Hinreißende Graphic Novel
Mit seiner wild bebilderten Graphic Novel "Modotti" liefert der Zeichner Àngel de la Calle sein vorläufiges Opus magnum ab. Als hinreißenden Mix der Text-Genres erzählt er das Leben der sagenumwobenen Tina Modotti - und ein ganzes Jahrhundert gleich mit.
Was ist das? Für den gewohnten Comic zu dick, kein Album, eher ein Schmöker. Ohne opulente Panels oder bunte Farben. Sagen wir: Es ist ein typischer Ángel de la Calle, ein genialer Mix aus Dingen, die eigentlich nicht (zusammen) gehen. Aha, und wer ist der Mann, den hierzulande bisher nur die üblichen Verdächtigen kennen?
Ángel de la Calle arbeitet seit über dreißig Jahren akribisch an der Dehnung herkömmlicher Begriffe und Genres, er ist dafür berühmt in halb Europa und beiden Amerikas. Das liegt an der "Semana Negra" in Gijón/Asturien, einem internationalen Krimi-Festival, das er seit über zwanzig Jahren grafisch gestaltet und auch organisiert. Mit Paco Taibo, dem Gijóner Schriftsteller, der auch in Mexiko lebt. Es liegt aber auch daran, dass de la Calle von Anfang an die Grenzen seines Metiers ignoriert hat. Er illustriert Erzählungen von anderen, zeichnet eigene Comic-Strips und Film-Storyboards, leitet ein internationales Comic-Festival, veröffentlicht in französischen, amerikanischen und Schweizer Magazinen.
"Modotti" ist sein (vorläufiges) Opus magnum, und darin mischt er auch Textgenres auf. Es ist einerseits Biografie - der sagenumwobenen Tina Modotti, geboren 1896 im Friaul, Emigrantin in Mexiko, Geliebte historischer "Granden" aus Kunst und Kommunistischer Internationale, bekannt mit allen revolutionären Eis-, Schein- und Säulenheiligen, innovative Fotografin, linientreue Kommunistin, später oszillierend zwischen Moskau, Paris, Berlin und Spanien im Bürgerkrieg, 1942, wieder in Mexiko, einem mysteriösen Herzinfarkt erlegen, dann lange vergessen.
Ihr Leben hat viele blinde Flecken. Auch blutige? Es enthält Krimielemente - wer hat ihren Geliebten Mella ermordet? Wie ermittelt man das heute? Es ist auch Tagebuch - von de la Calle, der hinter Modotti herforscht, oft begleitet vom Genossen Taibo, oder träumt, schwärmt, fragt und nebenbei Gijóner Lokalpolitik treibt, mit herrlich komischen Episoden. Und schließlich Historiografie - was war das, dieser Kommunismus? Wieviel Blut klebt daran? Was macht man damit heute als Linker in Spanien, wo man so lange romantischer Blindheit frönen konnte, weil gemessen an Franco alles Bagatellen waren?
Vor allem aber hat Modotti einen hinreißend "polyphonen" Bilderstil. Streng schwarz-weiß, viel Schraffur, viel Text, ein Strich, der fast holzschnittgrob wirkt und dennoch Gesichter, Mimik, Ausdruck auf den Punkt bringt, unzählige Zitate und Verweise: Modottis Gestalt erinnert manchmal leise an Valentina, die Comic-Ikone von Guido Crepax, Fotos von ihr sind nachgezeichnet und eingestreut wie Bilder von George Grosz, Filmszenen, Gedichte, atemberaubend ist die Episode im Spanischen Bürgerkrieg: skizzierte Fragmente von Picassos Guernica über mehrere Doppelseiten hinweg, darunter verknappt Modottis Erlebnisse.
So unbegrenzt sind also die Möglichkeiten dessen, was zurecht Graphic Novel heißt und auch hierzulande inzwischen gewürdigt wird. Begrenzt ist leider die Übersetzung - "irländische Juden" oder "Kinoregisseur Eisenstein" sind nicht die einzigen Unbeholfenheiten -, aber zum Glück nur sie.
