Hilfestellungen gegen rechte Parolen

Die Überwindung der eigenen Sprachlosigkeit

Zu sehen ist die Tischdeko in einem Lokal. Auf dem Tisch stehen Besteck, eine kleine Blumenvase und ein Holzschild in dem "Stammtisch" eingraviert wurde.
Der gute, alte Stammtisch hat als alleinige Parolen-Schleuder ausgedient: Stammtischparolen hört man inzwischen fast überall. © imago/Horst Rudel
Von Ita Niehaus |
Oft stehen Menschen rassistischen Äußerungen sprachlos gegenüber. Ein Seminar in Osnabrück hilft ihnen, auf fremdenfeindliche Parolen angemessen zu reagieren. Und zeigt zugleich auf, wann ein Gespräch keinen Sinn mehr macht.
Frau: "Und da in Wilhelmshaven, da bauen die jetzt Wohnungen für Flüchtlinge.."
Mann: "Wie bitte?!"
Frau: "Stell dir das mal vor! Und wir?"
Mann: "Wir müssen verhungern."
Frau: "Wir können uns nicht mal eine Wohnung leisten."
Mann: "Nehmen uns die Wohnungen weg!"
Frau: "Aber die Flüchtlinge, die kriegen alles ... Ja, was sagst du da?"
Im Seminar "Argumentieren gegen Stammtischparolen" in Osnabrück. Eveline ist eine selbstbewusste, redegewandte Frau. Doch hin und wieder fehlen auch ihr die Worte. Dabei ist es der 58 Jahre alten Lehrerin im Rollenspiel nicht schwer gefallen, sich in die Situation hineinzuversetzen.

Sich besser innerlich wappnen

Eveline: "Ich bin manchmal bei Info-Ständen und dann kommen Leute mit diesen üblichen Stammtischparolen über Flüchtlinge. Das die ihnen alles wegnehmen und die Kriminalität der Flüchtlinge. Das ist schon manchmal schwierig, weil die sehr emotional, sehr wütend sind, sich sehr benachteiligt fühlen. Und dafür mache ich so ein Seminar."
Eveline möchte vor allem eines lernen: sich noch besser innerlich zu wappnen und dagegen zu halten.
"Ich möchte aufstehen, innerlich aufstehen und sagen können, da bin ich anderer Meinung, das finde ich nicht richtig. Dass man ihnen auch nicht auf den Leim geht, nicht emotional so viel Energie verschwendet. Christliche Werte spielen eine Rolle, klar. Menschenwürde - das motiviert mich."
Der Workshop wird vom Bistum Osnabrück angeboten, unter anderem in Zusammenarbeit mit der Katholischen Erwachsenenbildung und der Caritas. Gemeinsam mit neun anderen Frauen und drei Männern sitzt Eveline in einem Seminarraum in der Innenstadt von Osnabrück.
Die Teilnehmer sind ganz unterschiedlich. Die Jüngste ist Anfang 20, die Älteste weit über 70 Jahre. Es sind Sozialarbeiter unter ihnen, Rentnerinnen, Studierende und ein Theologe. Sie alle haben schon ihre Erfahrungen gemacht mit Stammtischparolen.
Martina Jeßnitz: "Woran merkt ihr denn, dass das die Themen sind, die euch aufregen?"
Teilnehmerin: "Das merke ich schon körperlich, das regt mich innerlich auf. So nach dem Motto ‚Wie kann man es wagen, so etwas zu sagen‘. Ich glaube, das ist so eine Empörung."

