Hilfe für Therapeuten

Von Stephanie Kowalewski · 17.05.2011
Millionen Menschen tummeln sich in Online-Rollenspielen. Neben gemeinsamem Spielspaß bergen diese Spiele aber auch ein Suchtpotenzial. Doch bislang fällt Therapeuten die Diagnose schwer. Um das zu ändern, haben Düsseldorfer Forscher einen speziellen Fragebogen entwickelt.
"Ein Online-Rollespiel, würde ich sagen, zeichnet sich aus durch eine wahnsinnig große Welt, abgetrennt von dem realen Leben, was wir hier haben."

Diese virtuelle, fremde und oft fantastische 3D-Welt, sagt Daniel Steinmann, gilt es zu erkunden und zu erweitern, mit all den Abenteuern und Problemen, die darin lauern. Den 23-jährigen Stundenten fasziniert am meisten, dass manche Ziele nur gemeinsam mit anderen Online-Rollenspielern erreichbar sind.

"Wenn es jetzt darum geht, ein ganz besonders schweres Monster zu töten, was man wirklich nur mit 25 Leuten erlegen kann und jeder hat seine Rolle, die er erfüllen muss und jeder nimmt die auch ernst, also da gehört schon einiges an Vorbereitung auch zu. Und dann gemeinsam, nach einer gewissen Zeit, dann dieser Befreiungsschlag: Ah, wir haben es geschafft! Das ist ein Erlebnis, das kann man gar nicht beschreiben, das muss man erleben.""

Ein Erlebnis, von dem manche Online-Rollenspieler einfach nicht genug kriegen können, nach dem sie süchtig werden. Doch wann ist dieser Punkt erreicht und welche Folgen hat das? Frank Meyer, Diplom-Psychologe am Lehrstuhl für Klinische Psychologie an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität.

"Ich leide darunter. Ich spiel das Spiel nicht mehr, weil es mir gefällt, sondern ich muss das tun. Wenn ich es nicht mache, dann sind meine Online-Kollegen sauer auf mich und ich verliere meinen Status, ich muss der Erste sein, der die neuen Inhalte sieht. Und wenn das dazu führt, dass man den Rest des Lebens vernachlässigt, dann wären das deutlich Anzeichen."

Ein Problem, dass allmählich auch in den Praxen der Therapeuten und Beratungsstellen auffällt, sagt Johanna Pauls von der Uni Düsseldorf. In einer repräsentativen bundesweiten Umfrage unter allen niedergelassenen Therapeuten, Suchtberatungsstellen und Kliniken hat sie nach Erfahrungen mit Online-Rollenspielsucht gefragt.

"Und haben da herausgefunden, dass etwa 75 Prozent der Befragten Computerspiel und Internetsucht tatsächlich für ein klinisch relevantes Problem halten, und über 80 Prozent auch davon ausgehen, dass das an Relevanz noch zunehmen wird in Zukunft. Auf der anderen Seite sind fast 50 Prozent der Meinung, dass sie eigentlich über diese besondere Kategorie der Online-Rollenspiele, über dieses Störungsbild, noch nicht genug informiert sind."

Denn es ist offenbar nicht das gleiche, ob jemand täglich mehrere Stunden ein herkömmliches Computerspiel für sich alleine an seinem PC spielt, oder ob er es online gleichzeitig mit Millionen Anderen tut.

Bei Online-Rollenspielen wird Hilfsbereitschaft und Zuverlässigkeit sofort belohnt, die Spieler kommunizieren via Videotelefon oder Chat miteinander, ein soziales Netz entsteht. Hinzu kommt, dass es keinen endgültigen Sieg und damit auch kein klassisches "Game over" gibt. Ein Online-Rollenspiel ist einfach nie zu Ende. Und während man selber gerade nicht mitspielt, dreht sich die virtuelle Welt weiter, sagt Frank Meyer.

"Diese Kombination aus Dauerhaftigkeit, Kontinuität in Verbindung mit der sozialen Interaktion sorgt dann eben dafür, dass man in eine Art Verhaltensabhängigkeit rein rutscht."

Doch noch fehlt den Therapeuten ein geeignetes Diagnoseverfahren für das noch recht junge und weitestgehend unerforschte Phänomen der Online-Rollenspielsucht.

"Das Problem ist, dass man einfach Kriterien aus dem Bereich der Substanzabhängigkeiten und Verhaltenssucht zum Beispiel Glücksspiel 1:1 überträgt. Man formuliert sie nur um."

Aber es ist eben nicht 1:1 das gleiche, ob jemand stundenlang Bier trinkt oder stundenlang online Monster jagt.

"Ein massives Problem im Bereich der Diagnostik ist, dass man sehr leicht engagiertes Spiel verwechseln kann mit Sucht. Wenn jetzt jemand drei, vier Stunden am Tag trinken würde oder sich mit Alkohol beschäftigt, dann wäre das auf jeden Fall pathologisch. Während drei, vier Stunden Online-Rollenspiele zu spielen, das muss nichts sein, was unbedingt zu einem Leidensdruck führt."

Deshalb hat ein Team am Düsseldorfer Lehrstuhl für Klinische Psychologie einen Fragebogen entwickelt, der Therapeuten bei der Diagnostik von Online-Rollenspielsucht helfen möchte. Darin haben die Forscher zunächst alle bisher gängigen Diagnosekriterien für jegliche Form von Süchten berücksichtigt, sagt Frank Meyer ... .

"Und ergänzt um Fragen, die spezifische Merkmale von Online-Rollenspielen aufgreifen, haben diesen Fragenkatalog noch einmal mit Spielern besprochen und gefragt, was denkt ihr denn, was sind noch Merkmale, die es im Zusammenhang mit Sucht abzufragen gilt."

Im ersten Wurf entstand so ein Katalog aus 72 Fragen, der mehr und mehr präzisiert und verdichtet wurde, bis letztlich 19 Fragen übrig geblieben sind. Mit ihnen können praktizierende Psychologen nun den Umgang und die Konsequenzen des Spielverhaltens abfragen. Auf einer Skala von 1 bis 5 sollen die Spieler angeben, wie sehr etwa folgende Aussagen für sie zutreffen:

"Wenn ich nicht spiele, habe ich das Gefühl, online etwas zu verpassen/ Meine Mitspieler sind mir näher als Freunde und Bekannte/ Misserfolge im Spiel haben mir schon mal den Tag verdorben."

"Er ist relativ einfach durchzuführen, relativ einfach auszuwerten. Also man muss einfach nur die Ergebnisse auszählen."

Erste Reaktionen von Therapeuten und auch von Spielern auf den neuen Diagnose-Fragebogen seien sehr positiv. Doch ob er sich in Zukunft tatsächlich in den Praxen etablieren wird, bleibe abzuwarten. Es sei eben Grundlagenforschung, die hier betrieben werde, betont der Diplom-Psychologe.

"Wir sind ja noch in der Phase der Erprobung. Also aktuell suchen wir nach Kooperationspartnern im Bereich der Therapie, also Beratungsstellen und niedergelassene Therapeuten, um eben dann mit Hilfe und der Erfahrung im klinischen Alltag den Fragebogen weiter zu evaluieren."

Ziel ist letztlich ein standardisiertes Verfahren, mit dem Rollenspielsüchtige schneller und vor allem sicherer erkannt werden. Denn nur so können sie die Hilfe erhalten, die es ihnen erlaubt, aus der virtuellen 3D-Welt zurück in die reale Welt zu finden.