Besprochen von Pieke Biermann
Àngel de la Calle: Modotti. Eine Frau des 20. Jahrhunderts
Aus dem Spanischen von Timo Berger
Rotbuch Verlag, Berlin 2011
272 Seiten, Broschur, 16,95 Euro
Ángel de la Calle arbeitet seit über dreißig Jahren akribisch an der Dehnung herkömmlicher Begriffe und Genres, er ist dafür berühmt in halb Europa und beiden Amerikas. Das liegt an der "Semana Negra" in Gijón/Asturien, einem internationalen Krimi-Festival, das er seit über zwanzig Jahren grafisch gestaltet und auch organisiert. Mit Paco Taibo, dem Gijóner Schriftsteller, der auch in Mexiko lebt. Es liegt aber auch daran, dass de la Calle von Anfang an die Grenzen seines Metiers ignoriert hat. Er illustriert Erzählungen von anderen, zeichnet eigene Comic-Strips und Film-Storyboards, leitet ein internationales Comic-Festival, veröffentlicht in französischen, amerikanischen und Schweizer Magazinen.
"Modotti" ist sein (vorläufiges) Opus magnum, und darin mischt er auch Textgenres auf. Es ist einerseits Biografie - der sagenumwobenen Tina Modotti, geboren 1896 im Friaul, Emigrantin in Mexiko, Geliebte historischer "Granden" aus Kunst und Kommunistischer Internationale, bekannt mit allen revolutionären Eis-, Schein- und Säulenheiligen, innovative Fotografin, linientreue Kommunistin, später oszillierend zwischen Moskau, Paris, Berlin und Spanien im Bürgerkrieg, 1942, wieder in Mexiko, einem mysteriösen Herzinfarkt erlegen, dann lange vergessen.
Ihr Leben hat viele blinde Flecken. Auch blutige? Es enthält Krimielemente - wer hat ihren Geliebten Mella ermordet? Wie ermittelt man das heute? Es ist auch Tagebuch - von de la Calle, der hinter Modotti herforscht, oft begleitet vom Genossen Taibo, oder träumt, schwärmt, fragt und nebenbei Gijóner Lokalpolitik treibt, mit herrlich komischen Episoden. Und schließlich Historiografie - was war das, dieser Kommunismus? Wieviel Blut klebt daran? Was macht man damit heute als Linker in Spanien, wo man so lange romantischer Blindheit frönen konnte, weil gemessen an Franco alles Bagatellen waren?
Vor allem aber hat Modotti einen hinreißend "polyphonen" Bilderstil. Streng schwarz-weiß, viel Schraffur, viel Text, ein Strich, der fast holzschnittgrob wirkt und dennoch Gesichter, Mimik, Ausdruck auf den Punkt bringt, unzählige Zitate und Verweise: Modottis Gestalt erinnert manchmal leise an Valentina, die Comic-Ikone von Guido Crepax, Fotos von ihr sind nachgezeichnet und eingestreut wie Bilder von George Grosz, Filmszenen, Gedichte, atemberaubend ist die Episode im Spanischen Bürgerkrieg: skizzierte Fragmente von Picassos Guernica über mehrere Doppelseiten hinweg, darunter verknappt Modottis Erlebnisse.
So unbegrenzt sind also die Möglichkeiten dessen, was zurecht Graphic Novel heißt und auch hierzulande inzwischen gewürdigt wird. Begrenzt ist leider die Übersetzung - "irländische Juden" oder "Kinoregisseur Eisenstein" sind nicht die einzigen Unbeholfenheiten -, aber zum Glück nur sie.
Besprochen von Pieke Biermann
Àngel de la Calle: Modotti. Eine Frau des 20. Jahrhunderts
Aus dem Spanischen von Timo Berger
Rotbuch Verlag, Berlin 2011
272 Seiten, Broschur, 16,95 Euro