Stammtischparloren kommen überall vor

Die Erziehungswissenschaftlerin Martina Jeßnitz und der katholische Theologe Alexander Oldiges leiten den Workshop. Beide arbeiten seit vielen Jahren in der Erwachsenenbildung. Regelmäßig bieten sie das Argumentationstraining an. Manchmal nur für einige Stunden, oft aber auch, wie dieses Mal, als Tagesseminar. Genug Zeit, um auf die unterschiedlichen Aspekte eingehen zu können.
Jeßnitz: "Und wenn man sich das jetzt anguckt, diese Reaktionen des Körpers und des Geistes sind ganz typische Stressreaktionen. Das passiert auch, wenn ich einen Schock habe."
Teilnehmer: "Ich finde es schwer, sich klarzumachen, was ist wirklich 'ne Parole, was ist ernst gemeint."
Oldiges: "Das versuchen wir heute: zu sensibilisieren, eine Haltung zu entwickeln und auch Werkzeuge an die Hand zu geben."
Zu sehen sind mehrere Menschen in einer Diskussionsrunde, im Hintergrund schreibt eine Frau etwas auf ein Whiteboard.
Im Seminar lernen die Teilnehmer, welche kommunikativen Strategien es gibt, um sich gegen Stammtischparolen zu wehren. © Ita Niehaus
Ob in der Warteschlange vor der Kasse im Supermarkt, bei der Arbeit oder während einer Familienfeier - Stammtischparolen kommen überall vor im Alltag. Es geht immer um die anderen. Oft um die Flüchtlinge, die Muslime oder die Politiker. Aber es kann, so Martina Jeßnitz, jede gesellschaftliche Gruppe treffen:
"Die kommen oft ganz unscheinbar daher. Viele sind als Witze getarnt oder als Spruch. Aber dahinter stecken doch Vorurteile und Schemata, die sich festgesetzt haben und sich dann in den Hörenden festsetzen. Manchmal muss man auch genau hingucken, denn die meisten von uns sitzen nicht so oft an einem klassischen Stammtisch, wo man damit rechnet."
Seit gut einem Jahr gibt es das Argumentationstraining im Bistum Osnabrück. Die Nachfrage ist groß, hat Frank Buskotte, der Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung, festgestellt. Nicht nur bei christlichen Vereinen und Verbänden oder Caritas-Einrichtungen.

Der Ton wird rauer

Buskotte: "Vielleicht kann man traurig sein, dass sich so viele Leute momentan für dieses Thema interessieren. Ich find‘ es aber auf der anderen Seite positiv, dass es eine gewisse Repolitisierung von Menschen gibt, die jetzt ein Stück weit dafür einstehen möchten, was ihnen wichtig ist: nämlich eine liberale Gesellschaft mit freiheitlicher Grundordnung."
Der Ton ist rauer geworden, die Neue Rechte rückt in die Mitte der Gesellschaft vor. Wie weit verbreitet rassistische Bemerkungen und Vorurteile unter Christen sind, lässt sich schwer sagen. Es fehlt an aussagekräftigen repräsentativen Studien. Doch man kann davon ausgehen, dass Christen sich nicht positiv vom Durchschnitt der Bevölkerung abheben. Auch Frank Buskotte sieht keinen großen Unterschied:
"In meinem persönlichen Alltag - wie andere Menschen auch. In beruflichen Kontexten ist es vergleichsweise überschaubar. Es gibt eine Zahl von Allensbach, die besagt, dass bei praktizierenden Christen der AfD-Zuspruch bei vier Prozent liegt und bei Konfessionslosen bei 23. Gleichwohl gibt es Zusammenhänge, wo in kirchlichen Verbänden sich explizit AfD-Kandidaten um Ämter bewerben, allerdings außerhalb des Bistums. Und da stellt sich uns die Frage, wie gehen wir damit um."
Vertreter des Bistums Osnabrück positionieren sich gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus. Katrin Großmann, Dialogbeauftragte des Bistums, erlebt bei Veranstaltungen nach wie vor eine große Offenheit. Immer öfter jedoch wird sie mit Vorurteilen und Parolen konfrontiert. Gerade wenn es um eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Islam geht. Die Dialogbeauftragte erinnert sich an eine Vortragsreihe an der Nordseeküste:
"In diesen Vorträgen kamen vor allem in der Diskussion sehr pauschale, polemische und verurteilende Wortführer zu Wort. Oft ist es ja so, dass Menschen, die die Dinge differenzierter betrachten, verstummen und den Wortführern das Feld überlassen. Und das hat mich unvorbereitet getroffen, so dass ich beschlossen habe, ich brauche Handwerkszeug, um damit gut umzugehen und dann selber an einem solchen Argumentationstraining teilgenommen habe."

