Hilfe, mein Kind wird gläubig!

Von Annegret Kunkel |
Manche Religionspädagogen sagen: Jedes Kind, wenn man es nur lässt, ist religiös. Für Eltern kann das Fragen nach Gott überraschend kommen - vor allem wenn sie selbst nicht gläubig sind oder schlechte Erfahrungen mit der Kirche gemacht haben.
"Wenn Du wirklich nicht an Gott glaubst, dann bist Du wirklich sehr komisch, denn ohne Gott gäb's gar nichts!"

"Wer hat dann die Welt erschaffen, wie konnten wir geboren werden, wie konnten die Tiere leben ohne Gottes Hilfe, will ich von Dir mal wissen!"

"Wenn Gott nicht da wäre, dann wäre ja die Welt nicht erschaffen, und dann hättest Du mal überlegen können, was Du dann gemacht hättest!"

Aus Ulla Hahn, "Das verborgene Wort": "Im Anfang erschuf Gott Hölle, Teufel und Kinder, und er sah, daß es schlecht war. Kinder kamen schlecht auf die Welt (...) Erwachsen werden hieß besser werden. Dafür sorgten die Erwachsenen, die alles besser wußten, besser konnten, besser machten, eben, weil sie erwachsen waren. Kind sein hieß schuldig sein. Sündig sein. Der Reue, Buße, Strafe bedürftig, in Ausnahmefällen der Gnade. Gebote und Verbote kamen direkt von Gott. Gott aber war der, vor dem alle in die Knie ging."

So beschreibt die Schriftstellerin Ulla Hahn ihre Erinnerungen an die Kirche der 50er Jahre. Das Bild dürfte vielen noch präsent sein: gesenkte Köpfe, dumpfes Gemurmel, schlechtes Gewissen und endlose Langeweile. Ein Kind in der Kirche sein, heißt stundenlang sitzen müssen, nicht reden, nicht zappeln, nicht spielen dürfen. Am Altar fuchtelt ein Pfarrer mit dem Zeigefinger, und in den Bänken sitzen lauter Omas mit verkniffenen Gesichtern und kreischen mit hohen Stimmen die Lieder mit. Stimmt doch, oder?

Kinder: "Das ist keine Omaveranstaltung, die meisten Leute glauben an Gott, dann gehen die da hin, und dann hören die was über Gott, und dann freuen die sich! Und darum ist es auch besser, wenn man in die Kirche geht, weil man sich dann mitfreuen kann!"

"Und da sind meistens keine Omas, meistens sind es junge Erwachsene und Kinder, die zuhören, die alten Omas und Opas, die gucken das im Fernsehen, aber manchmal gehen sie auch hin!"

"Es gibt in der Kirche oft irgendwelche Musicals, und da kannst Du hinkommen, und da erzählt man Dir deutlich und mit viel Musik etwas über Gott."

Ab den 70er Jahren nahm die Zahl der Kirchenaustritte in Deutschland dramatisch zu und erreichte nach der Wiedervereinigung ihren Gipfel. Die Taufe ist längst nicht mehr selbstverständlich, Religionsunterricht noch weniger. In Berlin zum Beispiel ist Ethikunterricht Pflichtfach, Religion ist nur was für Freiwillige. Und in bayerischen Klassenzimmern darf, wer es möchte, die traditionellen Kruzifixe abhängen. Zwar strukturieren die christlichen Feste wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten noch immer das Jahr – aber oft schon nicht mehr den Glauben.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Amen. Der Herr sei mit euch. Und mit deinem Geiste.

Religion ist zur Privatsache geworden und kommt immer öfter aus der Bastelkiste. Wer Lust hat, ist heute Buddhist, morgen Esoteriker und übermorgen Psychoanalytiker. Aber was geschieht, wenn ein kleines Kind auf einmal folgenden Satz ausspricht:

"Ich will aber in die Kirche!"

Michaela Hoffmann: "Hilfe, mein Kind wird gläubig! Da ist dieses – zum Beispiel Beichten! Es gibt irgendwelche Sakramente, die offensichtlich verbunden sind mit irgendwas Negativem. Weil es einfach so ist, dass manche Berührungspunkte mit der Kirche persönlich nicht immer gut waren. Ich glaube auch, dass die aktuelle Presse nicht gerade hilfreich ist. Es gibt auch diese Angst vor diesem vielleicht zu sehr Esoterischen oder Sektenartigen. Aber unsere alltägliche Erfahrung ist, dass eigentlich wir Eltern ein Bedürfnis haben, unseren Kindern einen guten Weg mitzugeben. Irgendwie einen roten Faden mitzugeben, der moralisch wertvoll ist."

Sagt Michaela Hoffman, Mutter von zwei gläubigen Söhnen. Zusammen mit Katrin Sücker engagiert sie sich in der Kinderkirche, einem Projekt der Heilig Geist Kirche im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf.

