Hilfe in Grün

Von Godehard Weyerer |
Wer im Hospital oder Pflegeheim keinen Besuch von Verwandten und Freunden bekommt, bei dem schauen die Grünen Damen vorbei. Sie bringen Bücher, hören zu oder kaufen für den Hilfsbedürftigen ein. Die ehrenamtliche Organisation wurde 1969 gegründet. Heute verrichten 10.600 Helfer in Deutschlands Krankenhäusern und Seniorenheimen den Dienst am Nächsten.
"Frau Kaufmann, ich wollte Sie fragen, sind Sie heute Nachmittag noch da."

Neun Damen und ein Herr kommen einmal in der Woche, immer donnerstags, in das Alten- und Seniorenhaus St. Vinzenz des Caritas-Verbandes Rendsburg.

"Hätten Sie Zeit zu Frau Hoffer zu gehen und den Geburtstagsgruß zu übergeben?"

"Ja, gerne. Das Gedächtnistraining macht heute Herr Sölt, insofern habe ich bisschen Zeit."

Drei Stunden lang hören sie zu, lesen vor, besorgen Kleinigkeiten, gehen mit den Bewohnerinnen oder Bewohnern zum Friseur, machen mit ihnen einen kleinen Spaziergang, feiern zusammen Geburtstag.

"Wir besprechen untereinander, was man mitbringen könnte - eine Blume, eine Süßigkeit, wenn es keine Diabetiker sind, oder was zu lesen. Das besprechen wir vorher, was angebracht ist."

10.000 Damen und 600 Herren verrichten bundesweit in 450 Krankenhäusern und fast 300 Altenheimen den Dienst am Nächsten. Die Menschen, die sie besuchen, genießen die Anteilnahme, zeigen sich dankbar und vertrauen ihnen ihren Kummer und ihre Nöte an. Elke Schiffler sitzt im Vorstand der Evangelischen Krankenhaus- und Altenheimhilfe. Wie sind die Damen eigentlich zu ihrem Namen gekommen?

"Weil: Vor 39 Jahren hat die Frau des damaligen Außenminister Schröder in Amerika während eines Begleitprogramms ein Krankenhaus besucht und man hat ihnen pink ladies vorgestellt. Das hat ihr unheimlich imponiert, was man so machen kann, und wie man Menschen im Krankenhaus helfen kann, und kam nach Deutschland, sie lebten in Düsseldorf, und hat im Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf das publik gemacht. Sie meinte, pink ladies würde nicht zu uns passen, aber grüne Damen, für Deutschland fand sie das besser in grün, seitdem tragen wir Kittel, im Krankenhaus schon aus hygienischen Gründen, im Altenheim mögen es die einen, die anderen nicht. Seitdem sind wir die Grüne Damen, nur wegen des Kittels."

"Wir gehen jetzt zu Frau Eichner. Sie ist schon seit etlichen Jahren im Haus."
Fingerspitzengefühl ist gefragt, gepaart mit innerem Gleichgewicht und positiver Ausstrahlung. Nächstenliebe und christlicher Glaube sind auch für Heinke Möller die treibenden Kräfte, sich dieser Aufgabe zu stellen. Die 66-Jährige ist seit bald 15 Jahren bei den Grünen Damen in Rendsburg dabei.

"Ich unterhalte mich mit ihr auf platt. Das ist für sie das Highlight der Woche. Nun wollen wir mal sehen, ob sie da ist."

93 Jahre alt, rüstig und fröhlich ist Frau Eichner. Die beiden Söhne, mittlerweile selbst Rentner, kommen die Mutter regelmäßig besuchen. Auf dem Feld und in der Küche arbeitete sie als Magd: Eine harte Zeit, aber nicht so hektisch wie heute. Heinke Möller, die Grüne Dame, hört da gerne zu. Erinnerungen an die eigene Kindheit werden wach, an Rezepte von früher oder an längst vergessene Lebensgewohnheiten. Und vieles aus der guten, alten Zeit, die sich beim näheren Hinhören auch als sorgenvoll und entbehrungsreich entpuppt, hört Heinke Möller zum ersten Mal.

"Seit wann kennen Sie sich denn?"

"Ich bin drei Jahre hier."

"Solange kennen wir uns."

"Und wir verstehen uns gut. Wir kommen beide vom Lande, schnacken platt, klappt gut mit uns beiden."

"Hallo Frau Ständer-Petter."

Heidi Becker ist seit neun Jahren eine Grüne Dame. Sie hatte eine Veranstaltung besucht mit dem Thema "60 Jahre, was nun?". Auch das Altenheim stellte sich da vor.

"Ich will Ihnen nachdrücklich zum Geburtstag gratulieren. Bleiben Sie gesund und fühlen sich hier wohl."

"Wollen wir ja hoffen."

