Hilfe für die Sündenböcke der Krise in Osteuropa

Für Asylsuchende aus Serbien und Mazedonien fordert der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma eine europäische Lösung. Sein Vorsitzender Romani Rose kritisierte die "verheerende" Diskussion um einen angeblichen Asylmissbrauch.
Nana Brink: Wenn man in Berlin in den Kleinen Simsonweg – das ist gleich gegenüber des Reichstages – einbiegt, kann man es schon sehen, das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma. Um ganz genau zu sein: Man sieht etwas, das durch einen schwarzen Stoff verhüllt ist. Denn nächste Woche wird es erst eingeweiht, von Bundeskanzlerin Merkel, nach 20 Jahren Vorbereitung. Heute allerdings wird in der "Topographie des Terrors" – das ist ein Projekt zur Aufarbeitung des Naziterrors an historischen Orten in Berlin – eine Ausstellung zum Völkermord an den Sinti und Roma und zu heutiger Diskriminierung eröffnet. Europaweit fielen eine halbe Million Sinti und Roma dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer.

Und am Telefon begrüße ich jetzt Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma. Einen schönen guten Morgen, Herr Rose!

Romani Rose: Einen schönen guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Können Sie sich denn noch über das Denkmal freuen oder es wertschätzen, das nächste Woche eingeweiht wird nach 20 Jahren Vorbereitung?

Rose: Selbstverständlich, Frau Brink. Es ist ganz einfach wichtig, dass mit diesem Denkmal die Bundesrepublik und die Bundesregierung den Völkermord an den Sinti und Roma auch in das historische Gedächtnis unseres Landes mit aufnimmt.

Brink: Warum hat es Ihrer Meinung nach so lange gedauert?

Rose: Wissen Sie, ich möchte jetzt nicht rückwärts gewandt wieder Kritik in den Vordergrund stellen. Wichtig ist es bei der ja auch bedrohlichen, beängstigenden Situation unserer Minderheit eben in verschiedenen Ländern der EU und in Europa insgesamt – das ist ja zwischenzeitlich bekannt –, und ich denke, mit diesem Bekenntnis durch die Bundesregierung mit diesem Denkmal in der Mitte Berlins erwächst eine Verantwortung, eben Rassismus und Diskriminierung deutlicher als bisher entgegenzutreten. Wer den Antisemitismus verurteilt, darf den Antiziganismus nicht akzeptieren.

Und lassen Sie mich noch eines hinzufügen, was mir wichtig ist: Es geht hier mit diesem Denkmal und mit der Auseinandersetzung aus der Geschichte und den Verbrechen der Nazis nicht um Schuldübertragung. Wissen Sie, die Enkelgeneration und Urenkelgeneration hat damit nichts zu tun. Es geht aber um etwas anderes, es geht um unsere Demokratie und um Rechtstaatlichkeit.

Brink: Denken Sie denn, dass wir ein Stück weiter gekommen sind?

Rose: Ich denke, schon. Es gibt ja zwischenzeitlich eben in vielen Bereichen ein öffentliches Bewusstsein auch für diesen Teil des Völkermords, weil … Der Holocaust an Sinti und Roma ist ja kein Anhängsel an die Shoah, er hatte seine eigene Dimension und hatte seinen eigenen Bürokratismus. Und ich denke, mit diesem Bewusstsein wächst auch Verantwortung, Antiziganismus genauso zu ächten wie Antisemitismus.

Brink: Dann begeben wir uns doch ins Heute! Heute leben in Deutschland rund 70.000 Sinti und Roma. Wie erfahren Sie denn Ihren deutschen Alltag heute?

Rose: Also, wenn Sie von mir persönlich sprechen, ich erfahre keine Diskriminierung, aber das liegt wohl auch ein Stückchen weit natürlich an meiner Stellung. Aber wir haben natürlich die Situation, dass 58 Prozent der Bevölkerung Sinti und Roma als Nachbarn ablehnen. Das heißt, im gesellschaftlichen Leben erfahren viele unserer Menschen heute noch Diskriminierung. Wenn man aber weiß, dass 20 Prozent der Bevölkerung ebenfalls antisemitische Einstellungen haben, dann ist das Ganze einfach erschreckend. Und erklärlich ist es nur dadurch, dass die Vorurteile gegen diese beiden Minderheiten weit in die europäische Geschichte zurückreichen. Es war keine Erfindung der Nazis, der Antisemitismus, sondern den gab es schon davor in Europa, genau so wie den Antiziganismus. Diese beiden Minderheiten hatten ständig in der europäischen Geschichte die Funktion des Sündenbocks. Heute auch wieder, in Osteuropa bekommen wir die Schuld aufgeladen für die Arbeitslosigkeit, für den wirtschaftlichen Niedergang und die Kriminalität.