Auch Katrin Sücker hat eine gläubige Tochter, die inzwischen katholisch ist, und einen kleinen Sohn, der gerade katholisch getauft wurde. Das ging nicht ohne Ehekonflikte vonstatten.

Katrin Sücker: "Mein Mann evangelisch, ich katholisch, bin auch streng gläubig aufgewachsen, mein Mann, ich sag mal, relativ locker, was die religiöse Erziehung anbelangt. Vieles hat sich aber dann doch in der Ehe entwickelt, es gab viele Reibungspunkte, viele Diskussionen, und es ist immer wieder spannend bei uns in der Familie."

Kinder: "Ich würde meinem Kind sagen, dass man ihn nicht sieht, aber wenn Du dran glaubst und mit ihm betest, dann antwortet er Dir irgendwann, und dann wirst Du es sehen."

"Ich würde dem Kind sagen, dass Gott eine Gestalt ist, die im Himmel wohnt. Man kann ja nicht durchs Universum schauen, darum sieht man ihn nicht."

"Und er ist eh durchsichtig."

"Glaub nur an Gott und bete viel, viel! Glaub einfach nur an ihn. Und schon, schwuppdiwupp, gehörst du zu Gott und Jesus."

Schwuppdiwupp – wie das gehen kann, hat Pater Rüdiger Brunner von der Heilig Geist Kirche erleben können. Statt die Kinder in die Kirchenbänke zu zwängen, werden sie nach etwa fünf Minuten Gottesdienst rausgelassen. Und ihre Eltern, wenn sie wollen, auch.

In einem Nebenraum findet dann, parallel zur Predigt, die Kinderkirche statt, etwa 20 Minuten lang, mit Geschichten, Gesang und Theater. Dann geht es zurück zur Gesamtgemeinde.

Rüdiger Brunner: "Also, wir haben uns nicht überlegt, wie kriegen wir die Familien in die Kirche, dass die eventuell gar noch Kirchensteuer bezahlen, sondern wir haben reagiert auf Wünsche der Leute. Die ein oder andere Familie hatte das schon woanders mal erlebt oder davon gehört, die anderen kamen über die Kita dazu, Mensch, wir bräuchten aber auch irgendeine Form für unsere Kinder, um diese christliche Orientierung weiter zu verfolgen, und dann haben wir einfach Tür und Tor geöffnet."

Wenn die Eltern sich auf die Kinderkirche vorbereiten, arbeiten sie eine eigene, kindgerechte Liturgie aus. Das Setting ist immer gleich: ein Kreis aus Decken für die Kinder, ringsherum Stühle für die Eltern, in der Mitte ein liegendes Stoffkreuz. Und dann wird ein Plan gemacht: Was ist das Thema? Wer sagt wann was? Wer führt was vor, wann setzt die Gitarre ein? Was sollen die Kinder dazu beitragen? Erste Vorbereitungen am Sonntagmorgen.

"Ruth? Rebecca? Nee, die sind noch nicht hier gelandet, guten Morgen!"

Das Thema heute: Afrika und wie man es lernt, seinen Fähigkeiten zu vertrauen. Aus dem Gettoblaster tönt entsprechende Musik zur Einstimmung, Katrin Sücker packt einen Korb mit Gummitieren, Fotos und Früchten, Michaela Hoffmann verteilt die Gesangbücher für die Erwachsenen. Und eine Trommel steht auch schon da.

In die Mitte des Kreises kommt die Fahne von Südafrika. Die Idee: Die Kinder – die meisten sind im Vorschulalter und jünger – sollen die Gegenstände den symbolischen Farben der Fahne zuordnen. Kurz vor Beginn ist plötzlich der Gitarrenspieler verschwunden. Und noch ein Problem gilt es zu lösen: Was tun mit der anwesenden Reporterin?

"Wir machen die Begrüßung, wir machen unser Lied, und dann stell ich sie vor, das passt doch am besten, ne Michi? Nee, vorher würde ich das machen, bevor wir das Kreuzzeichen machen, im Rahmen der Begrüßung."

Draußen läuten schon die Glocken und die ersten Kirchengäste strömen ein, vorbei an der offenen Tür der Kinderkirche, während Michaela Hoffmann noch die Bänder der Namensschilder entwirrt. Nur wenige Minuten nach Beginn des Gottesdienstes werden die Kinder hier eintreffen.

"Also jedes Kind hat sein eigenes Namensschild, weil wir jedes Kind gern mit dem Namen ansprechen, und wenn die reinkommen, dann suchen sie sich erstmal ihren Namen. Und deshalb haben wir diese Namensschilder, die mit Tiersymbolen sind, sodass die Kinder, die ja in der Regel nicht lesen können, anhand der Tiersymbole ihre Schilder erkennen."

Die Kinderkirche gibt es seit gut drei Jahren. Elf Frauen und ein Mann gestalten abwechselnd in Viererteams je eine Sonntagskirche. Ins Leben gerufen wurde sie von den Eltern selbst, die sich wiederum durch ihre Kinder veranlasst sahen.

