Marina Naprushkina: Neue Heimat? Wie Flüchtlinge uns zu besseren Nachbarn machen
Europa Verlag Berlin
Mit einem Vorwort von Heribert Prantl
240 Seiten mit zahlreichen Zeichnungen, 16,99 Euro
"Wenn Flüchtlinge hier scheitern, scheitern wir als Gesellschaft"
Die Schriftstellerin Marina Naprushkina hilft Flüchtlingen in Berlin-Moabit und hat darüber jetzt ein Buch geschrieben. Es sei wichtig, von Anfang an Beziehungen zu den Flüchtlingen aufzubauen – sonst entständen Parallelgesellschaften, sagt sie.
Die Autorin und Künstlerin Marina Naprushkina hat vor rund zwei Jahren eine Initiative gegründet, die die Bewohner eines Asylbewerberheims in Berlin-Moabit unterstützt. Es geht dabei auch darum, den Flüchtlingen bei Ämtergängen und ähnlichem zu helfen – vor allem aber, sie von Anfang an in die Nachbarschaft zu integrieren. Nur so ließen sich Parallelgesellschaften verhindern, sagte Naprushkina im Deutschlandradio Kultur. Die derzeitige Welle der Hilfsbereitschaft sei "schön", sagt die Autorin. "Ich hoffe, dass da anhält, dass das so weitergeht und dass die Leute langfristig dabei bleiben." Die Grundversorgung der Flüchtlinge am Anfang sei wichtig: "Aber noch wichtiger ist, dass wir einander verstehen."
Das Gespräch im Wortlaut:
Nana Brink: Mein Gast heute in "Studio 9" hier ist die Schriftstellerin Marina Naprushkina, geboren 1981 in Minsk in Weißrussland. Sie ist Künstlerin und Aktivistin und lebt seit zwölf Jahren hier in Deutschland. Schönen guten Morgen hier in "Studio 9"!
Marina Naprushkina: Guten Morgen!
Brink: Ich freue mich sehr, dass Sie da sind! Sie haben ein Buch geschrieben über Ihre Erfahrungen in den letzten zwölf Jahren hier in Deutschland. Und bevor wir dann über Ihre Arbeit sprechen, wollen wir etwas mal reinhören! "Neue Heimat" heißt das Buch: "Wie Flüchtlinge uns zu besseren Nachbarn machen." Und das werden Sie auch heute bei der Eröffnung des Internationalen Literaturfestivals in Berlin vorstellen!
Sprecherin / Auszug aus Buch: Ich setze mich an den Tisch. Es ist der einzige Tisch im Raum. Ich schaue mich um. Das Zimmer liegt im Erdgeschoss, der Raum ist viel zu klein für zwei Erwachsene und drei Kinder. Die restliche Ausstattung ist auch sehr reduziert. Zwei Betten, ein ausklappbares Sofa, ein kleiner Kühlschrank und ein Schrank, der den Raum provisorisch in zwei Zimmer teilt.
Ein Kinderwagen steht neben mir, darin schläft die kleine Tochter von Sarina. Und auf dem Bett ist das Baby von Fatima abgelegt. Es schläft. Die anderen Kinder spielen auf dem Boden und rennen ständig aus dem Zimmer raus und wieder herein. Trotz der kahlen Einrichtung – besonders diese pissgelben, dreckigen Wände nerven – fühlt man sich hier irgendwie heimisch.
Brink: Marina Naprushkina aus ihrem Buch "Heimat". Sie haben diese Erfahrungen aufgeschrieben und das hat Sie dazu bewogen, auch eine Initiative zu gründen, auch darum geht es in diesem Buch. Was machen Sie da?
Naprushkina: Ich habe vor zwei Jahren die Familien kennengelernt, die in einer Notunterkunft in Moabit gelebt haben. Dieser Text, das beschreibt auch einen der ersten Abende in der Notunterkunft.
Ich habe bis jetzt noch gute Beziehungen mit diesen Familien behalten. Und so hat es Stück für Stück angefangen, dass ich die ersten Familien kennengelernt habe, dann habe ich gesehen, dass da in der Notunterkunft mehrere Hundert Leute untergebracht waren, davon über hundert Kinder, und dass die da ohne Beschäftigung, ohne Kinderbetreuung da waren.
Und ich habe dann ein Studio aufgemacht für die Kinder und habe dann auch ziemlich bald gesehen, dass ich alleine das nicht schaffe, habe meine Freunde gefragt, die Freunde haben Freunde gefragt und so sind wir irgendwie Stück für Stück gewachsen. Und jetzt in zwei Jahren sind wir über 200 Menschen, eine große Gemeinschaft geworden.
