Immer mehr Geflüchtete kommen zur Tafel
06:36 Minuten
Die Tafeln in Stuttgart versorgen immer mehr Menschen aus der Ukraine mit Lebensmitteln. Bis zu 40 Bedürftige pro Tag kommen hinzu. Der Trägerverein hat inzwischen einen Hilferuf an die Landesregierung geschickt.
Die Menschenschlange ist länger als vor ein paar Wochen. Kurz vor 10 Uhr am Vormittag, vor dem Eingang der schwäbischen Tafel mitten in Stuttgart. 150 Meter, bis um die Straßenecke schlängeln sich die Menschen.
Neukunden stehen an
Zuerst dürfen alle Schwerbehinderten in den Tafelladen, kurz in Ruhe einkaufen, weil es später so ein Gedränge gibt. Neue Kundinnen stehen auch schon an: Immer mehr Geflüchtete aus der Ukraine gehen bei der Tafel Einkaufen.
„Ich bin hierhergekommen, um Grundnahrungsmittel zu kaufen", sagt Natalja aus Kiew. "Meine Freunde haben mir von dem Markt erzählt. Sie kaufen hier Gemüse, Obst, Milch, Joghurt …"
Die Geflüchteten brauchen meist alles, die grundlegenden Lebensmittel. Wer zum ersten Mal da ist, bekommt einen Ausweis für die Tafel, für drei Monate. Wer aus der Ukraine kommt, muss aktuell nicht extra die Bedürftigkeit nachweisen.
„Ich bin hierhergekommen, um Grundnahrungsmittel zu kaufen", sagt Natalja aus Kiew. "Meine Freunde haben mir von dem Markt erzählt. Sie kaufen hier Gemüse, Obst, Milch, Joghurt …"
Die Geflüchteten brauchen meist alles, die grundlegenden Lebensmittel. Wer zum ersten Mal da ist, bekommt einen Ausweis für die Tafel, für drei Monate. Wer aus der Ukraine kommt, muss aktuell nicht extra die Bedürftigkeit nachweisen.
Im März hat der Stuttgarter Tafelladen fünf bis sechs neue Ausweise am Tag ausgestellt. Sieben Wochen später, erzählt Mitarbeiter Bernd Müller, seien es fünf bis sechs Mal so viel: „30 bis 40 Neukunden jeden Tag. Das ist natürlich zum Tagesgeschäft eine enorme Belastung zusätzlich. Es ist eine Belastungsgrenze erreicht, würde ich sagen. Und mit unseren zusätzlichen Stammkunden ist jetzt wirklich Obergrenze.“
Bernd Müller muss wieder an die Kasse. Die Ersten bezahlen schon. Und gehen zur rechten Tür raus. Links wird jetzt richtig aufgemacht. Wegen Corona dürfen die Menschen nur in eine Richtung durch den Laden laufen. In Windeseile ist es voll in dem kleinen Supermarkt.
„Wagen draußen lassen!", ruft Müller. "Ich krieg die Krise!“
50 Prozent der Kunden aus der Ukraine
Man habe jetzt eine Stunde länger offen, bis um 15 Uhr, weil der Bedarf so groß sei, sagt die stellvertretende Leiterin der Stuttgarter Tafeln, Hilli Pressel: „Inzwischen kommen mehrere Hundert Menschen mehr pro Tag, verteilt auf die vier Tafelläden." In Stuttgart-Mitte seien es rund 200 mehr. "Wir haben im Moment wirklich fast 50 Prozent Ukrainer, Ukrainerinnen. Und jetzt, wenn Ramadan zu Ende ist, wird es noch einmal ansteigen.“
Die Geflüchteten – oft ohne Erspartes, ohne Job und mit wenig Geld, das sie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen – sie seien willkommen, die Tafeln seien schließlich da für Notsituationen, aber das meist ehrenamtliche Personal schaffe es kaum noch, den Andrang zu bewältigen, sagt Hilli Pressel.