"Ich nehm heute nicht mein Namensschild! Ich auch nicht! Ich auch nicht! Rebecca, da sind die Jungs, auf der anderen Seite!"

Anfangs waren es höchstens 20 Kinder in der Kinderkirche, inzwischen sind es bis zu 70. Und es werden immer mehr, die ihre Eltern mit in die Kirche schleifen. Nicht wenige der Eltern sind anfangs skeptisch bis atheistisch. Aber am Ende setzen sich die Kinder durch.

Rüdiger Brunner: "Wenn jetzt dieses Kind durch einen Zufall, kann man es nennen, plötzlich auf die religiöse Dimension steigt, auf die religiöse Schiene geht, und weil die Freundinnen und Freunde das schön finden, und dann kommen die auch – dann sind die Eltern herausgefordert zu reagieren. Und wenn sie sensibel sind, die Eltern, und das Kind, so klein es auch sein mag, wirklich als Persönlichkeit respektieren, dann müssen sie sich diese Frage stellen: Wie hältst du es mit der Religion?"

Kinder: "Also ich hab es noch nie gehört, wenn Gott auf irgendwas geantwortet hat, was ich abends gesagt habe. Naja, manche Sachen klappen ja auch so!"

"Du siehst ihn und hörst ihn, du musst nur deinem Herzen folgen." "Und wie fühlt sich das an?" "Irgendwie so warm und so nett ...""

Katrin Sücker: "Das habt ihr alle super gemacht, jetzt haben wir uns alle schon Hallo gesagt."

Und jetzt beginnt das eigentliche Thema der Kinderkirche. Wie lernt ein Mensch Vertrauen, in sich und in andere? Michaela Hoffmann spielt es vor. Sie hat sich eine riesige, schwarze Afroperücke aufgesetzt und kickt eine Blechdose vor sich her.

"Hallo, ich bin Nelio. Ich kann nicht zur Schule gehen. Ich verkaufe Dosen."

Wenn er gerade nichts zu tun hat, spielt Nelio Dosenfußball. Bei den echten Spielen hat er bislang nur zugeguckt.

Und es kommt, wie es kommen muss: Nelio soll einspringen, traut sich nicht, blamiert sich erst mal vor allen, wird angefeuert von Pater Carlos und schießt schließlich ein Tor.

"Und dann bin ich in der zweiten Halbzeit durchgestartet, hab mich getraut, und dann ..."

Kind: "Also ich würde sagen, dass Gott und Jesus und der Heilige Geist, die haben die Erde erschaffen, und dass sie gut sind, und die helfen jemandem, wenn er sich was nicht traut, dass man ihm Mut gibt."

Kathrin Sücker: "Es wird ein Thema herausgegriffen, wir nehmen die Kernaussage und verpacken das kindgerecht. Viele Eltern kriegen dadurch glaube ich schon wesentlich mehr Einblick und noch mal mehr Verbindung zur Kirche, als wenn sie in die Predigt gehen und da nur noch die Hälfte mitnehmen ... man sehe mir das jetzt nach ..."

Kinder: "Ich würde Jesus fragen, wie er sich den lieben Gott vorstellt."

"Wie der liebe Gott aussieht und das Engelreich."

"Und was er überhaupt ist. Ob er tot ist oder noch lebt und ob er ein Mensch ist oder ein Geist."

Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Himmelreich.
(Matthäus 19)

Michaela Hoffmann: "Unsere Kinderkirche wächst und wächst. Das ist ein Schneeballsystem, wo Kinder untereinander sagen: Da gibt's sonntags was Tolles, kommt ihr da auch hin? Ein Kind erzählt's dem nächsten, dann trifft man sich sonntags. Ich glaube, es ist ein Stück weit auch, naja, ich weiß nicht, ob das zu hochtrabend klingt, es ist auch der Geist Gottes, den die spüren, ich glaube, dass das Begeisterung ist, buchstäblich."

Kinder: ""Ich würde Jesus fragen, ob er mir beibringen kann, wie man Kranke heilt."

"Ich wünsche, dass die Kinder in meiner Klasse sich nicht mehr so oft und dolle wehtun."

"Ich wünsche, dass es gar keinen Krieg mehr gibt."

"Also, ich wünsche mir, dass Gott den Kindern hilft."

"Dass er es schafft, alle Menschen lieb zu machen."

Vielleicht werden auch diese Kinder eines Tages aus ihrem kleinen Paradies vertrieben, lernen eigenen Kummer kennen statt den der Kinder aus Afrika, lesen Darwin und Freud und Nietzsche, finden die Bibel brutal und Kirchentage absonderlich, hadern mit ihrer Kirche, treten aus, regen sich über Missionare und den Papst und die evangelische Bischöfin auf. Bis sie vielleicht eines Tages selbst Kinder bekommen.

Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. (…) Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf.
(Matthäus 18.1)