Brink: Wenn ich so höre, was Sie schildern, ist denn das Wichtigste, was Sie den Flüchtlingen vermitteln wollen, dass sie angekommen sind, dass sie einen Alltag haben?
Die Behörden scheitern bereits an der Erstversorgung der Migranten
Naprushkina: Ja, der Alltag ist wichtig und die sozialen Kontakte sind wichtig. Das ist das, was wir als Freiwillige jetzt sagen. Natürlich, die Erstversorgung ist Aufgabe des Staates, und jetzt scheitern auch die Behörden daran, das gut zu machen. Und die Freiwilligen müssen dann auch teilweise die Aufgaben übernehmen, also die Unterbringung, jetzt klappt es in den letzten Wochen in Berlin gar nicht.
Aber was wir jetzt so als Initiative denken, dass wir natürlich zusätzlich was machen müssen ... Das, was der Staat macht, und wir, wir können nur zusätzliche Leistungen bringen. Und dass wäre natürlich die Leute mit sozialen Kontakten versorgen. Und wir planen langfristig unsere Arbeit, uns gibt es jetzt schon seit zwei Jahren und diese Leute, die ankommen, es ist wichtig, die gut unterzubringen, aber danach auch Beziehungen aufzubauen.
Brink: Ich höre da auch Kritik raus, die Sie üben an den Behörden. Aber dagegen steht ja eigentlich eine unglaubliche Welle von Hilfsbereitschaft, also zumindest das, was wir sehen in den letzten Wochen und in den letzten Tagen, wenn Flüchtlinge hier ankommen. Hat sich das Bild nicht geändert?
Naprushkina: Es wird natürlich ... Es kommen zurzeit ganz viele Menschen, noch mehr werden erwartet. Und das ist eine sehr schöne Situation, dass die Gesellschaft so reagiert und bereit ist, diese Leute zu unterstützen. Ich hoffe, dass das anhält, dass das so weitergeht und dass die Leute langfristig dabeibleiben.
Denn wie gesagt, Grundversorgung am Anfang ist wichtig, aber noch wichtiger ist danach, dass wir einander verstehen. Wissen Sie, wir haben in der Initiative zum Beispiel, nach dem Deutschstammtisch macht unsere Bar auf. Und hinter der Bar-Theke stehen auch internationale Teams ...
Brink: Mit internationalen Drinks ... ((lacht))
Ohne Beziehungen zu den Flüchtlingen gibt es schnell Parallelgesellschaften
Naprushkina: Ja, richtig! ((lacht)) Und wichtig ist, dass die Leute dableiben und sich unterhalten. Weil sonst, wenn wir das nicht machen würden, was haben wir danach: So eine Hipster-Bar und nebendran eine Shisha-Bar und wir werden nie zueinanderfinden! Deswegen ist es wichtig, ganz am Anfang diese Beziehungen aufzubauen, sonst haben wir Parallelgesellschaften!
Brink: Und genau das wollen wir nicht! Das ist ein Thema, was Sie auch sehr umtreibt in diesem Buch. Sie haben auch sehr viel darüber geschrieben, dass sich ja diese deutsche Gesellschaft verändern wird. Wie erleben Sie denn das in den letzten zwölf Jahren, wie verändert sich denn oder wie gestalten Sie denn den Prozess dieser Veränderung?
Naprushkina: Na ja, in dem Buch geht es in erster Linie um die geflüchteten Familien, die nach Deutschland kommen und ihr Leben hier anfangen wollen und dabei scheitern. Ich begleite die Menschen zu Behörden, teilweise kenne ich diese Behörden selber, weil ich mal auch selbst keinen deutschen Pass besitze. Aber sagen wir so, diese Geschichten, die ich mit den Geflüchteten erlebe, sind sehr hart, sehr schwierig für mich, das anzunehmen, zu sehen, dass es halt nicht funktioniert, ich scheitere fast auf jeder Seite des Buches. Und ich glaube, das ist schon auch nicht schön. Wenn wir die Geflüchteten scheitern lassen, dann scheitern wir als Gesellschaft!
Brink: Vielen Dank, Marina Naprushkina, für das Gespräch hier, für Ihren Besuch in "Studio 9". Und heute lesen Sie zur Eröffnung des Internationalen Literaturfestivals aus Ihrem neuen Buch "Heimat: Wie Flüchtlinge uns zu besseren Nachbarn machen". Danke für Ihren Besuch!
Naprushkina: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.