Die Geflüchteten – oft ohne Erspartes, ohne Job und mit wenig Geld, das sie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bekommen – sie seien willkommen, die Tafeln seien schließlich da für Notsituationen, aber das meist ehrenamtliche Personal schaffe es kaum noch, den Andrang zu bewältigen, sagt Hilli Pressel.
„Die Schwierigkeit ist tatsächlich, dass wir einfach nur sehr, sehr wenig Festangestellte vom Verein haben, die das Ganze organisieren und verantworten. Es ist einfach sehr, sehr schwierig, Leute an der Kasse einzuarbeiten, weil es ein sehr anstrengender Job ist", sagt die stellvertretende Leiterin.
Zudem trauten sich viele nicht, im Kundenbereich zu arbeiten, und schon gar nicht an der Kasse, da man hauptsächlich mit Menschen arbeite, die schon sehr lange aus dem Arbeitsleben raus seien.
Hilferuf des Tafel-Landesverbands
Der Landesverband der baden-württembergischen Tafeln hat sich jetzt mit einem Hilferuf an die Landesregierung gewandt. Der Ausnahmezustand sei nicht länger zu stemmen. Gerade hat es erste Gespräche mit dem Sozialministerium gegeben. Im März kamen von dort schon 100.000 Euro Unterstützung für die Tafeln. Weitere Gespräche und Hilfsangebote sollen folgen.
In Stuttgart Mitte sortieren Berufsschülerinnen heute palettenweise Paprikapacks, trennen die guten von den schlechten, erzählt Nele: „Bei uns an der Schule sind gerade Prüfungen und deswegen dürfen wir nicht in die Schule und deswegen hat uns unsere Schule angeboten, dass wir hier einen Tag helfen.“
Eine Riesenunterstützung, sagt die Ladenleitung, aber es sei eben keine kontinuierliche Hilfe. Dabei gibt es jede Menge zu tun. Hinten im Hof werden noch die Lieferautos ausgeladen: Ein halbes Auto voll roter Rettichstangen etwa ist vom Großmarkt gekommen.
Warenfluss zur Tafel läuft wieder
Immerhin: Es gebe aktuell wieder mehr Ware, sagt Pressel: „Vor zwei Monaten, als die Ukraine-Krise begann, hatten wir einen drastischen Einbruch von 25 bis 30 Prozent, weil eben auch Ware in die Ukraine geschickt wurde oder an die Grenze. Und das hat sich jetzt wieder ein Stück weit relativiert. Wir haben wieder relativ viel Ware, allerdings sehr wenig gemischte Ware.“
Die großen Supermarktketten betonen auf Anfrage, dass sie weiter bundesweit die Tafeln unterstützen mit Sach- und teilweise auch Geldspenden. Aber: Man versuche auch, so wenig wie möglich wegzuwerfen. 98 Prozent der Ware werde verkauft, teilt etwa die Rewe-Gruppe mit.
Im Tafelladen schieben die Kundinnen und Kunden ihre schweren Einkaufskörbe auf dem Boden zur Kasse: Gemüse, Brot, Joghurt, übrig gebliebene Osternaschereien – für jeden nur zwei Packungen höchstens.
Hoffen auf Entspannung im Frühsommer
Bei den Tafeln bleibt es aber weiter eng. Hilli Pressel hofft wie ihre Kolleginnen und Kollegen im ganzen Land aktuell, dass sich die Lage im Frühsommer etwas entspannt. Denn ab Juni sollen Geflüchtete aus der Ukraine vom Jobcenter betreut werden, staatliche Grundsicherung bekommen.
„Das heißt, in dem Moment, wo die arbeiten können und Arbeit finden, verlieren sie die Bedürftigkeit. Und sind dann auch nicht mehr Tafelkunden. Das heißt, ein Teil wird wieder verschwinden von der Tafel.“
Aber Hilli Pressel bleibt realistisch: Mit steigenden Energiepreisen werden auch die Nebenkosten steigen, und damit voraussichtlich auch der Kundenkreis der Tafeln wachsen.