"Und ein kleines Blümchen von den Grünen Damen mit einem Kärtchen."

"”Danke.”"

"Mit einem Kärtchen."

Frau Ständer-Petter ist 85 Jahre alt geworden. Sie kann sich gar nicht mehr so genau daran erinnern, wie lange sie hier im Altenheim wohnt. Sie ist dement, aber nicht bettlägerig. Aus der Eifel stammt sie. Beide Kinder leben in Rendsburg. Sie ist ihnen sozusagen nachgezogen. Auf dem Nachttisch steht ein Foto des verstorbenen Mannes: Technischer Regierungsamtsrat war er, erzählt sie. Das Bild zeigt ihn in Wehrmachts-Uniform.

"Haben Sie einen schönen Geburtstag gehabt?"

"Ja."

"Waren die Kinder hier?"

"Ja."

"Schön."

Im Alter nimmt die Zeit der Kindheit und der Jugend mehr und mehr Raum ein. Die Grünen Damen wissen darum, hören zu, haken nach, zeigen Geduld und Verständnis. Kurse und Seminare zu unterschiedlichen Facetten der Alterungsprozesse besuchen sie. Der Träger, in diesem Fall das Alten- und Seniorenhaus St. Vinzenz des Caritas-Verbandes Rendsburg, kommt für die Seminarkosten auf.

"Die Grünen Damen sind nur einmal in der Woche hier, manchmal wünsche ich mir, dass sie häufiger da sein könnten, oder dass es noch mehr Damen und Herren geben würde, die sich engagieren würden. Das wäre schön."

Die, die voll des Lobes ist und es auch meint, wie sie es sagt, ist Karin Bonhöft, Leiterin des Hauses.

"Unser Personal deckt den Bedarf ab, den die pflegebedürftigen Menschen haben. Darüber hinaus - dieses Gespräch, der Spaziergang, den Brief der Tochter vorlesen, Päckchen auspacken oder einfach nur zuhören und einen Moment Zeit haben, ohne dass einem andere Arbeit im Nacken sitzt, dass man auf Kohlen sitzt, dieses Gefühl, da ist jemand, der schenkt mir die Zeit und hört mir zu, ist unbezahlbar. Das ist in dem Maße von unserem professionellen Personal nicht zu leisten."

Ehrenamt und Freiwilligenarbeit gelten als sozialer Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Der verantwortungsbewusste Bürger, der den Blick für die Menschen am Rand der Gesellschaft nicht verloren hat, ist eine wichtige Stütze in einer funktionierenden Gemeinschaft. Die Grünen Damen und Herren der Evangelischen Krankenhaus- und Altenheimhilfe gehen mit gutem Beispiel voran. Gefragt ist Solidarität, die von unten wächst, ohne den Staat aus der sozialen Verantwortung für seine Bürger zu entlassen. Rosel Kaufmann, die Dienstälteste der Grünen Damen in Rendsburg, steht im Foyer. Mittagszeit:

"Sie brauchen Ansprache. Aber die körperliche Seite kann man nicht steuern. Es gibt leider auch sehr viel verwirrte Menschen, dagegen ist auch noch kein Kraut gewachsen. Man kann es nicht aufhalten."

"Das ist dann mehr oder weniger eine Sisyphusarbeit, diese Leute aus ihrer Lethargie herauszuholen."

"Man kann sie nicht herausholen. Aber muss sie da abholen, da wo sie gerade sind. Und wenn sie gerade Kind sind, dann sind wir eben Kinder. Wenn man sie abbringt von dem, was gerade in ihrem Inneren vorgeht, werden viele aggressiv und es ist nicht gut für sie. Das sind oft nur Minuten, wo sie dann nicht in dieser Welt sind. Sie leben in einer anderen Welt. Dort muss man ihnen begegnen. Das muss nicht traurig sein. Das ist manchmal ganz fröhlich. Am Anfang haben wir auch vieles falsch gemacht. Man lernt aber, wie man mit den Menschen umgeht. Es ist nicht so erschreckend, wenn man es kennt."

Ein paar Straßen weiter, im Kreiskrankenhaus Rendsburg, sind die Grünen Damen ebenfalls vertreten. Die Nachmittags-Gruppe trifft sich zur Einsatzbesprechung.

40 Damen arbeiten im Krankenhaus ehrenamtlich, vormittags wie nachmittags, fünfmal in der Woche. Jede einzelne Dame beschränkt es aber auch hier auf wöchentlich drei Stunden. Im Foyer des Krankenhauses besetzen die Grünen Damen vormittags zu dritt einen Informationsstand, Lotsenstation nennen sie ihn. Neuzugänge werden begrüßt, auf die Station begleitet, mit den kleinen Annehmlichkeiten im Krankenhausalltag vertraut gemacht: Wie funktionieren Telefon und Fernseher, wo ist der Kiosk, wann gibt es einen Gottesdienst, was bieten ihnen die Grünen Damen? Wir besorgen, sagt Gruppenleiterin Marianne Alde, bettlägerigen Patienten Zeitungen, Getränke, Briefmarken oder leihen Bücher aus.