Shitstorm wegen eines Mohammed-Zitats

Im Sommer geriet das Bistum Osnabrück in die Schlagzeilen. Es hatte als Tagesbotschaft ein Zitat des Propheten Mohammed getwittert und bekam innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Reaktionen. Viele von ihnen waren herabwürdigend oder sogar hasserfüllt. Ein Shitstorm, entfacht durch die weltweite Vernetzung in den sozialen Medien.
Zu sehen ist der römisch-katholische Dom St. Peter ist die Kathedrale des Bistums Osnabrück.
Der römisch-katholische Dom St. Peter ist die Kathedrale des Bistums Osnabrück.© imago/Rüdiger Wölk
"Irgendjemand im Bistum Osnabrück kriegt das mit, meldet es dann auf einer rechten Facebook-Seite oder twittert es durch rechte Kanäle. Da werden ganz viele Leute drauf aufmerksam, die weder mit der katholischen Kirche noch mit dem Bistum Osnabrück etwas zu tun haben, sondern die einfach nur hasserfüllt gegen Muslime sind. Die senden dann einen Twitter zurück oder entfachen einen Shitstorm. Also, so etwas wird organisiert und so etwas kommt dann über ein Bistum von Leuten, die politisch organsiert, aber nicht Schäfchen aus dem Bistum sind."
Stimmung zu machen - das sei auch Teil der Strategie, um gesellschaftspolitischen Druck auszuüben, sagt Sonja Strube. Die katholische Theologin arbeitet an der Universität Osnabrück und weiß, wovon sie spricht. Als eine der ersten deutschen Wissenschaftlerinnen setzte sie sich mit rechtsextremen Tendenzen in christlichen Milieus auseinander. Es gebe durchaus gemeinsame inhaltliche Berührungspunkte, nicht nur die Angst vor der "Islamisierung des Abendlandes".

Die Kirche nimmt den Rechtspopulismus ernst

Strube: "Das kann man an der AfD schön sehen. Sie gibt sich ja aus als Partei, die als einzige konsequent gegen Abtreibung und für den Lebensschutz Ungeborener einsetzen würde. Das sind so Themen, mit denen man Christen erreichen und fangen kann.
Vor allem, wenn die betreffenden Personen nicht genau hinschauen und die Augen davor verschließen, dass die AfD sich aus völkisch-nationalistischen Hintergründen gegen Abtreibung einsetzt und nicht, weil ihr wirklich jedes Menschenleben am Herzen liegt."
Inzwischen wird das Thema auch innerhalb der katholischen und evangelischen Kirche ernst genommen, beobachtet Sonja Strube: "Ich habe den Eindruck, dass in dem Moment wo Pegida auf der Straße sichtbar wurde, in kirchlichen Kreisen das Bewusstsein für die Gefahr schlagartig da war.
Wo man vorher noch manchmal sagte, das sind so kleine Grüppchen am Rande, das sind so komische Internetseiten, da muss man sich nicht befassen. Aber in dem Moment war es deutlich. Und ich habe schon den Eindruck, es gibt viel Nachfrage nach Aufklärung."

Für jede Situation die passende Strategie

Zurück im Seminar "Argumentieren gegen Stammtischparolen". Alexander Oldiges stellt ein Beispiel aus dem Alltag vor. Eine junge Deutsche mit koreanischen Wurzeln kommt in einen vollen Bus, setzt sich zu einer Gruppe junger Deutschtürken.
Oldiges: "Eine Frau steigt ein, schaut sich um und sagt: 'Wenn hier nicht so viele Ausländer wären im Bus, könnten auch alle Deutschen sitzen.' Stimmung im Bus schwierig. Wie würdet Ihr reagieren, was hättet Ihr gesagt ganz spontan?"
Teilnehmerin: "Sitzen doch alle Deutschen."
Oldiges: "Nicht schlecht, also konfrontativ."
Es entwickelt sich eine Diskussion.
"Wenn wir uns überlegen, bei der Person hier, warum sagt die das?"
"Ihr geht es einfach richtig schlecht ... sie ist vielleicht krank ... schlechte Laune ..."
Ein Patenrezept gibt es nicht, man muss für jede Situation die passende Strategie finden. Und vor allem erst einmal lernen, Argumentationsmuster, wie zum Beispiel Themenhopping oder die "Political-Correctness-Keule" zu durchschauen. Hilfreich sei immer, so die Kommunikationstrainer Martina Jeßnitz und Alexander Oldiges, einen eigenen Standpunkt zu haben, um Sicherheit zu gewinnen und besonnen handeln zu können.

Mit Fingerspitzengefühl diskutieren

Martina Jeßnitz: "Manchmal habe ich ein vertraute Situation, da kann ich sehr persönlich werden. Über Emotionen, über Bedürfnisse sprechen. Manchmal reicht es aber auch, den Standpunkt klar zu machen und so nicht einfach der anderen Meinung den Platz zu überlassen. Ich glaube, dass jeder auch das Recht hat zu sagen, heute möchte ich nicht darüber diskutieren."
Alexander Oldiges: "Wenn man die Menschen ernst nimmt, dann wird man ernst genommen in der Regel. Man kann auf Augenhöhe Probleme lösen, Unsicherheit und Wut verpuffen lassen. Das geht manchmal mit einer ganz einfachen Frage: Woher weißt Du das? Wieso ist das so und so? Manchmal reicht auch ein flapsiger Spruch, ein Witz, um da eine Gesprächsgrundlage zu schaffen und eine Stammtischparole wirklich aufzulösen."
Irgendwann bekommt man ein Fingerspitzengefühl, sagt Alexander Oldiges. Ein Prozess, der auch viel mit Konfliktverarbeitung zu tun habe. Sich bewusst zu werden, es dürfen Konflikte entstehen. Denn erst wenn sie sichtbar werden, kann man sich ihnen stellen. In einem geschützten Raum wie dem Seminar geht es auch darum, den Ernstfall zu üben.

