ostermann: Herr Schomann, das Angebot des Deutschen Roten Kreuzes ist ungewöhnlich breit gefächert. Es gibt Kleiderkammern für sozial Schwache, Demenzkranke werden betreut, dazu das Essen auf Rädern, der Blutspendedienst und vieles andere mehr. Wäre weniger mehr oder ist dieser Ansatz aus Ihrer Sicht zeitgemäß?
Schomann: Es ist ein Spiegel der Zeit, die eben immer mehr soziale Dienstleistungen auch wünscht. Also, zum Beispiel eben in der Altenpflege, das hat auch mit dem demografischen Wandel zu tun, dass da auch immer mehr Bedarf ist auch an ambulanter Hilfe und an verschiedensten Formen. Und das Rote Kreuz ist eben ein in dem Fall Sozialverband, der da in diesem Bereich präsent ist und arbeitet. Das sind eher allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen, als dass es wirklich jetzt eine Spezialität nur des Roten Kreuzes wäre, glaube ich.
Ostermann: Hat das Deutsche Rote Kreuz Nachwuchssorge?
Schomann: Es ändert sich doch einiges. Also, die jüngere Generation, was ich so gehört habe, hat ein bisschen eine andere Einstellung. Die ältere Generation, da war das wirklich eine lebenslange Bindung und ein lebenslanges Engagement, bei den Jüngeren, das ist labiler, die sind vielleicht ein paar Jahre dabei und dann machen sie was anderes.
Da muss sich so eine Organisation drauf einstellen, davon sind aber, glaube ich, auch wieder vergleichbare Organisationen ebenfalls betroffen. Richtige Nachwuchssorgen hat das Rote Kreuz, glaube ich, nicht, weil sie eine sehr aktive Jugendarbeit machen. Sie gehen viel an die Schulen, sie sind über die Wasserwacht, die Bergwacht so in Nachwuchsstrukturen schon drin und die jungen Leute interessieren sich durchaus für so was. Nur, sie bleiben dann nicht unbedingt ein Leben lang dabei.
Ostermann: Der Buchautor Stefan Schomann zum 150. Geburtstag des Roten Kreuzes. Danke Ihnen für das Gespräch!
Schomann: Danke, gleichfalls!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das IKRK hat eben immer schon sehr starken Wert auf diese diplomatische Diskretion gelegt und argumentiert so, dass das die beste Garantie oder die noch besten Arbeitsmöglichkeiten sind. Das ist sicher ganz schwer zu entscheiden, was richtig ist und was besser ist, historisch gibt es Beispiele für beide Strategien. Es gibt Beispiele, wo es wichtig gewesen wäre, Öffentlichkeit zu schaffen, es gibt Beispiele, wo diese stille, diskrete, diplomatische Arbeit besser zum Erfolg geführt hat.
Ostermann: Herr Schomann, das Angebot des Deutschen Roten Kreuzes ist ungewöhnlich breit gefächert. Es gibt Kleiderkammern für sozial Schwache, Demenzkranke werden betreut, dazu das Essen auf Rädern, der Blutspendedienst und vieles andere mehr. Wäre weniger mehr oder ist dieser Ansatz aus Ihrer Sicht zeitgemäß?
Schomann: Es ist ein Spiegel der Zeit, die eben immer mehr soziale Dienstleistungen auch wünscht. Also, zum Beispiel eben in der Altenpflege, das hat auch mit dem demografischen Wandel zu tun, dass da auch immer mehr Bedarf ist auch an ambulanter Hilfe und an verschiedensten Formen. Und das Rote Kreuz ist eben ein in dem Fall Sozialverband, der da in diesem Bereich präsent ist und arbeitet. Das sind eher allgemeine gesellschaftliche Entwicklungen, als dass es wirklich jetzt eine Spezialität nur des Roten Kreuzes wäre, glaube ich.
Ostermann: Hat das Deutsche Rote Kreuz Nachwuchssorge?
Schomann: Es ändert sich doch einiges. Also, die jüngere Generation, was ich so gehört habe, hat ein bisschen eine andere Einstellung. Die ältere Generation, da war das wirklich eine lebenslange Bindung und ein lebenslanges Engagement, bei den Jüngeren, das ist labiler, die sind vielleicht ein paar Jahre dabei und dann machen sie was anderes.
Da muss sich so eine Organisation drauf einstellen, davon sind aber, glaube ich, auch wieder vergleichbare Organisationen ebenfalls betroffen. Richtige Nachwuchssorgen hat das Rote Kreuz, glaube ich, nicht, weil sie eine sehr aktive Jugendarbeit machen. Sie gehen viel an die Schulen, sie sind über die Wasserwacht, die Bergwacht so in Nachwuchsstrukturen schon drin und die jungen Leute interessieren sich durchaus für so was. Nur, sie bleiben dann nicht unbedingt ein Leben lang dabei.
Ostermann: Der Buchautor Stefan Schomann zum 150. Geburtstag des Roten Kreuzes. Danke Ihnen für das Gespräch!
Schomann: Danke, gleichfalls!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.