"Frau Petersen, Sie kommen gerade zurück von den Stationen. Haben Sie heute viele Bücher ausgeliehen? War das Interesse groß?"

"Das Interesse ist groß, aber ausleihen ist mal mehr mal weniger. Auf der 52 sind auch viele Zimmer leer. Haben auch viele Patienten Bücher dabei, wir haben aber ein gutes Angebot und es lohnt sich auch für ein oder zwei Leute das zu machen."

"Sie fahren also mit dem Wagen durch das Krankenhaus und wissen, wer was lesen will, oder haben es vorher gesagt bekommen, wer ein Buch haben will, der auch nicht aus dem Bett herauskommt?"

"Wir gehen immer erst zur Stationsschwester, fragen, ob wir in alle Zimmer gehen können, ob vielleicht Patienten da sind, die Augenbeschwerden haben, damit man nicht unnötig fragt und sie in Bedrängnis bringt. Wenn ich sehe, dass jemand gerade frisch operiert ist, mache ich die Tür wieder zu und gehe nicht rein und störe. Ansonsten wird gefragt und das Angebot gemacht."

"”Kommt mit rein.""

Ortswechsel: Professor-Hess-Klinik Bremen.

"Alle lieben Leute sind da. Setz dich zur Lisa."

Ingeborg Grothe hörte vor zwei Jahren in einem Zeitungsartikel zum ersten Mal von den Damen in den grünen Kitteln. Sich um Kinder zu kümmern, die im Krankenhaus liegen und vergebens auf Besuch warten, erschien ihr eine sinnvolle Aufgabe. Im Umkreis von 100 Kilometern ist die Bremer Klinik Anlaufadresse für an Krebs erkrankte Kinder. Franziska gehört zu ihnen. Ein buntes Tuch verdeckt ihren haarlosen Kopf.

" Wie alt bist du?"

"Sieben."

"Frau Grothe, die Grüne Damen, kommt öfters zu dir? Was macht hier dann."

"Spielen."

Nicht immer ist es einfach, in Kontakt zu treten zu Kindern, die verstört sind und ängstlich. Die grünen Damen wissen, was auf sie zukommt. Wenn es zur sehr unter die Haut geht, können die Helferinnen Hilfe holen beim psychologischen Dienst in der Klinik oder beim Krankenhaus-Pfarrer. Manchmal betreuen die Grünen Damen nur ein Kind, an anderen Tagen zwei oder drei.

"Wir können sie ja nicht gesund machen. Aber wir können die Zeit, die wir da sind, etwas schön machen."


Ingeborg Grothe kennt Franziska schon länger. Bei dem siebenjährigen Mädchen steht die nächste Chemotherapie an.

"Da ist noch ein Kleinkind, vielleicht arbeitet die Mutter. Wir erfahren keine konkreten Hintergründe, es sei denn, das Kind erzählt, wenn Situationen sind, dass sie noch mal operiert werden muss, und dass in dem Moment die Mutter nicht da ist und man sieht die Tränen, die sie nicht weint, sondern herunterschluckt. Das ist dann schlimm."

Noch einmal zurück in das Alten- und Seniorenhaus St. Vinzenz des Caritas-Verbandes in Rendsburg. Uwe Sölt leitet das Gedächtnistraining. Für ein Altern in Würde will er sich stark machen und für eine Pflege mit menschlichem Antlitz.

"Ich sag mal, es geht mir und meiner Familie gut, und ich möchte davon einfach ein bisschen abgeben. Das kann man hier im Hause St. Vinzenz bei den älteren Herrschaften sehr gut."

"Wann müssen wir da sein?"

"Jetzt, wir sind auf dem Weg zu Ihnen, liebe Frau Joost. Wir wollten Sie abholen."

"Ich bin doch schon da! Ich hole nur meinen Wagen."

"Ja, prima, dann kommen Sie ja gleich. Danke schön."

45 Jahre arbeitete Uwe Sölt in einer Druckerei. Nach der Pensionierung, sagt er, fehlte ihm etwas. So landete er in der Riege der Grünen Damen. Sich selbst bezeichnet der als Hahn im Korb. Der überwiegende Teil der Kursteilnehmer, die er in einen Saal im ersten Stock zum Gedächtnisspiel geladen hat, ist ja ebenfalls weiblich.

"Also, meine Damen, mein Herr. Es freut mich, dass ich heute nicht Einzelkämpfer bin. Eigentlich müsste Sie neben mir sitzen. Aber nein Frau Anders, mit Ihnen ist auch immer nett, ich will Sie gar nicht vertreiben."