Ein Mikrofon am Hinterkopf
Mit Hilfe von so genannten Cochlea Implantaten können Menschen, die völlig taub sind, wieder hören. Aber noch sind die Möglichkeiten dieser Prothesen beschränkt. Wissenschaftler der Technischen Universität München simulieren deshalb die Schallverarbeitung im Hörnerv und im menschlichen Gehirn. Das Ziel: Noch bessere Implantate.
Die Symphonie Nummer 3, Es-Dur, von Ludwig van Beethoven. Ein Meisterwerk klassischer Musik. Schwer zu sagen, wie es sich für jemanden anhört, der eine Hörprothese trägt, ein so genanntes Cochlea Implantat. Das Gehirn verbindet die akustischen Reize mit Emotionen, so dass jeweils ein sehr individueller Höreindruck einsteht. Forscher an der TU München haben deshalb alles, was man über das menschliche Hören weiß, zusammengetragen und damit ein Computer-Programm entwickelt, das die Schallverarbeitung im Nervensystem simuliert.
Das Ziel: Bessere Cochlea Implantate zu entwickeln. Die Hörprothesen selbst werden schon seit geraumer Zeit simuliert, damit Normalhörende eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, wie sich etwa Musik für Menschen mit Implantat anhört: Bei einem Cochlea-Implantat ersetzen ein kleines Mikrofon am Hinterkopf und ein Chip, zerstörte Sinneszellen im Innenohr. Vom Chip zum Hörnerv übertragen wird die Schallinformation dann elektrisch über Elektrodendrähte.
Ein Hörempfinden herstellen
"Beim Normalhörenden, da nehmen im Innenohr sehr empfindliche Zellen die Schwingungen auf und setzen die um in Nervenaktionspotenziale vom Hörnerven. Wenn jetzt das Gehör zerstört ist, dann gehen hauptsächlich die Sinneszellen verloren. Und wenn ich jetzt mit einer Elektrode, die in das Innenohr eingeführt wird, die Nerven direkt elektrisch stimuliere, dann kann man wieder ein Hörempfinden herstellen."
So Professor Werner Hemmert vom Zentralinstitut für Medizintechnik der Technischen Universität München. Schwierig wird die Sache dadurch, dass die elektrische Übertragungskapazität von Elektroden sehr viel geringer ist als die akustische des Gehörgangs, durch den der Schall bei Gesunden transportiert wird. Die Medizintechniker müssen also auswählen.
"Und jetzt besteht das Problem genau darin, dass ich dem Nerven möglichst sinnvolle Information reincodiere, die das Gehirn dann auch gut auswerten kann. Und dazu muss ich eben einen Großteil der Information, die normaler Weise vorhanden ist, weglassen."
Relativ gut funktioniert das mittlerweile bei Sprachinformationen.
"Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben."
So hört sich Heinz Rühmann im Original an. Und so aus dem Simulator eines Cochlea Implantats:
"Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben."
Zwei Jahrzehnte erfolgreicher Einsatz
Verstehen kann man es auf jeden Fall. Das liegt daran, dass Cochlea-Implantate bislang genau dafür entwickelt worden sind, damit Gehörlose wieder verstehen können, was gesprochen wird. Seit nun mehr über zwei Jahrzehnten werden sie dafür erfolgreich eingesetzt.
"Die werden momentan so optimiert, dass man möglichst gut Sprache erkennen kann. Aber nachdem die Implantate immer besser werden, kann man auch daran denken, dass eine weitere Anwendung ist, dass man auch Musik besser codieren kann."
Dazu müssen neue Implantate entwickelt und ausprobiert werden. Das Ausprobieren ist problematisch. Denn letztendlich muss dazu einem Patienten eine Hörprothese implantiert werden. Wenn sie aber keine Verbesserung bringt, war das Risiko der Operation umsonst. An dem Computer-Modell, das Professor Hemmert und seine Kollegen entwickelt haben, nun lassen sich erste Test mit Cochlea-Implantate durchführen, ohne dass ein Chirurg sein Skalpell ansetzen muss.
"Was wir jetzt machen, ist, dass wir mit unserem Computermodell nur das Modell des neuen Implantates benutzen. Mit dem werten wir das aus und machen Vorhersagen, wie gut das wahrscheinlich funktionieren wird, bevor das Implantat überhaupt gebaut wurde."
Implantate, die Umgebungsgeräusche ausblenden
Aufwendige Testreihen können so verkürzt werden. Erst nachdem ein neues Modell sich an der Simulation des Hörsystems bewährt hat, muss es die Nagelprobe im Kopf des Probanten bestehen. Die Wissenschaftler hoffen, dass sich so Implantate entwickeln lassen, mit denen sich beispielsweise Schall orten lässt. Der Patient würde dann nicht nur hören, dass gesprochen wird, sondern auch, wo der Sprecher steht. Eine weitere Möglichkeit sind Implantate, die Umgebungsgeräusche ausblenden.
"Sie alle kennen ja wahrscheinlich den Cocktail-Party-Effekt, dass man auf einer Party sich auf seinen Kommunikationspartner konzentrieren kann und Störsignale möglichst gut wegblenden kann."
Natürlich wird es noch einige Zeit dauern, bis Implantate mit solchen Möglichkeiten auf den Markt kommen. Aber das Computermodell von Professor Hemmert beschleunigt ihren Entwicklungsprozess. Und vielleicht wird es dadurch sogar einmal möglich, dass Patienten mit Hörprothese Musik genießen können wie ein Mensch mit gesunden Ohren.