Brink: Dann sehen Sie also eine Kluft, wenn ich Sie richtig verstehe, zwischen der staatlichen Anerkennung, wie Sie sie ja auch gerade formuliert haben, durch die Bundesregierung, durch das Denkmal, wenn auch spät nach 20 Jahren, und eigentlich der Reaktion vor Ort, also der Bevölkerung?

Rose: Ja, die Kluft liegt auch ein Stückchen weit darin, dass, wie gesagt, diese Vorurteile natürlich in Krisenzeiten sehr schnell greifen und viele Leute so das Gefühl haben, was soll die Diskussion über die Vergangenheit, wir leben in der Gegenwart. Und diese ganze Diskussion wird immer nur darauf bezogen auf den Holocaust, an sechs Millionen Juden, 500.000 Sinti und Roma. Ich glaube, wir müssen ein Bewusstsein schaffen, dass es hier um unsere Demokratie geht. Also, diese Vorkommnisse von Zwickau mit dieser Gruppierung, das sind ja nicht diese drei Leute, sondern das ist ein ganzes Netz.

Das ist eine bedrohliche Angelegenheit für unsere Demokratie, und ich glaube, damit müssen wir uns auseinandersetzen. Und all die Leute, die vergessen haben, was der Zweite Weltkrieg bedeutet hat, der Europa in den Abgrund gerissen hat, die müssen wissen, dass es heute um die Demokratie geht und den Respekt vor dem Einzelnen. Der Schutz unserer Verfassung, da ist alles niedergelegt, wie unsere Gesellschaft zusammengeführt heute leben sollte und leben muss.

Brink: Ist denn Ihrer, wird denn Ihrer Meinung nach dann angemessen von staatlicher Seite darauf reagiert?

Rose: Ja, ich denke schon. Also, zum Beispiel mit dem Denkmal, das wir jetzt der Öffentlichkeit übergeben, indem wir Bewusstsein schaffen. Es gibt in unserem Land eben sehr klare Gesetze, die es verbieten, dass Menschen anderer Herkunft, anderer Hautfarbe, anderer Religion diskriminiert werden. Natürlich nützen die Gesetze alleine nichts. Was wichtig ist: Es gibt in unserem Land auch aufgrund der Aufarbeitung der Geschichte und dieses Bewusstseins ein großes zivilgesellschaftliches Engagement. Das fehlt in Ländern Osteuropas, deswegen gibt es wohl da nach dem Papier eine Demokratie, aber keine Demokratie, die Bestandteil der gesellschaftlichen Kultur ist.

Brink: Einige Innenminister fordern ja derzeit strengere Regeln für Asylbewerber, also keine Einreise aus materiellen Gründen. Das träfe viele Roma aus Serbien zum Beispiel oder Mazedonien, die vor dem nahenden Winter fliehen. Muss es nicht eine europäische Lösung geben?

Rose: Es muss eine europäische Lösung geben und lassen Sie mich dazu etwas sagen: Ich habe diese Presseberichterstattung auch gelesen, was Serbien und Mazedonien anbelangt. Und Sie haben vollkommen recht, das ist natürlich keine Grundlage für unser Asylrecht. Auf der anderen Seite gibt es auch dort Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung und ich denke, dass deutsche Politik gerade in Anbetracht der Vergangenheit sich verstärkt dafür einsetzen muss, dass in diesen Ländern eine Minderheit nicht total ausgegrenzt wird. Und das, was die Asyl suchenden Menschen sind, das sind nicht alles Roma und Sinti.

Das Verheerende an dieser Diskussion oder an der öffentlichen Darstellung besteht darin, dass man eine ganze Minderheit in den Fokus stellt und den Eindruck erweckt, als würden sie hier Asylrechte missbrauchen. Das stimmt nicht, das weise ich in aller Deutlichkeit zurück. Asylrecht muss den Menschen gelten, die vor dem Krieg fliehen können oder die eben aus politischen Gründen verfolgt werden oder wenn Minderheiten verfolgt werden.

Brink: Herr Rose, vielen Dank für so weit, dabei wollen wir es belassen. Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma. Schönen Dank für das Gespräch, Herr Rose.

Rose: Ich danke Ihnen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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