Hören Sie zum Ganesha-Fest in Indien auch unser Gespräch mit der Heidelberger Indologin Ute Hüsken.
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Ein Tempel für den Elefantengott
07:56 Minuten
Ungefähr 100.000 Hindus leben in Deutschland, vor allem Flüchtlinge aus Sri Lanka und Facharbeiter aus Indien. Aber wie leben sie ihren Glauben in einem Land ohne Priester und mit nur wenigen Tempeln?
Anjana Singh stammt aus Nordindien. Seit 26 Jahren lebt sie in Berlin. Sie unterrichtet Hindi und hat den interkulturellen Verein Amikal gegründet. Eine Puja, also die rituelle Verehrung der Götter, in ihren eigenen vier Wänden durchzuführen, hat sie nicht richtig gelernt. Also hat sie improvisiert.
"Klar, an bestimmten Tagen wollte ich in den Tempel gehen, aber es gab keinen", sagt Singh. "Dann habe ich meinen Tempel zu Hause gemacht und gebetet. Und so geht das vielen Indern im Ausland, die keinen Tempel finden. In jedem Haushalt ist ja ein Tempel."
"Wie cool, eine Frau als Priesterin!"
Dann lernte Singh Shraddha Mishra kennen, die aus der indischen Priesterkaste stammt und von ihrem Vater das Priesterhandwerk gelernt hat. Shraddha Mishra singt bei ihrer häuslichen Puja heilige Verse, die dem Elefantengott Ganesha gewidmet sind. Anjana Singh hatte bislang keine Priesterin in ihrem Umfeld. "Wie cool ist das, dass eine Frau Priesterin wird", sagt sie. "Ich möchte, dass sie meine Rituale macht. Sie kann das ja am besten machen und auf die richtige Art und Weise."
In Indien sind Priesterinnen extrem selten. Singh möchte, dass sich das ändert und der Dienst einer Priesterin auch für die Hindu-Gemeinde in Berlin selbstverständlich wird. Sie klappt ein Notebook auf und zitiert ein Sanskrit-Sprichwort vom Bildschirm:
"Ekam satya vipra bahudha vadanti. Das bedeutet so viel wie: eine Wahrheit, die durch verschiedene Weisheiten gesagt wird. Und das ist doch der Kern von allen Religionen, oder?"
Offenheit und Improvisationstalent
Berührungsängste mit der deutschen Kultur oder der christlichen Religion kennt die 47-Jährige nicht. Beispielsweise feiert Singh Neujahr seit 18 Jahren mit einem Gottesdienst in einer kleinen Gemeinde in Brandenburg.
"Was die Anpassungsfähigkeit des Hinduismus betrifft, würde ich sagen, ist es grundsätzlich leicht, aufgrund der sehr toleranten Theologie im Hinduismus hier die Religion in einem nicht-hinduistischen Umfeld zu leben", sagt Liane Wobbe. Die Religionswissenschaftlerin und Indologin steht seit vielen Jahren mit der indischen Diaspora in Kontakt.
Außerhalb ihres Kulturraumes sei es für Hindus oft schwierig die vorgeschriebenen Rituale für die Götter beizubehalten:
"Es bedarf ja zum Beispiel einer regelmäßigen Versorgung der Götter im Tempel, das heißt, dass eigentlich Priester regelmäßig anwesend sein müssen, dass es Berufspriester geben muss, die mindestens sechsmal am Tag die Götter verehren und mit Zeremonien bedenken."
Früchte und Süßes zur Feier der Göttin
Das ist in Deutschland nicht so leicht zu gewährleisten. Also wird improvisiert. Da wird schon mal das astrologisch festgelegte Datum eines Feiertags zugunsten der arbeitenden Gläubigen auf das folgende Wochenende verschoben, beim Kastenstatus des Priesters ein Auge zugedrückt, oder die Götter werden an vorübergehenden Kultstätten verehrt. Wie etwa bei der jährlich im Oktober stattfindenden Durga Puja.
Oktober 2013. Im Klubhaus des Berliner Studentenwohnheims Eichkamp feiert ein Teil der lokalen hinduistischen Diaspora die Durga Puja. Während des Rituals zu Ehren der populären Göttin Durga ertönt das Muschelhorn. Vor ihrem Bildnis stehen Früchte und Süßigkeiten als Opfergaben. Der Priester rezitiert heilige Verse.
Für das hohe Fest kommt ein Priester aus Indien
Seit einigen Jahren lässt die Gemeinde einen Priester aus Indien einfliegen, der die komplexen Rituale kennt. Die Götterstatuen werden vor dem Fest aufgebaut und danach wieder verstaut. Anders in Indien: Dort wird die Göttinnenfigur hinterher in einem Gewässer versenkt. Aber das ist hier nicht erlaubt. Die Religionswissenschaftlerin Liane Wobbe macht auf einen weiteren Unterschied aufmerksam:
"Normalerweise dauert dieses Fest neun Tage. In Berlin allerdings wird die Durga Puja nur fünf Tage lang gefeiert."
Kompromisse finden, Geduld haben und aus den gegebenen Umständen das Beste machen. Vilvanathan Krishnamurti weiß wie das geht. Er ist einer der Gründer des Sri-Ganesha-Hindu-Tempel in Berlin-Neukölln. 18 Meter hoch ist der Turm mit den unzähligen Statuen, die mythologische Geschichten erzählen. Krishnamurti legt den Kopf in den Nacken. "Der Eingangsbereich ist wichtig für uns, weil damals Könige diesen Turm gebaut haben", erklärt er. "Das nennt man Königsturm."
Ein Tempel, um das Erbe weiterzugeben
Der Sri-Ganesha-Hindu-Tempel befindet sich seit 2007 in Bau. Er wird aus Spendengeldern der indischen Gemeinde finanziert. Momentan dient noch eine provisorische Halle als Tempel. Zur Recherchezeit war sie wegen der Coronapandemie noch geschlossen. Für Vilvanathan Krishnamurti ist der Tempel so bedeutungsvoll, weil die Gemeinde hier das kulturelle Erbe an ihre Kinder weitergeben kann:
"Sie wachsen ja in zwei Kulturen auf. Wir müssen das akzeptieren, weil wir sind ja in einem fremden Land. Bin ich in Indien, ist das etwas Anderes. Aber in Deutschland ist das so. Hier geborene Kinder haben verschiedene Freunde, verschiedene Kulturbereiche. Und jeder sagt was."
Die verschiedenen Vorstellungen von Eltern, Schule und Freunden führten oft zu inneren Konflikten, erklärt Vilvanathan Krishnamurti. Der Tempel biete ihnen die Chance, ihre Kinder mit den Zeremonien vertraut zu machen, die Hindus mit Geburt, Hochzeit und Tod begehen. Außerdem können sie hier die jährlichen Feste, wie das Lichterfest, Durga Puja oder den Geburtstag des Gottes Ganesha feiern.
"Dieser Tempel soll nicht nur für Hindu-Gläubige sein", sagt Vilvanathan Krishnamurti. "Er soll für alle sein." Der Tempel sei als Ort des Austausches gedacht. Ein interkulturelles und interreligiöses Podium, das allen Menschen offensteht. Die Eröffnungsfeier für den neuen Tempelkomplex ist für März 2021 geplant.