Wo kommen die denn her, was sind das für Leute?

"Dieses Mal ist es so, wir haben zwei Personen, die eine Stammtischparole raushauen am Stammtisch und wir haben nur eine Person, die ganz allein versucht gegen die Stammtischparole anzukommen."
Eveline traut sich diese Rolle zu. Auch der 21 Jahre alte Student Henning macht mit und schlägt ein Thema vor: "Migranten, die sich langsam in die Arbeitswelt integrieren, das hatte ich persönlich auch schon mal mitbekommen. Und da dachte ich, das ist ein Punkt, den man aus eigenem Leben oder aus dem Leben Bekannter einbringen kann."
Eveline: "Wo kommen die denn her, was sind das für Leute?"
Henning: "Keine Ahnung, die sind doch alle gleich."
Eveline: "Weißt du denn, aus welchem Land die kommen?"
Henning: "Überall her, alles Araber. Nur Araber und dann quatschen die auch nur untereinander, nicht zu gebrauchen das Pack."
Es war eine wichtige Erfahrung für Eveline, alleine dagegen halten zu können und verschiedene Strategien zu testen. Henning entschied sich bewusst dafür, mit Stammtischparolen zu provozieren. Henning:
"Einfach mal da nachzuvollziehen, wie hat sich diese Person vielleicht gefühlt? Einfach mal mitbrüllen. Und dann wieder klarzukommen. Hey, was mache ich hier gerade?. Was ist das für eine Geschichte, die ich erzähle? Da kann ich ja gar nicht zustimmen."

Grenzen des Dialogs

Meistens ist es sinnvoll, auf Dialog zu setzen. Alexander Oldiges sieht aber auch ganz klar die Grenzen:
"Wenn wirklich eingefahrene Wege beschritten werden, wenn die sachliche Ebene längst abgehakt ist, wenn es nur noch darum geht, das Gegenüber zu schikanieren, bloß zu stellen, zu verletzen, eigene Interessen durchzusetzen - da würde ich sagen, da ist eine Diskussion vollkommen sinnlos."
Dennoch machen die beiden Seminarleiter Alexander Oldiges und Martina Jeßnitz immer wieder die Erfahrung: Argumentationstrainings können etwas bewirken. Auch Frank Buskotte, der Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung Osnabrück, und die Populismus-Expertin Sonja Strube sind von dem Konzept überzeugt:
"Teilnehmende spiegeln uns das immer wieder zurück, dass sie Sicherheit, Orientierung gewinnen und insofern als Multiplikatoren in der Welt Wirkung zeigen: Dass einzelne Personen mit ihren Stellungnahmen, ihren Positionierungen in alltäglichen Kontexten immer wieder in der Lage sind, ein Zeichen zu setzen, was zumindest im kleinen Kontext auch Vorbildcharakter hat für andere."

Nicht überzeugen, sondern Impulse setzen

"Wenn man meint, dass man jemand, der ein geschlossen rechtsextremes Weltbild hat oder eine ganz klare rechte politische Strategie fährt, wenn man meint, den überzeugen zu können, dann beißt man auf Granit. Das ist auch der Denkfehler, dass man meint, mit welcher Strategie kann ich ein ganz verbissenes rechtes Gegenüber noch erreichen und bekehren.
Viel wichtiger ist es in jeder Argumentation, die Dritten, die zuhören zu erreichen und zu überzeugen. Also ich denke, diskutieren, klare Positionen beziehen ist wichtig mit Blick auf die ganz große Mehrheit der Gesellschaft."
Henning und Eveline nehmen viele Informationen und Anregungen mit. Henning:
"Man sollte zu Beginn bei sich anfangen und sich fragen, was kann ich besser machen, wo habe ich noch Vorurteile. Man muss andere nicht überzeugen, sondern es reicht auch, vor allem im Kleinen, Dörflichen Impulse zu geben und Leute zum Nachdenken zu bewegen."
Eveline: "Und das ganze Seminar ist auch eine Ermutigung: Mut zu haben, was zu tun. Statt wegzugucken, sich zu verhalten."
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