Hinaus ins Weite und Freie
Alles Beschränkte ist anmaßend, fand Alexander von Humboldt. Zum Beispiel die Vielfalt in der Natur und in der Geschichte nur mit Hilfe einer Sprache beschreibend verstehen zu wollen.
Jede Sprache als ein besonderes Element in der Naturgeschichte des Geistes ermögliche ganz besondere Einsichten, zu denen man nur mit ihrer Hilfe gelangt. Insofern erschien ihm eine Wissenschaft, die nur in einer Sprache spricht, höchst unzulänglich, weil ihr die Welt, in der sie sich entfaltet, unter solchen Voraussetzungen nahezu unverständlich bleibt. Er beherrschte 26 Sprachen, unter diesen nach seinem eigenen Urteil nur Russisch unvollkommen. Alexander von Humboldt wurde zu einem klassischen Autor, er schrieb auf Latein, Französisch, Spanisch und Deutsch. Seine Sprachkenntnisse machten den Naturwissenschaftler zu einem Polyhistor. Denn er wollte wissen, wie die einzelnen Völker und Kulturen je auf ihre Art die Natur betrachteten und sich demgemäß eine ihnen eigentümliche Weltanschauung bildeten im Zusammenhang mit den Ideen und Anregungen, die sie von ihren Nachbarn empfingen.
Die Naturerkenntnis war ihm nicht das höchste Ziel. Alles Forschen und Interpretieren sollte zum Naturgenuss führen, die Körperwelt als ein geordnetes Ganzes zu erleben und sich daran zu erfreuen. Das erfordert ein Schweben über den Dingen, einen freien, hohen Standpunkt, von dem aus große Massen in den Blick geraten, die dazu befähigen, das Leben durch einen größeren Reichtum von Ideen zu verschönern.
In diesem Sinne blieb Alexander von Humboldt immer ein Klassizist und Ästhet wie sein Bruder Wilhelm. Deshalb nannte er die Totalität seiner Naturanschauung auf Griechisch Kosmos, was an Zierde und schmucke Ordnung erinnert, die wie absichtslos mit dem Nützlichen verbunden sind. Wie Winckelmann wollte er die Einheit in der Vielfalt erkennen. Dazu bedarf es der Ideen, die dabei helfen, den Stoff zu beherrschen und Ordnung in das Naturgemälde zu bringen. Das Besondere und Beschränkte empfängt dann seine Würde und Bedeutung im Zusammenhang mit einem schönen Ganzen.
Beide Humboldts glaubten unerschütterlich daran, dass die europäische Bildung in mannigfachen Metamorphosen antike Überlieferungen fortsetze, die für sie so lebensnotwendig wären, wie die Luft zum Atmen. Als Weltbürger des 18. Jahrhunderts suchte Alexander von Humboldt wie ein hellenistischer Kosmopolit oder ein römischer Reichsbürger bei den Arabern, den Persern oder Indern, ja bis nach China hin gerade solche Besonderheiten, die sie aus dem Beschränkten befreiten, weil sie diese mit Hellenen und Römern verbanden und allen zusammen eine Idee ihrer Zusammengehörigkeit in einer besonderen Welt verschafften, eben der Alten Welt. Das alte Europa griff endlich in die Neue Welt hinaus, und machte die ganze Welt zu einer neuen Welt, die jetzt überhaupt erst zu einem umfassenden Weltbild gelangte.
Die physische Weltbeschreibung, die Geschichte der Natur, und die Weltgeschichte als Geschichte der Kultur, der wahren Natur des Menschen, des redenden und über sich redenden Menschen, verschmolzen zu einer vollständigen Weltgeschichte, zu einer Universalgeschichte, auf die der humanistische Weltbürger und Historiker Friedrich von Schiller hoffte.
Die Genialität Humboldts ist sicherlich etwas Besonderes, aber auch sie entwickelte sich in einer ihr günstigen Umwelt. Damals waren die Deutschen auf die Welt neugierig, lernten Sprachen, eigneten sich auch die entlegensten Kulturen an und wirkten als Übersetzer und Vermittler zwischen den Nationalkulturen und der Menschheit. Die Grundlage ihrer akademischen, ihrer klassischen Bildung waren Latein und Griechisch, die Begeisterung für die italienische Renaissance und die Weimarer Klassik. Die deutschen Bildungsbürger traten aus ihrer Enge, aus ihrer provinziellen Beschränktheit hinaus ins Weite und Freie. Damals freuten sie sich am Leben und wussten noch nichts von einer westlichen Wertegemeinschaft, die eine bunte Welt der Verschiedenheiten in das farblose Einerlei einer gleichförmigen Menschheit verwandeln möchte. Damals war der Gewinn, den die Wissenschaften versprachen, ein gesteigertes Lebensgefühl. Heute sollen sie Gewinne erwirtschaften. Das hielt Alexander von Humboldt allerdings für eine lebensfeindliche und geistlose Idee, ungemein anmaßend in ihrer Beschränktheit.
Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen u. a. "Die Wittelsbacher", "Drei letzte Kaiser", "Albert Ballin" und "Eine kleine Geschichte Preußens" sowie "Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit".
Die Naturerkenntnis war ihm nicht das höchste Ziel. Alles Forschen und Interpretieren sollte zum Naturgenuss führen, die Körperwelt als ein geordnetes Ganzes zu erleben und sich daran zu erfreuen. Das erfordert ein Schweben über den Dingen, einen freien, hohen Standpunkt, von dem aus große Massen in den Blick geraten, die dazu befähigen, das Leben durch einen größeren Reichtum von Ideen zu verschönern.
In diesem Sinne blieb Alexander von Humboldt immer ein Klassizist und Ästhet wie sein Bruder Wilhelm. Deshalb nannte er die Totalität seiner Naturanschauung auf Griechisch Kosmos, was an Zierde und schmucke Ordnung erinnert, die wie absichtslos mit dem Nützlichen verbunden sind. Wie Winckelmann wollte er die Einheit in der Vielfalt erkennen. Dazu bedarf es der Ideen, die dabei helfen, den Stoff zu beherrschen und Ordnung in das Naturgemälde zu bringen. Das Besondere und Beschränkte empfängt dann seine Würde und Bedeutung im Zusammenhang mit einem schönen Ganzen.
Beide Humboldts glaubten unerschütterlich daran, dass die europäische Bildung in mannigfachen Metamorphosen antike Überlieferungen fortsetze, die für sie so lebensnotwendig wären, wie die Luft zum Atmen. Als Weltbürger des 18. Jahrhunderts suchte Alexander von Humboldt wie ein hellenistischer Kosmopolit oder ein römischer Reichsbürger bei den Arabern, den Persern oder Indern, ja bis nach China hin gerade solche Besonderheiten, die sie aus dem Beschränkten befreiten, weil sie diese mit Hellenen und Römern verbanden und allen zusammen eine Idee ihrer Zusammengehörigkeit in einer besonderen Welt verschafften, eben der Alten Welt. Das alte Europa griff endlich in die Neue Welt hinaus, und machte die ganze Welt zu einer neuen Welt, die jetzt überhaupt erst zu einem umfassenden Weltbild gelangte.
Die physische Weltbeschreibung, die Geschichte der Natur, und die Weltgeschichte als Geschichte der Kultur, der wahren Natur des Menschen, des redenden und über sich redenden Menschen, verschmolzen zu einer vollständigen Weltgeschichte, zu einer Universalgeschichte, auf die der humanistische Weltbürger und Historiker Friedrich von Schiller hoffte.
Die Genialität Humboldts ist sicherlich etwas Besonderes, aber auch sie entwickelte sich in einer ihr günstigen Umwelt. Damals waren die Deutschen auf die Welt neugierig, lernten Sprachen, eigneten sich auch die entlegensten Kulturen an und wirkten als Übersetzer und Vermittler zwischen den Nationalkulturen und der Menschheit. Die Grundlage ihrer akademischen, ihrer klassischen Bildung waren Latein und Griechisch, die Begeisterung für die italienische Renaissance und die Weimarer Klassik. Die deutschen Bildungsbürger traten aus ihrer Enge, aus ihrer provinziellen Beschränktheit hinaus ins Weite und Freie. Damals freuten sie sich am Leben und wussten noch nichts von einer westlichen Wertegemeinschaft, die eine bunte Welt der Verschiedenheiten in das farblose Einerlei einer gleichförmigen Menschheit verwandeln möchte. Damals war der Gewinn, den die Wissenschaften versprachen, ein gesteigertes Lebensgefühl. Heute sollen sie Gewinne erwirtschaften. Das hielt Alexander von Humboldt allerdings für eine lebensfeindliche und geistlose Idee, ungemein anmaßend in ihrer Beschränktheit.
Eberhard Straub, geboren 1940, studierte Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie. Der habilitierte Historiker war bis 1986 Feuilletonredakteur der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis 1997 Pressereferent des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Buchveröffentlichungen u. a. "Die Wittelsbacher", "Drei letzte Kaiser", "Albert Ballin" und "Eine kleine Geschichte Preußens" sowie "Das zerbrechliche Glück. Liebe und Ehe im Wandel der Zeit".